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Ungeladene Tischgenossin – die Wespe

Sommer, Grillzeit, wir machen es uns mit Freunden im Garten gemütlich. Das Fleisch auf dem Grill brutzelt, süßer Eistee in beschlagenen Kannen und ein leckerer Nachtisch stehen bereit. Doch die Gemütlichkeit währt nicht lange. Schon bald geht es los: Attacke der Wespen! Die gelb-schwarzen Biester stürzen sich auf alles, was wir essen und trinken wollen – und sie greifen auch uns an.

Nur zwei von vielen

Die Wespen, die wir kennen, sind gelb-schwarz gestreift, besitzen die nach ihnen benannte Taille, ernähren sich von Süßem, aber auch Fleisch, leben in Staaten und bauen Nester für Tausende Bewohner. Doch diese Wespen, die wir als lästige Quälgeister fürchten, sind genau zwei von einigen Hundert Arten in Deutschland, nämlich die Gemeine Wespe und die Deutsche Wespe. Viele Wespen sehen ganz anders aus, leben als Einzelgänger oder haben mit Nestbau nichts am Hut.

Der Wespenlook

Die Gemeine und die Deutsche Wespe setzen auf Warnfärbung. Ihre gelb-schwarzen Streifen signalisieren potenziellen Fressfeinden: Achtung! Ich kann mich wehren! Ich bin ungenießbar oder gar giftig! Ob Vogel oder anderes Insekt – wer einmal in einen übel schmeckenden, giftigen, gelb-schwarzen Sechsbeiner gebissen hat oder von ihm attackiert wurde, macht in Zukunft einen weiten Bogen um diese Farben. Dies funktioniert so gut, dass andere Insekten, die vollkommen harmlos sind, im Laufe der Evolution die gelb-schwarze Färbung angenommen haben und dadurch vor Feinden sicherer sind.

Wespe trägt Wespentaille (zumindest die beiden Arten tragen sie). Die enge Einschnürung des Insektenleibes ist namensgebend für eine Mode: Zu verschiedenen Zeiten war die Wespentaille erklärtes Ziel vieler Frauen, die sich mit einem Korsett oder durch sonstige feste Schnürungen kasteiten. Im extremsten Fall ließen und lassen sich Frauen auch heute noch die unteren Rippenpaare chirurgisch entfernen. Die radikalen Schnürungen beeinflussen Atmung, Verdauung und Kreislauf, es kann zu Beklemmungen, Kurzatmigkeit, Störungen des Blutkreislaufs, Herzklopfen und Ohnmachten und sogar zu Hysterie und Melancholie kommen, außerdem auf lange Sicht zu Schäden der Organe – ein typischer Fall ist die sogenannte Schnürleber.

Wespenvielfalt

Goldwespen schillern metallisch in kräftigen Farben. Ihre Körperhülle ist sehr kräftig und ihr Hinterleib oben konvex und unten konkav. So können sie sich zu ihrem Schutz fast kugelig zusammenrollen. Sie legen ihre Eier in die Nester von solitären, also allein lebenden, nestbauenden Bienen und Wespen. Es gibt so interessante Arten wie die Feuergoldwespe, die Schneckenhaus-Goldwespe oder, eine besonders schelmische Farbkombination, die Rosa Goldwespe.

Trugameisen sind Wespenarten, deren Weibchen Ameisen ähneln. Die Männchen sind mindestens doppelt so groß wie die Weibchen und haben im Gegensatz zu diesen Flügel. Sind die Männchen paarungsbereit, packen sie sich jeweils ein Weibchen und fliegen mit ihm in passende Lebensräume.

Die Knotenwespen tragen ihren Namen, weil ihr Hinterleib in regelmäßigen Abständen eingeschnürt ist. Sie gehören zu den Grabwespen, die ihre Nester in den Sand am Boden bauen, indem sie ihn mithilfe ihres Hinterleibs nach oben schieben.

Wegwespen sind schlank, langbeinig und meist schwarz mit rotbraunen Bereichen am vorderen Hinterleib. Sie leben solitär und fangen für ihre Larven jeweils eine Spinne, lähmen diese durch einen Stich und ziehen sie in die Nähe ihres zukünftigen Nestes. Dort wird sie häufig versteckt und gegebenenfalls erneut betäubt, bis der Nestbau beendet ist. Als Nest dienen hohle Pflanzenstängel, Wohnhöhlen von Spinnen oder eine Zelle, die die Wespe aus Lehm selbst baut.

Schleckermaul und Fleischfresser

Warum eigentlich fressen Wespen sowohl die Sahne von unserem Kuchen als auch das Fleisch bei unserem Grillfest? Man würde eher vermuten, dass sie entweder Süßes oder Herzhaftes mögen. Grund ist, dass sie sowohl sich selbst ernähren müssen als auch ihren Nachwuchs.

Die Wespe selbst frisst Süßes, also Kohlenhydrate. Schlagsahne findet sie normalerweise nicht in der Natur, sie hält sich an Blütennektar, reife Früchte und die Exkremente anderer Insekten, die süß schmecken (etwa den Honigtau der Blattläuse). Besonders im Herbst gilt es, die Jungköniginnen mit viel zuckerreicher Nahrung zu versorgen. Da diese als einzige des Volkes überleben und somit seinen Fortbestand sichern, sind die Wespen dann ganz besonders hinter Zucker her.

Fleisch, also Eiweiße, sammelt die Wespe als Nahrung für ihre Brut. Sie jagt Insekten oder Spinnen. Die erwachsenen Tiere füttern ihren Nachwuchs mit zerkautem Fleisch. Die Wespen, die an unserem Grillfleisch knabbern, sparen sich durch ihren Besuch an unserem Esstisch also die Anstrengungen der Jagd.

Baumeister

Die Deutsche und die Gemeine Wespe leben in großen Nestern, die, ähnlich wie bei den Ameisen und Bienen, hervorragend organisiert sind. Sie sind großartige Architekten und Handwerker, kennen sich aus mit Dämmung und Klimamanagement, nutzen ein ungewöhnliches Material und bauen so das perfekte „Haus“ für ihr Volk. Doch nicht alle Wespen leben so.

Architekten, Handwerker und Bewohner

Den Nestbau beginnt die Königin alleine, nachdem sie dank steigender Temperaturen im Frühling aus ihrer Winterstarre erwacht ist. Sie legt erste Eier, aus denen Arbeiterinnen schlüpfen. Diese kümmern sich weiter um den Nestbau, sodass sich die Königin wieder ganz der Eiablage widmen kann.

Im Sommer werden Männchen und die nächste Generation von Königinnen aufgezogen. Im August, wenn das Nest die meisten Bewohner beherbergt, beginnt das große Sterben. Durch Nahrungsmangel und sinkende Temperaturen verendet das gesamte Volk außer den Jungköniginnen, die im Herbst nach ihrer Befruchtung einen Platz zum Überwintern suchen. Obwohl aus einem Volk mehrere Jungköniginnen hervorgehen, gründen nur wenige im nächsten Jahr ein neues Volk, denn nur eine von zehn überlebt den Winter.

Material

Das bräunliche Gebilde, das bei uns im Dachboden an der Decke hängt, ist nur eine Variante der vielfältigen Nestkonstruktionen verschiedener Wespenarten. Für ihren Nestbau suchen sich die Gemeine und Deutsche Wespe dunkle Hohlräume, gerne in der Erde, etwa in bereits vorhandenen Mäusegängen oder Maulwurfbauten. Doch werden auch Rollladenkästen oder Vertiefungen auf Dachböden genutzt. Das Nest selbst besteht aus einer Art Papierhülle, die die Insekten aus zerkauten und eingespeichelten Holz- oder Pflanzenfasern herstellen. Die Beobachtung von Wespen beim Nestbau soll René Antoine Ferchault de Réaumur zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf die Idee gebracht haben, Papier aus Holz statt bisher aus Lumpen herzustellen.

Viele Menschen fürchten sich vor Wespennestern und lassen sie entfernen. Doch trifft dies häufig Wespen, die uns überhaupt nicht lästig werden – mit verheerenden Konsequenzen für die Wespenvielfalt.


Das Baumaterial wird eng übereinandergelegt, ist papierdünn und besteht aus helleren und dunkleren Schichten.

Dämmung und Klimamanagement

Die Papier-Ummantelung dient nicht nur dem Schutz, der Raumgestaltung und der Stabilität des Nestes, sondern auch seiner Dämmung. Zunächst wird das Nest mehrlagig eingepackt. Da sich zwischen den Lagen Luft befindet, wirkt dies wärmeisolierend. Wer sich ein Wespennest genauer ansieht, erkennt auf seiner Außenseite eine Art Muschelmuster. Es entsteht durch regelmäßige Schichten mit Lufteinschlüssen, die der Isolierung gegen Frost oder Hitze dienen. Aber nicht nur durch die Bauweise sorgen die Wespen für ein gutes Klima. Die Temperatur im Nest wird im Bereich der Brut strengstens reguliert. Bei Hitze geschieht das durch Wasser, das die Wespen in kleinen Tröpfchen verteilen und mit ihren Flügeln befächern, sodass es verdunstet. Bei Kälte reicht meist der Stoffwechsel der Bewohner aus, um den Stock warm zu halten.

Alternative Lebensweisen

Viele Wespen leben anders als die uns bekannten. So gibt es Wespenarten, die keine Staaten bilden, sondern alleine (solitär) leben. Für ihre Nester nutzen sie vorhandene Vertiefungen in Steinen, Löcher in Holz, Boden oder Stängeln und sogar leere Schneckenhäuser oder sie fertigen sich ihren Unterschlupf aus Lehm und Erde an. Sie konstruieren einzelne Brutkammern für jeweils ein Ei. Zu jedem Ei legen sie Proviant in Form betäubter Spinnen oder Insekten für die Larve.

Eine Besonderheit ist die Gallwespe. Sie ist auf bestimmte Pflanzen spezialisiert, auf die sie ihre Eier ablegt. Die Pflanze bildet um das Ei herum eine Hülle, die sogenannte Galle. Das Gewebe dieser Galle dient später der geschlüpften Larve als Nahrung.

Andere Wespen wiederum bauen nicht selbst, sondern nutzen die Nester, den Vorrat und zuweilen die Arbeitskraft anderer Insekten für den eigenen Nachwuchs. Manche dieser Wespen platzieren ihre Eier in fremde Nester, wo sich die Larven von der vorhandenen Verpflegung oder von den „einheimischen“ Larven ernähren. Es gibt auch Wespen, die ihr Ei auf oder in ein anderes Tier legen, das später von der Larve gefressen wird.



Eine Fliege ist zur Beute der Wespe geworden.

Giftmischerin

Wespen können, im Gegensatz zu Bienen, mehrfach zustechen, denn sie ziehen ihren Stachel trotz vorhandener Widerhaken aus dem Fleisch wie das Messer aus der Butter. Bei jedem Stich spritzen sie ihr Gift in unseren Körper. Ihr Stachel ist mit einer Giftblase verbunden, deren Inhalt sowohl der Verteidigung als auch der Betäubung von Nahrung dient.

Das Gift der Wespe ist zwar für Allergiker gefährlich – der Rest der Menschheit muss sich aber kaum fürchten. Es sei denn, man verschluckt eine Wespe, denn dann sticht das Tier in Panik zu. Diese Stiche können anschwellen und zur Erstickung führen.

Nützlinge

Da Wespen Eiweiß benötigen, jagen sie alle möglichen anderen Insekten, darunter auch viele Schädlinge in unseren Gärten. Verschiedene Fliegen, Spinnen, Raupen und Heuschrecken stehen ebenso auf ihrem Speiseplan wie Baumschädlinge, was die Förster ganz besonders freut. Zudem bestäuben sie Blütenpflanzen, wenn sie auf der Suche nach etwas Süßem sind. Feind der Wespe ist übrigens ihre größte Verwandte, die Hornisse, die unter Naturschutz steht.

Party für alle

Was tun, wenn wir draußen in Ruhe feiern wollen? Vermeiden sollte man bunt-grelle Kleidung und starke Parfüms, denn beides wirkt auf Wespen anziehend. Und nie eine Wespe anhauchen! Sie reagiert sehr negativ auf Kohlendioxid, das für sie ein Alarmsignal ist! Die nützlichen Tiere sollten aber auch kein qualvolles Ende in einer Wespenfalle finden. Die Lösung könnte Ablenkung sein: Wenn überreife, zerteilte Weintrauben in einigen Metern Entfernung stehen, feiern Sie und die nützlichen Wespen zeitgleich ungestört eine Party.

R. K.

Unbekannte Mitbewohner

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