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KAPITEL 1 – Der Wald

Julia betrachtete sich im Spiegel. Ihre langen, roten Haare fielen in zapfenförmigen Locken über ihre Schultern. Wenn die Sonne günstig durch das Fenster in ihr Gesicht schien, begannen ihre Augen grün zu funkeln. Ihr Aussehen war einzigartig, weshalb es mich verwunderte, warum sie noch keinen Freund hatte. Sie musste vom anderen Geschlecht nur so angehimmelt werden. «Was denkst du?», fragte sie mich in Gedanken. Sie machte sich schon seit Tagen unnötig Stress. «Sieht gut aus.» Sie wendete sich schwungvoll zu mir und sah mich eindringlich an. «Das hast du schon zu den letzten fünf Kleidern gesagt», fuhr sie mich frustriert an. «Weil alle davon wunderschön sind.» Ich sah auf und nahm ihre Hände in meine. «Du bist wunderschön, du könntest jedes Kleid tragen. An dir sieht alles zauberhaft aus.» Sie grinste über beide Wangen und drehte sich noch einmal zum Spiegel. «Das heisst dann wohl, dieses hier.» Ich rollte die Augen und sah mich durch die Spiegelung in der Fensterscheibe an. Ich schaute nicht gerne in den Spiegel, denn es erinnerte mich immer an meine Mama. Obwohl ich das genaue Gegenteil von ihr war. Sie war eine grosse Frau mit schönen weiblichen Rundungen und langen dunkelbraunen, glatten Haaren gewesen, die sie meistens zu einem eleganten Zopf geflochten hatte. Ihr Gesicht war eher spitz gewesen, wodurch ihre Wangenknochen gut betont wurden. Ich dagegen war klein, rundlich, hatte schulterlange blonde, gewellte Haare und ein rundes Gesicht. Das Einzige, was ich von ihr geerbt hatte, war ihr Blick und die Farbe ihrer Augen. Sie lachte mich mit ihren Augen an, noch bevor sie ihr Gesicht verzogen hatte.

«Könntest du aufhören so verbittert aus dem Fenster zu starren, du machst mir Angst.» Julia holte mich aus meinen Erinnerungen. Leider hatte ich immer wieder solche Momente, in welchen ich mich vergass und in Gedanken schwelgte. Das passierte mir in den unpassendsten Momenten. «Denkst du, er mag Lipgloss?» «Warum sollte er das nicht tun?», fragte ich bei ihr nach und betrachtete ihre Auswahl an Make-up. Sie hatte einen eigenen Schminktisch, zugebuttert mit Dingen, die sie schöner aussehen liessen. Noch schöner. Während sie die passenden Ohrringe herausgesucht hatte, erwischte ich mich dabei, wie ich sie für ihr Aussehen beneidete. Ich wäre auch gerne so gross und schlank gewesen wie sie. «Fertig!» Sie drehte sich einmal im Kreis vor mir. «Was denkst du? Und ich will nichts von elegant, schön oder bezaubernd hören!» Sie sollte Lehrerin werden, ihre Gabe, Leute herumzukommandieren, war überwältigend. «Du wirst diesem Typen förmlich den Boden unter den Füssen wegziehen.» Sie dachte kurz nach, nickte dann aber einverstanden. Anscheinend war sie mit meiner Antwort zufrieden. «Nun zu dir.» «Wow, warte! Ich komme nicht mit.» Sie versuchte mich schon seit Tagen davon zu überzeugen, sie auf einen Jugendball zu begleiten. Angeblich gab es dort haufenweise Singles. «Du weisst genau, wie streng Amanda ist. Sie würde mich niemals auf einen solchen Ball gehen lassen.» Amanda ist meine Tante und die Schwester meiner Mutter. Seit dem Tod meiner Mama lebte ich bei ihr.

«Ich werde sie schon überzeugen.» Ich lachte auf. «Wenn sie wüsste, dass ich bei dir bin, würde sie mir den Kopf abreisen.» Julia war meine beste Freundin und im Grunde genommen auch die einzige. Es war nicht gerade einfach Freunde zu finden, wenn man in einem riesigen Haus eingesperrt wurde.

Ich schaute auf die Uhr. Verdammt! In einer halben Stunde gab es Abendessen. Ich musste sofort nach Hause. Ich schnappte mir meine Tasche und verabschiedete mich von Julia mit einer langen Umarmung. «Du schaffst das. Schreib mir, ich erwarte alle fünf Minuten eine Nachricht», flüsterte ich ihr ins Ohr. «Wir werden sehen», erwiderte sie und verdrehte dabei ihre grünen Augen. Der Junge würde ihr zu Füssen liegen, dabei war ich mir sicher. Ich würde es jedenfalls tun.

Die mächtigen Bäume liessen nur wenig Licht durchdringen, sie warfen lange, angsteinflössende Schatten auf den Boden. Ich suchte meine Kopfhörer hervor und drehte die Musik ganz auf. Jedes Mal, wenn ich durch diesen Wald nach Hause lief, fühlte ich mich beobachtet. Die Musik half mir dabei, nicht den ganzen Weg nach Hause zu rennen. Als ich kleiner gewesen war, stand ich vor dem Zaun, der unser Haus von dem Wald trennte. Es waren nur Sekunden gewesen, aber die reichten aus, mir Nächte lang Alpträume zu verschaffen. Ich weiss heute nicht mehr, was ich damals im Wald entdeckt hatte, doch nur das Gefühl von dessen Aura umgeben zu sein, reichte mir aus. Genau wie dieses Mal, es war wieder da. Ich zog meine Kopfhörer aus den Ohren, lauschte in die düstere Welt hinein. Der Wind bliess durch die Baumgipfeln und brachte die vielen Schatten, über dem Waldboden zum Tanzen. Schweiss sammelte sich auf meinen Handflächen. Ein Knacken. Ich zuckte unwiderruflich zusammen, das war zu viel für mich. Sofort begannen meine Beine zu rennen. Ich kotzte mir beinahe die Lunge aus, doch ich kletterte ohne Halt über den Zaun, den ich schon zu oft bezwungen hatte. Dann hastete ich über den Rasen zum Hintereingang, der mich direkt ins Wohnzimmer führte. Erst da blieb ich stehen und hustete. «Lorena!» Das war leider mein Name. «Woher kommst du?», fragte mich eine Stimme kühl. Ich wendete mich hastig um und blickte in veilchenblaue Augen. Sie hielt ihre Arme vor der Brust verschränkt und sah mich durch ihre neue Brille böse an.

«Hey», sagte ich und grinste sie freundlich an. Was soll ich jetzt nur tun? Ich atmete immer noch stark. «Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?» Amanda hob den Kopf hoch.

«Ach! Du stehst einfach überall», brach es aus mir heraus. «Man kann nicht mal den Müll raustragen, ohne dass du gleich was Schlimmes vermutest.»

«Wolltest du…?» «Nein, natürlich nicht, dafür haben wir die Angestellten», sagte ich barscher als beabsichtig. Sie hob ihre Augenbrauen, damit sie mir klarmachen konnte, dass sie nicht lockerlassen würde, bis ich ihr sagte, was ich gerade gemacht hatte. Ich holte tief Luft. «Ich war joggen.» Kurze Stille. Ich hatte Amanda noch nie sprachlos gesehen, aber es sah gerade aus, als wüsste sie nicht, was sie sagen sollte. «Joggen?!», wiederholte sie misstrauisch. «Ja.» Was nicht mal gelogen war. Sie hob ihre Schultern. «Seit wann treibst du freiwillig Sport?» Ihre direkte Art verletzte mich. Immerhin war mir mein Gewicht bekannt, ich wusste, dass ich etwas zu viel auf den Rippen hatte. «Ist das so unvorstellbar?», fragte ich herausfordernd. «Gut, aber das nächste Mal sagst du mir Bescheid.» Bitte Bescheid, dachte ich mir. Sie kannte die Nettigkeiten wie Bitte und Danke nicht. Ihre Welt bestand aus ihr selbst. Ich war ihr dabei wohl nur ein Klotz am Bein. «Geh dich jetzt duschen, du bist ganz verschwitzt!», sagte sie angewidert und verschwand in den nächsten Raum. Ich atmete erleichtert aus. Trotz meiner schlechten Fähigkeiten zu lügen, hatte ich sie tatsächlich überzeugen können. Nie würde ich freiwillig joggen gehen…

Meine Zimmertür hatte zwei Flügel aus Holz. An der Wand hing ein überdimensionaler Bilderrahmen, in dessen Mitte sich ein Spiegel befand. Ich besass ein eigenes Badezimmer und einen begehbaren Kleiderschrank. Das Himmelbett stand in der Mitte des Raumes und gleich daneben mein fast unberührtes Klavier. Obwohl ich schon seit zwei Jahren unterrichtet wurde, konnte ich an guten Tagen «Hänschen klein, ging allein» fehlerfrei spielen. Mein Talent lag nicht in Instrumenten, doch Amanda wollte unbedingt, dass ich spielen konnte.

Ich stellte mich unter die Dusche und liess die prickelnden Wassertropfen über mich laufen. Es war erfrischend. Ich schloss meine Augen und dachte an früher zurück. Es gab mehr Momente, in denen ich Mama vermisste, als es mir lieb war. Dieses Trauergefühl löste bei mir Frustrationen aus und somit fand ich mich später in der Küche vor einem Becher Glace wieder. Das Problem war die viele Freizeit. Jeder normale Teenager würde sich jetzt mit seinen Freunden treffen und irgendwas Großartiges unternehmen. Ich sass den ganzen Tag zu Hause und tat nichts. Weil meine Tante reich und eine bekannte Krimischriftstellerin war, durfte ich laut ihr keine normale Schule besuchen. Wir kauften noch nicht mal unsere Kleider in einem Kleiderwarengeschäft, sondern wir besassen eine persönliche Schneiderin. Neigte sich unsere Reserve im Kühlschrank dem Ende zu, gingen unsere Angestellten für uns die Einkäufe erledigen. Ich hatte dieses Leben satt, ich wollte etwas erleben und zur Schule gehen, wie jeder normale Teenager in meinem Alter, das machen würde.

Ghost of time - Zeitgeist

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