Читать книгу Die böse Macht - C. S. Lewis - Страница 16
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ОглавлениеEr schien eine lange Zeit herumgestanden zu haben, ratlos, bemüht, sich natürlich zu geben und den Blick keines Fremden aufzufangen. Die Geräusche und angenehmen Düfte, die hinter der Schiebetür herkamen, zeigten an, dass die Leute dort ihr Mittagessen einnahmen. Mark zögerte, im Ungewissen über seinen Status. Schließlich sagte er sich, dass er nicht länger wie ein Trottel in der Halle herumstehen könne, und ging hinein.
Er hatte gehofft, es gebe mehrere kleine Tische, sodass er sich allein an einen von ihnen setzen konnte. Aber es gab nur eine einzige lange Tafel, die bereits so dicht besetzt war, dass er, nachdem er vergeblich nach Feverstone Ausschau gehalten hatte, sich neben einen Fremden setzen musste. »Ich nehme an, jeder setzt sich dorthin, wo er will?«, murmelte er, als er sich niederließ, doch der Fremde hörte ihn offensichtlich nicht. Er war ein geschäftiger Typ, der sehr hastig aß und gleichzeitig mit seinem Nachbarn auf der anderen Seite redete.
»Das ist es ja gerade«, sagte er. »Wie ich ihm sagte, mir ist es gleich, wie sie es regeln. Von mir aus können die IVD-Leute das Ganze übernehmen, wenn der VD es will, aber mir missfällt, dass ein Mann dafür verantwortlich sein soll, wenn die halbe Arbeit von jemand anderes getan wird. Ich habe ihm gesagt, dass er jetzt drei Abteilungsdirektoren hat, die sich nur gegenseitig auf die Füße treten und die gleiche Arbeit leisten, die ein Sachbearbeiter erledigen könnte. Es wird allmählich lächerlich. Denken Sie bloß daran, was heute Morgen passiert ist.«
Gespräche dieser Art wurden während der ganzen Mahlzeit geführt. Trotz des ausgezeichneten Essens und der hervorragenden Getränke war Mark erleichtert, als die Leute von den Tischen aufstanden. Er folgte dem allgemeinen Strom durch die Eingangshalle und kam in einen großen Gesellschaftsraum, wo Kaffee serviert wurde. Hier endlich sah er Feverstone wieder. Es wäre auch wirklich schwierig gewesen, ihn nicht zu sehen, denn er war der Mittelpunkt einer Gruppe und lachte schallend. Mark wäre gern auf ihn zugegangen, und sei es nur, um zu erfahren, ob er über Nacht bleiben solle und ob ihm ein Zimmer zugewiesen sei. Aber der Kreis um Feverstone bestand offenbar aus lauter Vertrauten, sodass Mark sich nicht einfach dazustellen wollte. Er ging zu einem der vielen Tische und blätterte in einem Hochglanzmagazin. Alle paar Sekunden blickte er auf, um zu sehen, ob es eine Gelegenheit gebe, mit Feverstone ein Wort unter vier Augen zu sprechen. Als er zum fünften Mal aufschaute, blickte er ins Gesicht eines seiner eigenen Kollegen, eines Professors vom Bracton College mit Namen William Hingest. Die Fortschrittlichen Kräfte nannten ihn unter sich Bill den Blizzard.
Hingest hatte, anders als Curry vermutet hatte, nicht an der Sitzung des Kollegiums teilgenommen. Mit Lord Feverstone sprach er kaum noch. Mark machte sich mit einer gewissen Ehrfurcht klar, dass hier ein Mann vor ihm stand, der direkte Verbindungen zum N.I.C.E. hatte – einer, der sozusagen von einem Punkt hinter Feverstone ausging. Hingest war Chemophysiker und einer der beiden Wissenschaftler am Bracton College, deren Namen auch außerhalb Englands bekannt waren. Ich hoffe, der Leser hat sich nicht zu der Annahme verleiten lassen, das Kollegium von Bracton sei eine besonders illustre Gesellschaft. Es lag gewiss nicht in der Absicht des Progressiven Elements, mittelmäßige Leute auf Lehrstühle zu berufen, aber ihre Entschlossenheit, nur »vernünftige Leute« zu wählen, engte ihre Auswahl sehr ein, und wie Busby einmal gesagt hatte: »Man kann nicht alles haben.« Bill der Blizzard hatte einen altmodisch gezwirbelten Schnurrbart, in dem das Weiß beinahe, aber noch nicht ganz, über das Gelb triumphierte, eine große Hakennase und einen kahlen Schädel.
»Welch unerwartetes Vergnügen«, sagte Mark ein wenig förmlich. Er hatte immer ein bisschen Angst vor Hingest.
»Hmm?«, brummte dieser. »Ach, Sie sind es, Studdock. Ich wusste nicht, dass man sich Ihre Dienste hier schon gesichert hat.«
»Ich habe Sie leider bei der gestrigen Sitzung des Kollegiums nicht gesehen«, sagte Mark.
Das war gelogen. Hingests Anwesenheit brachte das Progressive Element immer in Verlegenheit. Als Wissenschaftler – der einzige wirklich bedeutende Wissenschaftler, den sie hatten – gehörte er von Rechts wegen zu ihnen; aber er war eine abscheuliche Anomalie, die falsche Art von Wissenschaftler. Glossop, ein klassischer Philologe, war sein bester Freund im College. Er pflegte (was Curry »affektiert« fand) seinen eigenen bahnbrechenden Entdeckungen auf dem Gebiet der Chemie nicht viel Bedeutung beizumessen und sich viel mehr darauf zugute zu halten, ein Hingest zu sein: Sein Stammbaum reichte in nahezu mythische Zeiten zurück und war nach dem Zeugnis eines Genealogen aus dem neunzehnten Jahrhundert »niemals durch einen Verräter, Politiker oder Baron entehrt worden«. Besonderen Anstoß hatte Hingest anlässlich eines Besuchs des Herzogs von Broglie in Edgestow erregt. Der Franzose hatte seine freie Zeit ausschließlich mit Bill dem Blizzard verbracht, aber als ein übereifriger junger Dozent seine Fühler ausstreckte und wissen wollte, welches wissenschaftliche Festmahl die beiden savants denn genossen hätten, hatte Bill der Blizzard einen Augenblick überlegt und dann erwidert, dass sie auf dieses Thema gar nicht zu sprechen gekommen seien. »Wahrscheinlich«, hatte Curry hinter Hingests Rücken gespottet, »haben sie über diesen blödsinnigen Gothaischen Adelskalender geredet.«
»Wie? Was meinen Sie? Sitzung des Kollegiums?«, sagte der Blizzard. »Und worüber ist gesprochen worden?«
»Über den Verkauf des Bragdon-Waldes.« »Alles Unsinn«, knurrte der Blizzard.
»Ich hoffe, Sie hätten unserem Beschluss zugestimmt.« »Völlig einerlei, welcher Beschluss gefasst worden ist.«
»Oh!«, sagte Mark überrascht.
»Es war alles Unsinn. Das N.I.C.E. hätte den Wald in jedem Fall bekommen. Es hatte die Macht, einen Zwangsverkauf zu erwirken.«
»Sehr merkwürdig! Es sah so aus, als ginge das Institut nach Cambridge, wenn wir nicht verkauften.«
»Daran ist kein wahres Wort. Und was das Merkwürdige angeht, nun, das hängt davon ab, was Sie meinen. Es ist nichts Merkwürdiges daran, wenn das Kollegium von Bracton den ganzen Nachmittag über eine eingebildete Streitfrage diskutiert. Und es liegt nichts Merkwürdiges in der Tatsache, dass das N.I.C.E. nach Möglichkeit Bracton die Schande zuschieben möchte, das Herz Englands in eine Kreuzung zwischen einem misslungenen Wolkenkratzerhotel und einem besseren Gaswerk verwandelt zu haben. Das einzige echte Rätsel ist, warum das Institut gerade dieses Stück Land will.«
»Ich nehme an, wir werden es im weiteren Verlauf erfahren.«
»Sie vielleicht. Ich nicht.«
»Warum nicht?« fragte Mark.
»Ich habe genug«, sagte Hingest etwas leiser. »Ich reise noch heute ab. Ich weiß nicht, was Sie am College getan haben, aber wenn es was taugte, dann gebe ich Ihnen den guten Rat, zurückzugehen und dabeizubleiben.«
»Wirklich?«, sagte Mark. »Warum sagen Sie das?«
»Für einen alten Kerl wie mich spielt es keine Rolle«, sagte Hingest, »aber Ihnen könnten sie übel mitspielen. Natürlich hängt alles davon ab, wie man über die Sache denkt.«
»Um die Wahrheit zu sagen, ich habe mich noch nicht endgültig entschieden«, sagte Mark. Man hatte ihn dazu gebracht, Hingest als einen verknöcherten Reaktionär zu betrachten. »Ich weiß nicht einmal, was für eine Arbeit ich hier tun sollte, wenn ich bliebe.«
»Welches Fachgebiet haben Sie?«
»Soziologie.«
»Hm«, machte Hingest. »In diesem Fall kann ich Ihnen sagen, wem Sie unterstellt wären. Einem Burschen namens Steele. Er ist dort drüben beim Fenster, sehen Sie?«
»Vielleicht könnten Sie mich vorstellen?«
»Dann sind Sie also entschlossen zu bleiben?«
»Nun, ich denke, ich sollte wenigstens einmal mit ihm reden.«
»Von mir aus«, sagte Hingest. »Geht mich ja nichts an.« Dann fügte er mit lauter Stimme hinzu: »Steele!«
Steele wandte sich um. Er war ein großer, unfreundlicher Mann mit einem länglichen, pferdeartigen Gesicht, das nicht so recht zu den dicken, aufgeworfenen Lippen zu passen schien.
»Das ist Studdock«, sagte Hingest. »Der neue Mann für Ihre Abteilung.« Dann wandte er sich ab.
»Oh«, sagte Steele verdutzt. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Hat er gesagt, meine Abteilung?«
»Ja, das hat er gesagt«, erwiderte Mark und versuchte zu lächeln. »Aber vielleicht hat er es falsch verstanden. Ich bin Soziologe, wenn Ihnen das weiterhilft.«
»Ich bin Abteilungsleiter für Soziologie, das stimmt«, sagte Steele. »Aber ich höre Ihren Namen zum ersten Mal. Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie in dieser Abteilung arbeiten werden?«
»Nun, um die Wahrheit zu sagen«, sagte Mark, »die ganze Geschichte ist ziemlich vage. Ich hatte gerade ein Gespräch mit dem stellvertretenden Direktor, aber wir haben keine Einzelheiten besprochen.«
»Wie haben Sie es fertig gebracht, mit ihm zu sprechen?«
»Lord Feverstone hat mich vorgestellt.«
Steele pfiff leise durch die Zähne. »He, Cosser!«, rief er einem sommersprossigen Mann zu, der gerade vorbeiging. »Hören Sie sich das an. Feverstone hat gerade diesen Burschen auf unsere Abteilung abgeladen. Hat ihn gleich zum VD geführt, ohne mir ein Wort davon zu sagen. Wie finden Sie das?«
»Das ist die Höhe!«, sagte Cosser, der Mark kaum eines Blickes würdigte, aber Steele unverwandt anblickte.
»Tut mir Leid«, sagte Mark ein wenig lauter und förmlicher als bisher. »Kein Grund zur Beunruhigung. Anscheinend hat mich jemand für die falsche Position vorgeschlagen. Da muss wohl ein Missverständnis vorliegen. Außerdem bin ich vorläufig nur hier, um mich umzusehen. Ich bin keineswegs sicher, ob ich bleiben werde.«
Keiner der beiden anderen schenkte dieser letzten Bemerkung auch nur die geringste Beachtung.
»Das sieht Feverstone wieder mal ähnlich«, sagte Cosser zu Steele.
Steele wandte sich zu Mark. »Ich würde Ihnen raten, nicht allzu viel darauf zu geben, was Lord Feverstone hier sagt«, meinte er. »Das geht ihn nämlich überhaupt nichts an.«
»Ich will mich keineswegs«, sagte Mark und wurde puterrot, »auf eine falsche Stelle setzen lassen. Ich bin nur hier, um mir einen Überblick zu verschaffen. Es ist mir ziemlich gleichgültig, ob ich für das Institut arbeite oder nicht.«
»Wissen Sie«, sagte Steele zu Cosser, »in unserer Mannschaft ist gar kein Platz für einen weiteren Mann – schon gar nicht für einen, der den Betrieb nicht kennt.«
»Stimmt«, sagte Cosser.
»Mr. Studdock, glaube ich«, sagte eine neue Stimme neben Mark, eine Fistelstimme, die nicht zu dem Berg von Mann passen wollte, den Mark sah, als er den Kopf wandte. Er erkannte den Sprecher sofort. Das dunkle, glatte Gesicht und die schwarzen Haare waren so unverkennbar wie der ausländische Akzent. Es war Professor Filostrato, der bekannte Physiologe, der bei einem Abendessen vor zwei Jahren Marks Tischnachbar gewesen war. Er war fett in einem Maße, das auf der Bühne komisch gewirkt hätte, an dem aber im wirklichen Leben nichts Lustiges war. Mark fühlte sich geschmeichelt, dass ein so bekannter Mann sich seiner erinnerte.
»Es freut mich sehr, dass Sie sich uns anschließen wollen«, sagte Filostrato, nahm Mark beim Arm und zog ihn sanft mit sich, fort von Steele und Cosser.
»Um Ihnen die Wahrheit zu sagen«, sagte Mark, »ich bin mir keineswegs schlüssig, ob ich bleiben werde. Feverstone hat mich mitgebracht, aber er ist verschwunden, und Steele – anscheinend wäre ich für seine Abteilung vorgesehen – scheint überhaupt nichts von mir zu wissen.«
»Ach, Steele!«, sagte der Professor. »Alles halb so wild. Er plustert sich bloß auf. Eines Tages werden wir ihm den Kopf zurechtsetzen. Vielleicht werden Sie derjenige sein, der es tut. Ich habe alle Ihre Arbeiten gelesen, si, si. Machen Sie sich seinetwegen keine Gedanken.«
»Ich lasse mich sehr ungern auf einen falschen Stuhl set-zen …«, begann Mark.
»Hören Sie zu, mein Freund«, unterbrach ihn Filostrato. »Sie müssen sich solche Gedanken aus dem Kopf schlagen. Machen Sie sich vor allem klar, dass das Institut eine ernsthafte Angelegenheit ist. Nichts Geringeres als der Fortbestand der menschlichen Rasse hängt von unserer Arbeit ab: unserer wirklichen Arbeit, verstehen Sie? Unter dieser canaglia, diesem Pöbel gibt es immer Reibereien und Unverschämtheiten. Sie verdienen sowenig Beachtung wie die Abneigung gegen einen Waffengefährten, wenn die Schlacht ihren Höhepunkt erreicht hat.«
»Solange ich eine Arbeit habe, die der Mühe wert ist«, sagte Mark, »lasse ich mich von solchen Dingen nicht stören.«
»Ja, ja, das ist gut so. Und unsere Arbeit hier ist wichtiger, als Sie momentan verstehen können. Sie werden sehen. Diese Steeles und Feverstones – sie sind unwichtig. Solange Sie mit dem stellvertretenden Direktor gut stehen, können Sie auf die anderen pfeifen. Hören Sie auf keinen als auf ihn, verstehen Sie? Ach ja – und da ist noch etwas. Machen Sie sich die Fee nicht zur Feindin. Alle anderen brauchen Sie nicht ernst zu nehmen.«
»Die Fee?«
»Ja. Sie wird hier so genannt. O mein Gott, eine schreckliche Inglesaccia! Sie ist die Chefin unserer Polizei, der Institutspolizei. Ecco, da kommt sie. Ich werde Sie vorstellen. Miss Hardcastle, gestatten Sie, dass ich Ihnen Mr. Studdock vorstelle.«
Mark zuckte unter dem Händedruck – kräftig wie der eines Heizers oder Fuhrmanns – eines mächtigen Weibes in schwarzer Uniform mit kurzem Rock zusammen. Trotz ihres Busens, der einer viktorianischen Bardame Ehre gemacht hätte, war sie eher stämmig als fett, und ihr eisengraues Haar war kurz geschnitten. Sie hatte ein kantiges, strenges, bleiches Gesicht und eine tiefe Stimme. Als einziges Zugeständnis an die Mode hatte sie in gewaltsamer Missachtung der wirklichen Form ihres Mundes ein wenig Lippenstift mehr aufgeschmiert als aufgelegt, und zwischen ihren Zähnen rollte oder kaute sie einen langen schwarzen, nicht angezündeten Stumpen. Wenn sie sprach, nahm sie den Stumpen aus dem Mund, blickte angestrengt auf die Mischung von Lippenstift und Speichel am zerkauten Ende und klemmte ihn dann fester als zuvor zwischen die Zähne. Sie setzte sich ohne Umschweife in einen Sessel, schwang das rechte Bein über eine Armlehne und fixierte Mark mit einem Blick kalter Vertraulichkeit.