Читать книгу Unbekannte Mitbewohner - Carina Heberer - Страница 11
ОглавлениеBlutrünstiger
Übernachtungsgast –
die Stechmücke
Manche Mücken mögen Menschen. Das weiß jeder, der nachts schon einmal von dem Sirren einer sich nähernden Mücke erwacht ist. Das unangenehme, hohe Geräusch entsteht durch die Bewegung der Flügel und spiegelt sich in dem lateinischen Namen der häufigen Stechmückenart Culex pipiens wider, der übersetzt „piepende Mücke“ heißt. Der eigentliche deutsche Artname lautet Gemeine Stechmücke, wobei „gemein“ in seinem ursprünglichen Sinn von „gewöhnlich“ zu verstehen ist. Allerdings fällt es mitunter schwer, dies nicht im Sinne von „heimtückisch“ zu verstehen, denn aus unserer Sicht geht es in dieser unheilvollen Beziehung nicht primär ums Piepen, sondern vor allem ums Piksen.
Frauen unter sich
Mücken haben es bekanntlich auf unser Blut abgesehen. Statistisch betrachtet treffen die schmerzhaften Stiche Frauen häufiger als Männer. Das liegt wahrscheinlich am weiblichen Hormonhaushalt und damit verbunden einem aus Mückensicht attraktiveren Körpergeruch. Überhaupt sind die Frauen beim Mücken-Meeting ziemlich unter sich, denn es sind ausschließlich die Mückenweibchen, die nach der Begattung als Mini-Vampire agieren. Sie benötigen die Bluteiweiße für die Entwicklung der Eier. Mithilfe ihrer Antennen können sie ihr zukünftiges Opfer gezielt orten: Sie riechen das Kohlendioxid der ausgeatmeten Luft, die Butter- und Milchsäuren im Schweiß, die Carbonsäure in Stinkesocken, und sie nehmen, sobald sie sich genähert haben, die Wärme und Feuchtigkeit des menschlichen Körpers wahr.
Mahlzeit, Mücke!
Madame Mücke besitzt einen ausgeklügelten Stechapparat, der aus einem Bündel langer, dünner Stechborsten besteht. Zwei davon erinnern mit ihren gesägten Rändern an Stilette und dienen dem Durchbohren der Haut sowie der Wand der Blutgefäße. Die übrigen bilden eine Art Röhre mit zwei Leitungsbahnen. Durch die eine wird das Blut nach oben gesogen, durch die andere wird Speichel abgesondert. Dieser enthält einen Cocktail gerinnungshemmender Stoffe, die verhindern, dass das Blut verklumpt und den Stechapparat verstopft. Zudem werden die feinsten Blutgefäße, die sogenannten Haargefäße, an der Einstichstelle erweitert, um schneller an den Lebenssaft zu gelangen. Denn die Mücke muss Zeit sparen, wo es nur geht: Allein das Einsägen in die Haut kann bis zu einer knappen Minute dauern, bis zur Sättigung vergehen weitere drei Minuten. Dabei werden maximal 0,01 Milliliter Blut aufgenommen. Unser Körper wehrt sich gegen die eingeschleusten Fremdeiweiße und schüttet Histamin, einen Gewebsbotenstoff, aus. Dieses bewirkt die Rötung der Haut, erweitert die Gefäße und lässt Lymphe ins Gewebe ausströmen, sodass eine Schwellung entsteht. Wahrscheinlich aktiviert das Histamin freie Nervenendigungen, die daraufhin an das Zentralnervensystem feuern, wo die Meldung als Juckreiz verbucht wird.
Bechern für die Babys
Mückenmusik
Was auf uns Menschen abschreckend wirkt, finden Mückenmännchen äußerst anziehend, denn sie werden von den weiblichen Schallwellen magisch angezogen. Ihren mit je 30.000 Sinneszellen ausgestatteten Antennen, die Flaschenbürsten ähneln, entgeht keine Mücken-Melodie. Sie können selbst kleinste Schwingungen registrieren, die die Antennen nur um wenige Millionstel Millimeter bewegen. Männchen ernähren sich je nach Art von Pflanzensäften oder fasten für den Rest ihres Lebens. In der Paarungszeit bilden sie Tanzschwärme. Nähert sich ein Weibchen, wird es anhand seines Flugtons sofort identifiziert. Auch Liebesduette sind nachgewiesen: So gleichen Männchen und Weibchen der Gelbfiebermücke ihre Frequenzen unmittelbar vor der Paarung aneinander an.
Hochfrequente Vertreibung
Die Empfindlichkeit der Mücken für bestimmte Töne rief einige private Radiosender auf den Plan. Sie versprachen ihrer Hörerschaft, einen speziellen Anti-Mücken-Ton zu übertragen, der der Frequenz eines begatteten Mückenweibchens entspreche, für das menschliche Ohr angeblich nicht hörbar sei und andere begattete Mücken im Umkreis des Radios in Schach hielte. So warb der österreichische Sender Kronehit mit einem Anti-Gelsen-Ton, denn Mücken heißen dort Gelsen. Doch ganz gleich ob Gelse oder Mücke – die Weibchen lassen sich nachweislich nicht von begatteten Geschlechtsgenossinnen beeindrucken. Zudem ergab eine Überprüfung, dass der versprochene Ton gar nicht messbar im Radiolautsprecher ankommt. Es bleibt ungewiss, wie viele Menschen im festen Glauben an die Echtheit des Versprechens ungeschützt vorm Radio saßen und dies buchstäblich mit Blut bezahlten.
Auftakt im Wasser
Das Leben aller Stechmücken beginnt im Wasser. In puncto Eiablageplatz gibt es je nach Art unterschiedliche Vorlieben. So legen beispielsweise die Weibchen der Rheinschnake ihre Eier oberhalb eines Gewässers ab, sodass diese beim nächsten Regen ins Wasser gespült werden. Daher rühren die Massenvermehrungen nach starken Regenfällen. Bei anderen Arten werden die Eier einzeln auf die Wasseroberfläche gelegt oder aber im Verbund als winzige Schiffchen zu Wasser gelassen. Hierbei sind die schmalen Enden der Eier wasserabweisend, sodass sie nach oben zeigen und die Eier auf dem Wasser stehen.
Einige Mücken sind, was die Wassermenge angeht, nicht anspruchsvoll. Schon ein Kleinstgewässer wie ein weggeworfener Kaffeebecher oder die Vase auf dem Friedhof genügt.
Larven- und Puppenzeit
Mücken machen wie Fliegen eine vollständige Verwandlung durch. Sie sind also zunächst Larven, verpuppen sich dann und schlüpfen schließlich als fertiges Insekt.
Mückenlarven haben eine wurmähnliche Gestalt mit einem deutlich abgegrenzten Kopf und einem kurzen Brustbereich. Meist genügt ein Blick in Regentonne oder Vogeltränke, um sie zu entdecken. Hier winden sich die Larven wurmartig durchs Wasser oder hängen an der Wasseroberfläche, wo sie mithilfe ihres Atemrohrs am Ende des Hinterleibs atmen. Je nach Art hängen die Larven mit dem Kopf entweder senkrecht nach unten an der Wasseroberfläche oder aber mit dem ganzen Körper parallel zu derselben.
Mückenlarve (Gattung Aedes)
Die meisten Mückenlarven futtern, indem sie filtrieren. Mit zwei fächerartigen Haarbüscheln erzeugen sie eine Strömung und strudeln so Kleinstorganismen, Pflanzen- und Tierpartikel herbei.
Mit dem Größerwerden wird es zunehmend eng in der Körperhülle, und so streifen alle Stechmückenlarven insgesamt viermal ihre Larvenhaut ab.
Im Gegensatz zu den Puppen anderer Insekten sind die der Stechmücken beweglich. Ihre ruckartigen Bewegungen ähneln halben Purzelbäumen. Geatmet wird in diesem Stadium nicht mit dem Hinterteil, sondern mit winzigen Hörnchen im Brustbereich, die über die Wasseroberfläche ragen. Das Puppenstadium ist in der Regel recht kurz und dauert zwei bis drei Tage.
Fatale Fracht
Der Speichel einiger Mückenarten hat es mitunter sprichwörtlich in sich, denn mit ihm werden die Erreger bedrohlicher Krankheiten wie Malaria, Gelbfieber oder Dengue übertragen. Pro Jahr sterben mehr als 500.000 Menschen an den Folgen einer durch Stechmücken übertragenen Infektion. In den vergangenen Jahrzehnten galt vor allem die Überträgerin der Malaria, die Fiebermücke Anopheles, was übersetzt „Nichtsnutz“ bedeutet, als gefährlichstes Tier der Welt. Zunächst dachte man, der Ursprung der auch als Sumpffieber bezeichneten Krankheit liege in den Dämpfen, die aus Sümpfen aufsteigen. Daher rührt ihr Name: Das italienische Wort „mala“ heißt „schlecht“, „aria“ bedeutet „Luft“. In Wirklichkeit waren und sind es Mücken, die in Sumpfgebieten beste Voraussetzungen zur Vermehrung antreffen. Andernorts war der Zusammenhang zwischen Mücke und Fieberschüben frühzeitig bekannt. So verwenden die Shambala in Tansania für Mücke und Malaria dasselbe Wort, „mbu“. Die am stärksten betroffenen Gebiete finden sich rund um den Äquator, wo die Erreger der verschiedenen Malaria-Formen ganzjährig gleichbleibend hohe Temperaturen und damit ideale Voraussetzungen für ihre Entwicklung antreffen. Anopheles breitet sich in Deutschland vor allem südlich des Mains wieder aus, allerdings gelten Malaria- Ausbrüche (noch) als unwahrscheinlich.
Mobile Mücken
Die Klimaerwärmung sorgt auch bei den Mücken für Neubürger in der heimischen Tierwelt, und so haben sich in den letzten zwanzig Jahren unter anderem die Gelbfiebermücke, die Asiatische Buschmücke und die Tigermücke in Deutschland eingefunden. Der zoologische Gattungsname dieser Arten – Aedes – ist Programm: Er bedeutet so viel wie „widrig“ oder „lästig“. Die Tigermücke mit ihrer namensgebenden schwarzweißen Körperzeichnung verbreitet sich unter anderem per Anhalter. Sie reist verborgen in den Wasseransammlungen alter Autoreifen, die weltweit verfrachtet werden. Im Hinblick auf das sich wandelnde Klima und damit einhergehend aus Mückensicht besten Lebens- und Überlebensaussichten könnten Krankheiten, die heute noch gefühlt in weiter Ferne liegen, zukünftig unser Leben entscheidend beeinflussen.
Mückenkontrolle
So wird beispielsweise in Singapur die Bevölkerung gründlich über verpflichtende Anti-Mückenmaßnahmen informiert und die Einhaltung der Anweisungen sorgfältig überprüft. Eigens zuständige Kontrolleure statten Privathaushalten unangekündigte Besuche ab und prüfen, ob sich dort kleinste Wasseransammlungen und damit potenzieller Mücken-Nachwuchs finden. Gründlich geleerte Zahnputzbecher sind hier Pflicht. Ansonsten ist mit Geldstrafen zu rechnen.
Mücken und Hundewetter
Eine Mücke kann rasante Geschwindigkeiten erreichen. Aber nicht, wie vielleicht vermutet, beim Fliegen, sondern vielmehr beim Fallen: Wird sie in ausreichender Entfernung vom Boden von einem Regentropfen getroffen, wird sie zunächst mit ihm in die Tiefe gerissen, da der Tropfen zwar vergleichbar groß ist, aber eine viel höhere Masse besitzt. Hierbei erfährt das Tier eine rasante Beschleunigung, die zu den höchsten im gesamten Tierreich zählt und den Wert bei einem Raketenstart um das Fünfzigfache übertrifft. Schließlich löst sich die Mücke unverletzt wieder vom Nass – eine wahre Überlebenskünstlerin.
Mücken und Mief
Die Vorliebe der Malaria übertragenden Fiebermücke für menschliche Füße und deren käseähnliche Ausdünstungen riefen einen tansanischen Forscher auf den Plan. Zur gezielten Anlockung entwickelte er ein Gerät mit synthetisch hergestelltem Duft von Käsefüßen, das die gefährlichen Plagegeister erfolgreich auf die falsche Fährte führen soll. Damit könnte neben Moskitonetzen, -gittern und Mückenschutzmittel eine weitere Abwehrstrategie gegen die gefährlichen Blutsauger etabliert werden.
C. H.