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Ein Moment des Sehens
ОглавлениеKurz nachdem ich 1994 ans MIT gekommen war, sah ich eine von Peter Senge und Richard Ross, dem Mitautor von Das Fieldbook zur fünften Disziplin, moderierte Live-Videopräsentation zum Thema organisationales Lernen. Nach einer Frage aus dem Publikum ging Richard Ross zur Tafel und skizzierte das »Eisbergmodell« des Systemdenkens mit folgenden Worten:
Struktur
Prozess
Denkmodelle
Als ich diese Worte sah, wurden mir zwei Dinge klar. Zum einen, dass alle organisationale und soziale Veränderung auf verschiedenen Ebenen stattfindet. Zum anderen, dass es unter den drei auf der Tafel skizzierten Ebenen noch eine vierte Ebene geben muss. Als ich die drei Worte niederschrieb, fügte ich spontan eine vierte Ebene hinzu, die die Quelle repräsentiert. Später bezeichnete ich diese Ebene als »Presencing«.
Kurz darauf verband ich diese vier Ebenen mit dem Erscheinungsbild des Buchstaben U: Man bewegt sich auf der linken Seite des U von der Oberfläche her zum Quellpunkt und unterscheidet dabei Wahrnehmungsebenen (Projektion alter Muster, Wahrnehmung eines Gegenstandes, Wahrnehmung meines Wahrnehmungsprozesses, Intuition: Wahrnehmung und Erschließung der tieferen Quellen), und dann bewegt man sich auf der rechten Seite des U hinauf und passiert die korrespondierenden Handlungsebenen (vergegenwärtigen [envisioning], erproben [enacting], verkörpern [embodying]).
Weshalb habe ich die U-Form verwendet? Erstens wollte ich einen Prozess beschreiben, der die vier Systemebenen des Eisbergs zutage fördert. Zweitens hatte ich Jahre zuvor an zwei Stellen eine andere U-Version gesehen. Eine fand sich in der Arbeit von Friedrich Glasl, dem österreichischen Kollegen und Experten für Organisationsentwicklung und Konfliktlösung. Er benutzt in seinem Modell das U dafür, die Ebenen von Identität, Mensch und Politik zu unterscheiden vom technisch-materiellen Bereich von Organisationen. Die andere Stelle, an der das U ein Entwicklungsprinzip beschreibt, fand ich in der Arbeit des Pädagogen und sozialen Innovators des frühen 20. Jahrhunderts Rudolf Steiner. Seine Schriften waren nicht nur für mich die entscheidende Inspirationsquelle, sondern auch für Glasl. Wenn man also jemandem die Entstehung vom U-Prozess des evolutionären Denkens zuschreiben wollte, sollte dies Rudolf Steiner sein. Als radikaler sozialer Erneuerer hat Steiner einen nachhaltigen Einfluss; zu seinen institutionellen Erneuerungen zählen Waldorf-Pädagogik, biodynamische Landwirtschaft, anthroposophisch-ganzheitliche Medizin, Phänomenologie und ein innerer meditativer Weg der menschlichen Entwicklung.