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Der Zug war pünktlich und Felix verkroch sich in ein Abteil, in dem keine anderen Fahrgäste saßen. Die Fahrt dauerte etwa doppelt so lang wie mit dem Auto und führte durch eine grüne Hügellandschaft, die sich immer mehr von allem Städtischen entfernte. Wenn er als Kind mit seiner Mutter zu den Großeltern gefahren war und aus dem Zugfenster geschaut hatte, hatte er sich immer vorgestellt, sie würden eine Zeitreise machen und direkt ins Mittelalter hineinfahren. Im Städtchen, das Mutscheid am nächsten lag und in dem sie in den Bus umsteigen mussten, gab es tatsächlich eine Burg, eine alte Stadtmauer mit hohen, massiven Toren, und lauter spitzgieblige Fachwerkhäuser, die den Bach säumten, der mitten hindurch floss. Im Dorf der Großeltern jedoch, mit seinen gut hundert Einwohnern, war von all dem nichts mehr zu spüren. Hier waren nur noch Felder und Wege und der Wald, den Felix zusammen mit seinem Großvater auf der Suche nach Rittern, Pilzen, Feuersalamandern und essbaren Früchten durchstreift hatte. Als er jetzt aus dem Bus stieg, war das alte Kindheitsgefühl sofort wieder da. Felix atmete tief durch. Hier war er vor allem eines: Weit weg von allem.

Als er das wie immer unverschlossene Haus der Großeltern betrat, umfing ihn der vertraute Geruch und eine große Stille. Sie waren noch beim Mittagsschlaf. Felix stellte vorsichtig seinen Rucksack ab und schlich ins Wohnzimmer, um zu schauen, ob sie sich dort niedergelassen hatten. Da stand nur ein Kuchen auf dem Tisch. Er ging die Wände entlang und betrachtete alles, was dort hing, die Bilder, die der Großvater gemalt hatte. Der einsame Reiter durch die russische Steppe war eines seiner Selbstporträts, das liebte der Großvater am meisten. Daneben Zeichnungen, getrocknete Blumen, verschiedene große und kleine Ikonen, das Metallkreuz mit dem abgeschrägten Balken, das ihm im Krieg das Leben gerettet hatte, dazwischen auf einem Bord getöpferte Vasen und Becher. Das Museum ihres Lebens, ging es Felix durch den Kopf, dann ließ er sich in einem der abgewetzten Sessel nieder. Sie wollten nichts Neues, Moderneres. „Lohnt sich doch nicht mehr“, war seit Jahren der Standardspruch der beiden Alten, „das alles sind wir.“ Auf dem kleinen Tischchen neben dem Sofa stand er selbst in vielen verschiedenen Versionen, als Baby und Kleinkind, mit gebrochenem Arm und Eis in der Hand, mit Schultüte und in Badehose mit Wettkampfmedaille um den Hals. Felix drehte das Bild um. Schmerzlich wurde es ihm wieder bewusst. Er war eine Enttäuschung. Ein Versager, ein mühsam zusammengehaltenes Jenga-Spiel. Sie wussten es nur noch nicht. Draußen vor dem Fenster bewegte sich etwas. Erst da sah er, dass die Großeltern dort unter den Bäumen auf ihren Holzliegen lagen, zugedeckt mit graugrün karierten Decken, perfekt der Umgebung angepasst. Oma drehte sich zum Wohnzimmerfenster um und winkte ihm zu. Wie hatte sie nur gemerkt, dass er da war?

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