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KAPITEL 6 – Ausflug

Die Sommerferien wären bald zu Ende, jedoch spielte dies in meinem Stundenplan keine Rolle. Ferien waren nicht im Wortschatz von Amanda enthalten. Sie bestand darauf, dass ich sogar während den eigentlichen Schulferien unterrichtet wurde. Es gäbe bestimmt Schuluniformen in den hiesigen Schulen.

Ich erhob mich aus dem Bett und marschierte ins Badezimmer, was gleich an mein Zimmer angeschlossen war. Ich betrachtete mich im Spiegel. Ich sah grauenvoll aus. Warum nannte man es Schönheitsschlaf, wenn man danach, wie ein zerlumpter Obdachloser aussieht? Während ich meine Haare von Knoten befreite, überlegte ich mir, was ich heute wohl machen wollte. Es gab nicht viele Möglichkeiten, jedenfalls keine, die von Amanda erlaubt waren. Vielleicht konnte ich sie überzeugen, mich heute etwas mit Julia unternehmen zu lassen. Sie kannten sich, jedoch wusste Amanda nichts von meinen wöchentlichen Ausflügen zu ihr. Ein Versuch war es wert.

Damit ich schneller unten war, rutschte ich das Geländer runter, das wurde jedoch nicht gerne von ihr gesehen. Aber was sie nicht wusste, konnte sie auch nicht verbieten. In der Küche begrüsste ich das Personal und schnappte mir einen Apfel. «Guten Morgen!», begrüsste ich Amanda, die sich hinter ihrer übergrossen Zeitung versteckte. Wenn ich eins wusste, dann dass ich freundlich sein musste, vor allem wenn ich etwas wollte, egal was zwischen uns vorgefallen war. «Was willst du?», fragte sie kalt. Sie wusste, dass ich sie um etwas bitten wollte. Sie kannte mich genauso, wie ich sie kannte. «Heute ist ein sonniger Tag», fing ich an und schaute aus dem grossen Fenster hinter ihr. Sie legte die Zeitung nieder und musterte mich aufmerksam, ihr Blick war jedoch distanziert. «Lorena, komm zum Punkt!» «Bei einem solch schönen Wetter wäre es eine Schande, im Haus zu bleiben», fuhr ich fort und legte den Apfel nieder. «Du kannst raus in den Garten», konterte sie meine unausgesprochene Frage. «Julia … », begann ich und achtete auf ihre Reaktion, die aber ausblieb. «Darf ich heute etwas mit ihr unternehmen?» «Natürlich!» Natürlich? Das war nicht die erwartete Antwort. Ich sah sie unsicher an. «Ehrlich?» ich konnte es nicht glauben, dass sie es mir erlaubte. Das tat sie sonst nie. «Ja, warum nicht?!» Sie wirkte, als hege sie einen Plan, jedoch wollte ich mein Glück nicht aufs Spiel setzen. «Perfekt, danke! Ich werde sie gleich anrufen … » «Aber Kaban wird euch begleiten.» «Was?» Sie unterbrach mich in meinem Satz. Ich hätte sofort aus dem Zimmer rennen sollen, als sie zusagte. «Ich wusste, es würde noch etwas kommen.» «Du kennst mich, Lorena. Sicherheit geht vor.» «Es wird mich schon niemand kidnappen», sagte ich sarkastisch, ihr war allerdings nicht zum Lachen zumute. «Warum Kaban? Ich kann auch gleich eine rote Rudolf-Nase aufsetzten, das würde wohl noch weniger auffallen.» Damit wollte ich auf seine Ausstrahlung hinweisen. Er war eine Maschine und das war nicht übertrieben. Kannte man Kaban nicht, konnte man Angst von ihm kriegen. «Entweder Kaban oder kein Ausflug!» Na großartig! Sie stellte mich vor eine unfaire Entscheidung. Ich hasste diese Konversationen. Stöhnend verliess ich den Raum.

«Um 17 Uhr bist du wieder zu Hause!», rief sie mir noch nach. Ich verdrehte die Augen und suchte mein Handy heraus.

«Verhalte dich einfach wie jeder andere auch.» damit meinte ich wie ein normaler Mensch. Es war nicht einfach mit Kaban über sein Aussehen zu sprechen. Als ich die roten Haare von Weitem zu erkennen glaubte, fing ich heftig an zu winken. Ich schloss Julia in meine Arme und es fühlte sich gut an, sie zu sehen. Ihre kleine Schwester zog an meinem T-Shirt, damit ich ihr ebenfalls meine Aufmerksamkeit schenkte. «Hallo Klara. Wie geht es dir?» Sie lächelte mich an. «Super! Ich freue mich total», sagte sie mit ihrer Zahnlücke. Sie war goldig. Ich mochte sie, sie war einiges schlagfertiger als Julia. «Du bist mir noch eine Erklärung schuldig!» Julia hob ihre Augenbrauen. Ich wusste genau, worauf sie anspielte. «Wir haben keine Handynummern ausgetauscht, wenn du das meinst», antwortete ich energisch mit den Gedanken bei Jason. «Das meine ich nicht, aber das könnte auch spannend sein.» Der Bus fuhr heran und wir stiegen ein. «Guten Tag les Mademoiselles … » Der Busfahrer kam ins Stocken, sah an Kaban hoch und räusperte sich. « … und guten Morgen, Monsieur.» Kaban übernahm unsere Tickets. «Hinten sind noch vier Plätze frei.» Gerade als ich es aussprach, erblickte ich den jungen Mann. Ich blieb wie angewurzelt stehen und spürte, wie Julia in mich hineinlief. Ich wendete mich zu ihr um. Hoffentlich hatte er mich nicht gesehen. «Setzen wir uns hier hin?!», versuchte ich sie zu überzeugen. «Hier hat es nicht genug Plätze für alle.» Sie zeigte auf die zwei Sitze neben uns. Sie hatte recht, das war eine dumme Idee.

Ich verspürte das Bedürfnis wieder auszusteigen, doch im selben Moment bekam ich mit, wie der Bus anfuhr.

«Was ist mit dir los?», fragte sie mich, als ich nicht weiterlaufen wollte. «Er sitzt da», sagte ich leise. «Nicht hinschauen!» Es war schon zu spät. Sie war zu neugierig, als dass sie es unterlassen konnte, einen Blick zu riskieren. «Der Streber mit der Brille? Bitte sag mir, dass das nicht dein Typ ist!» Ich sah verwirrt in dieselbe Richtung. Habe ich es mir nur eingebildet? Nein! Da sass er mit seinen Kopfhörern und blickte aus dem Fenster. Ich wendete mich wieder zu ihr. «Der andere!» Ihr Augen wechselten die Richtung und sofort weiteten sie sich. «Das ist was anderes», meinte sie überrascht. Er schien ihr zu gefallen, sofort wurde ich eifersüchtig. «Der ist voll heiss.» Da floss Julia dahin. «Stell mich ihm vor!», verlangte sie dann herrisch. Ich schüttelte den Kopf. «Ich werde nicht zu ihm hingehen», sträubte ich mich.

«Wir sollten uns hinsetzen, das wäre sicherer», meldete sich Kaban hinter uns zu Wort. Seine tiefe Stimme zog jede Aufmerksamkeit auf sich.

«Warte hier!» Grinsend schob sich Julia an mir vorbei und steuerte auf direktem Weg Jason an. War sie von allen guten Geistern verlassen? Ich kapierte erst, was sie vorhatte, als sie bereits neben ihm stand und mit ihm sprach. Er lächelte sie an. Ich wurde rot, dies aber vor Wut.

Sie kam zurück zu uns drei, die immer noch unentschlossen im Flur herumstanden. Wir mussten lächerlich aussehen. «Er hat angeboten, uns zu ihm hinzusetzen.» Sie schubste mich an der Schulter. Wie konnte sie mich so hintergehen?

Ich liess Kabans Arm los, der bestimmt Fingernägel-Abdrücke auf der Haut haben musste. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich ihn in meiner Panik gepackt habe.

«Hallo zusammen», begrüsste er uns, seinen Blick dabei auf mich gerichtet. «Das Schicksal führt uns wohl immer wieder zusammen», wies er auf den gestrigen Abend hin. Ich nickte bloss schüchtern. Mir war die Situation unangenehm. Julia platzierte mich direkt gegenüber von ihm.

«Wo geht es hin?» «In den Kletterpark», antwortete Julia für mich, denn ich wäre noch nicht imstande dazu gewesen.

«Sehr cool. Da wollte ich auch wieder mal hin.» Er sah Klara an. Sie strahlte ihm entgegen. «Und du bist?» Er reichte ihr eine Hand. Als wäre sie erwachsen, nahm sie seine Hand und schüttelte sie. «Klara, die kleine Schwester von Julia.» Sie wusste sich vorzustellen. Ich hätte wohl nicht einmal mehr das zustande gebracht. «Willst du mit uns mitkommen?» Bei diesen Worten von Klara entwich mir ein kleiner Laut. Wie konnte sie ihn einfach einladen, ohne dies zuvor mit uns besprochen zu haben?! «Das ist sehr nett von dir, mich zu fragen, aber ich gehe heute meine Oma besuchen.» Er wusste, wie mit Kindern zu sprechen war. «Ein anderes Mal sehr gerne.» Er zwinkerte ihr zu. Julia verliebte sich sofort in seine Art, das konnte ich spüren.

«Bist du der Junge, den Lorena im Wald getroffen hat?» Mir gefror das Blut in den Adern. Woher wusste die Kleine das? Selbst Julia schnappte nach Luft. Ich warf ihr einen Blick zu, der so viel bedeute wie: Du hast es ihr gesagt? Darauf warf sie einen zurück: Du weisst, wie gut sie dabei ist, einen auszuhorchen. Ich war nicht enttäuscht, sondern schockiert. Es war im Grunde nichts Schlimmes, aber dieses Thema wollte ich eigentlich nicht anschneiden. «Ja, ich denke schon. Insofern sie keinem weiteren im Wald begegnet ist.» Jason war so gut darin, die Situation zu retten, bevor es für uns alle unangenehm geworden wäre. «Du bist also Julia, zu der Lorena am besagten Abend unterwegs war», stellte er fest und musterte sie kurz. Sie tat es ihm gleich, jedoch lag ihr Blick etwas länger auf ihm, als es meiner Meinung nach erlaubt war. «Genau!», meinte sie selbstbewusst. Ich selbst hatte immer noch kein Wort gesagt.

«Und du bist Jason Morgan, nicht wahr?» «Einfach nur Jace.» Er lächelte uns an und mit einem Blick zu Kaban verschwand das Lächeln nur für eine Sekunde. «Guten Morgen, Sie sind deren Bodyguard?» Kaban öffnete seinen Mund, jedoch nickte er bloss stumm. «Das ist eine wichtige Aufgabe, Sir. In den heutigen Zeiten weiss man leider nie, was geschehen kann.» Somit richtete Jason seinen Blick wieder auf mich. Nun war ich an der Reihe, das spürte ich. «Ich fand den Tanz sehr schön.» Seine Stimmlage veränderte sich, als er mit mir sprach. «Schade, musstet ihr so früh gehen musstet.» Wieder brachte ich nur ein Nicken zustande. Wohin war meine Stimme geflüchtet? Würde ich sie in seiner Gegenwart jemals wiederfinden? «Ich hoffe sehr, dass wir diesen Tanz eines Tages wiederholen können.» Wir sahen uns direkt in die Augen, ich glaubte Funken zu sehen. Julia rammte mir ihren Ellenbogen in die Rippen. Ich stöhnte innerlich vor Schmerz. «Ich auch.» Ich hörte mich so unwirklich an, nicht ich selbst. Das war nicht meine Stimme gewesen. «Ich habe euch auf den hiesigen Schulen noch nie gesehen, von woher kommt ihr?» «Meine Schwester und ich besuchen ein College in der nächsten Stadt.» Julia war mir immer einen Schritt voraus und heute war ich auch froh darum, somit hatte ich etwas länger Zeit nachzudenken. «Ich werde zu Hause privat unterrichtet», antwortete ich, darauf zogen sich seine Augenbrauen kurz zusammen, doch er nickte. Seine Hand wanderte zum STOPP-Knopf und innerlich wollte ich sie ihm wegschlagen, damit er nicht auf die Idee kam, jetzt schon auszusteigen. Andererseits wäre ich nicht imstande gewesen, mich zu bewegen. Ich atmete flach, darauf bedacht, den Bauch eingezogen zu halten. «Hier muss ich raus. Es war mir eine Freude, euch alle kennenzulernen.» Jason erhob sich und blieb im Flur stehen. «Hoffentlich bis bald, Lorena.» Wie er meinen Namen aussprach, ich hätte dahinschmelzen können. Ein solches Chaos in mir hatte ich noch nie. War das Liebe? Ich kannte das Gefühl nicht. «Ja, das hoffe ich auch.» Mein Wortschatz war heute stark begrenzt. Der Bus hielt an und Jason stieg aus. Er winkte uns zu, während er davonlief.

«Ja, das hoffe ich auch», äffte mich Julia nach, als der Bus wieder anfuhr. «Hör auf damit!», warnte ich sie. «Wer bist du und was hast du mit Lorena gemacht?» Sie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. «Das war gerade nicht die schlagfertige Lorena, die ich kenne.» Damit hatte sie recht. Nicht einmal ich selbst erkannte mich wieder. Ich seufzte. «Ich weiss nicht, was mit mir los ist. In seiner Nähe verhalte ich mich so komisch» «Ach du meine Güte!» Sie hielt die Hände in die Luft. «Du bist verliebt, meine Süsse», versuchte sie mir klarzumachen, doch ich fing an meinen Kopf zu schütteln. «Nein, bin ich nicht!» Nun hörte ich mich wieder wie ich selbst an. «Du warst noch nie in deinem Leben verknallt und beim ersten attraktiven männlichen Wesen wird dein Herz weich.» Julia formte mit ihren Händen ein Herz in der Luft. «Obwohl ich zugeben muss, dass du dir einen sehr heissen Typen ausgesucht hast. Ich wünschte, es gäbe solche auf meiner Schule.» Es war ein kleiner Trost, dass Julia nicht die öffentliche Schule besuchte. Ich redete mir immer ein, dass die Schule ohne sie sowieso langweilig gewesen wäre und auf ein College würde ich mit meinen Leistungen beim besten Willen nicht kommen.

Im Kletterpark angekommen, war die Vorfreude auf das Klettern verflogen. Ich musste die ganze Zeit an Jason denken, an seine krassen blauen Augen, die mich die ganze Fahrt über gemusterten hatten. Wie sah es wohl in ihm aus, hatte er ähnliche Gefühle, wenn er mich sah? «Achtung!» Julia schrie mich aus meinen Tagträumereien. «Ich will dich nicht auf dem Waldboden aufsammeln kommen», machte sie mir mit ernster Stimme klar. «Tut mir leid, ich war in Gedanken versunken», entschuldigte ich mich und sie fuhr mich sofort wieder von der Seite an. «Wir befinden uns hier in 36 Metern Höhe, hier kannst du nicht einfach in Gedanken versunken sein!» «Ja, ich hab’s kapiert.» Wir waren beide angespannt. Es stand die ganze Zeit etwas zwischen uns im Raum und keiner wollte den anderen darauf ansprechen. Ich spürte, wie es Julia beschäftigte, doch sie wollte mir zuliebe nichts sagen. Ich wusste, wie sehr sie unter dem Vorfall litt.

Beim nächsten Schritt blitzte ein Bild vor meinen Augen auf. Ich verfehlte dadurch den Holzstamm und hing somit in den Seilen. Doch man war gut gesichert. Hinter mir hörte ich ein ängstliches Aufatmen. «Jetzt reicht’s! Wir gehen so schnell runter wie nur möglich und da wirst du dann auch bleiben!» Sie war sichtlich wütend auf mich und half mir wieder auf den Holzstamm zu klettern. Was um alles in der Welt war das? Es kam aus dem Nichts, nur ein Wimpernschlag, doch es hatte gereicht, mich aus dem Konzept zu bringen. Die Person auf dem Bild war ohne Problem zu erkennen. Es war Jason. Mit seinen blonden Haaren und den markanten Gesichtszügen sah er aus wie 20. Ich war gerade mal 17. «Jetzt konzentriere dich bitte!» Ihr zuliebe strengte ich mich an, nicht daran zu denken, jedoch liess es mich nicht los.

«Ich habe echt keinen Bock darauf mit dir abzustürzen, nur weil du dich über beide Ohren in einen Vollpfosten verliebt hast.» Wie bitte? Sie war für ihre direkte Art bekannt, aber nicht in diesem Tonfall. «Ich habe mich nicht verliebt und was heisst hier Vollpfosten, du sagtest auch, er sei nett und süss», versuchte ich sie von ihrer falschen Schiene wieder runterzubringen. «Meine kleine Schwester wartet da unten bei Kaban – von dem nie auch nur die Rede war – und ich möchte noch weiterhin ihre grosse Schwester sein.» Worauf wollte sie hinaus? Sie wurde mir zu aggressiv dafür, dass wir uns in 36 Metern Höhe befanden.

«Willst du mir unterstellen, dass ich unser Leben gefährde? Julia, wir sind gesichert, uns kann nichts passieren», wollte ich sie beruhigen, doch sie liess nicht mit sich reden. «Man weiss nie … » Julias negative Energie übertrug sich auf mich. Meine Gabe war nicht in jeder Lebenslage hilfreich. «Es muss nicht herausgefordert werden!», meinte sie streng. Ich schwieg. Es wäre nur schlimmer geworden, wenn ich etwas darauf erwidert hätte.

«Damit das klar ist, meine Eltern sind auch reich – nicht so wie deine Tante, schon klar –, aber sie drängen mir keinen Bodyguard auf, der mich auf Schritt und Tritt begleitet.» Jetzt wurde sie unfair. Sie wusste genau, wie paranoid meine Tante war, und dass ich sie nicht überzeugen konnte.

«Meine Güte, Julia. Beruhige dich wieder!» Das war eindeutig die falsche Antwort. «Ich will mich nicht beruhigen!» Sie schrie mich von hinten an. Ich drehte mich zu ihr. Sie hatte bereits Tränen in den Augen. Es ging hier gar nicht um mich, sondern um sie. Ich nahm sie in meine Arme und versuchte sie zu beruhigen. «Es ist alles gut, July.» So durfte nur ich sie nennen, sie mochte es nicht, Spitznamen aufgebrummt zu kriegen. Sofort liess sie ihren Tränen freien Lauf und schluchzte aus tiefstem Herzen auf. «Dieser Mistker!» Darum ging es also. Ihre Angst und Wut projizierte sie auf die jetzige Situation. Ich konnte ihr also nicht böse sein. «Weisst du was wir jetzt tun werden?» Sie schüttelte an meine Schulter ihren Kopf. «Wir gehen jetzt runter und ich kaufe dir einen Kaffee und dann reden wir ausgiebig.» «Hört sich gut an.» Julia hatte eine kratzige Stimme bekommen. Kurzerhand wischte sie sich übers Gesicht und sah mich immer noch aufgebracht an. «Tut mir leid», meinte sie tapfer. Ich rechnete es ihr hoch an, dass sie sich entschuldigte. «Mir auch, für alles.» Wir nahmen uns nochmals in den Arm.

Als wir wieder festen Boden unter den Füssen hatten, entdeckten wir Klara und Kaban in einem Kinderparcours, nur zwei Meter über dem Boden. Er versuchte sich durch die Holzröhren zu quetschen, jedoch war er viel zu gross. Es war schon ein lustiges Bild, wie er sich die Mühe machte, Klara zu begleiten. «Eines muss ich ihm lassen, er macht wirklich alles mit», sagte Julia lächelnd und dies war auch ihr Friedensangebot. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr und mir blieb fast das Herz stehen. «Wir müssen gehen!», bemerkte ich immer noch in die Zeit vertieft. «Was meinst du?» «Ich muss 17:00 Uhr zu Hause sein.» Ich zuckte die Schultern. «Wenn das so ist, sollten wir aufbrechen. Doch den Kaffee schuldest du mir trotzdem noch.» Sie lächelte mich an. Es tat gut eine solche Freundin zu haben.

«Ich rufe dich heute Abend an, dann reden wir. Okay?» Sie nickte und wir verabschiedeten uns an der Bushaltestelle in meiner Strasse. Zu Hause wurde ich erstmals Kaban los. Während ich durch das Haus schlenderte, hörte ich aus Amandas Büro Stimmen. Ich schlich näher, bis sie klar zu verstehen waren. «Wir freuen uns ausserordentlich, dass sie die Dienste des Hohen Rates annehmen. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, damit sie in Sicherheit ist», versicherte die unbekannte Person meiner Tante. Es war eine weibliche Stimme.

«Gut. Doch, sobald ich etwas mitbekomme, werde ich sie sofort nach Hause zurückholen. Ich möchte ihr nur ein normales Leben bieten.» Das war Amanda. Von wem sprachen die beiden? Ich rückte noch etwas näher zur Tür, in der Hoffnung einen Blick auf die mir unbekannte Frau zu erhaschen.

«Weiss sie es schon?» Ich konnte ein klirrendes Geräusch hören. «Nein, noch nicht. Ich werde es ihr heute noch sagen. Durch Ihre Unterstützung wird es möglich sein.» Amanda klang sichtlich erleichtert. «Darauf wollte ich eigentlich nicht hinaus … » «Nein, das weiss sie nicht und es soll vorerst auch noch so bleiben. Jolanda hatte bestimmt einen Grund, wieso sie es ihr verschwiegen hatte.» «Genau jetzt wäre eine günstige Gelegenheit, um es ihr zu sagen. Sie ist in einem guten Alter … » Erneut wurde die Frau von Amanda unterbrochen, dieses Mal etwas schroffer. «Das entscheide immer noch ich! Immerhin habe ich das Sorgerecht und sie ist noch nicht volljährig.» «Aber bald … » Die Frau lebte gefährlich. Niemand wagte es sich, meine Tante zu unterbrechen, sie konnte zu einer Furie werden. «Jetzt hören Sie mir mal zu! Ich will, dass sie ein normales Leben hat, und dazu gehören die Welten nun mal nicht. Deshalb ermögliche ich ihr mit Ihrer Hilfe so weit wie möglich ein solches Leben, unbekümmert und naiv, wenn es sein muss.» «Natürlich, bitte entschuldigen Sie. Ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten.» Stille kehrte ein. War das Gespräch nun beendet? Ich lehnte mich weiter vor und kam unabsichtlich an die Tür. Verdammt! «Hallo Amanda!» Ich stiess die Tür auf und betrat ihr Büro, obwohl ich wusste, dass es mir untersagt war, dieses Zimmer des Hauses zu betreten. Ich blieb wie angewurzelt stehen und sah die Frau an, welche meiner Tante gegenüberstand. «Störe ich gerade?», spielte ich die Unwissende.

«Nicht doch, Schätzchen. Die Dame wollte sowieso gerade gehen.» Das hörte sich zuvor nicht so an, jedoch kam ich nicht zu Wort. Die Frau erhob sich und nickte Amanda zu. Ihr enger, grauer Rock legte sich wie eine zweite Haut um ihre Hüften. Der Blazer war im gleichen Grauton wie ihr Rock und dazu trug sie hochhackige Schuhe. «Es hat mich gefreut. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.» Sie verliess den Raum, anscheinend kannte sie den Weg zur Tür, weil Amanda keine Anstalten machte, sie zu begleiten. «Ich habe nicht so früh mit dir gerechnet.» Amanda nahm einen Schluck aus ihrem Whisky-Glas. Sie trank nur, wenn sie nervös war. «Aha!», machte ich nur und sah ihr dabei zu, wie sie den Inhalt herunterschüttete. Sie verzog keine Miene. «Wie war es im Kletterpark?» Warum fragte sie mich das? Es interessierte sie sonst nie, wie was war und wie ich etwas fand. Ich schaute durch die offene Tür, die in den Flur hinausführte. Was hatte diese Frau mit meiner Tante gemacht? «Gut … », erwiderte ich unsicher und lehnte mich an einen Sessel. «Wer war diese Frau?», lenkte ich ein. «Eine alte Bekannte, nicht so wichtig.» Ich konnte mich gut an Gesichter erinnern, weshalb ich sicher war, diese Frau noch nie zuvor gesehen zu haben. Amanda verschwieg mir etwas. «Setz dich bitte, wir haben etwas zu besprechen.» Ein Unterton schlich sich in ihre Stimme. Kein Mensch konnte sich gegen Untertöne schützen. Selbst mich traf es immer wieder.

«Was ist denn los? Habe ich etwas falsch gemacht?» Wenn sie reden wollte, war es nie gut. «Nein, hast du nicht. Es geht um eine Entscheidung, über die ich lange nachgedacht habe.» Amanda nahm ihren ganzen Mut zusammen und atmete tief durch. «Du wirst ab nächster Woche auf die Schule von New Hampshire gehen.» Ich wiederholte den Satz in meinem Kopf. Was sagte sie da? «Was? Meinst du das ernst?» Ich sprang vor Glück wieder aus dem Sessel auf. Sofort war diese mysteriöse Frau vergessen. «Allerdings gibt es einige Regeln zu beachten, an die du dich halten musst.» Sie hob eine Augenbraue. Was kam jetzt, würde es etwas Schlimmes sein? «Du wirst jeden Tag von Robin zur Schule gebracht und wieder abgeholt. Du wirst keine Freunde mit nach Hause bringen und du wirst mir wöchentlich einen Bericht liefern, was ihr in der Schule durchnehmt.» Gerade wollte ich einen dummen Spruch fallen lassen, als ich mich zur Besinnung rief. Ich wollte mir diese Chance nicht kaputtmachen. «Einverstanden!» Es lag ein kleines Lächeln auf ihren Lippen. Ich umarmte sie, ohne noch an ihr sonst so kaltes Wesen zu denken, dabei kam mir eine Frage in den Sinn. Ich löste mich wieder von ihr und sah sie ernst an. «Kaban wird mich aber nicht begleiten, oder?» «Nein, das ist eine Sache, die du allein machen musst.» Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich noch nie etwas selbst tun dürfen. Ich war überglücklich. «Dienstag wird dein erster Schultag sein», meinte sie wieder als die kalte Amanda, wie ich sie kannte. Sie rückte ihre Jacke zurecht und ging um ihren Bürotisch. «Jetzt raus hier! Du weisst genau, dass du nichts in meinem Büro zu suchen hast.» «Yes, Ma’am!» Sie sah mich finster an. «Ich meine ja.» Somit verliess ich das Zimmer. Ich konnte nicht anders, draussen im Flur musste ich einen Freudenschrei loswerden.

Ghost of time - Zeitgeist

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