Читать книгу In Maracaibo 71% Luftfeuchtigkeit... - Carl Cullas S. - Страница 3
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...Bill Whithers’ “Use me“ schlich langsam aus den Lautsprechern und vermischte sich mit der im Zimmer herrschenden Dunkelheit. Die Kerzenflammen bewegten unsere Schatten auf den Wänden und der Decke – zwei Konturen, die sich plötzlich abrupt voneinander zurückzogen, um dann wieder zu verschmelzen. Ihre Haare fielen ihr ins Gesicht und durch die Strähnen, wie durch einen nicht ganz zugezogenen Vorhang im Theater, glitzerten ihre Augen, eine spannende und erregende Geschichte versprechend. Ihr T-Shirt, genauso wie mein Hemd, lagen seit langem auf dem Boden - stumme Zeugen der in uns wütenden Begierde vermischt mit zwei Flaschen Rioja. Nach einem langen Kuss, der mir fast die Lunge aus dem Hals gezogen hatte, guckte sie mich mit einem vernebelten Blick an und schob mit einer langsamen und lasziven Handbewegung die Halter ihres BH von den Schultern. Aber die sich steigernde Musik des Himmelsorchester, die mir nun das Paradies verkündete, wurde dreist übertönt von der Türklingel. Meine Volupia schaute mich an und bewegte den Kopf: „Lass das“. Ich war einverstanden, ließ dies und wollte anderes greifen, aber es klingelte wieder und noch stärker. „Verdammt!“, sagte sie. „Verdammt!!!“, sagte auch ich und machte die Augen auf.
Ist es euch nie passiert, dass genau in dem Moment, in dem Jessica Alba oder Keira Knightley euch eure sublimsten und perversesten Träume verwirklichen und euch zum glücklichsten Menschen aller Zeiten machen wollte, das Telefon ertönte, der Wecker piepste oder eure ebenfalls schlaftrunkene Freundin - beziehungsweise Ehefrau -, euch mit der Frage: „Gehst Du Brötchen zum Frühstück kaufen?“ auf den Boden der Realität holte?
Es klingelte wieder!
Ich fand mein Hemd neben dem Bett, aber leider kein T-Shirt der erotischen Unbekannten, die bereits spurlos verschwunden war. Ich schaute auf die Tischuhr: es war 9:10. Ich spürte die Wut - irgendwo zwischen meinem Bauchnabel und der Leiste - geballt nach oben steigern: Welcher Idiot wagte, einen Menschen zu dieser unchristlichen Stunde an einem Samstag zu stören?! Das fünfte Klingeln brachte mich auf den Weg zur Tür. Ich machte auf und war bereit, diesem Jemand meine aufrichtige Meinung über all seine mentalen, psychosomatischen und sexuellen Fähigkeiten zu sagen, aber der Besucher war schneller.
- Herr Rivera? Eduardo Rivera Cano? Wir haben Sie endlich gefunden! Einfach war es nicht, das können Sie mir glauben, sí Señor! Ich gratuliere Ihnen: 4 Millionen ist schon eine ehrwürdige Summe! Aber wieso reden wir hier? Setzen wir uns lieber, ich bin mir sicher, das brauchen wir beide!
Die Plaudertasche ging resolut an mir vorbei und installierte sich bequem im Zimmer auf meinem Sessel, nicht ohne zuerst meine Socken von den Armlehnen zu beseitigen. Ich folgte dem Eindringling, fügsam und ahnungslos, wie das Volk seinem Führer. Erst jetzt fiel mir auf, dass der Mann mich auf Spanisch ansprach.
- Aber bleiben Sie bitte nicht stehen! Setzen Sie sich, bitte - forderte mich der Mann auf und zeigte mit einer gastfreundlichen Handbewegung auf ein Objekt, das unter einem Klamottenberg nur mit viel Vorstellungsvermögen als Stuhl zu erraten war.
- Ich bitte um Verzeihung – ich habe mich noch nicht vorgestellt. Víctor Enrique Marín Lara, vom Rechtsanwaltsbüro “Sáez & Marín“. Ich komme direkt aus Madrid im Auftrag unserer Partner “Prada, Romero & Asociados“ aus Caracas, mit denen wir seit 20 Jahren arbeiten, um Sie zu benachrichtigen, dass Sie, laut dem Testament Ihres vor kurzem in Venezuela verstorbenen Onkels José Antonio Rivera Castro, als einziger Erbe über sein Vermögen von knapp 4 Millionen US-Dollar verfügen. Wie Sie bestimmt wissen, war Ihr Onkel einer der prominentesten und reichsten Viehzüchter Venezuelas.
Mittlerweile hatte ich die Visitenkarte von meinem Besucher in der Hand. Die linke Oberfläche des hochwertigen Elfenbeinkartons trug die schwarz gedruckte Inschrift: “Sáez & Marín“. In der Mitte stand: „Víctor Enrique Marín Lara, Anwalt“. Unten folgten die Adresse, mehrere Telefon- und Faxnummern samt eMail-Anschrift.
- Den Auftrag Sie zu lokalisieren bekamen wir vor einer Woche, aber es war nicht einfach Sie ausfindig zu machen! Ihr verstorbener Onkel wusste zwar, dass Sie in Deutschland leben, hatte aber weder die genaue Adresse noch eine Telefonnummer. Zuerst versuchten wir, Sie von Madrid aus per Telefonbuch zu finden. Aber unter Rivera Cano gab’s keine Eintragung. Logischerweise haben wir dann auf Ihren mütterlichen Nachnamen Cano verzichtet und konzentrierten uns nur auf Rivera. Da hatten wir eine Liste mit Dutzenden Namen und Adressen quer durch Deutschland. Die Suche wurde auch dadurch erschwert, dass uns Ihr zweiter Vorname falsch mitgeteilt wurde: Manuel anstatt Miguel... Aber das ist eben unserer Job - et voilá: unser Auftrag ist erfüllt!
Ich beobachtete den mir gegenüber sitzenden Kerl. Nach seinem ersten Nachnamen zu urteilen – der Sohn eines der Kanzleipartner. Um die dreißig, stämmig, mit stark gegelten, glatt gekämmten schwarzen Haaren. Schmales Gesicht mit einem freundlichen Lächeln, das seinerseits nicht über seine Mund- und Augenwinkel herrschte: die blieben ernst und wachsam. Der dunkelblaue Anzug war sicherlich nicht bei H&M gekauft, ebenso wie die Schuhe und das Hemd. Auf dem linken Handgelenk war schätzungsweise meine zweimonatige Gage in Form eines schmalen Uhrwerks platziert. Alles stimmte perfekt mit dem clicheeartigen Bild eines jungen, erfolgreichen Anwalts überein. Nur die joviale, ja aufgeregte Haltung, die er mir gegenüber an den Tag legte, wollte so gar nicht zu diesem Eindruck passen. Möglicherweise die Folge seines ersten erfolgreich abgeschlossenen Auftrags.
- Bestimmt habe ich Sie mit meinem Auftreten überrumpelt. – Setzte Víctor Enrique Marín Lara fort. – Wenn Sie sich duschen und umziehen wollen, nehmen Sie sich bitte alle Zeit. Ich kann warten.
Ich akzeptierte den Ratschlag und zog mich ins Badezimmer zurück, nicht ohne zuerst dem Gast einen Kaffee angeboten zu haben. Als ich nach zwanzig Minuten zurück kam, saß der Anwalt auf dem gleichen Sessel und rauchte.
- Ich hoffe, das stört Sie nicht? Ich habe einen Aschenbecher auf Ihrem Tisch gesehen und nahm mir die Freiheit, eine anzuzünden.
Ich nickte zustimmend und machte mir den Stuhl von Klamotten frei.
- Bevor ich zu Einzelheiten komme, möchte ich Ihnen dem Wunsch Ihres Onkels entsprechend seinen letzten Brief überreichen. Er kann wahrscheinlich vieles erklären.
Ich nahm den weißen Briefumschlag entgegen und machte ihn auf.