Читать книгу Cervantes - Bruno Frank - Страница 9

FLOTTENPARADE

Оглавление

Inhaltsverzeichnis

Der Feldherr kam nicht. Seit zwei Monaten lagen die Schiffe der Venezianer und die des Papstes vor Messina. Auch einige spanische Galeeren waren schon da, in Erwartung der Hauptzahl. Sie ankerten abseits, damit Händel vermieden würden. Trafen Soldaten der verschiedenen Kontingente einander an Land, in den Gassen und Schenken der lustigen Hafenstadt, so gab’s jedesmal blutige Köpfe. Der spanische König, hieß es, sei vom Vertrage zurückgetreten, Don Juan d’Austria reise nicht ab, man verschimmele hier, während die Türken die Adria hinauffuhren. Die Venezianer sahen sie schon auf dem Markusplatz. Es war Ende August. Don Juan mit den Schiffen kam nicht. Jetzt war es klar, daß er ausblieb.

Aber er war unterwegs. Er reiste nur langsam mit seinen Galeeren. Er hatte Zeit. Er ließ sich feiern. Zuerst vier Wochen in Genua, wo er im Palazzo Doria glänzenden Hof hielt. Alle Frauen waren verliebt in den Großadmiral. Dann einen Monat im spanischen Neapel, wo es noch rauschender herging. Turnier und Ball wechselten ab mit kirchlichen Feiern. Der Feldherrnstab ward überreicht und das Banner der heiligen Liga geweiht. Das erforderte Vorbereitung. Das Ausarbeiten der Sitzordnung in Santa Chiara allein beanspruchte schon drei Tage.

Unbestimmte Nachricht von dem allen kam nach Messina zu dem päpstlichen Befehlshaber Colonna und zu dem greisen Venier, der die venezianischen Schiffe führte. Die Mannschaft wußte garnichts. Sie schimpfte. Man hatte Dienst, anstrengenden Dienst, und das war niemand gewohnt. Was sollten diese Schießübungen und dies Exerzieren im Fechten? Jeder wußte doch, wie man zuhieb und zustieß. Jeder wußte doch, was eine Seeschlacht war: man fuhr heran an das feindliche Schiff, warf Enterbrücken hinüber und schlug die Ungläubigen tot. Das war keine Kunst. Übrigens blieb wie gewöhnlich der Sold aus, man konnte sich kaum mehr vergnügen an Land. Und immerfort gab es an den Schiffen was auszubessern, man mußte dichten und teeren und sich im Takelwerk die Hände blutig reißen. Und Don Juan kam nicht.

Ein besonders schlechtes, altes Fahrzeug war die „Marquesa”. Alle zwei Tage zog sie Wasser, die Eimer standen nicht still. Der Hauptmann Diego de Urbina, der hier kommandierte, ein vollblütiger Mensch mit gutmütigem Gesicht unter der Eisenhaube, war bei den Leuten beliebt. „Meine Herren Soldaten!” hieß es vor jedem Kommando. Aber er kommandierte viel. Vielleicht wollte er die Mannschaft ermüden, damit sie nicht Unfug stiften konnte.

Man wohnte eng aufeinander gepackt in dem winzigen Schiff. Hundertundfünfzig Soldaten schliefen im niedrigen Raume beisammen. Kaum konnte man aufrecht stehen. Man atmete mühsam. Da wie stets Gerüchte aufkamen, im Hafen schleiche die Pest, tranken viele die Medizin, die hiergegen beliebt war: Branntwein mit Knoblauch. Wahrscheinlich schmeckte es ihnen. Der Gestank wich nicht mehr aus den Gelassen.

Hier lebte Miguel de Cervantes und war guten Mutes. Das römische Halbpriesterlein war nicht zu erkennen. Er war breiter geworden, das Gesicht unterm Eisenhut hatte Farbe, er trug Schnurrbart und Knebelbart, die er sich selbst mit der Schere allwöchentlich zustutzte.

Lang hatte er mit seiner Kompagnie in Neapel herumgelegen. Das war eine mißliche Zeit. Die Soldaten, arger Pöbel zumeist, Entgleiste, die vorm Strafgesetz niedertauchten unter das Fahnentuch, witterten mit Abneigung die zarter organisierte Natur. Er hatte sich täglich zu wehren. Er wehrte sich. Er teilte Prügel aus und empfing noch schlimmere, er sprach mit phantasievoller Einfühlung ihre Sprache, wußte Geschichten und gute Späße, war hilfsbereit und kein Streber. Ein letztes Mal kam es zu einem wilden Auftritt hier vor Messina. Etwas nämlich hatte der junge Miguel an sich, was für die Anderen, ohne Ausnahme, unangenehm lächerlich war: er las. Vier, fünf gedruckte Bücher hatte er immer unter seiner Decke verborgen. Eins davon fand er eines Tages aufgeschlagen liegen, in viehischer Weise verunreinigt. Es war der Caesar, den ihm Fumagalli bei der Abreise verehrt hatte, ein schönes Exemplar, mit schöner Widmung. „Si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae,” stand auf der ersten, jetzt besudelten Seite, recht heidnisch übrigens für einen Kleriker.

Es war am Abend, beim Schein einer Ölfunzel streckte man sich zur Ruhe, dicht nebeneinander.

„Wer hat mir das da getan,” fragte Cervantes. Vielstimmiges Gelächter antwortete, denn die Tat war bekannt, der Urheber hatte sie öffentlich verübt, und man hielt sie für einen köstlichen Scherz.

Er stand auch gleich auf, halbnackt, mit zottiger Brust, kam er auf den Beleidigten zu. Es war ein Riesenkerl, ein nordspanischer Bauernknecht aus der Provinz Galicia, tierisch und albern.

„Du hast’s verdreckt, Du leckst es auf,” sagte Cervantes. Er war noch angekleidet, im ledernen Koller mit schwarzen Ärmeln. Zu aller Antwort spie ihm der Andere vor die Füße. Es war still geworden, man wartete höchst gespannt.

„Du magst nicht, dann mußt Du!” Und mit voller Gewalt schlug er ihm den geschändeten Klassiker auf das Maul, zweimal und dreimal. Das Buch ging in Fetzen. Der Andere war schon über ihm, sie knieten auf einer der Pritschen im Halbdunkel, der Knecht mit seiner Vierecksgestalt deckte den schlanken Cervantes fast zu.

„Da gibt’s eine Leiche,” sagte einer behaglich.

Aber Cervantes hatte Glück. Ausholend traf er mit der Faust den Bauer am Kinn, an jener Stelle ein wenig unterhalb und seitlich, die jeder geübte Schläger kennt und hochschätzt. Es war Zufall gewesen, aber einer von gründlicher Wirkung. Der Gallego lag mit verdrehten Augen und baumelnden Armen. Ein Beifallsgelächter erhob sich. Miguel schob dem Gefällten den entehrten Band als Kissen unter den Kopf, wusch sich im Eimer die Hände und legte sich schlafen.

Am Morgen hieß es, der Feldherr sei da. Er war die Nacht von Neapel gekommen. Die ganze reiche Stadt war auf. Sie war für ihre Feste berühmt, Kaiser Karl schon, der doch Empfänge gewohnt war, hatte beteuert, nirgends sei er so aufgenommen worden wie in Messina. Die Uferstraße war im Augenblick dekoriert, von Palast zu Palast spannte sich Purpursamt. Ein Flaggenwald flammte empor in den Sonnenhimmel. Glockengeläute, vielstimmig, scholl über den Hafen. Von der Zittadelle dröhnte unausgesetzt das Geschütz.

Aber von den Schiffen durfte niemand an Land. Für den Nachmittag war Flottenparade angesagt. Alles scheuerte: Schiff, Waffen, sich selbst.

Don Juan d’Austria war mit 49 Galeeren gekommen. Sie lagen draußen in der Meerenge, kaum unterscheidbar. Aber ganz nahe, mitten im Hafen, ankerte das Admiralsschiff. An seinem rückwärtigen Teil, vor der „Poppa”, war ein mächtiges goldenes Kreuz aufgerichtet, daneben auf hohem Mast das Banner der Liga, vom Vizekönig in Neapel übergeben, in Santa Chiara geweiht. Die Kriegsmannschaft ringsumher, alle die kindlichen Männer, Cervantes mit ihnen, unterbrachen oft ihre Scheuerarbeit, blickten hin, besprachen jede Einzelheit. Aus blauem, gesteiftem Seidendamast bestand die Standarte. Sie wies oben in der Mitte, gewaltig groß, den Heiland am Kreuz. Zu seinen Füßen das Wappen, erhaben gearbeitet, war das des Papstes, rechts das von Spanien, links von Venedig. Goldene Ketten schlangen sich von Emblem zu Emblem, von ihrer Knotung hing schwer und massiv ein viertes Wappenschild: das des Kaisersohnes und Großadmirals.

Sie hatten zu schauen. Es wurde ihnen etwas geboten, wahrhaftig. Denn als sie am Nachmittag, um die vierte Stunde, aufgereiht standen auf ihren Verdecken, alle Segel gesetzt, die langen Ruder gleichmäßig ausgerichtet, und als das Admiralsschiff unter Kanonengedröhn langsam an ihnen vorüberfuhr, da wurde jedem von ihnen in voller, leuchtender Figur dynastischer Kriegsglanz vor die Augen getragen, jedem von diesen dumpfen und rohen Söldnern der Inbegriff aller kriegerischen Eleganz des Jahrhunderts.

Das Bild war eigens für sie gestellt, das sollten sie mitnehmen, es sollte sie im Voraus bezahlen für Mühsal, Wunden und Untergang. Dies Bild im Herzen sollten sie sterben. Wer überlebte und einmal nach Hause kehrte, sollte es in der Winterstube erwecken, wenn die Anderen um ihn hockten mit offenen Mäulern. Cervantes auch würde es nie vergessen. Als er schon alt war und wissend und Don Juan tot, früh durch Gift aus der Welt geräumt — auch da noch lebte das Bild, und er sprach davon und malte es farbenstark, wenn er auch dazu lächelte.

Nur die Ruderer sahen es nicht. Tief genug unterm gewölbten Schiffsrand, daß kein Ausblick über die Meerflut sich auftat, hockten sie halbnackt, zu dreien auf ihre Bänke geschmiedet: Verbrecher, Kriegsgefangene und Ketzer, zu Halbtieren geworden, nichts vor sich als den Rücken des Vordermanns am Tage und in der Nacht. Der Aufseher mit der Peitsche ging umher zwischen ihnen und hieb zu nach Ermessen. Alte mit weißem Bart waren darunter. Sie saßen hier, seitdem die altersschwache Galeere schwamm. Die allein sahen nichts.

Don Juan d’Austria stand an der hochaufgebogenen Poppa seines Staatsschiffs neben dem Kreuz, unter seiner blauen Standarte. Ihm zu Seiten, ein wenig zurück, rechts Colonna der Römer, mit kahlem Eikopf, von Hals zu Fuß dunkel geharnischt, links der ehrwürdige Sebastiano Venier, im Goldmantel eines venezianischen Generalkapitäns. Sie waren barhaupt wie Don Juan.

Weißhäutig war er, feinzügig und blond. Das weiche Haar umwallte zurückgeworfen sein junges Haupt. Keck aufgebogen trug er den Schnurrbart. Was aber jedermann hinreißen mußte, was sicher in Wochen studiert und zusammengestellt worden, das war sein Anzug. Jeder Soldat hatte sofort das Gefühl, daß er so etwas zum ersten und letzten Mal sah in seinem gefährdeten Leben. Der Panzer allein war ein Wunder. Es war ein Zierpanzer aus Silber, leuchtend poliert und vorn auf der Brust zu einer scharfen Schiene emporgetrieben, in der sich augenblendend die sizilianische Sonne brach. Aus der Halsberge stieg blütenweiß und köstlich gefältelt die Krause und umschmiegte das rasierte Kinn. Hellseidene Ärmel, mit Goldrosetten besetzt, modellierten die Arme. Aber besonders unterhalb war Don Juan d’Austria herrlich zu schauen. Die Strumpfhosen aus Seidentrikot, ohne ein Fältchen, von besorgniserregender Straffheit, erreichten beinahe die Hüften, und darüber, rundwulstig ausgestopft, bauschte sich das kurze modische Beinkleid aus rotem Atlas mit Goldbrokat, geschlitzt, gepufft und durchbrochen, einem Frauenröckchen nicht ungleich. In der Hand trug der Schöne den geweihten Feldherrnstab, überm Harnisch das Goldene Vlies. Er lächelte und er regte sich nicht. Er stand wie aus farbigem Gips, aus Gründen der Wirkung gewiß, wahrscheinlich aber auch, weil die geringste Bewegung den Sitz seines Prachtkleids gefährdet hätte. Es mußte anstrengend sein, so zu stehen.

Das rohe Kriegsvolk schaute versunken. Dies war eine sakrale Darbietung und jedem Zweifel völlig entrückt. Außerdem bedeutete der Aufwand eine Ehrung für jeden. Nicht die Flotte wurde ja hier gemustert, umgekehrt war es. Unter einem wahrhaft hocheleganten Halbgott zog man da morgen zur Schlacht.

Aber damit hatte es gute Weile. Man blieb im Hafen. Verstärkungen wurden erwartet. Es wurde weiter exerziert und geschossen, an den Schiffen gehämmert, kalfatert und Segel geflickt, während der Admiral in Messina seine Bälle, Bankette und Abenteuer bestand. Es war Mitte September. Viele erklärten, für dieses Jahr sei es zu spät.

Auf einmal war Gottesdienst angesagt. Von den Kapuzinern und Jesuiten, die in Scharen die Flotte begleiteten, empfing jeder Kriegsknecht das Sakrament. Nun wurde es Ernst.

Zwei Tage später lag man an der albanischen Küste, Korfu gegenüber. Neue Untätigkeit. Zwist gärte unter den Admiralen. Als Don Juan auf den Gedanken verfiel, hier nun ernsthaft die gesamte Flotte zu mustern, wurde ihm unter Vorwänden der Gehorsam verweigert. Venier seinerseits, heißblütig trotz seiner Jahre und äußerst nervös durch die Prinzenallüren des Kaisersohns, ließ ein paar frech meuternde Spanier kurzerhand aufhängen. Darin sah Don Juan einen Eingriff in Rechte, die ihm allein zustanden, und kündigte dem General der Republik ein Kriegsgericht an. Aufstand der Venezianer. Schon zogen ihre Galeeren sich drohend um Don Juans Flaggschiff zusammen, an die Schaustellung von Messina dachte jetzt niemand. Der Römer Colonna vermittelte. Die Aufregung schwand. Man schrieb Oktober.

Da brachte am vierten des Monats ein Eilschiff die Nachricht vom Fall Famagustas. Zypern gehörte den Türken. Ihre Flotte, man wußte es, lag gesammelt und schlagbereit im Korinthischen Busen, wenig südlich von hier. Man entschloß sich.

Die Hauptleute erhielten Instruktion. Jeder versammelte seine Mannschaft.

Auf Deck der altersschwachen „Marquesa” waren die 150 Soldaten angetreten. Hauptmann Urbina begann. „Meine Herren Soldaten!” begann er. Sein gutmütiges Gesicht unterm Eisen war noch röter als sonst. Reden war peinlich. Aber die Tatsachen sprachen für sich.

Zypern also, das war nun heidnisch, in jenen Meeren herrschte der Halbmond, frei war der Weg für den Sultan zu den Städten der Christen.

Ein trunkener Wüterich war dieser Selim, soff seinen verbotenen Wein vermischt mit Christenblut. Die tapferen Verteidiger von Famagusta waren schmählich geschlachtet worden, die Frauen verstümmelt, Kinder zu Haufen an den Mauern zerschellt vor den Augen der Mütter. Da sah man, was Venedig, was Rom, was die spanischen Städte zu befahren hatten, wenn nicht Einhalt geschah!

Zum Schluß erst erzählte der Hauptmann das Äußerste... Die Türken kannten und haßten den heldenmütigen Bragadino, Haupt und Seele der Venezianer. Ihn fingen sie sich heraus aus den Opfern, und in langer Beratung ersannen sie für ihn eine nie erhörte Marter.

Der Unglückliche wurde lebendig geschunden. Seine abgezogene Haut wurde ausgestopft, in venezianische Amtstracht gekleidet und, auf den Rücken einer Kuh gebunden, durch die Straßen von Famagusta geschleppt. Die mächtige Natur des Gemarterten widerstand, er lebte noch tagelang. So sah er sich selber vorüberreiten.

„Das, meine Herren Soldaten,” schloß der Hauptmann Urbina, „sind Eure Feinde. Trefft sie, schlagt sie, es geht zum Kampf! Gott und die Jungfrau!”

Der Bericht von dem Ungeheuren, wahr oder übertrieben, hatte seine Wirkung getan. Die Stumpfsinnigsten waren aufgewühlt.

Miguel taumelte, als man auseinandertrat. Er lehnte sich über Bord und erbrach.

Es ging gegen Abend. Er tappte die Stiege hinunter und warf sich aufs Lager. Er zitterte. Er schloß die Augen, mit äußerster Energie bemüht, das Vernommene fortzudrängen. Die Zähne schlugen ihm aneinander. Mit Verzweiflung spürte er das Fieber aufbrennen in seinem Blut. Von den Sklavenbänken über ihm schollen Flüche herunter. Die Peitsche klatschte. Dann war es still.

Als die Anderen kamen, um sich zur Nacht hinzustrecken, lag er ohne Bewußtsein. Er warf und bäumte sich. Er delirierte und schrie. Seine Einbildungskraft formte das Entsetzliche zu unerträglicher Greifbarkeit aus. „Zu den Waffen,” schrie er und „Gottesrache!”

Niemand konnte einschlafen. Schließlich trugen sie ihm den Strohsack nach vorn in einen Winkel unter der Schiffstreppe, fünf Fuß lang und drei breit. Eine Luke stand offen. Kühlere Luft strich herein. So fuhr er zur Schlacht.

Cervantes

Подняться наверх