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Kapitel 6

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Cala Illetes. Gemeinde Calvià. Sven geht die Steinstufen vom Parkplatz hinunter und gelangt über die Holzbohlen auf die Terrasse von Manuels Restaurant, das heute geschlossen hat. Nach wenigen Metern erreicht er Lucías Strandbar. Er sieht Salvator, den Ehemann von Lucía, der gerade einen Stehtisch auf die Terrasse schleppt. »Hola«, ruft er. Salvator, der schlanke, großgewachsene Mann mit den ergrauten Schläfen und den unzähligen kleinen Lachfalten um die Augen, dreht sich um und kommt auf Sven zu.

»Schön, dich zu sehen.« Sie umarmen sich. »Alles gut bei dir?«

Sven bejaht. »Und bei dir?«

»Alles bestens«, erwidert Salvator mit einem Lächeln.

»Wie fühlst du dich so ohne Lucía?«

»Jetzt geht es ja, aber als sie damals Manuels Küche unter ihre Fittiche genommen hatte, war das schwer.« Schnell schiebt er nach: »Für uns beide.« Er grinst. »Aber die Tapas-Bar hat ja nur mittags auf. Deshalb werde ich meine Frau abends in die Arme schließen können.«

Sven lacht. »Das hoffe ich für dich.« Er legt Salvator die Hand auf die Schulter. »Aber wie ich deine Frau kenne, wird sie es sich nicht nehmen lassen, ab und an auch abends Manuel Konkurrenz zu machen.«

Salvator seufzt. »Wenn es denn ihr Herzenswunsch ist. Seit sie sich bei euch engagiert, ist sie ausgeglichener, glücklicher. Valdemossa ist eben ein Nest, sehr schön zwar, aber langweilig. Was soll ich machen?«

»Nix!«, antwortet Sven. »Lass ihr den Freiraum, denn deinen Job als Bibliothekar im Kloster wirst du ja wohl nicht aufgeben, oder?«

»Gott behüte. Das wäre eine große Dummheit.«

»Eben.« Sven schaut sich um. »Kann ich dir helfen?«

»Gut, dass du fragst, sonst würde ich glatt an unserer Freundschaft zweifeln.« Salvator zeigt ans Ende der Terrasse. »Dort müssen die Stehtische hin.«

Nachdem Salvator und Sven die Tische aus dem Schuppen nach draußen getragen und aufgestellt haben, betreten sie den großen Essraum der Strandbar. Lange Tische mit weißen Tischdecken darauf bilden ein großes Rechteck. Héctor und Carlotta, die Angestellten von Manuel, decken ein und Christina, Manuels Ehefrau, stellt Kerzen auf. Sven geht dem Duft nach Rosmarin, Zwiebeln, gerösteten Pinienkernen und geschmortem Kohl nach und wirft einen Blick in die Küche. Manuel ruft dem Kochschüler Sebastián Anweisungen zu und Lucía schließt gerade die Backofentür. Als sie sich mit hochrotem Kopf umwendet, stößt sie auf Sven, der sich neugierig herangeschlichen hat.

»Lass mal schauen«, bittet er sie und zeigt auf den Herd.

»Mach, dass du hier rauskommst!«, blafft sie ihn an und streicht sich eine ihrer dunklen Haarsträhnen hinter das Ohr.

»Ich will doch nur helfen«, kommt es kleinlaut zurück.

»Aber nicht in der Küche, verschwinde.«

Manuel fasst seinen Freund mit beiden Händen an der Schulter, schiebt ihn hinaus und ruft noch: »Wenn du helfen willst, frag Héctor!«

Kurz vor 20 Uhr kommen die ersten Gäste, fast alle sind Stammgäste von Manuel, es sind nur wenige neue Gesichter dabei. Sven begrüßt sie und bittet auf die Terrasse zu einem Aperitif. Er unterhält sich mal hier und mal dort, dabei lässt er die Steintreppe, die vom Parkplatz zu den Restaurants führt, nicht aus den Augen. Dass seine Freunde meist in letzter Minute kommen, ist er gewohnt, aber wird sich auch Sara auf den Weg nach Illetes machen?

In die Gespräche auf der Terrasse mischt sich derweil eine tiefe, warme Stimme. »Herzlich willkommen«, begrüßt Manuel die Gäste. In der blütenweißen Kochschürze und dem roten Vorbinder sowie einem ebenfalls roten Halstuch macht er eine richtig gute Figur. »Wir«, Manuel zeigt auf Lucía, die neben ihm steht, dann auf Sven, der am Stehtisch lehnt, und schließlich auf sich, »freuen uns, Sie heute zur Einweihung unserer neuen Tapasbar begrüßen zu dürfen. Ab morgen gibt es nicht nur ‚Manuel‘s Restaurant‘, sondern auch ‚Lucía‘s Strandbar‘.« Der nächste Satz wird von Applaus übertönt.

Manuel lächelt und hebt die Hände, um sich erneut Gehör zu verschaffen. »Sie dürfen sich bei Lucía auf bodenständige, saisonale Leckereien einstellen. In erster Linie wird es bei ihr tapas und frische Salate geben. Genau das Richtige für den mittäglichen Appetit.« Dann erhebt auch Lucía ihre Stimme: »Tapas sind meine Leidenschaft, echte mallorquinische und natürlich auch neue Kreationen. Jeden Tag werde ich meine Gäste mit einer noch nicht dagewesenen Idee überraschen, versprochen.« Sie strahlt über das ganze Gesicht und die Freude an der neuen Herausforderung ist ihr anzusehen. »Doch nun sind wir soweit, es ist angerichtet! Wenn ich Sie bitten darf.« Sie zeigt mit der Hand zur offenen Tür, die in den Gastraum führt.

Kaum haben die Gäste an den Tischen Platz genommen, da sieht Sven seine Freunde Alejandro und Paco gemächlich auf die Terrasse zuschlendern. Mit den Worten »Mensch, ihr habt aber die Ruhe weg« begrüßt er die beiden mit einer Umarmung. »Na, so ganz bist du noch nicht akklimatisiert, daran müssen wir noch arbeiten«, bemerkt der Marquis und klopft ihm freundschaftlich auf den Rücken. Auch Paco grinst darüber, dass es die Deutschen mit der Zeit immer so genau nehmen.

Die Stimmung unter den Gästen ist gelöst. Sie unterhalten sich angeregt, auch die, die sich noch nicht kennen. Sven lässt die Atmosphäre auf sich wirken. Wie Manuel es doch immer wieder schafft, mit nur wenigen Worten und allein durch seine Anwesenheit ein Gefühl der Herzlichkeit zu erzeugen, erstaunt ihn stets aufs Neue.

Héctor und Carlotta gehen mit Weinflaschen um den großen Tisch herum und schenken je nach Wunsch Weiß- oder Rotwein ein. Sebastián wirkt etwas unbeholfen, als er die großen Schüsseln mit den Pimientos de patrón, den mit Meersalz bestreuten Bratpaprika, auf den Tischen abstellt.

Sven schmunzelt. Der junge Kochschüler wirkt bemüht, sehr freundlich und zuvorkommend, aber irgendwie noch ein wenig ungelenk. Er findet es klasse, dass Manuel nicht auf erfahrene Servicekräfte zurückgreift, sondern seinen eigenen Nachwuchs ausbildet. Mit Héctor und Carlotta hat das prima funktioniert, in wenigen Tagen werden sie für die beiden eine Party geben, dann haben die Auszubildenden ihren Abschluss geschafft. Und so wie es aussieht, werden sie bleiben. Wir haben auch genug zusammen durchgestanden, erinnert er sich. Als Manuel so krank war, haben die beiden sich als äußerst zuverlässig erwiesen. Sie sind empathisch und locker drauf. Und sie erkennen hier ihre Chance. Sven wird aus seinen Gedanken gerissen, denn gerade bringen Sebastián, Héctor und Carlotta die Keramikschalen mit den nächsten tapas. Es duftet köstlich: Llom amb col, Schweinelende in Kohl, das erkennt Sven sofort, Perdius guisades, gedünstetes Rebhuhn, und Albergínies farcides, Auberginen mit Hackfleisch gefüllt.

Zwischen deftigem Essensduft und ausgelassener Heiterkeit mischt sich ein merkwürdiges Gefühl, das Sven nicht deuten kann. Ein Kribbeln breitet sich in seinem Bauch aus. Langsam, unkontrollierbar, aber nicht unangenehm. Um ihn herum wird gelacht, diskutiert und kräftig zugelangt, doch nimmt er den Geräuschpegel nicht mehr wahr, als sein Blick zur Tür geht. Zunächst hatte er sich nur auf ein Wiedersehen gefreut, doch jetzt, wo Sara gekommen ist, gesteht er sich ein, dass er es kaum erwarten konnte. Er eilt auf sie zu.

»Schön, dass du gekommen bist«, begrüßt er sie mit leuchtenden Augen. Eine leichte Röte überzieht seine Wangen.

»Ich war hin- und hergerissen. Ich kenne hier doch niemanden«, sagt Sara unsicher.

»Du kennst ja mich«, antwortet Sven und führt sie zu seinem Tisch. Dass er über das ganze Gesicht grinst, ist ihm bewusst. Schnell schieben die Gäste rechts und links ihre Stühle zur Seite und schaffen so Platz für Sara. Héctor, der die junge Frau sofort bemerkt hat, bringt ein weiteres Gedeck.

»Bist du mit dem Bus gekommen?«, fragt Sven und reicht Sara die erste Tapasschale an. Sie probiert. »Wunderbar!«, staunend schaut sie ihn an. Sven ist aufgeregt, er freut sich auf den Abend, gleichzeitig ist er nervös, er hat schon lange nicht mehr geflirtet. Um sich keine Blöße zu geben, tut er das, was er gut kann, er überlässt dem El Gustario das Reden. »Das gedünstete Rebhuhn ist mit der Kombination aus durchwachsenem Speck, gerösteten Pinienkernen und Blutwurst einfach unschlagbar.« Schon bringen Carlotta, Héctor und Sebastián die nächsten kleinen Gerichte und stellen sie in die Mitte der Tische: Porcella rostida, geröstetes Spanferkel, und Molls amb tomàtiga, Rotbarbe mit Tomaten.

Von jeder Seite wird zugegriffen und die Schalen werden dann weitergereicht. »Sagenhaft«, urteilt Sara und lässt genüsslich eine Bratpaprika im Mund verschwinden. »So etwas habe ich noch nie erlebt, so viele verschiedene Gerichte, jeder probiert mal hier, mal dort.« Sven erklärt: »Ja, das ist das Schöne an diesen kleinen Leckereien, so gibt es ganz unterschiedliche Geschmackserlebnisse.«

»Und man wird auch noch satt.« Sara nimmt sich ein Stück Spanferkel und versucht, die Schwarte durchzuschneiden. »Vergiss es, schneid das Fleisch ab, nimm die krosse Fettschicht in die Finger und beiß einfach ab.« Das lässt sie sich nicht zweimal sagen. In ihrem Mund knackt es vielversprechend, sie leckt sich die Finger ab. Sven riskiert einen tiefen Blick in ihre blauen Augen. Das Kribbeln in seinem Bauch will einfach nicht weniger werden. Sara scheint seine Nervosität zum Glück nicht zu bemerken.

»Kennen sich die Menschen hier alle? Sie unterhalten sich so angeregt und lebhaft.« Sara schaut sich um.

Sven räuspert sich und antwortet: »Die einen kennen sich, die anderen nicht. Aber hier auf Mallorca kommt jeder mit jedem ins Gespräch. Vor allem bei gutem Essen und Wein.« Er zeigt mit der Hand an das Ende der Tafel. »Schau, da hinten sitzt mein Freund Alejandro de Calderón, der ältere Herr ist ein echter Marquis.« Sara sieht zu dem weißhaarigen Mann hinüber, der mit einer Hand gestikuliert und mit der anderen eine Gabel zum Mund führt.

»Und daneben, das ist mein Freund Paco Ferres. Mit dem bin ich schon durch dick und dünn gegangen.« Er bemerkt Saras fragenden Gesichtsausdruck.

»Das erzähle ich dir ein anderes Mal, wir Freunde haben halt schon so einiges erlebt.«

»Auf Mallorca?«

»Ja, auf Mallorca. Ich stelle sie dir vor, wenn wir uns später draußen zusammensetzen. Jetzt gibt es erst einmal das Dessert.« Sara blickt ihn erwartungsvoll an.

»Ich rede von der mallorquinischen Küche, die auch da viel Abwechslungsreiches zu bieten hat.« Sven grinst. Kaum hat er den Satz beendet, bringt Lucía mit ihrem Team unter Applaus den Nachtisch: Flam de taronja, Orangenpudding, Pomes al forn, gebratener Apfel, und Tambor d’ametia, die Mandeltrommel.

»Was ist denn das?« Sara zeigt auf die Blechform, in der Mandeln in einer dunklen, klebrigen Masse liegen.

»Das sind karamellisierte Mandeln, eine mallorquinische Spezialität.«

Sven nimmt ein Messer, bricht ein Stück heraus und hält ihr das Bruchstück vor den Mund. »Einfach nur lecker.«

Die Sonne ist längst untergegangen, der Himmel fast schwarz, die Sterne glitzern am Firmament. Auf der Terrasse lodern die Flammen in den Feuerschalen und das Knacken der Holzscheite vermischt sich mit dem Rauschen des Meeres, sobald die Wellen die Felsen umspielen. Sven hat seinen Freunden Sara vorgestellt. Nun stehen sie zusammen an einem der runden Stehtische: Paco, Salvator und Alejandro. Sie warten nur noch auf Manuel und Lucía. Héctor und Carlotta gehen von Tisch zu Tisch und schenken den letzten Gästen Wein nach.

Das Chaos in seinem Inneren, das eine kurze, unbeabsichtigte Berührung mit Saras Hand in ihm auslöst, lässt Sven keinen klaren Gedanken fassen. Er hört sich nur stammeln: »Frierst du auch nicht?« Sara antwortet, indem sie lächelt und unsicher mit den Schultern zuckt. Sven schaut sich um und greift nach einer der Decken, die auf Stühlen für die Gäste bereitliegen, und legt sie Sara um.

Immer noch mit seiner Kochjacke bekleidet, balanciert Manuel in einer Hand einen kleinen Turm ineinander gestellter Schnapsgläser, in der anderen hält er eine Flasche hierbas. Nachdem er mit Schwung den Kräuterlikör abgestellt und die Gläser verteilt hat, befreit er sich noch schnell von seinem Halstuch und dem Vorbinder. Beides wirft er auf den nächsten Stuhl, dann füllt er die Gläser und prostet in die Runde. »Auf uns, auf den gelungenen Abend und«, er lächelt glücklich, »auf Lucía’s Strandbar.« Kaum haben sie den ersten Schluck getrunken, ertönt es hinter Manuels Rücken: »Wie jetzt, bekomme ich keinen?« Lucía wird mit lautem »Hola« begrüßt und muss sich von allen erst einmal in den Arm nehmen lassen, bevor auch ihr ein hierbas eingegossen wird. Sven schaut erst Lucía, dann Manuel an und stellt auch ihnen Sara vor.

»Sind wir uns nicht heute schon einmal begegnet?«, fragt Lucía verschmitzt und Manuel kann sich die Bemerkung nicht verkneifen: »Nehmen Sie sich vor dem in Acht, wenn er jemanden ins Herz geschlossen hat, wird man ihn so schnell nicht wieder los, ich spreche da aus Erfahrung.« Du Blödmann, denkt Sven und merkt, dass er rot wird. Doch in der Dunkelheit fällt es niemandem auf. Nur Christina, die den Ausspruch ihres Mannes gehört hat und sich nun auch dazugesellt, bemerkt Svens Verlegenheit. Sie zieht ihren Mann liebevoll am Ohr und sagt lachend: »Ja, unser Gustario ist nicht nur ein Feinschmecker, er ist auch ein wahrer, treuer Freund.«

Wie immer unterhalten sie sich lebhaft. Sara ist von den tapas so angetan, dass Lucía ihr von der Entstehungsgeschichte der kleinen Appetithäppchen erzählt. Demnach wurden früher alkoholische Getränke mit einem Deckel, der sogenannten tapa, abgedeckt, damit Insekten nicht in den Genuss kamen. Diese Deckel beschwerte man mit Oliven. Später wurden dann die »Beschwerungsmethoden« immer einfalls- und umfangreicher. »Eine von vielen Erklärungen«, schiebt Lucía schnell nach.

Sven freut sich, dass Sara so herzlich in der Runde aufgenommen wird, denn schon bald ist sie mit Alejandro in ein Gespräch vertieft. Es geht dabei um den Adel auf Mallorca, das scheint sie zu interessieren und der Marquis gibt bereitwillig Auskunft. Manuel plant schon die nächsten Events für sein Restaurant und will Svens Einschätzung wissen, sodass er nur Wortfetzen der anderen Gespräche mitbekommt.

Mit der Zeit wird die Runde immer kleiner. Héctor und Carlotta sind, nachdem sie die Küche auf Vordermann gebracht haben, händchenhaltend nach Hause gegangen. Christina hat noch schnell die Einnahmen des Abends an sich genommen und ist dann in der Wohnung über dem Restaurant verschwunden. Auf Gloria, ihre gemeinsame Tochter, passten ihre Eltern auf. Nur schade, dass sie heute nicht dabei sein konnte. Doch Gloria ist einfach noch zu klein, um sie mitzunehmen. Auch Lucía und Salvator sind schon aufgebrochen, denn immerhin müssen sie noch bis Valdemossa fahren. Manuel ist die Anstrengung des Abends anzumerken, immer wieder fallen ihm die Augen zu. Doch Paco, Alejandro und Sara sind noch dabei, sich angeregt auszutauschen, als der Horizont schon eine helle Linie zeigt. Sven betrachtet fasziniert, wie im morgendlichen Dunst der Feuerball immer größer wird und aus dem Meer aufsteigt. Er schaut zu Alejandro herüber und deutet auf die mittlerweile leere Schnapsflasche. Gestenreich gibt er seinem Freund zu verstehen, dass er nicht mehr fahrtüchtig ist. Der Marquis lacht mit tiefer Stimme auf. »Ich hatte schon so etwas befürchtet.« Sogleich erklärt er: »Ich bin mit Fahrer gekommen. Den müssen wir nur suchen. Haben wir ihn gefunden, nehmen wir euch mit!« Als Sven sich von Manuel verabschiedet, flüstert der ihm noch zu: »Das ist eine nette, deine Sara. Ihr passt gut zueinander.«

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