Читать книгу Frauenstimmrecht - Brigitte Studer - Страница 36
Politik ist ein Kampfsport
ОглавлениеDer Bundesrat verharrte danach weiterhin abwartend zum Frauenstimmrecht, immer noch von der Angst einer internationalen Blamage im Falle eines negativen Volksentscheids gelähmt. Erst die unerwartete öffentliche Mobilisierung der Frauenbewegung in einem damals noch unbekannten Umfang drängte ihn endlich zum Handeln: Am 1. März 1969 demonstrierten 5000 Frauen und etliche Männer vor dem Bundeshaus in Bern. Sie skandierten «Frauenstimmrecht ist Menschenrecht» und pfiffen den Bundesrat aus. Die Aktion ging auf die Neue Frauenbewegung zurück. Die sich formierende Frauenbefreiungsbewegung (FBB) hatte am 10. November 1968 die 75-Jahrfeier der Zürcher Sektion des SVF gestört und die Bravheit der Stimmrechtlerinnen kritisiert. Bei diesem Ereignis kollidierten nicht nur zwei Generationen Feministinnen, sondern auch zwei politische Stile, Sprachen und Programmatiken. Für die FBB stellte das Frauenstimmrecht nur eine Diskriminierung unter vielen dar. Sie forderte nichts weniger als die Emanzipation der Frauen und ihre Befreiung von der männlichen Herrschaft. Dafür war sie bereit, provokatorische Aktionsmittel einzusetzen wie anlässlich des jährlichen Fackelzugs der Stimmrechtsaktivistinnen; im eng gezogenen politischen Handlungsrahmen der damaligen Schweiz überschritten sie damit schnell die Toleranzgrenzen. Aus Angst vor weiteren Störaktionen der «progressiven Mädchen», wie sie die NZZ nannte,131 weigerte sich die Mehrheit des SVF danach, am «Marsch nach Bern» teilzunehmen. Die FBB ihrerseits verzichtete auf eine Teilnahme, weil die geplante Demonstration an einem Samstag geplant war, an dem das Parlament nicht tagte.
Die Demonstration war gleichwohl für die damalige Zeit ein Grosserfolg. Wie effektiv der Druck dieser öffentlichen Kundgebung der bis dahin stets in institutionellen Bahnen agierenden Stimmrechtsaktivistinnen auf die Bundesbehörden war, zeigt die Tatsache, dass sich der Bundesrat nur vier Tage später bereit erklärte, endlich auf die Motionen von Fritz Tanner (1923–1996; LdU) vom 4. Juni 1968 sowie die ältere von Henri Schmitt und die Standesinitiative von Neuenburg einzutreten und eine neue Abstimmungsvorlage zu präsentieren. Nachdem somit die behördliche Erstarrung gebrochen worden war, versuchten zwei sozialdemokratische Interventionen (Motion des Zürcher Gewerkschafters Max Arnold, 1908–1998, und Postulat des Basler Rechtsanwalts Andreas Gerwig, 1928–2014) doch noch über den Interpretationsrespektive den Gesetzesweg das Frauenstimmrecht zu implementieren und so die Hürde der Volksabstimmung zu umgehen. Es war ein Zeichen der herrschenden Skepsis gegenüber einem Urnengang und den Effekten der Transformationen der Gesellschaft – doch das Parlament und der Bundesrat gingen nicht darauf ein.
Nach dem Vernehmlassungsverfahren im Sommer 1969 (bei dem der SVF beinahe übergangen worden wäre), legte die Regierung am 23. Dezember 1969 ihre Botschaft vor.132 Sie war mit 42 Seiten vergleichsweise knapp und schlug die Einführung des Frauenstimmrechts über die Partialrevision von Artikel 74 der BV vor. Die Vorlage passierte die eidgenössischen Räte, wenn nicht ganz ohne Diskussion, so doch am Schluss einstimmig. Die letzten Verzögerungsversuche durch die Verschiebung der Abstimmung auf ein Datum nach den Nationalratswahlen im Herbst 1971 wurden ebenso deutlich abgelehnt wie derjenige des Rechtspopulisten James Schwarzenbach (1911–1994), der noch zu diesem Zeitpunkt zuerst eine Konsultativabstimmung unter Frauen durchführen wollte.
Ebenso wenig ging das Parlament auf den Vorschlag Arnolds ein, im Sinne «des Grundsatzes der Rechtsgleichheit» den Absatz zu streichen, dass «Abstimmungen und Wahlen der Kanhtone und Gemeinden weiterhin dem kantonalen Recht vorbehalten» seien. Bundesrat Ludwig von Moos (1910–1990) wehrte den Antrag als «mit der föderativen Struktur unseres Staates nicht vereinbar» ab. Denn «die Bezeichnung und Umschreibung des Staatsund Wahlkörpers» sei eines der wichtigsten Prärogative der Kantone.133 Der katholisch-konservative Innerschweizer Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements hatte in der vorparlamentarischen Phase bereits auf Verwaltungsebene verhindert, dass die Einführung des Frauenstimmrechts durch den Bund auch auf die Kantonal- und Kommunalebene ausgedehnt werde und sich dabei gegen das EPD durchsetzen können. Dieses war nämlich der Meinung, dass ansonsten der Vorbehalt zum Frauenstimmrecht bei der EMRK nicht aufgehoben sei.134 Derselben Meinung war Nationalrat Arnold. Sein parlamentarischer Antrag wurde jedoch mit 16 gegen 122 Stimmen abgelehnt, womit er seine Befürchtung realisiert sah, dass «es im Ermessen der Kantone [liegen bliebe], ob wir in 10, 15 oder 20 Jahren in kantonalen Angelegenheiten noch weibliche Untertanen haben werden».135
Das Ergebnis der Volksabstimmung am 7. Februar 1971 war mit 65,7 Prozent Ja-Stimmen und einer Stimmbeteiligung von 57,7 Prozent eine deutliche Zustimmung zur politischen Teilhabe der Schweizerinnen. Acht Kantone (AR, AI, GL, OW, SZ, SG, TG, UR) lehnten das Begehren aber nach wie vor ab.