Читать книгу Cervantes - Bruno Frank - Страница 7
DIE VENEZIANERIN
ОглавлениеEr ging in seinem heimatlichen Schwarz einher, und der Schnitt seiner Kleidung hatte sich leicht ins Geistliche verändert. „Söhnchen,” hatte Fumagalli zu ihm gesagt, „bald läßt Du Dir ja doch die Tonsur scheren und kriegst eine kleine Pfründe. Wozu wohnst Du sonst hier im Haus!” Und gutmütig gab er ihm Ratschläge. Dabei konnte er selbst nicht so recht als ein Muster für geistliches Aussehen gelten. Mit dröhnendem Schritt kam er daher auf knarrenden Sandalen, und sein Priestergewand fiel wie ein Kriegsmantel.
Kirchenglaube und fromme Übung war für den jungen Miguel so selbstverständlich wie das Atmen. Auf seinen Quergängen durch die Stadt trat er häufig in eine der Kirchen ein und hielt seine Andacht. Es war kein Mangel an ihnen; jeden Alters, jeder Größe und Schönheit, erhoben sie sich an allen Ecken. Aber er hatte bald das Gotteshaus gefunden, nach dem es ihn zog.
Es war Santa Maria ad Martyres, vom Volke Santa Maria Rotonda genannt, seit Urzeiten aber noch anders... Der Platz, an dem sie lag, war nicht sehr groß und nicht besonders schön, armselige kleine Häuser standen regellos umher, auf der linken Seite waren sie unmittelbar an die Kirche herangebaut. Anderthalb Jahrtausende hatten das Niveau des Platzes erhöht, so daß man auf einer schlechten Treppe zum Eingang hinuntersteigen mußte. Aber schon unter dem Portikus mit seinen mächtigen, granitenen Säulen ward ihm seltsam wohl, und mit einem immer erneuten hohen Schauer trat er ins ungeheure Innere. Jedesmal stand er hochatmend lang inmitten des Riesenrunds, ehe er sich zu einem der Nischenaltäre zu christlicher Andacht wandte.
„Sieh einmal an, das Pantheon!” sagte Fumagalli und betrachtete ihn aus zugekniffenen Augen. „Genau das hast Du Dir ausgesucht, Söhnchen?”
Sie saßen bei einander im Zimmer des Kanonikus, einem großen Raum, geschmückt mit vier Gobelins, die Hannibals Alpenübergang darstellten. Man sah auf einen der Brunnenhöfe des Vatikans hinunter.
„Ich weiß nicht, wie mir da wird, hochwürdiger Vater! Sonst in einem Gotteshaus fühlt man auch Andacht und innige Frömmigkeit, aber man muß dieses Gute erst rufen, muß sich versenken, und Priesterwort und Musik tun das Ihre. Aber hier! Ohne Wort und Gesang reißt der Raum ganz allein zur Anbetung hin. Nirgends wird mir so gut und himmlisch heiter und frei zu Mute wie hier. Es ist, als müsse man gleich zum Himmel fahren, hinauf in das Licht, das durch die weite herrliche strahlende Öffnung oben hereinbricht. Und der gewaltige Rundraum, der einen umfängt, so makellos vollkommen, so stark, er ist wie ewiges Gesetz. Gesetz und Freiheit, beide sind da. Mir ist, als könnt ich an keinem Orte der Welt mehr Ähnliches empfinden.”
„Schau schau, kleiner Miguel, das Pantheon! Wie ich aber höre, ist Gott in der ärmsten und engsten Dorfkirche ebenso gegenwärtig als in Deinem rundem Dom mit den Säulen und dem olympischen Auge.”
„Gewiß,” sagte Miguel.
„Gewiß! Mehr hat er nicht zu antworten. Aber sag einmal, hat man darum 28 Wagen voll Märtyrerknochen in diesen Heidentempel hineingefahren, damit Dir jetzt so sonderbar wohl wird! Freiheit und Gesetz und der blaue Äther und hinauf in das Licht — kommst Du Dir nicht selber ein bißchen verdächtig vor? Die 28 Fuhren haben, scheint’s, nicht genügt als Gegenkraft gegen die alten Bewohner.”
Er lachte, stand auf und schritt auf krachenden Kriegersandalen im Raum auf und ab, zwischen seinen Hannibalsteppichen. Miguel folgte ihm betreten mit dem Blick.
Von seiner Vorliebe abzulassen, fand er aber doch keinen Grund. Schließlich war Santa Maria ad Martyres ein hochgeweihter Ort, und von jener Überführung heiliger Reste schrieb sich sogar das Allerheiligenfest her. Es war ernsthaft nichts einzuwenden, und der Kanonikus zog ihn nur auf. Aber er kürzte jetzt das Verweilen unter dem Himmelsauge ein wenig ab und beugte früher das Knie vor seinem Altar.
Es waren keine Betstühle da. Man kniete auf dem uralten Fußboden aus Porphyr und Marmor.
Als er sich einmal erhob, um zu gehen, wandte eine Frau, deren Anwesenheit er keineswegs wahrgenommen, den Kopf nach ihm um. Ein etwas breites, helles, sinnliches Gesicht schaute zu ihm auf, mit einem zugleich trotzigen und einladenden Ausdruck. Er ging ziemlich hastig. Aber genau nach der Uhr war er am nächsten Tag wieder zur Stelle. Sie kniete am gleichen Fleck.
Daheim in Spanien hatte er keine Frauen gekannt, ja er hatte eigentlich keine gesehen. Spanische Damen zeigten sich nicht. Erblickte man eine von fern, so erschien sie wie verpackt in hochgeschlossener, wattierter, drahtstarrender Tracht, das Haar stets bedeckt, die Ohren in die steife Krause versenkt.
Hier in dieser geistlichen Hauptstadt voller Junggesellen war alles anders. Mochte der asketische Papst predigen lassen und Kleider- und Sittengesetze verkünden, noch war viel übrig von einstiger Lebensheiterkeit. Mochte Spanisch Mode sein, die römischen Frauen wandelten die Madrider Tracht ins weiblich Lose und Lockere. Farbige, schmiegsame Seide modellierte den Wuchs, die Krause umstand als offener Spitzenfächer reizvoll das Haupt mit dem freigetragenen, natürlich frisierten Haar, das nicht blond genug sein konnte. Man zeigte den Hals, freigebig auch den Ansatz der Brüste.
Er war entschlossen, seiner Schönen zu folgen. Am Ausgang der Kirche, unter den Säulen, verließ ihn der Mut. Sie verschwand im Gassengewirr gegen den Fluß hin.
Am dritten Tag war er lang vor der Zeit zur Stelle. Seine Andacht war ohne Versenkung. Er stand auf und schritt in dem Tempel auf und ab, unfähig stillzuhalten. Die wenigen Beter wandten gestört die Augen nach ihm. Sie kam nicht. Sie kam auch die folgenden Tage nicht. Sie kam nie mehr. Der Widerhaken saß ihm im Fleisch. Das stumpfnäsige, breite, verlockend helle Gesicht schien ihm idealisch schön und schöner mit jeder Nacht.
Es war Herbst, als er wieder einmal zu jenem Bankier sich aufmachte, der ihm seinerzeit den Wechsel auf Spanien ausgestellt hatte. Dies geschah nun zum vierten Mal. Sein kranker Herr, den er kaum mehr unterrichtete, hatte ihm unter Vorwänden wiederholt die Bezüge erhöht, und freudigen Herzens trug er diesmal volle zehn Taler zu dem Wechsler. Das war schon eine stattliche Summe. Die Eltern daheim würden achtzig Realen ausgezahlt bekommen, ein Betrag, der im ländlichen Alcala den Lebensunterhalt einer bescheidenen Familie Wochen lang bestreiten konnte.
Beschwingt überschritt er die Engelsbrücke und bog dann nach wenigen Schritten links ab in die Via di Tor Sanguigna. Hier wohnte sein Mann, der Bankier aus Siena, in einem hübschen alten Hause, drei Fenster nur breit, das unten am Eingang zwei Säulchen aufwies und im zweiten, dem obersten Stockwerk eine heitere Loggia. Das Kontor lag im Hof, Miguel hatte einen dunklen Hausflur zu durchschreiten, um hinzugelangen. Postsäcke und Ballen lagen umher, die dem Sienesen gehörten, der nicht Geldhandel nur, auch Warenverkehr betrieb. Miguel erledigte drinnen frohen Herzens sein treues Geschäft, faltete die Quittung zusammen und ging.
Der Hof lag leer und still. Von ungefähr blickte er an der Hinterfront des Hauses empor. Er erstarrte. Dort oben im zweiten Stockwerk sah er sie. In einem lichtgrünen Hausgewand stand sie an einem der offenen Hoffenster. Es mochte die Wohnung des Sienesen sein, und sie seine Frau. Er konnte die Augen nicht abwenden, die sich vor Erregung und Intensität des Schauens mit Tränen füllten. Nun erschien sie ihm schwimmend in unsicher lockendem Kontur. Im Hausgang mußte er sich an die Mauer lehnen. Dann riß er sich zusammen, schüttelte kritisch den Kopf über sich und stand wieder draußen auf der Straße.
Sie war von neuem da. Sie war in ihrer Wohnung nach vorne gekommen. In der Mitte ihrer Loggia stand sie, ein wenig vorgebeugt, die Hände seitlich hingestützt auf den Steinsims, so daß die weiten, grünseidenen Ärmel vorfielen, und blickte unverkennbar zu ihm herunter. Ihr helles, leuchtendes Gesicht lächelte.
Ehe er zu denken vermochte, fühlte er sich am Arme berührt. Neben ihm stand eine Frau von mittlerem Alter, nach Dienerinnenart gekleidet, und mit geraden Worten, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, trug sie ihm an, ihr zu folgen. Ihre Dame erwarte ihn.
Er stolperte auf der dunklen Treppe, die Frau mußte ihn festhalten. Dann war sie verschwunden, und in einem kleinen Vorraum, der kein Fenster hatte und worin zwei Lämpchen brannten, stand er der Beterin aus dem Pantheon gegenüber.
„Ich habe Euch öfters bemerkt,” sagte sie lächelnd, mit einem Akzent, der nicht römisch war und den er gleich überwältigend fand, „da war es Zeit, endlich Bekanntschaft zu schließen.” Und sie lud ihn durch eine Geste ein, weiterzukommen, in das größere Zimmer, das durch einen aufgeschlagenen Vorhang sichtbar war.
Hier herrschte volles Tageslicht. Zwei Sessel standen da, ein Schminktisch, und inmitten des Raumes, breit und prächtig, mit einer weißseidenen, goldgestickten Decke darüber, das Bett.
Der junge Miguel war noch in keiner römischen Wohnung gewesen, er hatte auch mit keiner Frau dieser Stadt ein Wort gewechselt, außer mit ein paar Mägden und Krämerinnen. Sein Leben vollzog sich in der Männeratmosphäre des Vatikans. Ihm fehlte jede Möglichkeit, zu vergleichen und zu urteilen.
Die Frau spürte das Ungewöhnliche. Sie wurde befangen.
„Ihr seid ein Priester,” sagte sie fragend, als sie in den zwei Sesseln einander gegenübersaßen, und wies unbestimmt an seiner Kleidung hinunter.
Miguel gab sogleich Auskunft, eifrig, als säße er in einer Prüfung. Aber dann ermutigte er sich am Klang seiner eigenen Stimme. Er sprach sehr gut, das Wort stand ihm flüssig zu Dienst, wenn ein Impuls ihn erfüllte. Kaum habe er gewagt, ihrer Güte zu folgen, er sei sich des Abstandes wohl bewußt, aber zu deutlich sei doch der Fingerzeig, daß er sie, die er als Einzige wahrgenommen, bewundert, verloren, gesucht, nun in dem einzigen Hause in Rom wiederfinde, in das ein Geschäft ihn führte.
Und nun war er im Fluß. Er malte die Begegnung in Santa Maria Rotonda, auf den tausendjährigen Fliesen unter dem Himmelsauge, seine Unfähigkeit, sich im Gebet zu sammeln, nachdem er sie einmal erschaut, den Augenblick, da sie im Gassengewirr gegen den Fluß hin entschwand, seine Verzweiflung, als sie nicht wiederkehrte. Und nun, und nun — unfaßbar die Fügung, unendlich das Glück!
Er redete in einem Taumel. Von ihrer leichtbekleideten, weichen Gestalt ging ein Duft aus, der ihn anders berauschte als gewohnter Weihrauch, ein Hauch von jungem, blühendem Fleisch, dem eine Spur eines scharfen Parfüms beigemischt war.
Plötzlich, mit brüsker Bewegung, stand sie auf und erklärte, nun müsse er gehen. „Um nicht wiederzukommen?” fragte er, fast ohne Laut.
Sie bedachte sich und sah ihn prüfend an. Und dann, ganz unerklärlich, zog ein Lachen ihre hellen, geschlitzten Augen noch mehr zusammen, der verlockende Mund wurde breit, die weiße Kehle spannte sich, sie nahm ihn mit einem festen Griff bei beiden Händen.
Oh ja, wiederkommen dürfe er, aber nur zur bestimmten Stunde, Vormittags, immer nur Vormittags, und ja nur an einem Dienstag, zu jeder anderen Zeit sei es bedenklich. Und während sie ihn zum Ausgang leitete, fügte sie einige vage Sätze hinzu, deren Inhalt er erst daheim, in seinem Vatikans-Turm, sich zurechtlegte und klar zu machen versuchte. Aus ihnen schien hervorzugehen, daß sie als Witwe eines Kaufherrn allein und in Zurückgezogenheit lebte, gewärtig einer neuen vorteilhaften Verbindung, die angebahnt war, und die unter keinen Umständen gefährdet werden durfte.
Als er am Dienstag kam, mit dem Glockenschlag, war die Blonde ersichtlich in schlechter Laune. Vielleicht war sie unausgeschlafen. Sie bemühte sich kaum, die ärgerliche Reue zu verbergen, die sie über ihr zweckloses Abenteuer empfand, und schnitt dem jungen Miguel bösartige, kleine Frätzchen, während er sie respektvoll zu unterhalten suchte. Und dann, ohne jeden Übergang, beendete sie die Konversation, indem sie aufstand, sich aufs Lager warf und ihn unwirsch und ungeduldig heranwinkte zum Liebesdienst. Die teure Seidendecke lag übrigens nicht auf dem Bett, sorgsam gefaltet hing sie über einem Schemel.
Der junge Miguel war unerfahren. Geringschätzig, ein schales Lächeln in den hängenden Mundwinkeln, ertrug sie seine Liebkosung. Er sah überhaupt nichts mehr in seiner Betäubung, gewiß hätte ihn sonst ihr Ausdruck ernüchtert. Aber dann verging ihr das Lachen.
Er war ein Neuling. Aber er war geboren zur Leidenschaft. Ein untrüglicher Instinkt wies ihm den Weg zur gemeinsamen Lust. In einem bestimmten Augenblick stemmte sie ihre Hände gegen seine Schultern, sah ihm groß in die Augen, als erblickte sie ihn zum ersten Mal. Sie murmelte: „Komm, komm! Du bringst Dich ja um und mich auch!”
Als er dann neben ihr ruhte, in ihrem Arm, ließ sie nicht ab, ihn zu betrachten. „Du bist ja ein erstaunlicher kleiner Sprachlehrer,” sagte sie achtungsvoll.
Das Gesicht ihr zur Seite war mit einem Mal schön geworden. Das war kein Knabe mehr, kein dürftiges Halbpriesterlein, sondern ein Mann mit festem Mund und lebensvoll blitzenden Augen. Die Flügel der Adlernase bewegten sich langsam und stark. Das volle Haar von Kastanienfarbe lag wirr und weich auf der Stirn.
Dies war der Anfang. Miguel lebte nur noch von einer Umschlingung zur andern. Eine durchdringende Seligkeit füllte ihm Herz und Nerven. Er strömte über vor Freundlichkeit. Er hätte vor den Bauernkarren die Eselein umarmen mögen. Auf endlosen Märschen durch Rom suchte er seine Kraft zu beruhigen; unbekümmert um das Raubgesindel, das dort auf der Lauer lag, streifte er durch das melancholisch zaubervolle und öde Umland. Wer ihm die Hand reichte, spürte im Druck ein elektrisches Feuer.
„Was ist in Dich gefahren, Söhnchen,” sagte Fumagalli. „Ein künftiger Priester muß sacht einhergehen. Du springst ja die heiligen Treppen herunter, als wärst Du im Tanzsaal!”
Er war schlechter Laune. Er schimpfte. Das Neueste, was der Heilige Vater plante, war ein Verbot der Barttracht für Kleriker. Fumagalli trug seinen Bauernvollbart, es war der einzige, den es noch gab im Domkapitel von Sankt Peter. Er werde sich keineswegs fügen, erklärte er jedem, der zuhören wollte, eher spränge er noch aus dem Priesterrock. Mit sechzig noch ein anderes Gesicht, oh nein! So viel er sähe, trage der Papst ja selber den Bart. Das könnte ihm fehlen!
Miguel beruhigte ihn liebreich, er hatte einen gewaltigen Schatz an Güte und Herzlichkeit zu verschwenden. Es werde dahin nicht kommen, sagte er überzeugend. Das mit dem Verbot sei ein Schreckschuß, er wisse es aus verläßlicher Quelle. In vier Wochen werde kein Mensch davon reden.
„Brav bist Du, Söhnchen!” murmelte der Kanonikus. „Du kannst einen trösten. Aber ist’s denn nicht eine bizarre Schande, was man sich da gefallen lassen muß! Man hätte was Anderes werden sollen auf dieser lebendigen Erde.” Er sagte nicht, was.
Die Gina war eine Venezianerin — mehr als dies und den Namen erfuhr der junge Miguel kaum von ihr, selbst nach Wochen nicht. Sie redete wenig, diese Stunde am Vormittag war eine einzige Glut. Ohne viel Widerstand zu finden, hatte er’s erreicht, daß sie ihm zweimal die Woche zu kommen erlaubte, nun auch am Freitag. Mehrmals traf er sie ganz verschlafen, im unaufgeräumten Zimmer, und zur Liebe nicht aufgelegt. Er schalt die Langschläferin, die Faule, sie blinzelte ihn seltsam und tückisch an. Aber seiner Flamme war nicht zu widerstehen. Er riß sie hin, nicht minder lechzend als er lag sie an seiner Brust. Es kam vor, daß er Fragen stellte, mit kaum verborgener Angst, denn es war ja doch möglich, daß jene Heirat plötzlich in die Nähe trat, die alles zerstören mußte. Daran war schlimm zu denken, schlimm auch an das Unrecht, das er jenem arglosen Bewerber in Sünden antat. Er wagte keineswegs, im Beichtstuhl sich zu erleichtern, so unmöglich schien ihm das Gelöbnis, hinfort von dieser Sünde zu lassen. Aber Gott war barmherzig, er würde ihn nicht verwerfen um einer Glut willen, deren Lodern nicht zu beherrschen war.
Antwort bekam er niemals. Die Gina zog ihn an ihre weiße Brust und erstickte die Fragen. Und war es nicht gut so? Denn wäre auf ihre Beziehung, die so wild im Unwirklichen schwebte, das Licht des realen Daseins gefallen, was hätte er selber nur sagen sollen! Was ihr ankündigen, mit welcher Verheißung von der eigenen Zukunft sprechen? Maß- und gestaltlose Hoffnung erfüllte ihn freilich, er träumte in seinem Turm von Ehren und Ruhm, die sie teilen sollte — als Dichter, als Kriegsmann, als Entdecker sogar, nur natürlich niemals als Priester. Sicher war, daß er niemals auf sie verzichten konnte, auf den Leib und den Duft, auf die Stimme, das Lachen. Er hatte nicht gelebt, eh’ er sie kannte.
Vielleicht aber wartete sie? Harrte nur auf ein Wort, um jede Fessel zu brechen? Vielleicht sammelte sich Groll an in ihrem Herzen, weil er schwieg? Sie war ja verschlossen, von gefährlicher Stummheit. Vielleicht verdarb er alles, weil er nicht sprach?
Aber als er sich entschloß und den Mund auftat und von Zukunft redete und gemeinsamem Leben, als gar das Wort Ehe fiel, war die Wirkung höchst schrecklich. Die Gina brach in ein Lachen aus, in eines, wie er’s noch nicht von ihr vernommen. Ein Lachen ohne Heiterkeit, rauh und gläsern von Klang, höhnisch und bösartig und nicht zu stillen.
„Heiraten willst Du mich, Priesterlein!” brachte sie endlich hervor, mit zersprungener Stimme. „Willst Du in Deinem Turm mit mir leben, von Wasser und Rattenfleisch? So etwas Dummes hat doch kein Mensch noch gehört!” Und das Gespräch endete, wie alle endeten, in Feuer und lechzenden Küssen.
Nein, er wußte nicht das Geringste von ihr. Sie wurde gesprächig nur bei einem Gegenstand. Das war Venedig, die Heimatstadt. Sie war doch wahrhaftig fromm genug und gab Gott das Seine, Miguel wußte es ja. Aber sie haßte Rom, seine Feierlichkeit, sein steifes Wesen, die Unzahl der Priester und schmutzigen Mönche, die Büßer, die sich in Prozessionen singend den Rücken zerfleischten, die kalten Straßen ohne Geschäft, das ewige Glockengebimmel, das Trümmerwerk, das herumlag. Und sie malte Venedig, die Heimat. Die volkreiche, wimmelnde Weltstadt im lebendigen Wassergeflecht, die schimmernde Piazza, auf der sich’s abends köstlich promenierte, die Gassen und Plätze im zärtlichen Licht. Den Zusammenstrom vornehmer Reisender aus allen Ländern, im bunten Schmuck eleganter Trachten — lauter Leute, die nicht herkamen, um anzubeten und abzubüßen, sondern um sich zu unterhalten, um fröhlich zu sein unter Frohen, um Geld auszugeben für gute Dinge. Sie wurde beredt, wenn sie das Gewimmel um den Rialto malte, die Unzahl geschmückter Gondeln, darin wohlgekleidete Frauen sich stolz in die Kissen zurücklehnten. „Jeder arme Gondolier ist dort schön,” rief sie aus, „und für die scharlachroten Hosen, die er trägt, gebe ich gern alle römischen Kardinalsröcke!” Und der Karneval erst — ein Fest die ganze herrliche Stadt viele Wochen lang, alles maskiert Tag und Nacht, alles lachend und wirbelnd hinterm Vergnügen her, Piazza San Marco ein ewiger Ballsaal, jedes Höfchen eine verschwiegene Loge. Heiterkeit alles, Sorglosigkeit, freundliche Duldung. Kein eifernder Bettelmönch als Herrscher, sondern eine Regierung, die mit Wohlwollen die Freude gewähren ließ, sich niemals einmischte, die mildeste Polizei...”
„Was willst Du nur immer mit der Polizei,” sagte er dazwischen, denn nicht zum ersten Mal tauchte das Wort bei ihr auf, „was geht denn Dich die Polizei an! Tut Dir die römische was?” Und er lachte.
Sie sah ihn sonderbar an, und blieb stumm und verdrossen.
Dies war an einem Dienstag. Als er am Freitag wiederkam, in der Hand ein Päckchen mit einem Seidentuch, das er ihr bringen wollte, öffnete niemand. Er pochte, mit der Hand erst, dann heftig mit dem bronzenen Klopfer. Alles blieb still. Während er wieder im Hausflur stand, mit böser Ahnung, unfähig noch, sich fortzumachen, kam im Halbdunkel ihre Magd vorbei. Er hatte sie nicht wiedergesehen seit jenem Tag, da sie ihn von der Straße geholt hatte. Er hielt sie auf. Wo ihre Herrin sei.
„Fort,” sagte sie giftig, „Ihr sehts ja.”
„Wo?” brachte er hervor. „Bei ihrem Verlobten? Heiratet sie?”
Sie betrachtete ihn von oben bis unten wie ein exotisches Tier. „Wahrscheinlich! Die heiratet. Einen Prinzen heiratet die.”
„Redet nicht albern! Gebt Auskunft.” Er holte Geld aus der Tasche hervor. „Wo wohnt sie? Kann ich sie sehen?”
„Oh ja, die könnt Ihr sehen, und ganz bequem. Wißt Ihr den Portugieserbogen?”
Er schüttelte den Kopf.
„Dann fragt, wo er ist! Da trefft Ihr sie sicher.”
„Und wann?”
„Abends natürlich. Recht spät!” Und sie ging davon, der Treppe zu.
„In welchem Haus denn?” rief er ihr nach.
„Ihr werdet ja sehen.”
Der Nachmittag verging nicht. Und sein Unstern wollte, daß er gerade heute für den Abend zum Unterricht befohlen wurde. Das geschah jetzt ganz selten. Eher einmal bediente sich Aquaviva seiner als Sekretär, ließ ihn aushilfsweise Schriftstücke kopieren und ordnen. Der spanische Unterricht, wenn er je einmal angesetzt wurde, bestand in gemeinsamer Lektüre. So nahm er auch heute dem Lehnsessel seines Herrn gegenüber Platz, und sie begannen aus zwei gedruckten Exemplaren ein Stück des Spaniers Lope de Rueda zu lesen. Es war die hochberühmte „Armelina”, ein Schauspiel, das der junge Miguel immer für ein Meisterwerk gehalten und das ihm sogar den heimlichen Ehrgeiz eingegeben hatte, es auch seinerseits einmal mit dem Theater zu versuchen.
Aber heute erschien ihm alles grob und gemacht. Was waren alle die Wundermedizinen und Liebestränke, von denen da die Rede war, gegen den Höllensaft, der ihm in den Adern brannte! So leer konnte nur einer reden, der nie dergleichen verspürt hatte. Seine Gedanken schweiften ab, er brachte es nicht mehr fertig, Aussprache und Betonung des Kardinals zu verbessern, die beide zu wünschen übrig ließen.
„Ihr seid nicht ganz bei der Sache, Don Miguel,” sagte Aquaviva freundlich und schloß sein Buch. „Ihr seht auch schlecht aus. Fehlt Euch etwas?”
Miguel entschuldigte sich. Das Einfallen der kalten Jahreszeit setze alljährlich zu. Das verging.
„Dabei ist es milder in Rom als in Euerm Madrid. Aber vielleicht wohnt Ihr nicht gut. Kann man Euer Turmgemach denn recht heizen?”
Das sei alles zum Besten, erwiderte Miguel, gerührt von der Fürsorge des kranken Herrn. Endlich entließ ihn der Kardinal.
Es war in der zehnten Stunde. Neues Mißgeschick. Die Tore rings am Palast waren verschlossen und streng bewacht. Seit kurzem benötigte jeder, der bei Nacht die Papstburg verließ, einen schriftlichen Ausweis. An zwei Stellen versuchte Miguel zu parlamentieren, aber die wachehabenden Schweizer wollten ihn nicht verstehen und wiesen ihn ab, in kehligem Alemannisch. Er irrte zurück, über Treppen und Gänge, durch Gärten, Galerien, Höfe und Vorhöfe, und fand endlich weit abgelegen die kleine Porta Posterula unbehütet und unverschlossen. Sie führte in lehmiges Ödland.
Im Bogen umlief er den mächtigen Komplex, fand Zäune und Gräben auf seinem Weg, und gelangte durch die schweigenden Gassen des Borgo zur Engelsbrücke. Drüben lief er weiter am Fluß entlang, die ungepflasterte Uferstraße war ganz ohne Licht, kein Mond schien in der feuchten Dezembernacht, die nicht kalt war. Er passierte den Tiberhafen, ein paar elende Barken lagen vor Anker, von der einen blinkte ein grünes Laternchen. Ein Schifferhund schlug an bei den eiligen Schritten.
Er bog ein wenig landeinwärts ab, wie ihm der Weg beschrieben war. Die geradelaufende Straße hier war die Ripetta. Auf einmal stolperte er und fiel schmerzhaft. Wie er hinsah, unterschied er, was ihn zu Fall gebracht hatte. Mitten in der Straße lag, in vier große Stücke zerbrochen, ein uralter Obelisk. Man hatte ihm die Stelle geschildert, er war nah am Ziel.
Rechts von ihm hob sich aus der Nacht ein seltsamer Rundbau, und er wußte auch, was es war: das Grabmal des Kaisers Augustus. Aus seiner Öffnung oben nickten Bäume ins Dunkel. Kleine niedrige Gassen duckten sich um den Riesen. Hier mußte es sein.
Es war die Gegend, in der arme Fremdlinge siedelten. Straßenweise waren sie eingeteilt. Die Orte hießen nach ihnen: Griechenhof, Slawonengasse, Portugieserbogen. Ungute Gestalten bewegten sich. Miguel fragte und bekam mundfaule Auskunft. Übrigens war ja alles umsonst, das war ihm nun klar, wie sollte sie Wohnung genommen haben in solcher Umgebung! Da stand er still.
Der Portugieserbogen war ein schlechtes Gemäuer aus Backsteinen, mit zwei neuen, jetzt offenen Holzflügeln, die den Blick freigaben in eine gekrümmte Gasse.
Hier brannte Licht. An den einstöckigen Häuschen zur Rechten und Linken waren in Mauerringen Fackeln aufgesteckt, die phantastisch ein nächtiges Treiben erhellten. Miguel ging vorwärts wie in einem Schrecktraum. Frauen standen in Rudeln beisammen, Dutzende, höchst verschieden gekleidet, sehr prächtig manche, viele in grauen billigen Mänteln. Sie stritten und schwatzten, sie hielten die Männer an, die geduckt prüfend zwischen ihnen umherstrichen. Viele Fenster waren erleuchtet, man hörte Geschimpf und Gelächter.
Plötzlich stand er ihr gegenüber. Fackellicht strahlte blutig über das weitflächige, weiße Gesicht. Sie stand bei vier anderen. Sie sah ihn, winkte und schrie.
„Da kommt einer, den seht Euch an! Der will mich heiraten. Er ist ein Pfaff, aber heiraten will er mich. Nur los, Herr Miguel, bloß nicht geniert! Hier könnt Ihr mich heiraten, Tag und Nacht. Aber teurer ist’s im Seraglio als drin in der Stadt. Kostet pro Hochzeit bar einen Scudo!”
Und stolz auf das Beifallsgelächter, das sich erhob, ging sie wirklich voran zu ihrer Tür. Es war gleich die nächste.
Er war weit zurückgewichen. Er konnte den Blick nicht wegwenden. Einer, der getrunken hatte, taumelte aus einer der Türen und stieß ihn hart an. Miguel fand einen Spalt zwischen zwei Häusern, stolperte rückwärts hindurch und stand auf freiem, windigem Feld.
Es war ihm, als hätte er den Tod gesehen.