Читать книгу Essentials der Theorie U - C. Otto Scharmer - Страница 17
Soziale Felder
ОглавлениеIch wuchs auf einem 350 Jahre alten Bauernhof in der Nähe von Hamburg auf. Vor 60 Jahren beschlossen meine Eltern, die Produktionsweisen der konventionellen industriellen Landwirtschaft (Einsatz von Schädlingsbekämpfungs- und Unkrautvernichtungsmitteln sowie von Kunstdünger) aufzugeben und stattdessen nach biologisch-dynamischen Produktionsweisen zu arbeiten (Fokussierung darauf, das symbiotische Ökosystem des Hof-Organismus zu kultivieren). Jeden Sonntag nahmen meine Eltern mich, meine Schwester und meine beiden Brüder auf einen Feldgang über die Äcker unseres Hofs mit. Ab und zu machte mein Vater halt, hob einen Klumpen Erde aus der Furche, damit wir die unterschiedlichen Arten und Strukturen des Bodens erkennen lernten. Die Qualität des Bodens, erklärte er, hänge von vielen Millionen von Organismen ab, die in jedem Kubikzentimeter Erde leben und deren Arbeit notwendig sei, damit der Boden atmen und sich als lebendiger Organismus entwickeln könne.
Genauso wie bei jenen Feldgängen in meiner Jugend wird dieses Buch dich auf eine ähnliche Reise mitnehmen, auf der wir ab und zu innehalten und eine Fallgeschichte oder eine Erfahrung untersuchen, die uns die tieferliegenden Strukturen des sozialen Feldes verstehen helfen. Und genauso, wie der Biobauer komplett von der lebenden Qualität des Bodens abhängt, sind Sozialpioniere von der lebenden Qualität des sozialen Feldes abhängig. Ein soziales Feld ist nach meiner Definition Ausdruck der Qualität von Beziehungen, die zu Mustern des Denkens, Kommunizierens und Organisierens führen, die ihrerseits praktische Resultate hervorbringen.
Und genauso wenig, wie der Landwirt eine Pflanze zum schnelleren Wachstum »antreiben« kann, kann man in einer Organisation oder einer Gruppe praktische Resultate durch Verordnung erzwingen. Stattdessen muss die Aufmerksamkeit auf die Verbesserung der Bodenqualität gerichtet werden. Was ist mit der Qualität des sozialen Bodens gemeint? Sie bezieht sich auf die Qualität von Beziehungen zwischen Individuen, Teams und Institutionen, die kollektives Verhalten und praktische Resultate hervorbringen.
Im Rückblick erkenne ich, dass mein Weg in den letzten 40 Jahren eine Reise war, auf der ich soziale Felder erkundet, untersucht und »beackert« habe. Meine Eltern beackerten die Felder des Bauernhofs. Meine Kollegen und ich beackern soziale Felder. Und wenn du zufällig Manager, Führungskraft, Erzieher, Unternehmer, Künstler, Therapeut, Elternteil oder Menschenrechtler bist, ist das wahrscheinlich auch deine Rolle.
Die tieferen Erfahrungen und Ebenen des sozialen Feldes, wie sie hier beschrieben werden, sind jedem vertraut, der sich für soziale Bewegungen, Unternehmensgründungen oder Veränderungsinitiativen einsetzt. Ich selbst engagierte mich zuerst in den Umwelt-, Öko-, Antiatomkraft- und Friedensbewegungen der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre und gründete später mit einem Kreis von Weggefährten und Kolleginnen das Presencing Institute, ein weltweit agierendes Sozialunternehmen. Später im Buch werde ich auf einige dieser Erfahrungen eingehen. An dieser Stelle möchte ich deine Aufmerksamkeit nur auf die Tatsache lenken, dass keine dieser Erfahrungen einzigartig oder außergewöhnlich ist.
Im Gegenteil: Sie sind eigentlich recht gewöhnlich. Viele Menschen machen sie. Und ja, sie lassen einen wirklich »über den Tellerrand hinausschauen« – genauso, wie das Erleben des Brandes mich für einen oder zwei Augenblicke von meinem physischen Körper entfernte. Dabei erleben viele Menschen solche Dinge viel öfter, als uns bewusst ist.