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Staubliebende
Bettgenossin –
die Milbe

Sie sind überall, wirklich überall. Sie tummeln sich auf dem Hund, im Gartenteich, auf Pflanzen, Vögeln, Insekten und unserem Gesicht, in Betten und Büchern und und und. Milben sind nicht nur Weltbürger, sie sind quasi Überallbürger. Sie besiedeln fast alle Lebensräume, außer dem Hochgebirge, dem arktischen Raum und den Wüsten – aber vielleicht hat man sie dort nur noch nicht entdeckt? Spannend, aber auch erschreckend und vielleicht unappetitlich. Denn zu 99 Prozent bemerken wir ihre Anwesenheit überhaupt nicht. Das eine Prozent aber, das hat es in sich.

Die Milbe an sich

Bei den Milben, die weltweit unterwegs sind, handelt es sich um Spinnentiere, denn sie laufen auf acht Beinen herum. Sie sind so winzig, dass wir sie häufig nicht sehen können. Die kleinsten sind nur 0,1 Millimeter groß. Mit drei Zentimetern wird das vollgesogene Zeckenweibchen am größten. Es gibt nicht nur unglaublich viele Arten (mehr als 30.000 sind bekannt), sondern sie sind auch sehr vielseitig. Sie leben unter sehr verschiedenen Bedingungen und ernähren sich sehr unterschiedlich. Die Haarbalgmilben zum Beispiel leben nahe dem oder am Menschen. Jeder von uns beherbergt sie am Grunde seiner Wimpern und in den Talgdrüsen des Gesichtes. Es gibt Parasiten, die Mensch oder Tier befallen, wie die Rote Vogelmilbe, die unter anderem an Tauben und Hühnern saugt. Die Mehl- oder Modermilben wiederum lieben Lebensmittel. Milben sind unentbehrlich beim Aufleben und Vergehen der Natur, etwa bei der Zersetzung von Laub. Unter günstigen Bedingungen können sich bis zu 100.000 Milben in einem Quadratmeter Erde finden. Die Liste könnte man fast endlos fortsetzen, da die winzigen Lebewesen an vielen Vorgängen in der Natur beteiligt sind, ohne dass wir es bemerken. Aber hier geht es ja darum, welche Milben uns im Alltag begegnen, und das sind vor allem drei: die Hausstaubmilbe, die Grasmilbe und indirekt die Varroa-Milbe.

Kleine Helfer

Raubmilben sind Nützlinge, die gezielt gegen Schädlinge eingesetzt werden. Sie helfen in der Landwirtschaft, im Garten, aber auch im Weinbau. Man kann sie direkt im Versand bestellen und sich auf dem Postweg zusenden lassen. Sie sind sofort einsatzbereit, wir können sie gezielt an die Arbeit schicken, etwa gegen Spinnmilben. Diese hartnäckigen kleinen Schädlinge, von denen mehr als tausend Arten unsere Pflanzen anzapfen, sind nur schwer loszubekommen. Nun schlägt die Stunde der Raubmilbe Phytoseiulus persimilis. Einmal losgelassen, steuert sie gezielt Spinnmilben an, die sie aussaugt. Ihr Hunger ist enorm, sie erledigt täglich etwa fünf ausgewachsene Tiere, kann aber auch circa 20 Eier oder Jungtiere töten. Und keine Angst: Wenn sie alle Spinnmilben beseitigt hat, stirbt die Raubmilbe wegen mangelnder Nahrung.

Hatschi! – die Hausstaubmilbe

Man will es eigentlich gar nicht so genau wissen, aber in fast jedem Bett auf der ganzen Welt leben Hausstaubmilben im Bettzeug, in den Matratzen und auch in den geliebten Kuscheltieren. Machen es sich Hausstaubmilben in unseren Betten behaglich, dann nennt man sie Bettmilben. Sie lieben ein kuscheliges Klima um die 25 °C und 75 Prozent Luftfeuchtigkeit. Da sind Betten vorzügliche Quartiere, denn hier finden sie die nötige Wärme, Feuchtigkeit und auch noch Nahrung. Zudem können sie sich hier gut in die Dunkelheit zurückziehen – Milben sind lichtscheue Geschöpfe.

Wer Bettmilben in der Wohnung hat, der muss sich nicht schämen. Sie sind kein Zeichen für eine mangelnde Hygiene wie etwa die Krätzmilbe (von der wir hier nicht erzählen werden). Sie leben fast nur in Häusern, denn die Hausstaubmilbe soll in der Natur gar nicht mehr überlebensfähig sein. Sie hat sich unserem Lebensraum so sehr angepasst, dass sie höchstens noch in Vogelnestern überleben kann.

Bettmilben ernähren sich unter anderem von Hautschuppen, von denen jeder erwachsene Mensch etwa 1,5 Gramm täglich verliert. Dies reicht locker für 100.000 Bettmilben. Weiterhin fressen sie organisches Material wie Schimmelpilze, Tiergewebe und Mehlprodukte. Und wenn kein Bett zur Verfügung steht, dann lässt es sich auch gut in Teppichen, Polstermöbeln oder Büchern wohnen …

Bettmilben sind winzig, nur 0,2–0,4 Millimeter groß, und können bis zu 120 Tage alt werden. Da das Weibchen täglich ein Ei legen kann, vermehren sie sich explosionsartig. Die meisten Exemplare der Hausstaubmilben findet man vom Spätsommer bis in den Herbst.

Bettmilben sind eigentlich nicht gefährlich, wir merken normalerweise nicht, dass sie uns so nahe sind. Doch es kann passieren, dass eine Allergie auftritt – nicht auf die Spinnentierchen selbst, sondern auf ihre winzigen Kotkügelchen. Diese finden sich im Staub, besonders im Schlafzimmerstaub. Im Winter, während der Heizsaison, überleben nur wenige Milben – doch ihre Kotkugeln sind häufig im Raum vorhanden und werden durch Luftwirbel verteilt. Staubsaugen ist dann etwas nur für den wagemutigen Allergiker, denn ohne speziellen Mikrofilter verteilen sich die Kotkügelchen mit Düsenantrieb im Zimmer und können zu schlimmen Allergieattacken führen.

Juckreiz pur – die Herbstmilbe

Ab August sind sie wieder auf Nahrungssuche: Herbstmilben. Umgangssprachlich nennen wir sie auch Grasmilben. Oft wird sie auch als Erntemilbe, Heumilbe oder Herbstgrasmilbe bezeichnet. (Die „echte“ Grasmilbe ist kleiner als unsere Herbstmilbe. Sie beißt zwar ebenfalls, aber ihr Biss juckt nicht so stark.) Der Herbst (lat. autumnus) steckt auch in ihrem wissenschaftlichen Namen Neotrombicula autumnalis.

Verdruss und Juckreiz bereiten uns die Larven der Herbstmilbe. Nachdem sie aus den Eiern, die die Milbenweibchen unterirdisch und in Massen (bis zu 400 Eier) gelegt haben, geschlüpft sind, kommen sie an die Erdoberfläche und suchen nach Nahrung. Dafür erklimmen sie die Spitzen von Grashalmen und anderen Pflanzen und warten auf vorbeikommende Tiere – gerne auch Menschen. Einmal unabsichtlich mitgenommen, sucht die Larve eine feuchte und warme Stelle mit weicher, dünner Haut. Sie ritzt sie an und spritzt ihren Speichel in das Gewebe, das sich auflöst und von der Larve aufgesaugt wird. Wir merken zunächst nichts davon, und die Larve, die nun dreimal so groß sein kann wie zuvor, fällt von unserem Körper ab. Bei Tieren kann sie bis zu sechs Tage an ihrem Wirt hängen, am Menschen meist nur bis zu acht Stunden.


Wenn man Pech hat, lauert sie hier: die Gras- oder Herbstmilbe.

Wir stellen erst einige Stunden oder gar ein paar Tage später fest, dass wir Besuch hatten. Dann quälen uns Rötungen und Quaddeln, die unerträglich jucken: Wir haben die Stachelbeerkrankheit, auch Erntekrätze oder Beiße genannt.

In den letzten Jahrzehnten häufen sich die Berichte über Grasmilbenstiche. Warum, ist nicht ganz klar. Ist es die Klimaerwärmung, die in milderen Wintern mehr Milben überleben lässt? Genießen mehr Menschen ihre Freizeit draußen? Werden Gärten und Parks anders gepflegt, mit anderen oder weniger Chemikalien bearbeitet?

Die Bienentöter

Varroa destructor – hier ist der Name Programm, bedeutet doch das lateinische Wort destructor Zerstörer. Die winzige Milbe stammt ursprünglich aus Südostasien und parasitiert Honigbienen. In ihrer Heimat, in der acht der weltweit neun Honigbienenarten leben, passiert nichts Dramatisches. Die Honigbienen Asiens kommen mit den kleinen Spinnentierchen gut zurecht, sie können die Eindringlinge in ihrem Stock kontrollieren. Leider kann die neunte, unsere Europäische oder Westliche Honigbiene, dies nicht.

Hätte es nicht die Globalisierung gegeben wären sich Varroa-Milbe und Westliche Honigbiene nie begegnet. Da der Honigertrag der Östlichen Honigbiene eher gering ist, entschloss man sich Mitte des 19. Jahrhunderts, die sehr viel produktivere Westliche Honigbiene in den Osten zu exportieren. Irgendwann entdeckte die Milbe sie als neuen Wirt und verbreitete sich mit der Westlichen Honigbiene zunächst in Asien und später fast auf der ganzen Welt. Ihr Weg ist von Russland ab den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts über Deutschland (1977) bis nach Neuseeland (2003) zu verfolgen. So kam sie überall hin – überall? Nicht ganz, denn Australien ist aufgrund strenger Einfuhrbestimmungen noch Varroa-freie Zone.


Varroa-Milben auf einer Biene und einer Bienenlarve

Was macht diese Milbe so verheerend? Ihr oberstes Ziel ist es, in die Brutzellen zu gelangen. Dahin reist sie auf dem Körper erwachsener Bienen. Einmal angekommen, sticht sie ein Loch in eine verpuppte Bienenlarve und legt dann Eier in die Brutzelle, also nicht in die angebohrte Larve. Nach nur sechs Tagen schlüpfen eine männliche und vier bis fünf weibliche Milbenlarven. Diese saugen durch das vorgefertigte Loch an der verpuppten Bienenlarve. Schließlich begattet das Männchen seine Schwestern und stirbt dann noch in der Brutzelle. Schlüpft die Biene, dann hängen die Milbenweibchen schon an ihr dran. Die Biene ist jedoch häufig geschwächt und missgebildet, lebt kürzer und besitzt, falls es ein Männchen, eine sogenannte Drohne, ist, weniger Sperma. So wird ein Bienenvolk nach und nach immer schwächer, bis es schließlich stirbt. Hinzu kommt noch, dass die Varroa-Milben Viren übertragen können, die die Bienen ebenfalls schwächen oder töten.

Es wurden viele Versuche unternommen, die Varroa-Milben zu bekämpfen. Nach dem Einsatz chemischer Substanzen, der nur kurzzeitig zu einem Rückgang führte, forschen Wissenschaftler jetzt an milbenresistenten Honigbienen. Vorbild sind hier die Honigbienen aus Asien, die mit den Milben in Einklang leben. So schließt sich der Kreis, der nie entstanden wäre, hätte man die Bienen dort gelassen, wo sie ursprünglich waren.

Der lebendigste Käse der Welt

So lautet der Werbespruch für den Würchwitzer Milbenkäse. Ja, Milbenkäse. Das ist kein Witz! Der Käse reift mithilfe von Milben, weshalb die Käsemilbe als Nutztier angesehen wird – wie die Kuh – auch das kein Witz.

Der Würchwitzer Käse wird durch die Zugabe von Käsemilben zu getrocknetem Magerquark hergestellt. Durch ihre Verdauungsenzyme fermentiert der Quark und in drei bis sechs Monaten entsteht ein Käse, den Kenner sehr zu schätzen wissen. Milbenkäse wird auch in Belgien und Spanien produziert. In Frankreich, im Mutterland der Käsekultur, heißt er Mimolette.


R. K.

Unbekannte Mitbewohner

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