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DER SPRACHLEHRER
Оглавление„Das ganze Vorzimmer ist voll, Eminenz,” sagte Fumagalli, der von draußen zurückkam. „Ein Dutzend Kerlchen sitzen da, alle sehr hungrig und trübselig anzuschauen.”
„Ein Dutzend Sprachlehrer! Wo kommen die her?”
„Aus den Humanistenschulen. Es gibt sechs oder sieben in diesem Kuhdorf. Denen hab ich Zettel hingeschickt.”
„Sehr praktisch von Dir,” sagte Aquaviva.
„Wissen möchte ich bloß, warum Ihr noch Spanisch lernen wollt!”
Der Kardinal sah ihn an. „Noch sagst Du, Fabio, noch! Du gibst mir nicht viele Jahre mehr, wie?”
„Noch — als erwachsener Mann und Fürst der Kirche!” rief Fumagalli erschrocken.
„Ich werde Dir eine Geschichte erzählen. Hör zu! Am Abend, ehe der weise Sokrates sterben sollte, kam ein Freund ins Gefängnis und sah, daß der Musiklehrer da war und ihm auf der Leier ein Lied beibrachte. Wie denn, rief der Freund, morgen sollst Du sterben und lernst heute noch ein neues Lied? Und Sokrates sprach: wann soll ich es denn lernen, Du Lieber?”
„Wer redet vom Sterben! Das bißchen Husten. Hast Du’s denn warm genug?”
Aquaviva saß in einem Lehnsessel, gut zugedeckt, neben ihm stand mit heller Glut ein Kohlenbecken aus Bronze, rund und groß, ruhend auf drei wundervoll gearbeiteten Löwentatzen. Fumagalli hatte das schöne Stück mit eigenen Händen aus dem Schlafzimmer des apostolischen Nuntius geholt, ohne jemand zu fragen.
„Gut warm habe ich’s,” sagte Aquaviva. „Was aber das Spanische betrifft, so ist eine zweite Audienz nicht ausgeschlossen, und da macht sich’s doch hübsch, wenn ich den König mit ein paar Brocken überraschen kann.”
Fabio kniff die Augen zusammen. So verdächtig gemütlich redete er immer von diesem König! Erzählt hatte er garnichts. Aber kränker war er seit dem Empfangstag.
„Zweite Audienz! Ich glaub’ nicht daran. Er ist droben beim Escorial und überwacht seine Bauleute.”
„Einerlei. Ohne Spanisch kommt man nicht aus. Es ist auch wichtig für die vatikanische Korrespondenz. Der Heilige Vater wird es anerkennen.”
„Wie die Eminenz meint. Dann werd’ ich also ein paar von den Vögeln hereinlassen.”
„Aber einzeln, Fabio! Immer nur einen!”
Das Vorzimmer war voller Menschendunst. Die Zahl der Bewerber hatte sich fast noch verdoppelt. Es waren meist junge Leute, schlecht genährt und nicht besser gewaschen. In ihren Studentenkragen aus grobem schwarzem Tuch saßen sie aufgereiht auf der samtbezogenen Mauerbank, drehten ihre Mützen in den Händen und beschauten einander mit unguten Blicken. Wer würde den unerhörten Treffer ziehen in dieser Lotterie?
Mit Notwendigkeit blieb Fumagallis Auge sogleich auf einer Erscheinung haften, die sich aus all dieser schlechtgelüfteten Jugend auffällig heraushob. Er trat auf den Mann zu, der sich erhob und nun im langfließenden, dunklen Seidenmantel groß vor ihm stand, das hochgeschnittene Barett auf dem grauhaarigen, bartlosen Haupt.
„Sind Euer Ehren nicht irrtümlich hier?” fragte er höflich, denn die Tracht des Mannes schien ihm gelehrte Grade zu verraten. „Der Empfang heute dient einem besonderen Zweck.”
„Der Zweck ist mir bekannt, Euer Würden, und mit Vorbedacht bin ich hier.”
Fumagalli vollführte eine einladende Geste und schritt gegen die Türe voran. Zugleich mit dem Gelehrten hatte sich neben ihm ein Student erhoben, ein schlankes, behendes Bürschchen mit lebhaften Augen, angezogen wie alle, nur vielleicht besser gewaschen, und machte unsicher Anstalten, mitzugehen.
„Du bleib nur einstweilen,” sagte der Mann im Talar, „Du würdest nur alles verderben.” Gehorsam nahm der Student wieder Platz, für die Protektion, die er genoß, von allen Seiten durch zornige Blicke versengt.
„Euer Eminenz,” meldete Fabio drinnen mit Förmlichkeit, „unter den Wartenden befand sich auch dieser Herr. Es schien mir richtig, ihn als Ersten einzuführen.”
Der Gelehrte stellte sich vor. Er war Don Juan Lopez de Hoyos, wohlbekannten Namens, wie er hinzufügte, Doktor der Universität Valladolid und Vorsteher einer jener Grammatik- und Kunstschulen, der berühmtesten in ganz Spanien, er verschwieg es selber nicht.
„Euer Besuch ist eine Ehre für mich,” sprach Aquaviva und wies auf einen Sessel. „Ich weiß sie zu schätzen. Aber unmöglich darf ich glauben, daß ein Mann Eurer Grade bereit ist, Elementarunterricht zu erteilen.”
„Eminenz, es war vorauszusehen, wie viele Anwärter sich einstellen würden. So habe ich einen meiner Zöglinge herbegleitet, in der Hoffnung, ihm durch Empfehlung zu dienen. Das Glück ist so blind,” setzte er hinzu, da er in den Zügen des Kardinals eine kleine ärgerliche Verfinsterung zu bemerken glaubte, „es mag mir erlaubt sein, ihm ein wenig die Augen zu öffnen.”
„Mir wollen Euer Ehren die Augen öffnen, ohne Metapher gesprochen. Ich sehe aber ganz gut.” Und Aquaviva lachte.
Der Humanist entschloß sich mitzulachen. „Der junge Mann, der mich begleitet, ist schüchtern, er bringt es nicht fertig, sein Licht leuchten zu lassen. Lobt ihn jemand, so widerspricht er eher — er hätte sich Eurer Eminenz selbst nicht empfohlen. Und da er begabt ist...”
„Er braucht doch nur Spanisch zu können.”
„Spanisch können! Das eben ist’s! Spanisch kann nur, wer Latein kann. Und wie kann er Latein! Den Beweis dafür habe ich mitgebracht.”
Aus den Falten seines Doktortalars hatte er zwei Hefte in Quart hervorgeholt und hielt sie auf seinen schwarzbekleideten Händen dem Kardinal hin.
„Was ist das?” fragte Aquaviva, ohne die Schriften zu nehmen. Er war voller Abwehr gegen den Schulfuchs und Musterlateiner, der ihm da aufgeredet werden sollte.
„Das eine Heft,” antwortete Hoyos, „enthält gedruckt ein Gedicht, mit dem mein Schüler bei dem jüngsten öffentlichen Dichterturnier den ersten Preis davon getragen hat — den ersten, Eminenz, obwohl der sonst in unserem Lande fast stets nach hohem Stand und Protektion vergeben wird. Das zweite...”
„Bleiben wir bei dem einen! Vielleicht beliebt es Euer Ehren, die Verse vorzulesen.”
„Mit Freuden,” sagte der Humanist. „Es handelt sich natürlich um eine Glosse.”
„Glosse?”
Man sah Hoyos an, daß so viel Ignoranz ihn erstaunte. „Bei unseren Wettbewerben,” erklärte er ein wenig überheblich, „wird den Kandidaten in Versform ein Thema gestellt. Dies auf der Stelle zu kommentieren, in makellosen Strophen, darum handelt es sich. Die Zeilen des Themas werden dabei wiederholt.” Und er las:
„Wär Vergangnes nicht entflohn,
Könnt ich wieder glücklich sein,
Träfen meine Wünsche ein,
Wär ich noch des Glückes Sohn.”
„Vergänglichkeit ist also das Thema?”
„Und dies die Glosse,” sprach Hoyos:
„So wie alles einst entschwindet,
So entschwand mein süßes Glück,
Da ihm nichts die Schwingen bindet,
Kehrt es nimmer mir zurück.
Ob sich auch im Staube windet
Dieses Herz vor seinem Thron,
Ach seit Jahren seufz ich schon,
Doch es senkt sich nicht hernieder.
Glücklich wär ich immer wieder,
Wär Vergangnes nicht entflohn.”
„Scheußlich,” sagte Fumagalli, ebenfalls auf Latein. Der Humanist fuhr herum, ins Herz getroffen. Ungesehen von ihm warf Aquaviva dem Freund einen sehr strengen Blick zu.
„Ich meine nur,” erläuterte der Kanonikus, „es scheinen hier gewisse Widersprüche zu bestehen. Entweder ist das Glück ein Vogel, hat Schwingen und fliegt durch die Luft, oder es ist ein Fürst und sitzt auf einem Thron. Aber Beides...”
„In gar keiner Weise, mein Herr, widerspricht das der Kunst! Die Kunst umwandelt ihren Gegenstand und läßt ihn jeden Augenblick in andersfarbigem Lichte neu aufleuchten. Das ist ein Elementargesetz,” schloß er mitleidig. „Gestatten Eminenz, daß ich fortfahre.”
„Bitte!”
„Nicht begehr ich andre Freuden,
Siege oder Ruhm und Macht,
Nicht des Reichtums Herrlichkeiten,
Weder Glanz noch eitle Pracht,
Nur Zufriedenheit sei mein,
Ach in ihres Lichtes Schein,
Der wie Morgensonne schimmert
Und in meinen Augen flimmert,
Könnt ich wieder glücklich sein.”
„Es genügt,” sagte der Kardinal. „Ich sehe schon.”
„Aber es rundet sich ja noch nicht! Zwei Strophen fehlen.”
„Sie werden auf gleicher Höhe stehen, Meister Hoyos. Was aber beweist mir, daß dieser flinke Latinist ein ebenso tüchtiger Lehrer des Spanischen sei?”
„Diese zweite Schrift hier beweist es.” Und er hielt Aquaviva das andere Büchlein so dringend hin, daß der nicht umhin konnte, es zu nehmen.
Es war auf edlerem Papier gedruckt und zeigte auf seinem Umschlag ein Titelbild: einen Schau- und Staatskatafalk, der mit Wappen, Emblemen, Figuren und Inschriften ganz übersät, von Kerzen und wehenden Fahnen umstellt war.
„Was Eminenz in Händen halten, ist der offizielle Bericht über das Leichenbegängnis der jüngst verstorbenen Königin. Er ist gestern erschienen. Die Trauerode, ausgewählt durch die berufensten Richter, hat eben den jungen Mann zum Verfasser, den ich empfehle — und dessen Verse jener Herr dort als scheußlich bezeichnet.”
„Nehmt das nicht tragisch! Vergeßt es. Was aber die Ode betrifft...”
„So ist sie spanisch, Eminenz, und Ihr könnt sie nicht lesen. Verlaßt Euch auf meine Autorität, wenn ich sage: sie ist im feinsten, blumigsten Hochkastilianisch verfaßt, voll von Vergleichen und eleganten Figuren, von der Alltagssprache so weit entfernt als nur möglich.”
„Aha!”
„Seine Abstammung disponiert meinen Zögling zu guten Formen. Er ist von Familie, adelig, Hidalgo...”
Der Rektor blickte sich um nach Fumagalli, der aber unbeteiligt zum Fenster hinaussah, und beugte sich auf seinem Sessel vor: „Er trägt den Namen und ist ein naher Verwandter...” Er flüsterte.
„In der Tat?” sagte Aquaviva. „Das ist interessant, und es freut mich.”
„So darf ich ihn rufen?”
„Ich bitte darum, Meister Hoyos.”
Der Humanist nahm Abschied, von Aquaviva durch eine Geste entlassen, die zwischen Gruß und Segen taktvoll die Mitte hielt.
„Miguel!” hörte man ihn im Vorzimmer rufen, „Seine Eminenz erwartet Dich,” und dann den Raum durch die jenseitige Pforte verlassen.
Das Bürschchen mit den lebhaften Augen trat ein. Als es sich aus tiefer Verneigung in die Höhe richtete, malte sich sehr komisch ein ungeheures Erstaunen in seiner Miene. Offenkundig hatte es einen eisgrauen Patriarchen erwartet und fand nun einen Altersgenossen. Der Mund blieb ihm offen, und die blitzenden Augen zu Seiten der Adlernase wurden ganz rund. Auch diese Adlernase selbst wirkte komisch, ganz als wäre erst sie allein fertig geworden in dem unflüggen Gesicht, und als sollte der Rest ihr erst nachrücken.
„Tretet nur näher,” sagte der Kardinal und spürte, daß ihn das Lachen in der Kehle kitzelte. „Ihr habt einen enthusiastischen Fürsprech an Euerm Rektor.”
„Meister Hoyos ist sehr gut zu mir, Eminenz. Er weiß, daß ich arm bin, und will mir helfen.”
Die Stimme war fertig, nicht tief zwar, doch klingend und von männlicher Wärme.
„Ihr seid ein Dichter, wie man mir zeigt.” Aquaviva hob das Heftchen mit dem Katafalk in die Höhe.
„Das eben macht mich ängstlich, Eminenz, ob ich zu einem Sprachlehrer auch geschickt bin. Wenn man zu sehr darauf gedrillt ist, über jeden Gegenstand in der Welt spanische und lateinische Verse zu machen, verliert man am Ende die Natürlichkeit. Dichtung und täglicher Umgang sind zweierlei.”
„Ihr meint also eigentlich, ich sollte mir meinen Lehrer nicht unter Studenten suchen?”
Er wurde rot. „Während ich draußen saß, habe ich mir in der Tat überlegt, ob der erste beste Juwelier oder Waffenschmied für Euer hohe Gnaden nicht tauglicher wäre.”
„Setzt Euch doch,” sagte der Kardinal. Das Bürschchen nahm Platz. „Ihr redet, als wünschtet Ihr garnicht, die Stelle zu bekommen.”
„Ich wünsche es mir brennend, Eminenz, es wäre ein Glück ohne Gleichen. Aber ich habe eine entsetzliche Angst, zu enttäuschen.”
„Ihr bringt ja auch Vorzüge mit. Ein Waffenschmied oder was Ihr sonst meint, spricht die Sprache des Volks. Ihr aber seid aus berühmtem Haus, seid von Adel...”
„Wieso?”
„Nun, Euer Lehrer wird sich nicht irren. Ihr seid Hidalgo.”
„Ach Gott!”
„Was heißt denn das Wort? Es klingt stolz.”
„Filius de aliquo — Sohn von jemand Rechtem, und stolz klingt es wirklich. Aber es bedeutet garnichts. Hidalgo ist jeder. Zum Beispiel jeder, der in der Residenzstadt des Königs wohnt, durch Dekret.”
„Euer Waffenschmied wäre es auch?”
„Wär es auch, Eminenz.”
Fumagalli in seiner Ecke wiegte den bärtigen Kopf. Er war gewonnen und schnitt dem Kardinal ungesehen eine wohlgefällige kleine Grimasse. Aber Aquaviva reagierte darauf nicht.
So jung er war, so hatte ihn doch sein Rang mit zu viel Eigensucht und höfischem Raffinement in Berührung gebracht. Der Junge da war ihm zu treuherzig. Das konnte Methode sein.
„Sollten wir einig werden,” sprach er ohne Lächeln, „so würdet Ihr in kurzem Euer Land verlassen müssen. Ich verhehle Euch nicht, daß Euer Platz in meinem Haushalt ein ziemlich geringer wäre. Ihr wäret nicht mehr als ein Page oder Kammerdiener. Macht Euch da keine Illusionen!”
„Ich wäre glücklich, nach Rom zu gehen, Eminenz.”
„Auch der Rang Eures Verwandten würde Euch da keine Ausnahmestellung erwirken. Ihr habt wohl keinen Begriff, was alles an Bischofsverwandten in Rom sich umhertreibt. Die Stadt ist voll davon.”
„Jetzt verstehe ich Euer hohe Gnaden nicht mehr,” sagte das Bürschchen betreten.
„Stellt Euch nicht so!” Aquaviva hatte eine Falte der Ungeduld zwischen den Brauen. „Euer Lehrer hat mir ja gesagt, daß Ihr ein Neffe des Erzbischofs seid.”
„Welches Erzbischofs?”
„Des Erzbischofs von Tarragona, Gaspar Cervantes.”
„Das müßt ich doch auch wissen, Eminenz.”
„Es stimmt also nicht?”
„Ich kenne ihn nicht, ich weiß nichts von ihm.”
Die skeptische Falte in Aquavivas Gesicht war verschwunden. Er wechselte mit dem Kanonikus einen Blick. Der verließ seinen Platz, öffnete die Türe zum Vorzimmer und rief hinaus:
„Die Stelle ist schon besetzt, meine Herren Studenten! Seine Eminenz läßt bedauern.”
Füßescharren, Gemurmel. Sie gingen und ließen eine Atmosphäre zurück, die dick war von Neid und Körperdunst. Fumagalli riß draußen die Fenster auf.