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AUDIENZ

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Inhaltsverzeichnis

Es gab in Madrid keine Kutschen. Der Kardinal-Legat mußte zur Audienz reiten. Man hatte ein weißes Maultier für ihn aufgetrieben, darauf saß er seitlich, nach Art der Frauen, das leuchtende Gewand lang hinabwallend. Es regnete fein und eisig auf seinen flachen Purpurhut. Der alte Fabio Fumagalli, Kanonikus von Sankt Peter, führte sein Reittier am Zügel. Hinterdrein und zur Seite stapften die Leute seines Gefolges im Schmutz, drei Kleriker minderen Ranges und mehrere Bediente, alle unheiteren Gesichts niederschauend auf ihre Strümpfe, die kotig wurden bis über die Waden. Die geistlichen Herren hielten mit beiden Händen ihre Röcke hoch wie Bauernweiber und gedachten der schöngepflasterten römischen Promenaden.

Es war eine seltsame Hauptstadt, nach der sie da entsandt worden waren. Einen Marktflecken, nichts anderes, hatte sich dieser König zur Residenz ausgesucht. Wenn 15000 Christenmenschen hier beieinander hausten, war es viel. Die Häuser waren fast alle aus Lehm, einstöckig, so niedrig, daß der Kardinal auf seinem Maultier mühelos hätte die Dächer berühren können. Dies war die Hauptstadt der halben Welt. Von diesem Schmutznest aus wurde Spanien regiert, Burgund, Lothringen, Brabant, Flandern, und die fabelhaften Goldreiche überm Weltmeer. Von hier aus empfingen in Neapel, Sizilien und Mailand spanische Vizekönige ihre Weisungen. Gegen den Herrscher, der hier sich gefiel, hielten sich mühsam noch aufrecht der König von Frankreich, die Republik Venedig und der Staat des Heiligen Vaters. In Tracht und Sitte war Spanisch Weltmode; von hier ging sie aus.

Die spärlichen Passanten im Novemberregen beugten das Knie vor dem Reiter im Fürstenkleid. Die zu ihm aufschauten, blickten betroffen. Da ritt ein Knabe. Ein schmales, blasses, kränkliches Gesicht schimmerte unter dem Purpurrand.

Der Kardinal Giulio Aquaviva war 22 Jahre alt. Der Papst hatte ihn hergeschickt, um sein Beileid zum Tode des Thronfolgers Don Carlos zu überbringen, eine sehr besondere Mission, denn niemand zweifelte daran, daß hier der Vater dem Sohn zum Sterben verholfen hatte.

Beinahe einen Monat war die Delegation unterwegs gewesen von Rom nach Madrid. Das Meer war stürmisch, allenthalben kreuzten die Raubschiffe der Barbaresken. Die geistlichen Herren gingen halbtot an Land. Ein Aufenthalt ohne Bequemlichkeit erwartete sie. Der Kardinal-Legat saß die Nächte durch aufrecht in seinem nassen harten Bett in der Madrider Nuntiatur und hustete.

Während der langen, entsetzlichen Seefahrt hatte sein Kommen noch einen weiteren finstern Sinn bekommen. Auch zum Tode der Königin konnte er nun gleich mitkondolieren. Die schöne, sanfte Elisabeth von Frankreich war nur 25 Jahre alt geworden. Nach den Marien von Portugal und von England war sie die dritte Tote in Philipps Ehebett. Was seine Hand berührte, das welkte und ging.

Vorwand genug nun also für die Reise. Denn ihr geheimer und eigentlicher Zweck war ein anderer. Zwischen dem Allerkatholischsten Könige, Schild des Glaubens, Richtschwert der Ketzer, und dem Vatikan herrschte Zwist. Der Sohn Karls des Fünften lag im Staub vor Gott und der reinen Lehre, keineswegs vor dem Papst. „Für Spanien gibt es keinen Papst,” hatte der Präsident seines Rates in öffentlicher Sitzung gesagt... Der 22 jährige kranke Herr war Träger sehr ernster Botschaften.

Denn der ständige Nuntius hatte garnichts erreicht. Audienzen wurden ihm selten gewährt, stets von neuem verwies man ihn auf den schriftlichen Weg. König Philipp liebte den schriftlichen Weg. Leise und zäh hauste er unter Papieren. So sparsam er sprach, so gern, so methodisch schrieb er. Das Gebet und die Akten, dies war sein Leben.

Von seinem Kondolenzgesandten erhoffte der Papst, was sein Beamter nicht durchsetzte. Unter tragischen Umständen würde der Jüngling vor diesem König erscheinen, vielleicht fand er den Weg zu seinem Gefühl, zu seiner belasteten Seele. Man liebte Aquaviva in Rom. Pius selbst, unter seiner dreifachen Krone ein unerbittlicher alter Dominikaner, liebte ihn. Vielleicht würde auch Philipp ihn lieben.

Der ständige Nuntius war voller Hohn. Zunächst einmal quartierte er den kranken Herrn schlecht ein in seinem Hause, kein Mensch kümmerte sich um sein Wohlergehen, seine Begleitung bekam nichts zu essen.

Schließlich schlug der Kanonikus Fumagalli Skandal. Er war ein weißbärtiger Bauer aus der Romagna, von mächtigem Körperbau, zum Soldaten mehr als zum Priester erschaffen, und dem Hause Aquaviva seit jungen Jahren dienend befreundet. Auch er liebte den hochgeweihten, zarten und frommen Jüngling. Mit dem Hausherrn hatte er eine kurze, völlig respektlose Unterhaltung. Danach wurde alles besser.

Aber mit befriedigtem Hohn beobachtete der Nuntius weiterhin, wie der Aufenthalt des ungebetenen Logiergastes sich müßig hinzog. Drei Wochen war er nun schon da. Auf die ehrerbietige Anfrage, wann die Traueraudienz genehm sei, war erst viele Tage überhaupt keine Antwort gekommen, endlich ein Bescheid aus der Staatskanzlei, das Beileid möge schriftlich abgestattet werden. Schriftlich, das Allerweltswort, aber dem Kirchenfürsten gegenüber, der einen Monat unter Fährnissen gereist war, eine kaum tragbare Insolenz. Dennoch war nichts übrig geblieben als nochmals zu bitten. Unmöglich konnte er nach Rom zurückfahren und Petri Nachfolger bekennen: man hat Deinen Botschafter garnicht ins Haus gelassen. Als endlich der Zutritt gewährt wurde, war von vornherein das Gleichgewicht peinlich verschoben. Und das war der Zweck gewesen.

Das Königsschloß war erreicht. Aber der geistliche Zug konnte den Eingang nicht finden. Ein Gerüst zog sich um den burgmäßigen, verwinkelten Alcazar. Im Regen hämmerten Arbeiter. Immer wurde an Philipps Häusern gebaut.

Sie zogen um den ganzen zackigen Komplex. Vor einer Hinterpforte stieg der Legat von seinem Tier. Pikenträger in riesigen Hüten, gelben Wämsern und rotgelben Pluderhosen hielten Wache. Sie verstanden kein Wort. Es waren Deutsche. Schließlich, auf das Rufen der Diener, kam ein Mann in Priesterkleidung die steile Stiege herab und gab auf Lateinisch Bescheid. Von hier aus war kein Zugang zu den königlichen Gemächern. Aufgesessen also noch einmal und im Halbkreis zurück zur Vorderfront mit den Gerüsten.

Die Begleitung verblieb in einem Wachtlokal zu ebener Erde. Es war kalt hier, durch die winzigen, vom Balkenwerk verstellten Fenster kam jetzt um Mittag kaum Licht. „Das sind Vergnügungsreisen!” sagte Fumagalli, der den nassen roten Hut des Legaten auf den Knien hielt, „die Eminenz wird uns sterben an diesem Ausflug!”

Der Kardinal ging langsam, unter Seitenstechen, die dunklen Treppen hinauf. Es roch schlecht in diesem mittelalterlichen Burgpalast. Ein Hofherr schritt seitlich voran, immer höher. Ich glaube, der König von Spanien sitzt auf dem Dach und erwartet mich da, dachte Aquaviva, denn er war fröhlichen Gemüts unter seinem Purpur, ein gütiger heiterer Knabe bei all seiner frommen Klugheit.

Nun ging es im obersten Stockwerk seitlich ab, durch einen offenen Zinnengang erst, in den der Nordsturm hereinblies, und von dem aus man das ganze lehmschmutzige Städtchen recht armselig liegen sah und jenseits das nackte, traurige Hochland von Kastilien. Dann kamen Säle, niedrig und lang, mit ein paar Truhen spärlich möbliert. Überall Herren vom geistlichen Stand, in der Sutane oder im Ordenskleid, in Gruppen sich beredend, untätig harrend. Ein viereckiges Zimmer dann, voll mit Bewaffneten. Ihr Offizier erwies klirrend Salut. Im nächsten Raum, einem völlig leeren Gang, verließ ihn der Hofherr zur Meldung.

Unmittelbar zu Aquavivas Häupten schlug eine Glocke stark und nachhallos die Mittagsstunde. Die Tür ging auf. Der Kämmerer ließ ihn passieren.

Das Zimmer war hell. Aus hohen Fenstern strömte von links und von rechts stumpfes, kalkiges Licht auf dem Schreibtisch zusammen, hinter dem König Philipp arbeitete. Er legte sein Gerät zur Seite und blickte aus großen, gewölbten, unnennbar ruhigen Augen dem Eintretenden entgegen. Der verneigte sich, und wartete dann in höfischer Haltung auf eine Anrede. Doch die kam nicht. So hatte er Muße, den meistberedeten Herrn der getauften Welt zu betrachten.

Der Anblick erstaunte ihn, und er gab sich auch Rechenschaft über den Grund. Philipp saß ohne Hut, wie er auf keinem seiner vielen Portraits erschien, und wie man also nicht gewohnt war, ihn sich zu denken. So sah der Kardinal, wie blond er war: hellblond das seidig frisierte Haupthaar, nur wenig dunkler der Bart, der einen großen, geistreich gezogenen Mund umrahmte. Sehr zart und hübsch gebildet die Nase, porzellanen durchsichtig die weiße Haut, Eleganz und Gepflegtheit der vorherrschende Eindruck. Nur die vorgebaute und schwere Stirn brachte einen unbestimmt drohenden Zug in das anmutige Ganze.

Schwarzer Samt war sein Anzug. Selbst die Halskrause war in diesen Tagen der Trauer verschwunden, der Orden des Vlieses hing an einer Kette aus dunklen Edelsteinen über der Brust und schimmerte schwach.

Soll ich selber denn anfangen? dachte Aquaviva und stellte mit Mißbehagen fest, daß ihm Gesicht und Hände vor verlegener Hitze brannten. Ein wenig ratlos schickte er den Blick durch das Königszimmer. Da war nicht viel zu sehen. Gobelins bedeckten die Wände. Wenige schwere und simple Möbel. Seitlich neben Philipp stand ein Tischchen mit einem kleinen Kruzifix und zwei Reliquienkästchen aus Silber.

„Einen jungen Priester schickt mir die Heiligkeit,” sagte ziemlich leise eine höfliche und vollkommen leere Stimme in mühsamem Italienisch. „Sagt Euern Auftrag!”

„Der Heilige Vater, Majestät, entbietet Euch seinen Gruß und seinen apostolischen Segen. Mein Auftrag ist, auszudrücken, mit wie tiefem, innigen Anteil die Heiligkeit den Tod Eures Infanten Don Carlos erfahren hat, und daß ihr tägliches, unermüdlich wiederholtes Gebet dem Entschlafenen gilt.”

„Das ist viel Ehre für diesen Prinzen,” sagte die glanzlose Stimme.

Aquaviva verstummte. Dies ging wider alle Voraussicht. Mochte an sämtlichen Höfen der Christenheit ohne Umschweife von diesem aufregenden Trauerfall geredet werden, der König selbst, dies stand doch wohl fest, würde mit ein paar steifen Redensarten alles zudecken. Er hatte ja Anlaß dazu.

Dieser Prinz war ein Krüppel und ein halb Irrsinniger gewesen. Da er der Erbe der halben Welt war, kannte die ganze Welt seine Schritte von Kind auf. Sie wußte von seinen Ammen, denen der Säugling die Brüste zerbiß, so daß sie starben, von den Tieren, die der Knabe lebendig am Pfahl briet, den Hofleuten, die er zu kastrieren befahl, seinen Wutausbrüchen, Schreikrämpfen, epileptischen Anfällen. Auch vor dem Vater machte das Halbtier nicht Halt. Daß er ihm den Tod schwur, wäre ertragen worden. Aber in der vergangenen Weihnacht wurde sein Plan ruchbar, zu fliehen und sich in Flandern an die Spitze der Ketzer zu setzen. Mit geheimnisvoller Schnelle war dies auch in Rom bekannt. Der Papst geriet in Ängste. Er wurde beruhigt. Schon hielt man in Madrid den Prinzen gefangen. Er starb. Zu diesem Tod überbrachte Aquaviva die Kondolation.

„Die Heiligkeit,” sprach er mit Anstrengung weiter, „hat einen Trauergottesdienst angeordnet. Am 5. September wurde er in Sankt Peter abgehalten. Um dem Erben eines so mächtigen Reiches die höchste Ehre zu erweisen, hat die Heiligkeit dieser Feier selbst angewohnt. Ich darf darauf hinweisen, Majestät, daß solche Ehre bis auf diesen Tag nur Königen zu Teil geworden ist.”

„Nur Königen,” wiederholte der König, plötzlich in hartem Latein. „Ich danke dem Heiligen Vater. Gott hat mir die Last auferlegt, den wahren Glauben unverletzt zu erhalten, Gerechtigkeit und Frieden zu halten und nach meinen wenigen Lebensjahren die anvertrauten Staaten in fester Ordnung zurückzulassen. Alles hing in erster Reihe von der Person meines Nachfolgers ab. Es hatte aber Gott zur Strafe meiner Sünden gefallen, den Prinzen Don Carlos mit so vielen und schweren Mängeln zu behaften, daß er zur Regierung ganz untauglich war. Fiel ihm das Reich als Erbe zu, so war es gefährdet. Er konnte keineswegs leben. Nehmet den Stuhl!”

Die letzten Worte waren genau im selben Tone gesprochen wie das Vorangehende. Der junge Kardinal, betäubt und geblendet von so viel unerwarteter, schneidend heller Aufrichtigkeit, begriff nicht sofort.

„Nehmt Euch den Stuhl,” wiederholte der König.

Es stand nur einer im Zimmer, ein niedriger Schemel ohne Lehne. Aquaviva zog ihn heran. Das lebendige Rauschen seiner Seide um ihn beim Niedersitzen war wie ein Trost.

„Majestät, ich gehorche. Aber nicht sitzend dürfte ich mich meines ferneren Auftrags entledigen. Der Heilige Vater hat ihn mir nicht selbst mehr erteilen können, aber ich weiß, daß sein Herz ihn mir über das Meer zusendet. Gott hat vor wenigen Wochen auch Ihre Majestät die Königin zu sich heimgerufen, die beste, die frömmste, die edelste Seele, und so...”

„Es ist gut, Kardinal. War sonst noch etwas?”

Ablehnung schwang in der höflichen Stimme. Denn diese heitere, gütige, entzückende Französin hatte der König geliebt.

„Geschäfte schweben, Euer Majestät.”

„Geschäfte. Gewiß. Der Papst unterhält einen ständigen Vertreter bei meinem Hof.”

Aquaviva hatte zwei kreisrunde Flecken auf den Wangen, rot wie sein Kleid.

„Der ständige Nuntius ist schon lange von der Person des Heiligen Vaters entfernt. Meine Worte ersucht die Heiligkeit als unmittelbar aus ihrem Munde kommend zu betrachten.”

„Ich werde aufmerksam hören,” sagte Philipp. Ein Sturmstoß warf prasselnd den Regen gegen die Fensterscheiben. Beide lauschten. Als dies Geräusch vorüber war, setzte der König langsam und mit Präzision hinzu:

„Seine Heiligkeit weiß, und es kann sich daran nichts ändern, daß ich lieber auf meine Krone verzichten will, als mir das entreißen lassen, was der Kaiser und König, mein Souverain und mein Vater, vor mir besessen hat.”

Auf meine Krone verzichten... Es war cäsarisches Latein, jeder Satzteil wie eine Quader. Um Redensarten ging es hier nicht. „Wenn mein Sohn,” hatte der gleiche Mann einst gesagt, „der Ketzerei verfiele, würde ich selber Holz herbeitragen, um ihn zu verbrennen.” Er hatte noch keinen Sohn besessen, als er so sprach... Dieser unbedingten, schweren und langsamen Seele war jedes Äußerste zuzutrauen. Nicht über Rom, auf unmittelbarem Wege erging an ihn, der eingesetzt war in die Herrschaft, Gottes Befehl. Spaniertum und Rechtgläubigkeit waren das Selbe für ihn. Er war Gottes schwer beladener Verwalter, sein irdisches Königsdasein in unerschauter Machtfülle war ein schmaler Vorhof der Ewigkeit, auf die sein Auge unverrückbar gerichtet blieb. Draußen auf ödem Vorland der Sierra erstand schon die ungeheure Lebensgruft des Escorial, steinerner Traum seiner Frömmigkeit, fugenlos nackt sich hinlagernd in nackte Landschaft, Machtburg, Glaubenskaserne und Grabkirche, wo er die Toten seines Geschlechts zu vereinigen dachte. Er war ein schöner, eleganter Herr und vierzig Jahre alt. Aber schon waren mit jeder Einzelheit die dreißigtausend Totenmessen angeordnet, mit denen der ganze Heerbann spanischer Priester dereinst seiner Seele den Weg zur Seligkeit sichern sollte.

Kein Papst in aller Vergangenheit hätte diesem König mehr entsprechen können als der alte Mann, der jetzt auf Petri Stuhle saß, der asketische Mönch, Großinquisitor vordem — Philipps düster glanzloses Gegenbild jenseits des Südmeers. Und mit ihm lag er im Streit.

Es ging nicht um wenig. Es drohte die Loslösung. Es drohte die Spanische Staatskirche. Die Anzeichen waren da.

Giulio Aquaviva begann zu reden. Das kranke Haupt im Scharlachkäppchen geneigt, den Blick schräg vor sich hin auf eine Tierfigur des Teppichs geheftet, baute er die vatikanischen Beschwerden vor dem Allerkatholischsten Herrscher auf, sacht beginnend mit Läßlichem, minder Bedeutsamem, sodann Befremden, Betrübnis, Entsetzen kunstvoll steigernd, keine Periode ohne ein frommes Kompliment vor dem König, seine Verdienste hoch und höher erhebend, um hernach umso tiefer klagen und anklagen zu können. Er nahm all seine Klugheit, Glaubenskraft, Innigkeit, ja unbewußt auch allen rührenden Reiz seiner kranken Jugend zusammen, — welch gebrechlich holden Geräts bedient sich hier der wahre Glaube, hätte jeder andere Hörer bei sich denken müssen. Es ging um alles. Der Augenblick war entscheidend. Höchst ungewiß, ob er wiederkehrte. Giulio sprach nun ebenfalls Latein, bestes Latein, aus Höflichkeit gegen den König, der sich dieser Sprache soeben bedient hatte.

Der Anstände waren so viele. Von ganzer Seele wünschte der Papst sie beseitigt zu sehen. Er liebte und ehrte den König, auf ihm lag all seine Hoffnung gegen die Ketzerei, die allenthalben entsetzlich sich erhob. Mit welch christlicher Freude hatte er noch kürzlich erfahren, daß das Haupt der flandrischen Häresie, Graf Egmont, auf dem Brüsseler Schafott öffentlich gefallen war, ungeachtet der Dienste und Siege, die dieser Ketzer einst hatte leisten dürfen. Ganz sicherlich waren auch jetzt alle Übergriffe und Beleidigungen das Werk untergeordneter Diener, die Majestät hieß sie nicht gut.

Unerträglich zum Beispiel war das Verhalten des spanischen Vizekönigs in Neapel, des Herzogs von Alcala. Er verhöhnte die Autorität. Bischöfe, Abgesandte des Vatikans, ließ er tagelang im schlechtesten Vorzimmer warten. Kamen sie endlich vor ihn, so empfing er sie im Bette liegend, und, wie es hieß, nicht stets allein.

Philipp erwiderte nichts und blickte mit etwas hängender Unterlippe ins Leere.

Hierzulande war es nicht anders. Ein Jahr erst war es her, da hatte der Papst die Stiergefechte verboten. Den Veranstaltern war der Bann angedroht. Die im Stierkampf Getöteten durften nicht kirchlich bestattet werden. Aber sie wurden kirchlich bestattet. Aber die Bischöfe gaben dem Bann keine Folge. Aber der Zulauf und Prunk waren größer als je. Und das geschah schließlich unter den Augen des Königs.

Aquaviva erhob den Blick und machte eine respektvoll abwartende Pause.

Philipp antwortete auch. Ein paar Worte freilich nur. Aber es war höchst seltsam: Aquaviva verstand nicht. Etwas in der Sprache des Königs klang fremd, rauh entgleitend. Hab ich denn Fieber, dachte Aquaviva, mir scheint, ich bin doch ganz klar im Kopfe... Fragen konnte er nicht. Er fuhr fort.

Das waren Einzelheiten. Aber wurde denn in Spanien die apostolische Gerichtsbarkeit überhaupt noch geachtet? Und wie war es mit den Finanzen? Besteuerte nicht der König den Klerus nach Gutdünken und leitete ungeheure Summen der spanischen Staatsfinanz zu, statt in die römische Hauptkasse der katholischen Christenheit? Gott wußte, und der König wußte es auch, daß dem Heiligen Vater Eigennutz fern lag. Christi Statthalter lebte wie ein Bettelmönch. Eine Brotsuppe und ein halbes Glas Wein zu Mittag, am Abend ein wenig Obst. Seine Kleidung war so schlecht, daß sie Anstoß erregte. Doch er benötigte das Geld für die Verwaltung des ungeheuren Seelenreiches, das ihm anvertraut war. Er bat seinen geliebten und großen Sohn, dies doch einsehen zu wollen.

Der König sprach wieder einige Sätze. Der Kardinal verstand wieder nicht. Er öffnete vor Anstrengung des Horchens den Mund, der ihm austrocknete. Er bekam Tränen in seine guten Augen, vor Scham, Ärger und Ratlosigkeit. Und diesmal merkte der König, daß er nicht verstanden wurde. Einen Schein wie von einem bleichen Lächeln meinte Aquaviva über das gepflegte Antlitz hingleiten zu sehen. Das konnte ein Irrtum sein. Aber was und wie, bei allen Heiligen, sprach dieser König? Das war doch eine seltsame Art von Latein — denn Italienisch war es nicht, obwohl es auch wieder ähnlich klang und einzelne Worte aufzufassen waren — einerlei, der Kardinal konnte nicht dasitzen und grübeln. Es hieß weiterkämpfen auf wankendem, weichendem Boden. In diesem Augenblick sehnte sich der fromme Knabe Aquaviva namenlos nach seinem Appartement im Vatikan, nach seiner kleinen, dämmerigen, immer so gut geheizten Hauskapelle, wo er vor einem schönen Muttergottesbild des Umbriers Perugino innig gern zu beten pflegte. Das waren gute Stunden. Der Heilige Vater hatte ihm da eine Fahrt durchs Fegfeuer auferlegt, nun denn, er mußte durch die Flammen hindurch.

Er richtete sich in die Höhe. Er gab seiner Stimme Metallklang. Es kam ein Schul- und Hauptfall, der endlich ausgetragen werden mußte. Um den unglücklichen Erzbischof von Toledo handelte es sich, den ersten Prälaten des Landes, Bartolomé Carranza, der von der spanischen Inquisition der Neigung zum Luthertum angeklagt war. Von der spanischen Inquisition allein, Aquaviva unterstrich das. Nie habe Rom an die Schuld des höchst würdigen Mannes geglaubt. Der Papst, der Strengste der Strengen, finde keine Schuld an ihm. Ginge es nach der Kurie, so wäre der unglückselige Greis längst befreit. Aber die spanischen Richter widersetzten sich — und zwar auf strikten Befehl des Königs. Inzwischen aber stehe das Toledaner Bistum, das erste und reichste in Spanien, verwaist, und der Staat ziehe die gewaltigen Einkünfte ein, ohne Rest. Nicht der Heilige Vater, nicht er sein Legat, wohl aber die Meinung der Welt sehe hier die eigentliche Ursache der königlichen Unerbittlichkeit.

Dem sei wie dem wolle — Aquaviva erhob sich, es schien ihm der Augenblick dazu — dies werde nicht weiter geduldet. Der Heilige Vater habe ihm in diesem Punkt äußerste Deutlichkeit auferlegt. Es handle sich um den Entscheidungskampf der spanischen Theologie mit der römischen. Die Frage sei, ob der Allerkatholischste Herrscher, Schild des Glaubens, Schwert der Ketzer, sich löblich unterwerfe oder ob er die Autorität des Papstes mißachte und die Spanische Staatskirche wolle, also den Abfall. Unmißverständlich wünsche der Papst zu erklären, daß er in diesem Fall vor nichts zurückschrecken werde, vor nichts — vor dem Bannfluch nicht!

Schweigen. Schweigen. Kein Auffahren des Königs, nicht die mindeste Geste, kein Zucken in den weißen Zügen. Eine höflich lauschende Miene, ein Blick, der an dem Kardinal vorbei schräg zum Wandteppich ging.

„Der Apostolische Stuhl,” sprach Aquaviva nun feierlich, „entscheidet gegen die Inquisition. Der Erzbischof kehrt nach Toledo zurück. Der Papst fordert seine Rehabilitierung. Carranza verdient sie. Und” — mit einem außerordentlichen Effekt plötzlicher Milde und Wärme — „nicht nur der Christ, der gehorsame Katholik, auch der Sohn muß sie willig gewähren, denn der Kaiser und König, sein Souverain und sein Vater, Karl glorreichen Namens, ist im Kloster Yuste in den Armen dieses selben Bischofs Carranza gestorben.”

Das war nun gesprochen. Aquaviva atmete hoch auf aus seiner schmalen Brust. Gut angelegt, gut gesteigert, das Äußerste gesagt, mit dem Banne gedroht, und geschlossen mit einem vollen menschlichen Glockenton. Darauf mußte geantwortet werden. Das war kein Gegenstand mehr für Kanzleien. Da gab es kein Verweisen auf den schriftlichen Weg. Der Kardinal wartete.

Der König wartete auch. Dann, ohne das Auge zu erheben, mit mäßiger Stimme begann er zu reden. Und Aquaviva verstand nicht. „Imperator et rex, dominus meus et pater” zwar begann es, aber schon wieder glitt das Idiom ab, verwandelte sich — wo hatte er denn seine Ohren gehabt: Philipp sprach Spanisch zu ihm, ein besonderes Spanisch allerdings, wie er dunkel zu spüren glaubte. Es war so. Ganz sacht und allmählich entstellte der Spanier seine Sprache ein wenig, tilgte Zungen- und Gaumenlaute, färbte das O dunkel in U um und brachte so ein foppendes Pseudolatein zustande, dessen Sinn der Andere stets zu erhaschen meinte, und das ihm doch immer entglitt. Ein Meisterspiel, das durfte man sagen.

Es fehlte sehr wenig, und Giulio hätte geweint. Was war er auch hergereist, ohne die Sprache zu kennen. Aber wem erschien denn das nötig! Noch war Italienisch das Idiom der vornehmen Welt und Latein gemeinsam allen kirchlich Erzogenen. Zu jeder Mission in Europa war man damit gerüstet. Gegen diesen einen Menschen freilich nicht.

Ihm fiel ein, was ihm gestern noch der französische Botschafter flüsternd erzählt hatte: wie der König die langsame Agonie seines Sohnes durch eine Öffnung in der Kerkerwand viele Stunden lang beobachtet habe, ruhigen Herzens, ohne sich bemerkbar zu machen. Er hatte gestern Herrn Fourquevaux kein Wort geglaubt; jetzt glaubte er’s.

Philipp sprach. Er sprach sehr ausführlich, mit feinen Modulationen der Stimme jetzt, leise zwar, aber in eleganten, effektvollen Kadenzen, mit einem offenkundigen, ruhigen Genuß. Er hatte Zeit. Er ließ sich Zeit. Es hatte für den unglücklichen Knaben im roten Mantel den Anschein, als werde er weiterreden bis zum Abend. Vor seinen Ohren brauste und zischte es, hie und da schlug ein halbvertrautes Wort durch die Brandung — er schwankte, er wäre fast auf seinen Sessel zurückgesunken, er war ja auch krank. Da sagte die höfliche Stimme abschließend auf Italienisch:

„Dies ist es, was ich sagen kann, Kardinal. Ich halte Sie nun nicht mehr zurück.”

Er mochte, ohne sichtbare Geste, eine Glocke in Bewegung gesetzt haben. Die Tür stand offen und der Kämmerer bereit, ihn hinwegzuführen.

Der Regen draußen hatte aufgehört. Eine bleiche Sonne, fast schon eine Wintersonne, schien. Der alte Fumagalli führte das Maultier am Zügel. Besorgt schaute er zu seinem Herrn und Zögling auf, der leichenbleich und erschöpft sich in seinen Frauensattel werfen ließ.

„Du siehst so müde aus, geliebter Sohn,” sprach er leise zu ihm hinauf. In guten und in sehr schlechten Stunden duzte er ihn immer noch wie als Knaben.

„Müd bin ich,” sagte der von seinem Maultier herunter.

„Du mußt fort aus diesem Lande, Giulio. Das ist kein Klima für Dich.”

„Ich gehe, sobald man mich ruft.”

„Was sollst Du denn noch! Was willst Du noch hier?”

„Spanisch lernen. Such einen Lehrer!”

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