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GEEHRTE, GELIEBTE ELTERN...
ОглавлениеAn Don Rodrigo de Cervantes Saavedra und seine Gattin Doña Leonor aus dem Geschlechte de Cortinas,
zu Alcala de Henares,
im Hause neben der Posada de la Sangre de Cristo.
Geehrte, geliebte Eltern!
Kaum drei Monate ist es her, seitdem Ihr mir beim Abschied Euern Segen mitgabt auf die Reise, mir aber ist es zu Mute, als seien inzwischen Jahre vergangen. Soviel Neues hat Euer Kind unterdessen gesehn und erfahren, wovon dieser Brief Euch nur einen ganz unzulänglichen Begriff geben kann. Täglich danke ich Gott, der es so gnädig gefügt hat, daß mir in jungen Jahren seine Welt sich schon öffnet, voll mit Wundern, von denen ich vor kurzer Zeit nicht einmal zu träumen gewagt hätte.
Ein Hauptmann der päpstlichen Schweizergarde, der nach Spanien reist, hat die Beförderung dieses Briefes übernommen. Er scheint ein guter und redlicher Mann zu sein, und so vertraue ich ihm gleichzeitig einen Wechsel über 40 Realen an, den Euch das Bankkontor in Madrid bar auszahlen wird. Da es ja nur drei Reitstunden hinüber sind, wird gewiß bald jemand von Euch das Geld abheben können. Die Summe ist nicht groß, und ich bitte, daß Ihr sie nur als einen Anfang betrachtet. Vielleicht fügt es Gott, daß ich reich werde, und Eurer Bedürftigkeit ein Ende machen kann. Täglich begegnet man hier Leuten, die weit geringerer Erziehung sind als Euer Kind, und die es doch zu großem Wohlstand gebracht haben.
Bitte suchet doch auch Ihr nach einer Gelegenheit, mir Nachrichten zu senden, und erneuert dabei Euern Segen. Gebet mir auch Kenntnis vom Ergehen meiner Schwestern Andrea und Luisa und meines sehr geliebten Bruders Rodrigo, besonders auch darüber, ob er inzwischen seinen Plan ausgeführt hat und als Soldat dem Könige dient. Ich wünschte sehr, daß es der Fall sei, denn das Sprichwort, das sie bei uns zuhause haben, scheint mir die Wahrheit auszusprechen:
Kirche, Meer oder Königshaus,
Wähle dir eines, so kommst du aus.
Wenn Ihr nun aber fragt, wohin Ihr solche Nachrichten in der gewaltigen Stadt Rom richten sollt, damit sie mich auch erreichen, so lautet die Antwort majestätisch genug, nämlich an den Vatikanischen Palast. Jawohl, es ist so, im gleichen Hause und unter einem Dach mit dem Nachfolger Petri wohnt Euer Sohn, obgleich das mit dem Dach auch wieder nicht so wörtlich zu nehmen ist. Denn der Vatikan hat viele Dächer und wohl mehr als tausend Zimmer. Er ist für sich eine Stadt und keine gar kleine, in langen Zeiträumen entstanden und ohne große Regel durcheinandergebaut, so daß es auch jemand, der länger darin wohnt, schwer fallen kann sich zurechtzufinden. Von den tausend Gemächern aber bewohne gewiß ich eines von den allergeringsten, es befindet sich ganz oben in einem Turm, den einst der Papst Paschalis aufgeführt haben soll, und darin es mehr Ratten gibt als Bequemlichkeit. Immer ist die Rede davon, ihn abzureißen und etwas Schöneres an die Stelle zu setzen, aber immer wieder kommen schlechte Zeiten, dann ist zu wenig Geld vorhanden, und alles bleibt liegen. So ist es sogar mit der Kirche Sankt Peter, an der seit dem Tode des Meisters Buonaroti vor jetzt fünf Jahren nur noch nachlässig weitergebaut wird. Von der großen Kuppel, die sich über dem Hauptaltar erheben soll, ist noch nichts zu sehen als ein mächtiges Gerüst, darin aber selten Arbeiter erscheinen, und dessen Latten morsch werden und manchmal herunterfallen.
Was Ihr nun sicherlich zuerst wissen wollt, wird sein, ob ich den Papst in Person erblickt habe, so daß ich eine Beschreibung von ihm abgeben kann. Dies ist bis jetzt zweimal der Fall gewesen. Das erste Mal wurde er mir aus einem Fenster gezeigt, wie er in einem der inneren Gärten mit zwei Ordensgeistlichen sich erging. Von Prunk und Reichtum der Kleidung war nichts an ihm zu bemerken. Er trug einen weißen Mantel, der nicht einmal ganz sauber war, wandelte barhaupt und stützte sich auf einen Stock. Er ist ein Greis von vielleicht 65 Jahren, völlig kahl, mit langem schneeweißem Bart, augenscheinlich sehr mager und von furchteinflößendem Ausdruck. Man sieht gleich, daß mit ihm nicht zu spaßen ist, und daß die Verteidigung unseres heiligen Glaubens bei ihm in guten Händen ruht. Bei keiner Sitzung der Inquisition soll er fehlen, die Gefängnisse werden zu klein für die vielen Ketzer, und im vergangenen Jahr allein sind sechs durch das Feuer und zwei mit dem Strang hingerichtet worden. Das zweite Mal sah ich den Papst, da er in Sankt Peter die heilige Messe las. Er las sie nicht vor dem Hauptaltar, dies geschieht nur viermal im Jahre, aber sieben große goldene Leuchter brannten, und die Wände waren mit Purpur behangen. Der Papst teilte selbst die Kommunion aus, und seine Haltung dabei stach sehr ab von jener der meisten anwesenden Prälaten, die recht ungeniert herumsaßen, bedeckten Hauptes, und konversierten als wären sie sonstwo. Da ich frühzeitig gekommen war, konnte ich jede Einzelheit deutlich beobachten. Die Geräte sind ganz die gewöhnlichen, nur am Kelch fiel mir eine unbekannte Vorrichtung auf, die aus drei goldenen Röhrchen besteht. Man erzählte mir später geheimnisvoll, sie solle den Papst vor Gift schützen. Übrigens spendete er selbst nur an wenige bevorzugte Personen, mit und nach ihm übernahmen dies Amt die Kardinäle Saraceni, Serbelloni, Madruzzo und mein sehr geliebter Herr, Kardinal Aquaviva.
Dies war eines der seltenen Male, daß mein Herr seine Zimmer verlassen konnte. Mit seiner Gesundheit steht es garnicht gut, sie hat den Strapazen der Seefahrt und des Madrider Winterklimas nicht standgehalten. Viele geben ihm nur noch Monate, höchstens einige Jahre, und er selber spricht mit größter Unbefangenheit von seinem sicheren frühen Tode. Er ist von einer unbeschreiblichen Milde und freundlichen Heiterkeit, und wenn es wirklich dahin kommt, so wird er gewiß, ohne viel Aufenthalt unterwegs, zur Herrlichkeit eingehen. Mit andauerndem Fleiß erledigt er von seinem Sessel aus die Geschäfte seiner Ämter, zu denen vor kurzem noch ein besonders ehrenvolles gekommen ist: das große Bleisiegel ist ihm anvertraut, und kein Breve geht aus dem Palaste hinaus, er hätte es denn mit seiner Hand bekräftigt. Zu seinen spanischen Studien, um derentwillen er mich doch mitgenommen hat, findet er hingegen nicht so viel Zeit, als mir lieb wäre, so daß ich oft mehrere Tage hindurch ganz frei bin und hingehen kann, wohin mir beliebt. Dann komme ich mir unnütz vor, so recht wie einer aus dem ungeheuern Heer der Nichtstuer und Lungerer, die den Vatikan und die Kardinalshaushalte bevölkern, und von denen jeder geheimnisvoll tut, als sei er unentbehrlich.
Ich selber sehe deutlich, wie wenig der Kardinal mich hier in Rom nötig gehabt hat. Denn hätte er hier nach einem spanischen Sprachlehrer gesucht, so konnte er fünfzig haben für einen. Die Stadt ist voll von Spaniern, spanische Priester, spanische Mönche und Reisende sind in erstaunlicher Zahl vorhanden, unsere Tracht ist sehr gewöhnlich und kommt auch unter den Römern selbst immer mehr in Aufnahme, und sogar viele Bettler betteln auf Spanisch.
Ihr könnt Euch denken, daß ich meine viele freie Zeit dazu verwende, um die Stadt recht fleißig zu betrachten. Rom ist freilich groß, aber man sieht, daß es einst noch gewaltig viel größer gewesen sein muß, denn innerhalb der tausendjährigen Stadtmauer, die noch steht, ist viel Raum, der unbebaut oder von Trümmern bedeckt ist. Prächtige Paläste wechseln ab mit elenden Hütten, in denen die Armen wohnen. In die cäsarischen Theater und Tempel sind sonderbar die Wachttürme der christlichen Ritterschaft hineingebaut, so daß alle Zeiten durcheinandergehen. Auf Schritt und Tritt sieht man, wie blutig zu allen Zeiten hier gekämpft worden ist. In manchen älteren Häusern sind aus Gründen der Verteidigung gar keine Treppen, und man läßt sich aus den Fenstern an Seilen herunter. Auch heute ist die Sicherheit noch nicht groß. Das Stadtgebiet zu verlassen gilt als ein Abenteuer, und wenn Pilger die vorgeschriebene Wanderung durch die sieben äußeren Basiliken antreten, lassen sie sich durch Bewaffnete begleiten.
Die Kirche ist alles in Rom, und ehrlicherweise muß man zugeben, daß sonst kein Mensch hier etwas zu tun hat. Selbst in Madrid, das doch so viel kleiner und unscheinbarer ist, sieht man mehr Handelsverkehr und geschäftliches Treiben. Das fehlt hier ganz, so daß man sich verwundert fragt, wie eigentlich alle diese Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen. Das Straßenbild ist Sonntags und Werktags ganz gleich, und die Hauptbeschäftigung der Römer scheint planloses Umherspazieren zu sein. Unglaublich für mich ist die Anzahl der Kutschen, in denen Personen von Stand langsam herumfahren. Manche von diesen Wagen haben oben kreisrunde Öffnungen, damit man besser hinaussehen und an den Fenstern die schönen Damen beobachten kann. Dazwischen aber ist alles wieder ganz ländlich, zwischen der Engelsburg und dem Vatikan weidet das Vieh, und noch nicht drei Tage ist es her, da sah ich mitten auf dem Platz vor Sankt Peter eine schwarze Sau mit fünf munteren Ferkelchen niederkommen.
In Rom spricht jeder davon, wie sehr sich das Leben hier verändert habe, und wie viel vergnügter und prächtiger es einst hier gewesen sei. Seitdem in Trient die versammelten Väter ihre strengen Beschlüsse gefaßt haben, und besonders unter dem jetzigen Papst, ist alles frömmer und einfacher geworden. Selbst die Karnevalslustbarkeiten, die sich sonst über Wochen erstreckten, hat man auf wenige Tage eingeschränkt. Was ich davon sah, habe ich kindisch gefunden. Hauptsächlich wurden Wettrennen veranstaltet, und zwar sehr seltsamen Charakters. Die Bewerber liefen völlig nackt einher, angefeuert von der Menge. Einmal war es ein Wettlauf von Kindern, dann einer von ganz alten Männern und schließlich einer von langbärtigen Juden, der Anlaß zu viel Gelächter gab.
Es ist aber wohl zu verstehen, daß der Heilige Vater in ernsten Zeiten Ausgelassenheit und lärmendes Vergnügen nicht gerne sieht. Zu groß sind seine Sorgen um die Sache unseres Glaubens. Wie man hört, bereitet sich der Sultan wieder zum Angriff vor, und sein nächstes Ziel ist die Insel Zypern, die den Venezianern gehört und in jenem Teil des Meeres das letzte Bollwerk der Christenheit ist. Von entsetzlichen Greueln ist die Rede, die die Ungläubigen an christlichen Gefangenen verüben, die in ihre Hand fallen. Die große Hoffnung des Heiligen Vaters ist eine Allianz gegen den Sultan, an der alle katholischen Könige und sogar Rußland Teil haben sollen. Die Verhandlungen scheinen zu stocken. Aber Krieg liegt in der Luft, und mit jeder Woche erblickt man in den römischen Straßen mehr Männer von kühnem, militärischem Aussehen, die hier zusammenströmen. Kommt es soweit, so mag ja wohl auch unser Rodrigo an diesen verdienstlichen Kämpfen teilnehmen, und manchmal ist mir, als müßte ich ihn um das Teil beneiden, das er erwählt hat.
Diesen Brief habe ich nicht ohne Hast in der Nacht geschrieben, denn mit dem Frühesten verläßt der schweizerische Hauptmann schon die Stadt. Verzeiht also, wenn ich Wichtiges und Zufälliges ohne viel Wahl zusammengefügt habe. Von ganzem Herzen wünsche ich Euch Gesundheit und Sorglosigkeit und bitte Gott innig, daß er Euch in seinen gnädigen Schutz nehmen möge.
In Dankbarkeit und kindlicher Liebe küsse ich Eure Hände.
Euer Sohn
Miguel de Cervantes Saavedra.
Rom, am dritten Tag nach Lätare 1569.
Wenn Jemand von Euch nach Madrid geht, um den Wechsel zu beheben, tut mir die Liebe, an der Calle de Francos bei dem Buchhändler Pablo de Leon vorzusprechen und Euch nach dem Verkauf meines Schäfergedichts „Filena” zu erkundigen, dessen Vertrieb er übernommen hat. Ihr wißt, daß mehrere Kenner es gelobt haben.
Miguel.