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KAPITEL 5 – Der Ball

«Wo hast du so lange gesteckt? Wir sind spät dran!» Ihr vorwurfsvoller Blick traf mich unvorbereitet. Eigentlich sollte ich es bereits gewohnt sein. «Ich habe Verstecken gespielt», sagte ich sarkastisch. «Verstecken?», fragte sie mich mit hoch gezogenen Augenbrauen. «Bist du nicht etwas zu alt dafür?» Sie musterte mich misstrauisch. Als sie keine Antwort erhielt fragte sie mich weiter. «Mit wem hast du das gespielt? Du weisst, dass du niemanden hierher einladen darfst ohne Einwilligung?!» Ich kannte ihre Einwilligungen. Es hiess immer Nein. Die Mühe, sie zu fragen, konnte ich mir sparen.

«Mit mir selbst», antwortete ich gleichgültig. «Es war lustig» Sie reichte mir einen Regenschirm. «Es regnet», meinte sie streng und ging nicht weiter auf meine Antwort ein.

Unser Chauffeur wartete bereits vor unserem Haus im schwarzen Mercedes. «Sie wissen wohin!», befahl Amanda und lehnte sich zurück. Ich strich mein Kleid zurecht und hoffte, keine Falten in den Stoff zu machen.

Gestern hatte ich eine lange und ausgiebige Unterhaltung über den mysteriösen Jungen, dem ich im Wald begegnet war. Sein Name war Jason. Seine Augen blau wie das Meer in der Karibik. Und er wollte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Das Auto machte eine zackige Linkskurve. Ohne Halt rutschte ich zu Amanda rüber. Schnell legte ich den Sicherheitsgurt um mich. Ihr strenger Blick erreichte mich mit einer Sekunde Verspätung.

«Fahren Sie nicht wie ein Räuber, Robin!», wies Amanda auch ihn zurecht. Er verdrehte im Rückspiegel die Augen, was nur ich sehen konnte, da ich genau hinter ihm sass.

«Entschuldigen Sie bitte!», sagte er jedoch freundlich.

«Das wird ein guter Abend werden» beruhigte sie sich selbst.

Ich sah aus dem Fenster und begann die Strassenlaternen zu zählen. Sie liessen die Strasse trotz des Lichtes düster und unheimlich erscheinen. Ich mochte keine dunklen Strassen, auch wenn ich die Herausforderung und den Nervenkitzel begrüsste, den man bekam, wenn man sie entlanglief. Amanda nahm ihre Karten hervor. «Ich würde das nicht tun», sagte ich, ohne sie anzusehen. «Dir wird schlecht!», warnte ich sie leise, doch sie ignorierte mich einfach.

Wir kamen an einem Friedhof vorbei und für eine Sekunde schien die Welt stehen zu bleiben. Über die Mauern hinweg, vom Friedhof, sah mich ein älterer Mann an. Er hatte keine Haare und sah leichenblass aus. Ja, der ist am richtigen Ort, dachte ich und schauderte.

«Mrs. Gray. Da vorne steht das Haus von Mrs. Morgan», erklang Robins Stimme von vorne.

Ich war plötzlich ganz aufgeregt, obwohl Bälle nicht mein Ding waren. Der Alkohol war das Einzige, was mir einen Lichtblick und einen Weg gab, die Abende zu überstehen. Robin öffnete mir die Tür und half mir mit dem pompösen Kleid auszusteigen.

«Wir sind so nahe an einem Friedhof?», fragte ich empört und sah zurück. «Friedhof Lorena?» Robin war der Einzige, der mich duzen durfte. «Lorena, hier ist kein Friedhof in der Nähe.» Darauf fing ich an zu lächeln. «Das weiss ich doch, Rob. Ich wollte nur sichergehen, ob du beim Fahren aufgepasst hast.» Ich schubste ihn kumpelhaft an den Schultern. Er sah mich verwirrt an, ersparte sich jedoch eine Bemerkung. «Robin, nun kommen Sie mir schon die Tür öffnen!», rebellierte Amanda, die immer noch im Auto sass. Robin sprang um den Mercedes herum. Ich blickte in die Richtung zurück, aus der wir hergekommen waren. Nebelschwaden verbargen mir die Sicht. Ungewollt huschte mir ein Schauer über den Rücken. Wenn da kein Friedhof war, was hatte ich dann gesehen? Ich konnte mich nicht länger dieser Frage stellen, da Amanda mich zu sich zitierte. «Haben wir uns verfahren?», fragte ich in die Dämmerung und mir war selbst nicht klar, wem ich diese Frage gestellt hatte. Das Haus, vor dem wir standen, war gross, ziemlich gross. Aber so riesig es auch war, es sah alt und renovierungsbedürftig aus. Was wollten wir hier? Uns beim Tanzen ein Bein in den alten Dielen brechen? Amanda schnalzte ärgerlich mit der Zunge. «Wir haben uns nicht verfahren!», erwiderte sie knapp, direkt auf den Eingang zu marschierend.

Als Robin die Klingel für uns bediente, erklang ein tiefer, beängstigender Ton aus dem Inneren des Hauses. Ein junger Mann öffnete uns wenig später die Tür. Er trug einen geschneiderten Anzug aus hochwertigem Stoff, wie es mein geschultes Auge in Bezug auf Mode erkannte. Er bat uns freundlich hinein und zugleich verabschiedete sich Robin. Falls wir nach Hause wollten, würden wir ihn zehn Minuten vorher anrufen. Sofort änderte sich meine Meinung über die Bruchbude. Im Inneren wirkte das Haus wie ein Schloss. Der Eingangsbereich wurde mit frischen Blumen geschmückt, die einen angenehmen Duft verbreiteten. «Bitte nehmen Sie sich Ihr Namensschild und begeben Sie sich in den Ballsaal.» Der Mann hatte eine ruhige Stimme. Wir befolgten seine Bitte und betraten gemeinsam den gigantischen Raum. Es war überwältigend. Ich hatte noch nie ein solch schönes Bankett gesehen. Der grosse Kronleuchter an der hohen Decke fiel mir sofort ins Auge. Er bestand aus einzelnen Glastropfen, die von den Metallstangen herunterhingen und durch die sich das Licht um das x-Fache widerspiegelte. In einer Ecke des Saals wurde eine kleine Bühne, mehr ein Podest aufgestellt, auf dem sich eine Live-Band versammelt hatte. Sie spielten ein ruhiges Lied, es war eine erfrischende Hintergrundmelodie, die jedoch von den vielen Gesprächen übertönt wurde. Egal wo ich hinsah, ich erblickte nur lange, elegante Kleider. Es war farbenfroh. Gerade als wir uns an einen Tisch setzen wollten, kam eine etwas rundlichere Frau auf uns zugelaufen. «Amanda, es freut mich sehr, dass Sie sich die Zeit nehmen konnten, zu kommen. Einige der Gäste wollen unbedingt mit Ihnen sprechen.» Sie sah mich an. «Und du musst ihre Tochter sein.» Ich nickte abwesend. Ja genau, ihre Nichte. «Sie haben noch gar nichts zu trinken», stellte sie fest und rief sofort einen ihrer Angestellten her, der mit einem grossen Serviertablett auf den Händen balancierend daher gelaufen kam. Trotz ihres molligen Auftretens hatte die Dame einen guten Kleidergeschmack. Sie trug ein bodenlanges, luftiges Kleid, welches ihren Rundungen schmeichelte. Ihre Stimme war zart und lieblich. Sie erschien mir sehr sympathisch. «Fühlen Sie sich wie zu Hause», sagte sie und entschuldigte sich, da sie noch andere Gäste zu begrüssen hatte. «Was ist der Anlass?», fragte ich Amanda, während wir uns setzten, doch sie gab mir keine Antwort. Ich nahm einen grossen Schluck des Champagners in meiner Hand. Einer der Vorteile, niemand fragt auf dem Ball nach deinem Alter. «Du wirst dich hier ganz bestimmt nicht wie zu Hause fühlen, hast du das verstanden?» Ich antwortete nicht darauf. Ihr Kontrollzwang nervte. So sassen wir schweigend am Tisch, bis Amanda aufstand und zur kleinen Bühne lief. «Sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüsse Sie ganz herzlich auf diesem bezaubernden Ball von Mr. und Mrs. Morgan», sagte sie ins Mikrofon. Die Leute klatschten. «Ich fühle mich geehrt, heute Abend hier oben stehen zu dürfen und eine kleine Rede zu halten. Es ist etwas anderes vor Publikum zu stehen, statt vor dem Spiegel.» Ein leises Lachen ging durch die Reihen. Sie hatte des Publikums Aufmerksamkeit gewonnen. Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Karten und fuhr fort. «Es ist immer wieder amüsierend, zu einer solchen Veranstaltung zu erscheinen und nicht genau zu wissen, was der Anlass ist. Es gibt gleich zwei Dinge, die wir zu feiern haben.» Sie zeigte auf eine ältere Frau am vordersten Tisch. «Alles Gute zum Geburtstag meine liebe Katia. Bitte einen grossen Applaus!» Die ältere Frau fing an, distanziert zu lächeln und lief dabei rot an, es war ihr anscheinend unangenehm. «Wie ich zuvor gerade erfahren habe, ist heute von Mr. und Mrs. Morgan die Silberne Hochzeit. 25 Jahre verheiratet …» Die Leute klatschten nochmals, doch dieses Mal lauter. Ein Mann rief etwas dazwischen, doch ich konnte es nicht verstehen. Die zwei standen plötzlich auf der Bühne neben Amanda und übernahmen das Sprechen. «Vielen Dank, Amanda. Die 25 Jahre waren nicht immer einfach mit diesem Mann», scherzte sie und warf ihm einen verliebten Blick zu. «Ich möchte euch nun auffordern, gemeinsam mit uns zu feiern und zu Abend zu essen. Heute Abend spielt die Band Katy Pendle» beendeten die Morgans die Anrede. Amanda kam in Begleitung des Klatschens wieder an unseren Tisch gelaufen. «Wie war ich?», fragte sie mich. «Gut» gab ich knapp von mir, weil ich es nicht einschätzen konnte. Es war das erste Mal, dass ich eine Ansprache hörte. Und es war auch nicht üblich Amanda zu loben, sie lobte sich höchstens selbst. «Natürlich war es gut. Ich habe auch schon vor acht Stunden angefangen, meine Rede zu schreiben.» Es war klar, dass ein solcher Kommentar über den Tisch wandern würde. Das Reden gehörte nicht zu meinen Stärken, ich war allerdings eine hervorragende Zuhörerin und jemand, der Menschen gut einschätzen konnte. «Margerite kommt, sei nett!» Sie warf mir einen raschen Blick zu. Ich rollte die Augen. «Ich bin nett», erwiderte ich leise.

«Hallo. Ihr seid gekommen», begrüsst sie Amanda so, als sei das hier ihr Ball. «Zu diesem schönen Anlass kann man doch auch nicht Nein sagen.» Die beiden gaben einander die bekannten zwei Küsschen. «Setzen Sie sich doch zu meiner Tochter und mir.» Sie spielte ein gefährliches Spiel. Sie wusste ganz genau, dass ich es bis aufs Blut hasste, wenn sie mich ihre Tochter nannte. Margerite würdigte mich nicht mal eines Blickes. Und zu einer solchen Person soll ich nett sein? Ich nahm noch einmal einen Schluck aus meinem Glas. Ich brauchte mehr Alkohol, also erhob ich mich und lief ohne Amanda etwas zu sagen zum Büfett. Es gab eine Menge süsser sowie salziger Leckereien, die nach mir riefen. Doch zuerst musste mein Durst gestillt werden. Während der Suche dachte ich an gestern und die Begegnung von Jason und mir im Wald zurück.

«Du hast dich in ihn verguckt», stellte Julia am Vorabend fest, als ich bei ihr ankam. «Sicher nicht», hatte ich ihr widersprochen, weil ich mir sicher war, dass es Liebe auf den ersten Blick nicht gab. «Ich erkenne es in deinen Augen, du strahlst förmlich.» Ich habe ihr ein Kissen zugeworfen und versuchte daraufhin das Thema zu wechseln. Es war mir schlicht und einfach unangenehm. Normalerweise teilte ich alles mit Julia, aber durch irgendeinen Grund habe ich mich nicht bereit dazu gefühlt. «Hallo, Lorena! Wie schön es ist, dich zu sehen!», schreite mir plötzlich eine hohe Frauenstimme ins Ohr. Ich zuckte ungewollt zusammen und liess beinahe mein immer noch leeres Glas fallen. Das Hörgerät war wohl nicht eingestellt und der Mann in ihrem Schlepptau nur ausgeliehen. Das erkannte ich an seinem Ehering, doch die Frau trug keinen. «Hallo!», sagte ich freundlich. Leider Gottes konnte ich mich nicht mehr erinnern, wo ich diese Frau schon einmal gesehen hatte. Zudem fiel mir ihr Name nicht ein. «Und auch Ihnen, guten Abend», begrüsste ich den Mann, der mich verschmitzt anlächelte. Er lebte gefährlich in seiner Dreiecksbeziehung. «Wie geht es dir?», fragte mich die Frau weiter, in einer Lautstärke, dass die Gäste sogar drei Gruppen weiter noch mitbekamen, was wir sprachen. Der Mann fing daraufhin an, ihr Hörgerät einzustellen. «Gut und Ihnen?» Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich keine Lust hatte, mich mit dieser Frau und ihrem Date zu unterhalten. Small Talk lag mir nicht wirklich. «Ebenso. Wo ist eigentlich deine Mutter? Ich wollte mit ihr noch unbedingt etwas besprechen.» Mutter, es versetzte mir einen Stich. Meine Mutter war tot …

«Sie unterhält sich gleich da drüben bei den Tischen mit jemandem.» Ich zeigte in ihre Richtung. «Vielen Dank!», meinte sie nun schon einiges leiser. Der Mann schien es wohl geschafft zu haben, ihr Hörgerät wieder in Gang zu bringen. Ohne Verabschiedung lief sie zu Amanda. Ich war wieder frei und immer noch auf der Suche nach Alkohol. Da sah ich einen Angestellten, der mit seinem Serviertablett durch die Leute marschierte. Sofort nahm ich Kurs auf und kaum hatte ich das Glas in meinen Händen, entriss es mir jemand. «Na, na, na, na, nichts da!» Gerade wollte ich mich umdrehen und dieser frechen Person meine «besten» Wünsche mitteilen, als ich sah, wer es war. «Alkohol ist nichts für eine junge Dame wie dich.» Er hob das Glas an und liess den ganzen Inhalt in seinen Mund fliessen. Das war’s also mit meinem Champagner. «Ich dachte du wärst wieder trocken?» Ich hob die Augenbrauen. «Sag es nicht deiner Tante, sie würde mich wohl höchstpersönlich wieder in eine Selbsthilfegruppe stecken.» Er blinzelte mir zu. Es war Onkel Paulo, mütterlicherseits. Ich hatte mit niemandem aus meiner Familie Kontakt seit Mama gestorben war, ausser mit ihm und natürlich Amanda. «Hallo Amanda, schön dass du wieder mal deine süsse Nichte mitgebracht hast. Ich habe schon fast vergessen, wie sie aussieht.» Er unterbrach ihr Gespräch, welches sie mit der Frau führte, die sich zuvor noch mit mir unterhalten hatte. «Bitte entschuldigt mich», sagte sie stets freundlich. Die Frau und ihr Date watschelten davon. «Was machst du hier?» Das war nicht gerade die feine Art, um jemanden aus der Familie zu begrüssen. «Drei Monate ist es her und du bist immer noch wütend auf mich?» Er tat unschuldig. Ich konnte es Paulo auch nicht übelnehmen. Amanda war so kühl, da musste man als Ausgleich einfach sarkastisch bleiben, oder es wäre wohl ausgeartet. «Es geht mir übrigens gut, danke der Nachfrage», fuhr er fort mit seinen Spässen, als Amanda nichts darauf erwiderte. «Das interessiert mich nicht. Wieso bist du hier?» Ich erlebte sie jeden Tag so kühl, für mich war diese Unterhaltung also nichts Neues, weswegen ich mich an meinen Platz setzte. «Ich wurde eingeladen, wie ihr beide wohl auch» Auch er setzte sich an unseren Tisch, was Amanda gar nicht gefiel. «Lass uns ja in Ruhe, Paulo!» Sie war immer noch sichtlich wütend auf seinen Ausrutscher damals auf der Gartenparty. Ich bekam es nur am Rande mit.

«Da muss ein Fehler vorliegen.»

«Glaubst du? Dann geh doch Tiara fragen!»

«Du duzt sie?»

«Ja, du etwa nicht? Das bot sie mir gleich bei unserem ersten Treffen an.» Amanda war ziemlich neidisch darauf, aber Paulo genoss den Moment, ihr das ins Gesicht zu sagen.

«Verschwinde von unserem Tisch!», forderte Amanda mit einer kleinen Andeutung zur Tür. Sie konnte ihn nicht rauswerfen, immerhin hatte sie hier nicht das Sagen. «Wir befinden uns in einem freien Land, nicht wahr?!» «Das ist es schon lange nicht mehr!» Ihre Verbitterung drückte sich durch die Veränderung ihrer Stimme aus. Sie klang tiefer, mürrischer und kühler als sonst. «Amanda, lass ihn doch, bitte! Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen», versuchte ich den angehenden Streit zu schlichten. «Das hatte auch seinen Grund!» peitschte sie nun mich an. «Aber solange er nichts sagt, kann er bleiben», meinte sie dann doch, weil sie die vielen Blicke von den anderen Gästen bemerkte.

«Dann bedanke ich mich sehr bei Ihnen, Mrs. Gray, dass ich hier sitzen bleiben darf», forderte er weiter sein Glück heraus. Er war schon immer ein Grossmaul und auch der Einzige der Familie, der Amanda entgegenhalten konnte. «Ich komme gleich wieder», kündigte ich mein Gehen an. Ich musste nämlich mal für kleine Mädchen. Das Überqueren der Tanzfläche stellte sich aber als eine sportliche Herausforderung dar. Es waren bereits Leute am Tanzen, die keine Rücksicht auf niemanden nahmen. Endlich bei den Toiletten angekommen tat ich eine Wohltat für meine bereits volle Blase. Beim Händewaschen schaute ich in den Spiegel. Ich hatte eine aufwendige Hochsteckfrisur aufgedonnert bekommen mit Extensions und Glitzer Haarspray, sodass ich schon von Weitem wie eine Discokugel leuchtete. Draussen vor der Tür lief ich mit jemandem zusammen, der gerade die Treppe runterkam. Ich entschuldigte mich sofort, doch die andere Person gab keinen Ton von sich. Wie unhöflich. Ich sah dem Jungen hinterher, wie er das Haus verliess. Mich packte die Neugierde. Ich wollte wissen, wie er aussah, also folgte ich ihm nach draussen. Jedoch war er plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Der Vorplatz des Hauses war leer, keine Menschenseele. Wie konnte er so schnell weg sein?

Zwischen meinen Brüsten begann etwas zu vibrieren. Ich fasste in meinen Ausschnitt und fischte mein Handy heraus. Mit einem kurzen Blick auf das Display wusste ich, dass es Julia war. RUF MICH AN!, schrieb sie in Grossbuchstaben. Sie schrieb sonst nie mit Ausrufezeichen und in Grossbuchstaben. Der mysteriöse junge Mann war vergessen und an das Einzige, was ich noch dachte, war meine beste Freundin. «Was ist passiert?», fragte ich sie in heller Aufregung. Sie schluchzte in ihr Telefon. Ich wollte bei ihr sein und sie in die Arme schliessen. «Max … » Mehr brachte sie nicht über ihre Lippen und brach in lautes, schluchzendes Weinen aus. «Was hat dieser Mistkerl getan?» Ich empfand sofort einen grossen Hass. «Lorena bitte!», presste sie hervor. «Er war ein Gentleman.», Wieso also weinte sie? Ich runzelte die Stirn. «Aber er hat mich verarscht.» Ihre Stimme wurde heiser. Ich sah sie vor mir, eingekuschelt in ihrem Bett, mit den vielen Kissen um sie herum. Ich spürte einen Druck auf meiner Brust. Eigentlich hätte ich bei ihr sein und sie in die Arme schliessen sollen, aber ich war auf einem prunkvollen Ball mit teurem Champagner. «Er hat eine Freundin, er wollte nur vögeln … » Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, damit sie es über die Lippen brachte. «Hat er dich angefasst?» Ihre Worte und ihre verletzliche Art lösten bei mir einen Beschützerinstinkt aus. Egal was dieser Junge getan hatte, ich wollte ihn den doppelten Schmerz spüren lassen. Niemand verletzte meine Freundin! «Er wollte mich küssen, nachdem er mich nach Hause gefahren hatte … dann … » Sie stockte. « … wurde er aufdringlich … » Plötzlich entwichen ihre ganzen Emotionen aus ihrer Stimme. Sie klang kühl und unnahbar, als baue sie eine Schutzmauer auf. «Er fasste mir ins Höschen, doch bevor er weitermachen konnte, gab ich ihm eine Ohrfeige … und verschwand ins Haus.» Sie atmete flach, ich übernahm ihre Reaktion und wusste genau, wie sie sich fühlen musste. Mit meiner Gabe konnte ich die Gefühle anderer absondern und weitergeben. Ich hatte eine gewisse Gabe, die ich selbst noch nicht kannte. «Jungs sind Idioten!» «Ich hoffe, dass zählt nicht für alle.» Ich zuckte zusammen und drehte mich schwungvoll zu der Person, die mich unverschämt bei meinem Telefonat störte. Wie beim letzten Mal verstummte ich mit einem merkwürdigen Laut, den ich von mir gab. «Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.» Seine blauen Augen musterten mich ausgiebig. Ich tat es ihm gleich und ungewollt begann ich zu lächeln. «Hey», brachte ich bloss heraus. «Lorena?» Julia meldete sich wieder vom anderen Ende des Telefons. «Was ist los bei dir?» «Ist gerade kompliziert zu erklären. Ich rufe dich zurück.» Somit beendete ich das Telefonat. Julia würde es mir noch ewig vorhalten, aber das war mir in diesem Moment egal. Ich konnte meine Aufmerksamkeit schliesslich nicht beiden schenken und gerade wollte ich dies nur bei einer Person tun. «Ich wollte dich nicht stören», sagte er leicht bedrückt und fuhr sich mit seiner Hand durch die perfekt gestylten Haare. Da wurde viel Haarspray eingesetzt. «Hast du nicht.» Ich versuchte meine Nervosität zu verbergen, weshalb ich auch erst mal mein Handy in meinen Ausschnitt zurückschob. Es war vielleicht jetzt nicht meine beste Idee gewesen, das vor den Augen von Jason zu machen. «Interessant», bemerkte er und ich wünschte, er hätte es nicht getan. Sein Blick lag unverschämt lange auf meinem Ausschnitt. Dabei muss ich sagen, dass mein Busen durch den Schnitt des Kleides hochgepuscht wurde. «Eine Tasche war zu unpraktisch», versuchte ich ihm meine Taktik zu erklären. «Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Ich kannte den Trick bereits, aber dass man vom Gegenstand dann nichts mehr sehen kann, glaubte ich nicht wirklich.» Sein Blick wanderte erneut auf mein gewagtes Dekolleté. Dann räuspere er sich und sah mir wieder in die Augen. Sein Blick war so intensiv, dass mir kurz schwindelig wurde. «Alles in Ordnung?», fragte er mich aufmerksam und legte den Kopf schief. Ich nickte bloss schwach. Mir wurde ganz kirr. Was war das nur? «Ich hätte nicht gedacht, dich so schnell wiederzusehen», führte er unsere Unterhaltung fort. «Geht mir genauso.» Meine Stimme hörte sich dumpf an, wie durch eine Nebelwand. Mir drehte der Kopf. «Hast du deine Freundin davon abhalten können, die Polizei zu rufen?» Sofort wurde ich noch nervöser, wenn das überhaupt möglich war. «Sie übertreibt gerne.» «Das hätte ich aber auch gemacht. Immerhin sollte eine junge, schöne Frau wie du nicht einfach abends allein im Wald herumlaufen.», Wieso musste er so etwas erwähnen? Mein Körper schien darauf zu reagieren, ich fing an zu schwitzen und tänzelte von einem Bein auf das andere. «Es wird etwas frisch hier draussen, wollen wir wieder reingehen?» Er streckte mir seine Hand entgegen, als ich jedoch nicht darauf reagierte, nahm er sie einfach. Ich war davon so aus dem Konzept gebracht, dass ich kurz vergass zu atmen. Doch wie durch ein Wunder verschwand das Schwindelgefühl. «Willst du tanzen?» Er lächelte mich an, da konnte ich unmöglich ablehnen. «Gerne.» Ich war wortkarg geworden, was mich aufregte. Wieso brachte ich keine richtigen Sätze in seiner Gegenwart zustande?

Im Haus war es schon viel angenehmer, die Wärme liess mich etwas lockerer werden. Als wir den Saal gemeinsam Hand in Hand betraten, hatte ich das Gefühl, alle würden uns anstarren. Die Musik hatte sich in der Zwischenzeit gewandelt. Es wurde etwas schnellere Musik gespielt, aber in einem angenehmen Tempo, sodass man guten Walzer dazu tanzen konnte. Wir stellten uns in die Mitte der Tanzfläche und er nahm meine Hände. «Bereit?» Ich nickte aufgeregt. Was tat ich da nur? Ich hasste Tanzen und zudem war ich eine brutale Niete darin. Ich würde mich vor all den Leuten plus Jason blamieren, aber eine innere Macht liess mich das alles vergessen. «Ich sollte dich zu deiner eigenen Sicherheit vorwarnen.» Er sah mich liebevoll an, sodass ich in dieser Anfangsposition hätte verharren können und für immer so stehen bleiben wollte. «Ich kann keine Garantie für deine Füsse geben.» «Ich habe das bereits mit meinen Füssen abgesprochen, sie nehmen den Schmerz gerne in Kauf.» Er brachte mich zum Lächeln. Mit dem ersten Schritt sprang mir beinahe mein Herz aus der Brust. Wir standen uns so nahe, dass ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte. Wir sahen uns tief in die Augen, keiner sagte etwas, aber wir kommunizierten ohne Worte. Es schien ein unsichtbares Band zwischen uns zu bestehen. «Ich würde dich gerne besser kennenlernen.» Jason unterbrach die Stille und daraufhin kam ich aus dem Takt, doch er half mir geschickt wieder einzusteigen und schlang seinen Arm fester um meine Hüfte. Er liess mich einmal um mich selbst drehen, hielt mich aber inmitten der Figur fest und zog mich zu sich, dass ich mit dem Rücken zu ihm stand. «Welche Farbe magst du am liebsten? Was ist dein Lieblingsessen? Welche Filme schaust du gerne?» Seine Lippen befanden sich direkt neben meinem Ohr, seine Stimme war bloss ein heiseres Flüstern. «Ich möchte alles wissen!» Es lag kein Drang in seinen Worten, mehr Neugier. Wie konnte er mich so durcheinanderbringen? Ich fing an intensiver zu atmen und spürte die angenehme Gänsehaut über meinen Rücken hinauf krabbeln. «Am liebsten mag ich Grün, weil es für mich Freiheit bedeutet.» Er wirbelte mich herum, damit ich ihm wieder in die Augen schauen konnte. «Ich liebe Pizza. Die vom Lieferdienst um die Ecke ist die beste.» Er grinste mich an. Jason, wie kannst du nur so bezaubernd sein? «Lesen ist eines meiner liebsten Hobbys, ich finde alte Rockmusik sehr schön.» Ich atmete kurz durch, damit sich meine Zunge nicht überschlagen konnte. «Ich hege eine Schwäche für Jungtiere, weil die auch unglaublich süss sind. Ich mag Feuerwerke wegen ihren vielen Farben. Fantasy und Science-Fiction-Filme sind meine Lieblingsgenres.» Während meiner Aufzählungen lag Jasons Blick die ganze Zeit auf meinen Lippen. Er wollte gerade etwas darauf erwidern, als wir von einem grossen Bauch getrennt wurden. Wenn das ein Mensch war, war er kugelrund. Der Mann vor mir atmete, als wäre er einen Marathon gelaufen, dabei hatte er sich bloss von seinem Tisch erhoben. Ich verlor Jasons Hände und sofort sträubte sich jede Faser meines Körpers dagegen. «Darf ich um einen Tanz bitten?» Der Mann hatte sich noch nicht mal vorgestellt, was sehr unhöflich war. Aber wie ich von meiner Tante gelernt hatte, galt es als Beleidigung, eine Tanzanfrage abzulehnen. Mein Blick wanderte herum, ich suchte nach einem Ausweg, eine Ausrede, um nicht mit ihm tanzen zu müssen, doch das Einzige, was ich vorfand, waren andere fremde, tanzende Leute um uns herum und einen Kerzenständer. Ich konnte ihm den schlecht über den Kopf ziehen vor all diesen Zeugen, was ich jetzt sehr gerne getan hätte. Immerhin hatte er mich und Jason bei unserer intensiven Unterhaltung gestört. Also hiess es wohl tanzen. Ich legte meine Hand in seine bereits verschwitzte Handfläche. Eckel stieg in mir auf. «Wie heisst du?», fragte er mich, als wir zu tanzen begannen. Ich fand nicht, dass das von Belang war. «Lorena.» «Du bist…Amandas Tochter.» Ich war allergisch auf dieses Wort, doch ich schluckte meine Wut herunter. «Ja», erwiderte ich kühl. «Es freut mich … mit der Tochter … einer Berühmtheit … zu tanzen.» Sein Übergewicht machte ihm so sehr zu schaffen, dass er mehrmals scharf die Luft einzog, bevor er weitersprechen konnte. Lange würde ich seinen stinkenden Atem nach kaltem Kaffee direkt in mein Gesicht nicht aushalten.

Bälle haben eine gewisse Magie an sich. Wie sich der Raum mit der zärtlichen Hintergrundmusik erfüllt, der Kronleuchter jede Ecke erhellen lässt und wie die Menschen auf einmal miteinander in Kontakt kommen, sie tanzen, reden und lachen. Alles Dinge, die unserem Geist guttun. Die Aura des Menschen ist sehr dünn. Ausseneinwirkungen können unser Umfeld massiv schädigen, was Schutzmauern verständlicher macht.

Die jüngsten Menschen auf diesem Ball waren eindeutig Jason und ich. Ich suchte den Saal nach ihm ab, doch ich konnte ihn nirgends finden. Nachdem ich mich einmal um die eigene Achse gedreht hatte, stand urplötzlich Amanda vor mir. Sie sah mich mit ausdruckslosem Blick an, ihre Gefühle wie immer im Inneren versteckt, doch ich kannte sie besser und wusste, dass sie wütend war. Was hatte ich getan, was sie dies empfinden liess? «Wo hast du gesteckt?» Ihre zischenden Worte prallten an meiner eigenen Mauer ab. Ich hatte früh gelernt, sie nicht nahe an mich heranzulassen – Selbstschutz ging vor. «Wir gehen!», sagte sie schliesslich, als sie meine Verschlossenheit wahrnahm. Ihr war es nie geheuer gewesen, wie gut ich sie aus meinem Kopf aussperren konnte. Sie wollte immer jegliche Kontrolle besitzen, doch meine starke Kämpfernatur liess es instinktiv nicht geschehen. Das hatte ich wohl von meiner Mama geerbt.

Sie packte unsanft meinen Arm und bugsierte mich aus dem Saal heraus, ohne Rücksicht auf meine hohen Absätze zu nehmen. Wir standen bereits auf der Türschwelle, als uns eine Stimme aufhielt. «Wohin des Weges?» Ich erkannte sie sofort. Mein Herz klopfte schneller und ich erwischte mich dabei, wie ich mir Gedanken machte, wie ich wohl aussehen mag. Wie sahen meine Haare aus, waren sie nach dem grauenhaften Tanz mit dem Mann zerzaust? War mein Make-up noch in Takt? Hatte ich offensichtliche Falten im Kleid? «Du … » Weiter kam Amanda nicht, da plötzlich die Gastgeber des Hauses neben Jason erschienen. Ihre Blicke musterten uns fragend. Ich stand wie ein nutzloser Haufen Elend neben Amanda, sie hatte mich immer noch fest in ihrem starken Griff. «Steig ein!» Ihre strenge Stimme liess mich zusammenzucken. Doch ich rührte mich nicht von der Stelle. Wie hätte ich es auch können mit ihrem festen Griff um mein Handgelenk. «Die Party ist noch nicht vorbei.» «Wir haben noch etwas vor.» Sie setzte ihren undurchdringlichen Blick auf. Niemand sollte wissen, wie wütend sie war. «Amanda, bitte bleiben Sie noch ein wenig. Ich habe Ihnen noch keine Hausführung gegeben», versuchte die Frau sie zu überzeugen, aber ihre Meinung konnte nicht mehr geändert werden. «Das wird nicht nötig sein, Mrs. Morgan.» Sie versuchte freundlich zu bleiben, aber es fiel ihr sichtlich schwer. «Meine Tochter und ich haben noch wichtige Dinge zu besprechen und morgen wird unser Tag bereits früh beginnen. Meine Gnädigste, es war mir eine Freude hier zu sein, aber nun haben wir es eilig.» Ihre Sprechweise machte sie aus, ihre hochgestochene Wortwahl. Damit hatte sie die Möglichkeit jemanden zu beleidigen, dass der sich jedoch immer noch geschmeichelt fühlte. «Lorena darf gerne noch länger bleiben, wir würden sie dann nach Hause fahren. Nicht wahr, Mama?» Mein Mund blieb offenstehen. Das Offensichtlichste war die ganze Zeit vor meinen Augen gewesen. Jason war der Sohn der Gastgeber. Er wohnte in diesem unglaublichen Haus, mit all diesen Angestellten und seinen hoch angesehenen Eltern. Erging es ihm gleich wie mir, musste er auch zu Hause unterrichtet werden? Ich hatte tausende Fragen, doch Amanda liess mich nicht zu Wort kommen. «Das wird nicht nötig sein, ich werde meine Tochter nicht allein lassen. Sie ist ohnehin müde vom vielen Tanzen.» Sie sprach für mich, doch meine Worte wären anders gewesen, und warf Jason dabei einen finsteren Blick zu. «Tut mir leid, ich werde mich bei Ihnen melden. Nun wünsche ich Ihnen einen angenehmen Abend.» Sie nickte den Gastgebern zu und zog mich zu Robin, der bereits abfahrbereit im Innenhof stand. Ich schaute zurück und formte ein stummes Es tut mir leid! mit meinen Lippen. Jason sah mich traurig an und winkte mir schüchtern zu, als ich ins Auto stieg. Momentan fühlte sich dieser Abstand zwischen uns falsch an, jeder Zentimeter war zu viel. «Fahren Sie los!» Amanda war energisch und schnallte sich schwungvoll an. «Unglaublich» ja, unglaublich wie kühl sie sein konnte. Ich winkte ihnen zu und spürte ein erdrückendes Gefühl in meiner Brust. Ich fing an, schwer zu atmen. Lag das an meiner Wut gegenüber Amandas plötzlichen Aufbruch oder war es meine innere Traurigkeit, dass ich nicht mehr bei Jason war? Ich wusste es nicht, ich war mir meinen Gefühlen noch nie so unsicher gewesen. «Endlich bin ich diesen Blutegel Paulo losgeworden.» Sie wirkte erleichtert. Ich konnte verstehen, wenn Paulo zu aufdringlich wurde, er kannte keine Grenzen. Jedoch war die Entscheidung zu gehen nicht korrekt gewesen. Wir waren kaum eine Stunde da. «Alles gut bei dir? Du bist so still? Hat dir dieser Junge wehgetan?» «Dieser Junge hat einen Namen», sagte ich verbittert. Ihre gespielte Fürsorge konnte sie sich sparen. «Er war dir sympathisch, nicht wahr?» «Was spielt das für eine Rolle? Ich werde ihn sowieso nie wiedersehen.» Ich sah aus dem Fenster, denn ich wollte nicht in ihre Augen blicken. «Das ist auch besser, vertrau mir. Er ist kein guter Umgang.» Sie legte sanft eine Hand auf meinen Oberschenkel, doch ich schlug sie weg. «Du scheinst dich ja auszukennen … », griff ich sie an. «Denk an meine Worte, falls du ihm jemals wiederbegegnen solltest!» Sie richtete ihren Blick ebenfalls aus dem Fenster. Die restliche Fahrt verlief still. Robin wagte sich kaum ein Geräusch von sich zu geben, so erdrückend war es in diesem Auto. Ich wollte nur noch in mein Zimmer und dieses nie wieder verlassen.

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