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Die Industrialisierung

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Während bis Ende des 18. Jahrhunderts Herstellungsprozesse verschiedener Waren (zum Beispiel Papier und Lebensmittel) bei den Zünften abliefen, sorgten die im 19. Jahrhundert entstehenden Fabriken für eine industrielle Nutzung verfahrenstechnischer Operationen. Besonders die Erfindung von Anilinfarben rief eine stürmische Entwicklung der chemischen Industrie hervor:

 1863 Meister, Lucius & Co, Hoechst, später Hoechst AG,

 1863 Friedrich Bayer & Co, Barmen, später Bayer AG,

 1865 Badische Anilin- und Sodafabriken, Ludwigshafen, später BASF und

 1867 Aktiengesellschaft für Anilinfarben, Berlin, später AGFA.


Abbildung 1.8 Historische Flugstaubkammer

Durch die starke Industrialisierung wurde aber auch die Kehrseite der Medaille sichtbar: die Umwelt wurde immer mehr in Mitleidenschaft gezogen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde aufgrund der massiv steigenden Industrialisierung in der Umgebung der industriellen Zentren ein weit verbreitetes Waldsterben festgestellt, dem besonders empfindliche Nadelhölzer wie Fichte und Tanne zum Opfer fielen. Sie sehen, auch das Waldsterben ist nicht neu! Da besonders das Erzgebirge betroffen war, wurden die Schadensmechanismen von der Bergakademie Freiberg sowie der Forstakademie Tharandt in Sachsen untersucht. 1872 erschienen in England Untersuchungen von Smith zu demselben Thema. Hier wurde erstmals der Begriff »saurer Regen« erwähnt. Nach dem Verständnis der Ursachen wurde nach geeigneten Gegenmaßnahmen gesucht. Die Verfahrenstechnik beziehungsweise Umwelttechnik nach heutigen Maßstäben war noch unbekannt, Maßnahmen wurden dadurch nach dem »Trial-and-Error-Prinzip« mit teilweise bescheidenen Erfolgen durchgeführt.

Aufgrund der beschriebenen Probleme wurden erste verfahrenstechnische Anlagen im Bereich des Umweltschutzes errichtet. So beschreibt Wislicenus die Reinigung saurer Rauchgase in Schindlers Blaufarbwerken bei Blockau im Erzgebirge im Jahre 1908 (Abbildung 1.9 soll die Abluftreinigungsanlage schematisch skizzieren, wie Sie anhand des folgenden Texts ausgesehen haben könnte):


Abbildung 1.9 Abluftreinigung einer Ultramarinfabrik

»Besonders erwähnenswert ist das Beispiel einer sächsischen Ultramarinfabrik, die noch vor wenigen Jahren ihrer Waldumgebung ungemein gefährlich war, heute aber vollen Erfolg mit der Kombination von Entsäuerung mit Luftverdünnung erzielt hat. Die Abgase werden zunächst durch große, mit Kalkstein gefüllte Kammern mittels eines Ventilators hindurchgetrieben und so der ursprünglich sehr hohe Säuregehalt beträchtlich herabgesetzt, aber nicht ganz entfernt. Statt die Restgase durch den Schornstein in die Luft abzuführen, werden sie durch einen langen mit Birkenreisig gefüllten Holzkanal noch zu einer weiteren Waschvorrichtung, wo sie große, über Mühlräder stürzende Wassermassen passieren, geführt und schließlich durch die zahlreichen Ritzen einer aus losen Bretterbohlen gebildeten geräumigen Kammer an die Luft entlassen. Es entweicht nur ein feiner Nebel mit wenig Schwefelsäure beziehungsweise SO3, der an Schädlichkeit nicht mit den ursprünglichen Schwefelsäuregasen vergleichbar ist«.

Es handelte sich bei der Anlage somit um ein frühes verfahrenstechnisches Konzept, das aus Adsorption mit chemischer Umsetzung am Kalk, einem Biofilter (Holzkanal mit Birkenreisig), einer Absorption mit Wasser als Absorbens (Mühlräder) sowie einem Tropfenabscheider (Kammer mit Bretterbohlen) bestand, siehe Abbildung 1.9. Heutige Verfahrensingenieure werden sich ob dieser Anlagenschaltung vor Freude auf die Schenkel schlagen und aus dem Lachen nicht mehr herauskommen. Damals fehlten aber die wissenschaftlichen Grundlagen (die Sie spätestens nach dem Lesen dieses Buchs kennen werden), es wurde nur gebaut, was bekannt war. Und dass basischer Kalkstein Säure bindet, wusste man bereits damals. Auch Mühlräder waren bekannt, konnten daher wohl auch bei der Abgasreinigung nicht schaden.

Chemische Produkte wurden in der industriellen Produktion immer wichtiger. So entwickelte der Chemiker Baekeland 1909 ein Verfahren zur Herstellung des ersten hochvernetzten duroplastischen Kunststoffs, des so genannten Bakelits. Im gleichen Jahr wird das Haber-Bosch-Verfahren zur Herstellung von Ammoniak großtechnisch entwickelt, die Grundlage für eine gewaltige weltweite Ertragssteigerung in der Landwirtschaft durch die wirtschaftliche Bereitstellung von Düngemitteln. Die Zusammenarbeit des Chemikers Haber, der die chemische Reaktion entwickelte, und des Ingenieurs Bosch, der für die praktische Umsetzung und die Beherrschung der hohen Drücke verantwortlich war, setzte hier Maßstäbe. Es wurde zunehmend deutlich, dass ein Ingenieur für die technische Umsetzung chemischer Verfahren erforderlich war. Ja genau: ein Verfahrensingenieur!

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