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Einleitung

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Der Mann vom Fernsehen ist lustig wie immer. Er hat heute die Frau des Bundespräsidenten eingeladen. Sie soll auf eine Tafel, über die ein Papier gespannt ist, zeichnen, was ihr gerade einfällt. Von ihr abgekehrt steht ein Meister der mentalen Magie, der vorgibt hernach im Detail berichten zu können, was hier als ein kleines Kunstwerk entstehen soll. Die Gattin des Staatsoberhaupts zeichnet und nachdem das Werk vollendet ist, ist jeder perplex, als sich in den Worten des Magiers genau jenes wieder findet, was die nun in die Kamera und ins Publikum gedrehte Zeichnung offenbart. Die Show ist perfekt, der Moderator zufrieden, unschuldig und etwas konsterniert lächelt die Frau in die Kamera. Von übernatürlich ist die Rede und gut gelaunt spricht der Mann von den rechten Dingen, mit denen ja sonst alles zugehe.

Natur! Welch ein großes, ja gewaltiges Wort, eigentlich schön, wenn man sie für natürlich hält. Was soll sie denn auch sonst anderes sein. Vielleicht ist die Natur ja auch nur ein sprachlicher Abkömmling von natürlich, so dass man alles, was so natürlich war wie sonst etwas, Natur nannte. Vielleicht war es auch anders herum. Auf jeden Fall aber sind Natur und natürlich untrennbar eins, es ist nichts so natürlich wie dies. Schön, wenn man sich dessen bewusst ist.

Wie man aus der Bemerkung des Moderators heraushört, weiß er sehr wohl zu trennen zwischen der natürlichen Natur und dem, was über ihr steht, dem Übernatürlichen. Was darauf hindeutet, dass er nie solch erstaunliche Dinge wie Rosen, Ameisen oder Elefanten als der Magie ebenbürtige Erscheinungen in Erwägung gezogen zu haben scheint. Es geht ihm da wie Millionen anderer. Zwar grünt es politisch so grün wie selten zuvor, die Natur selbst aber bleibt grau. Der ökologische Hype hat nicht ein Jota daran geändert, dass jeder, zumindest vom Prinzip her, glaubt, zu wissen, was eine Biene, eine Ameise oder ein Schmetterling sei. Und so flattert dieses Insekt dann davon, wer weiß wohin.

Fragt man heute einen gescheiten Menschen, ob es etwas Besonderes sei, wenn im Frühling der Wald sich begrünt oder im Herbst die Früchte heranreifen, erntet man bestenfalls ein mildes Lächeln, so, als sei man in seiner Bildung etwas zurückgeblieben. Noch nie etwas von Photosynthese gehört, von Proteinen, Genen, DNA, Evolution, Mutation oder Selektion, schallt es da in belehrendem Ton zurück, so, als hätte man in der Schule nicht aufgepasst. Alles sei ganz natürlich, passiere auf ganz natürliche Weise, alles seien Naturgesetze, was auch sonst, muss man da hören.

Natürlich, ein Wort auf der schiefen Bahn. Wenn man etwas gefragt wird und antwortet darauf mit natürlich, bedeutet dies nichts anderes, als die Frage ist leicht zu beantworten, alles ist logisch und vom Gegenüber leicht zu verstehen. Das Wort bedeutet eine ziemliche Kritik an dem, der einer Sache nicht zu folgen vermag und signalisiert unmissverständlich, dass sich derjenige in ihrem Besitz weiß, der es gebraucht. Was die Natur selbst angeht, ist das Wort in zweifelhafte Gesellschaft geraten, bedeutet es doch etwas ganz anderes, wenn man sagt, „hier ist wenigstens alles noch ganz natürlich“, im Sinne einer Abgrenzung gegenüber dem so ganz anderen Technischen, Naturwidrigen. Hier, in einem solchen Zusammenhang, geht jene maßlose Überheblichkeit, die diesem Wort gewöhnlich anhaftet, ihm gänzlich ab. Wer so spricht, meint, dass Natur einer anderen Empfindung, einer anderen Ordnung folgt. Und wer ehrlich ist, wird sich eingestehen müssen, so etwas wie einen Käfer oder einen Schmetterling bekommen wir mit all unserer Wissenschaft einfach nicht hin, da mag so viel Zeit ins Land gehen, wie sie will, wir werden es nicht schaffen. Und vielleicht, so wir es zulassen, wird uns klar, die Natur ist essenziell, nicht nur graduell, von ihrem ganzen Wesen her, von dem, was der Mensch erschafft und wird je erschaffen können, von Grund auf verschieden. Es handelt sich hier mit dieser Natur um eine Welt, der wir zwar selbst angehören, die uns aber selbst nicht gehört.

Ungeachtet dessen, ganz gleich, was einer näher besehen davon hält, wird es wohl jedermann als wohltuend empfinden, wenn sich die Natur von einem vom Menschen geschaffenen Gegenstand abhebt, Kunstblumen und die Wachsfiguren aus dem Kabinett der Madame Tussot sind da gegenüber dem Original doch eher ein Scherz. Es existiert dieser Begriff also durchaus in einer Weise, die, anders als es aus den Worten des eingangs zitierten Moderators herauszuhören war, auf eine höhere Ordnung als die des Menschen hindeutet. Von dem, dass die Natur so natürlich wäre wie sonst etwas, spricht da, wo es uns zu dieser Natur hinzieht, weil wir sie als unserem innersten Wesen zugehörig errachten, schon längst niemand mehr. Dennoch, Gegenstand prinzipiellen Nachdenkens scheint die Natur heute nicht mehr zu sein, bestenfalls ein Ort, nach dem man sich sehnt.

Ein Wort wie „Wunder“, das einem in Anbetracht der Natur vielleicht schon auf der Zunge lag, oder gar die Nachfrage nach einem Höheren, dem sich all dies verdanke, kann man sich schenken. Auch die anmutige Gestalt eines Schmetterlings, jenes von Blüte zu Blüte taumelnden Juwels, in seiner Pracht den Blumen gleich und alles umso erstaunlicher, denkt man sich in die schlafende Puppe oder die gefräßige Raupe zurück, findet vor dem wissenschaftlichen Blick, der nie ein solcher war, keine Gnade. Es findet sie ebenso wenig wie die fein geäderten Flügel, der vielfältige Schmuck ihrer Zeichnung, die fein abgestufte Tönung der Farben oder die skurril ausgearbeitete Form, die an das Tagwerk eines Künstlers erinnert, mit dem er sich als ein solcher in einem besonderen Maße beweisen wollte. Nein, ins Detail geht man da besser nicht. Es steht da einiges im Raum, was wie im Keller eines Museums einfach verschwand. Man gleicht da zwischen den angelernten Begriffen und der Natur, wie sie wirklich ist, nicht mehr ab. Die Herrschaft einiger weniger, auf Papier gekritzelter Begriffe über die Wirklichkeit, den Schmetterling, als das, was er wirklich ist, scheint perfekt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, was früher Beschwörungsformeln und magische Rituale vollbrachten, leisten heute Fachworte, Worthülsen, die einem das Unwissen, das sich dahinter verbirgt, nur um so deutlicher offenbaren. Das Wort Wissenschaft, Lehrpersonen in weißen Kitteln und akademische Titel tun da ihr übriges. Doch ein hohles Gefühl im Bauch bleibt zurück. In lichten Momenten kommt es einem vor, als führten da schräge Gestalten einen Kampf mit der Luft, lobten hoch, was es nicht gibt oder so nicht ist, zahlten mit ungedeckten Schecks und lebten nicht schlecht davon.

Es gibt also keinen Grund, sich über unseren Moderator zu wundern, wenn er Magie und Natur wohl zu unterscheiden weiß. Auch über die Wunde, die er sich neulich bei der Gartenarbeit an seiner Hand zuzog und die so problemlos auf natürliche Weise geheilt ist, wird er nichts weniger als in Erstaunen geraten.

Ich sitze auf meiner Terrasse. Es ist so weit. Langeweile macht sich breit, kein Condor fliegt vorbei, kein Huhn legt ein Ei, Viertel nach Drei. Ich lasse meine Gedanken schweifen und denke mir etwas aus. Ich stelle mir vor, ich sei auf einem Biologenkongress. Bekanntlich hat eine solche Fiktion den Vorteil, dass sie die Realität oft besser abbildet als diese sich selbst. Die besten ihrer Disziplin hätten sich hier versammelt. Man kennt das ja, namhafte Fachleute, eine bekannte Größe wechselt die andere ab, ein Vortrag folgt dem anderen. Ein solches Fachchinesisch ist jedoch auf Dauer ermüdend und so gelang es manchem nur mühsam ein langsam aufkeimendes Gähnen zu unterdrücken. Um diesem Trend, der sich nach einiger Zeit breitmachte, entgegenzuwirken, wechselte man zum Schluss hin das Thema. Es ging in diesem Finale darum, die Stellung der Biologie als Wissenschaft zu festigen und sie vor dem Einfluss der sogenannten Vitalisten zu schützen. Gibt es doch tatsächlich Menschen die es sich partout nicht nehmen lassen, darauf zu insistieren, so etwas wie einen Schmetterlingsflügel bekäme die Wissenschaft, auch wenn sie es behauptet, ja gar nicht hin. Dem galt es nun mit allen Mitteln zu wehren.

„Es ist an der Zeit, dass wir uns das nicht länger gefallen lassen.“ Mit hochrotem Kopf stand er da. Der Vorsitzende hatte sich in Rage geredet. Künstliche Aufregung ist die beste, und wenn sie nach außen hin echt wirkt, verspricht sie sattes Behagen. Wenn in vertrauter Runde all die Biedermänner mit zustimmendem Klopfen die Tische traktieren, läuft das hinunter wie Öl. Es gibt nichts, was dieses Gefühl selbst verordneten, wohldosierten Verletztseins übertrifft, jenen magischen Moment, an dem man vor Gemütlichkeit friert. Im Kreise Gleichgesinnter ist künstliche Aufregung eine bedacht kalkulierte Emission von Schall, die den Abstand zwischen sich und dem Nachbarn auf null reduziert und alles rundum zu einer Masse verschworenen, wohlig schulterklopfenden Gleichklangs verschmilzt.

Doch wieder ist da jener Schmetterling, von dem ich nicht lassen kann. Er ist für mich Wissenschaft, hingegen Evolution, Gen, Protein oder Biochemie nur ein Wort. Hier die eine, erste Zelle, auch Zygote genannt mit der das Leben dieses Insekt beginnt, dort, unfassbar genug, das fertige Exemplar, der Schmetterling, so wie wir ihn kennen. Wie kommt es von A nach B? Nur diese eine Frage möchte ich beantwortet sehen, nichts anderes, nur das ist für mich Wissenschaft. Welch ein Abgrund sich kreuzender, in sich verschlungener Wege, die eine sternengleiche Anzahl winzigster Teilchen hier geht, tut sich da auf! Wie folgt hier ein Schritt dem anderen? Das will ich wissen und die Antwort erfolgt da meist prompt: den Schmetterling, den hat die Evolution gemacht. Wie intelligent muss man eigentlich sein, um auf den Trichter zu kommen, dass einem hier, wo es um das Handeln im Augenblick geht, die Evolution, die man an dieser Stelle immer unter die Nase gerieben bekommt, nicht weiterhilft? Hic Rhodos, hic salta, heißt es da, hier steh deinen Mann, hier spring, der Weg zum fertigen Exemplar ist weit! Das Reisetagebuch all der Partikel, die da unterwegs sind, möchte ich nicht schreiben! Wer hier, als ein solches Teilchen, diese Bühne betritt, verlässt sie nach kurzer Zeit schon wieder, weil der Stoffwechsel es so will, von dem, was werden soll, dem Schmetterling, hat es selbst nie was gehört. Und dennoch zeichnet sich das Bild eines auf ein Ziel, den Schmetterling, hin gerichteten Werdens ohne Unterlass weiter, von Station zu Station. Wer wollte das je verstehen? Man kann es drehen und wenden wie man will, wo innerhalb einer Zelle für jedes Atom oder Molekül an jeder Ecke, in jedem Moment neu, sich die Frage stellt, in welche Richtung es sich zu wenden hat, weiß die Evolution keinen Rat. Irgenwie vererben lässt sich ein, den unterschiedlichsten Situationen gerechtes Handeln nicht.

Manch einem aber passt dieses „hic Rhodos, hier springe“ nicht, jenes der Logik geschuldete Postulat einer von der Evolution abgekoppelten Gegenwart, dass hier einer an Bord sein muss, der das Fahrzeug lenkt, der nach vorne schaut, und, weil da die Situation, auf die er sich einzulassen hat, in jedem Augenblick neu und anders ist, er aus einer Vergangenheit keinen Honig zu saugen vermag. Wer in dieser Weise meint, sich artikulieren zu müssen, liebt Enten, er denkt da eher an eine Aufziehente aus dem Spielwarengeschäft. Die Zelle, die hat die Evolution als eine kleine Maschine, als eine Art Aufziehente gemacht, sagt er, die spult sich ab. Um das was kommt, wie eins aufs andere folgt, mach dir da keine Sorgen, das wird schon werden, so ganz aus sich selbst, die Ente ist so konstruiert, die weiß, was sie will. Doch mit einem Wollen ist es bei einem solchen Stück Blech nicht weit her. Überzeugen kann diese Ente nicht. Was sich abspult weicht von dem Weg, der ihm vorgegeben ist, nicht einen Millimeter ab, von Flexibilität und situationsgerechtem Handeln, welches ein Organismus in so reichem Maße erfordert, keine Spur. Auch ist, was mit der Ente geschieht, absehbar, es weißt nach unten. Wo hingegen Neues auf den Plan tritt, ist das nicht absehbar, es weißt eine solche Entwicklung nach oben. Wo in der Welt aber wäre aus dem weniger Komplexen, wie einer ersten Zelle, je etwas Strukturierteres, Komplexeres gefolgt? Wasser fließt nicht bergauf.

Spätestens hier sollte man den Schabernack mit der Ente Schabernack sein lassen und das Spiel beenden. Atome und Moleküle lassen sich in eine Mechanik nicht pressen. Die Evolution, der man das angedichtet hat, kann ja daran, dass es sich bei einer Zelle um einen relativ lockeren Verbund von Teilchen und nicht um ein Gestänge, wie der Philosoph Heidegger es ausgedrückt hätte, um ein Gestell handelt, nichts ändern. Zu irgendeiner Art von Mechanik führt da kein Weg. Ganz abgesehen einmal davon, dass, wie bereits angedeutet, ein geregelter Stoffwechsel und das Wachstum Herausforderungen darstellen, auf die es gilt in jedem Augenblick neu, der jeweiligen Situation angemessen zu reagieren, was ein mechanischer Apparat nicht vermag. Alles, was in einem Körper geschieht ist Zukunft, wenn aus der Raupe ein Schmetterling werden soll ist das Zukunft. Nichts anderes gilt für den Erhalt. Auch bestehende Strukturen, würden sofort zerfallen, wäre da nicht in jedem Moment eine Aktivität im Gange, die sie in Form und am Leben erhält. Denn anders als bei Gegenständen, die vom Menschen geschaffen wurden, ist da inwendig alles in Bewegung, alles baut sich da ständig um. Auch ein solches Bestreben ist nach vorne gerichtet, auch wenn man das nach außen hin gar nicht bemerkt.

Doch zurück zur Evolution, die das alles so gemacht haben soll, dass es funktioniert. Evolution bedeutet in diesem Zusammenhang wenig, doch nur, dass hier in der Zygote dieses Schmetterlings etwas niedergelegt sein muss, das sich zum Beispiel von einer Kartoffel oder einer Ameise unterscheidet, mehr nicht. Wie und warum Atome und Moleküle innerhalb dieser einen, ersten Zelle, nach dem Männlein und Weiblein sich guten Tag gesagt haben, hernach in eine Art Bewegungsrausch verfallen und sich in Richtung zu einem Schmetterling auf den Weg machen, wissen allein die Götter. Ein Kapital, das die Evolution hier, wo sich alles im Sinne einer Ordnung in Bewegung setzt, der Zygote in die Wiege gelegt hätte, ist da weit und breit nicht in Sicht. Ein Wort wie Bewegung fordert Respekt,den Respekt des Augenblicks, sie einer Vergangenheit überantworten zu wollen, ist nichts anderes als die Flucht vor dem Hier und Jetzt. Was hier regiert ist der Augenblick. In jedem Moment gilt es den Faden des Lebens hin auf das große Ziel, das fertige Exemplar, neu zu knüpfen. Nur um dem, der Logik geschuldeten Einwand entgegenzuhalten, dass Materie, auf sich allein gestellt, sich nicht im Sinne einer Ordnung, auf ein Ziel hin gerichtet, fortzubewegen vermag, ohne dass sie „jemand, hier und jetzt in diesem Moment, bei der Hand nimmt“ und ihr die Richtung weist, war die Ente keine gute Idee.

Zugegeben, dass da etwas im „Hier und Jetzt“ am Wirken sein soll, weil die Materie auf sich selbst gestellt eine solche Art der Fortbewegung partout nicht zustande bringt, macht diejenigen, die eine dafür notwendige , höhere Instanz nicht wahrhaben wollen, zappelig, es macht sie zappelig und nervös. In wilder Flucht greifen sie da zu. Was immer ihnen hier über den Weg läuft, und sei es im Zuge einer überbordenden Fantasie auch noch so absurd, es ist ihnen recht. Da ist einmal die Aufziehente, die sich abspult, an anderer Stelle, wenn das denn doch zu albern erscheint, greift man zu einem Programm. Aber auch ein Programm macht das Übel nicht besser. Atome und Moleküle, die von der Zygote aus gesehen, auf einen Schmetterling zusteuern, weil sie entsprechend programmiert sein sollen, sind reine Fantasie. Was wir von Atomen und Molekülen wissen, gibt eine inwendig geistige Seite dieser Partikel, auf der schon vorher vermerkt sein muss, was dann im Nachhinein geschieht, nicht her. Ja die Wissenschaft würde das an erster Stelle bestreiten.

Doch derartige mehr prinzipielle, lediglich an der äußeren Erscheinung orientierte Überlegungen sind müßig. Schauen wir uns die Sache mit der Evolution, sprich der DNA, der man die inwendige Dynamik des Lebendigen in die Schuhe zu schieben versucht, doch besser genauer an. Heute spricht man da von einem Genom. Hier an dieser Stelle immer nur von Evolution zu reden, die es möglich gemacht haben soll, dass aus der Zygote ein Schmetterling wird - was auf der einen Seite ja auch tatsächlich der Fall ist - hilft dem Problem einer in die Zukunft gerichteten Beweglichkeit der Materie, ja trotz allem nicht ab. Gehen wir also der Frage, wie kommt es von A, der Zygote, nach B, dem fertigen Exemplar, mit Blick auf das Genom auf den Grund. Eine Menge muss da zwischen der Zygote, nur sichtbar unter dem Mikroskop, und dem fertigen Schmetterling passieren. Wer das im Zeitraffer verfolgt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, alles verwandelt sich da wie in einem Varieté ständig. Wie ist so etwas, das sich anlässt wie Zauberei, möglich? Klar, was hier geschieht, hängt irgendwie mit der DNA zusammen. Doch wie heute jedermann weiß, ist diese eine starre, in sich festgefügte Struktur. Demjenigen, der auf die Frage, wie kommt es von A nach B sagt, „der Schmetterling, was soll der ein Wunder sein, den hat die Evolution gemacht“, ist so das erste Mütchen schon recht gekühlt, denn das Problem, wie resultiert aus einer starren Struktur heraus, an ganz anderer Stelle Bewegung, bleibt ihm erhalten. Von der DNA eine Brücke schlagen zu wollen zur übrigen Zelle, in der sich auf der Ebene kleinster Teilchen - wie ein nimmermüder Stoffwechsel und der Gestaltenwandel es erfordern - alles zielgerichtet und rasend schnell bewegt, will nicht gelingen.

Man kommt da nicht weiter. Starre und eine Beweglichkeit, die ihresgleichen sucht, stehen sich da in einer Art und Weise gegenüber, welche die abgründige Tiefe, die das eine vom anderen trennt, nur allzu deutlich hervortreten lässt. Gleich zu Anfang bricht einem so der Boden unter den Füßen weg. Das Problem, wie kommt es von A nach B ist bis zur Klärung der Frage, wie eine starre Struktur mit dem unablässigen Gestaltenwandel dieses Insekts zusammengeht, vorerst einmal vertagt. Wie man herausgefunden hat, gleicht die DNA einer Art Strickleiter, Atome und Moleküle sind da aufgereiht wie Perlen an einer Schnur. Wie will man einen solchen Rosenkranz mit dem Feuerwerk einer Handlung zusammenbringen, die aus der Raupe den Schmetterling macht oder im Zuge der embryonalen Entwicklung wie beim Menschen, aus der anfänglich einen Zelle ein Auge, ein Herz, eine Niere oder ein Knochengerüst? Hilflos wie wir sind, greifen wir da zu einem Modell. Scherzhaft könnte man sagen, man muss diese Holzperlen einfach beten und so ganz falsch wäre das nicht einmal.

Eine in sich festgefügte Struktur, die DNA hier, angestrengtes, zielgerichtetes Handeln in der übrigen Zelle dort, irgendein informelles Band muss da zwischen beiden geknüpft sein, doch welches? Mit gutem Grund erinnert uns die DNA an einen Text und die Handlung, die ihm, so es sich um eine Art von Gebrauchsanweisung handeln sollte, folgt. Anders kann es nicht sein, aus Ruhe wird andernfalls nicht Bewegung. Doch eine andere Schwierigkeit, welche die Klärung der Frage, wie kommt es von A nach B in unerreichbare Ferne rückt, kommt hinzu. Vielleicht ist diese DNA gar kein Text, ja ganz sicher ist sie das nicht, wird in einer Knochenzelle doch dies getan, in einer Leberzelle etwas ganz anderes und ist die DNA doch in jeder dieser Zellen ein und dieselbe!! Hier steht er nun der arme Tor und ist so klug als wie zuvor, schlimmer hätte es nicht kommenkönnen, der angenommene Text ist gar keiner, die Analogie, die einem so plausibel erschienen war, ist wertlos. Dieselben Zeichen auf dem Papier erzählen hier in diesem Haus jene Geschichte, im selben Atemzug im Nachbarhaus eine ganz andere. Das wäre eine schöne Zeitung, bei der so etwas möglich wäre, ein wahres Mysterium, ein Blatt aus dem Hexenwald. Wie unendlich weit weg rückt da eine DNA, die in jeder Zelle ein und dieselbe ist, von einem Text oder, verschlüsselt, einem Code, den sie angeblich darstelle, ab! Was da an dem gezogenen Schluss, dass es sich mit der DNA um eine Art von Text handele, richtig war, ist, dass sich anders als über Information, eine Brücke von einer starren Struktur zu zielgerichtetem Handeln, wie wir es in der übrigen Zelle vor uns haben, nicht schlagen lässt. Doch trotz all der geradezu fantastischen Weiterungen, die sich aus einer informellen Grundlage heraus ergeben, nicht einmal das, dass dieser Text einen bestimmten Sinn enthalte, hat gestimmt.

Obwohl sich der Vergleich mit einem Text, einem Code oder ähnlichen Konstrukten auf diese Weise verbietet, so ist doch das Eine wahr, was in diesem Rosenkranz, als einer in sich festgefügten Struktur niedergelegt ist, muss, um sich seiner Umgebung, die es in Handlung umsetzt, mitzuteilen, irgendwie erklingen so, dass es diejenigen, an die diese oder jene, paradoxerweise jeweils unterschiedliche Anweisung gerichtet ist, auch hören. Ein anderer Draht lässt sich von einer starren Struktur zu Atomen und Molekülen, die sich auf ein Ziel hin gerichtet bewegen, nicht spannen. Irgend ein informelles Band zwischen den Atomen und Molekülen, die innerhalb einer Zelle fleißig am Arbeiten sind, und dieser DNA, muss es da geben. Man merkt, das Modell, das man sich mit der DNA als einer Art Schrift zurecht gelegt hat, war nur in soweit stimmig, dass man hier um ein Wort wie Information nicht herumkommt, näher betrachtet jedoch, franst es nach allen Richtungen hin aus, es taugt nicht. Auf der einen Seite ist da ein Text, der keiner ist, dem sich, auf eine konkrete Handlung hin betrachtet, kein Sinn entnehmen lässt, auf der anderen muss sinnvoll sein, was da in die Umgebung hinein ertönt, denn wenn aus der Raupe ein Schmetterling oder, wie beim Menschen, aus einem Haufen anfänglich gleichartiger Zellen später ein Auge oder ein Knochengerüst wird, hat das Sinn, mehr als alles, was wir von dem gezielten Tun oder Lassen eines Ingenieurs her kennen. Der Schluss ist dann schnell gezogen, eine Art Vorleser muss es geben, aus der Druckerschwärze niedergelegter Zeichen kann ohne ihn nichts werden.

Der Versuch, die Steuerung des Lebendigen der Materie selbst, hier dem Genom anheften zu wollen, ist angesichts derartiger Voraussetzungen, wie einer in jeder Zelle gleichen DNA oder der eines ungeklärten Funkverkehrs zwischen den Atomen und Molekülen der übrigen Zelle und der DNA in ihrer Mitte, gescheitert und zwar wie er mehr und gründlicher nicht scheitern kann. Neben der beneidenswerten Fähigkeit eines solchen Verkünders, aus denselben Zeichen heraus hier in der einen Zelle dieses Lied zu pfeifen, dort zur selben Zeit an einem anderen Ort ein ganz anderes, was schon für sich allein der Metaphysik alle Ehre machen würde, muss es auf der anderen Seite auch Atome und Moleküle geben, die imstande sind, diese Botschaft zu hören, sie ihrem Sinn gemäß zu verstehen und flugs dann in Handlung umzusetzen, womit die Sache dann vollends ins Unbegreifliche hinein diffundiert.

Doch schweigen wir ab hier besser still, Atome oder Moleküle, stare Strukturen, die Botschaften von sich absondern, dann weiter Teilchen, welche diese Botschaften zu hören und sinngemäß in Handlung umzusetzen verstehen, die gibt es nicht, denn zum Atom oder Molekül ( nicht der Zelle) drängt bzw. an ihm hängt doch alles. und von so etwas wie Geist redet die Wissenschaft ja bekanntlich nicht. Ein Schelm, wer hier nicht an sie denkt, die chemische Reaktion! Doch ein, auf das Ziel einer noch gar nicht vorhandenen Form hin gerichtetes Wollen der Materie, wie wir es im Wachstum oder der Metamorphose vor uns haben, das sich aus einer chemischen Affinität heraus begründen ließe, die gibt es nicht, außer wir lassen unserer Fantasie freien Lauf. Und auch die viel propagierte Maschine, welche die Zelle und in ihr die DNA angeblich darstelle, gibt es nicht, denn wo arbeitet ein und dieselbe Maschine hier so, andernorts völlig anders? Und so ist es mit einer Evolution, die den Schmetterling von der einen, ersten Zelle bis zum fertigen Exemplar am Laufen hält, nichts gewesen. Wie die starre Struktur der DNA dem Leben, das lebt und pulsiert, gegenüber steht, weiß kein Mensch. Aus der Materie heraus begründen lässt sich dieses Zusammenspiel auf jeden Fall nicht. Sehen, was jeder sieht, aber denken, was so noch niemand bedacht hat, scheint heute nicht envogue.

Atome und Moleküle, die sich in eine Wolke von Sinn verwandeln, andere, die, gleichsam den Arbeitern in einer Fabrik, aus sich heraus gemäß diesen Botschaften sinnvoll handeln, sind reine Fantasie. Das Geistige, das mit der Gestaltbildung untrennbar verbunden ist, auf physikalische Kräfte, die von Atomen und Molekülen, herunter zu brechen oder einer Mechanik anheim stellen zu wollen, wird nicht gelingen. Wie, als wolle die Natur einen verspotten, hat die Forschung mit der in jeder Zelle ein und derselben DNA dieses Problem nicht gelöst, ja sie hat es in einer nie geahnten Deutlichkeit erst erzeugt. Was einem sehenden Auge wie einem wachen Verstand schon vor Zeiten als ein Wunder erschien, erschient es, seit man um den in Zungen redenden Multitasker DNA weiß, umso mehr. Der Begriff Steuerung, um den es bei all diesen Fragen in einem übergeordneten Sinne geht, ist nun deshalb so peinlich, weil man gemäß dem wissenschaftlichen Brauch, ganz entgegen der Wirklichkeit selbst, der Natur ein zielgerichtetes Verhalten nicht zubilligt. Auch wenn man mit einer starren Struktur, die es versteht, über Funksignale unbekannter Art ganze Armeen in Marsch zu setzen, so oder so vor die Wand gefahren wäre, wäre es doch zumindest für die Propaganda zu schön gewesen, hätte man sich dieses Problems über die DNA im Sinne einer Gebrauchsanleitung, noch besser einer Steuerungszentrale in der Art eines Programms, auf elegante Weise entledigen können. Doch leider, entsprechend der Tatsachen, ist die Frage, wie kommt es von A nach B offen, so offen wie eh und je.

Und wie steht es um das andere große Rätsel, um die Fotosynthese, der alles Leben, auch das tierische, zu Grunde liegt, denn nur durch sie entsteht Sauerstoff, Sauerstoff, den wir und die Tiere für die Atmung benötigen? Auch hier hat man versucht, den Vorgang so genau wie möglich zu beschreiben, erklären oder gar in einem Labor nachstellen, kann man ihn nicht. Was all diese Fachleute bedienen, ist alleine die menschliche Eitelkeit, die Wirklichkeit, wie sie wirklich ist, bedienen sie auf jeden Fall nicht. In Wahrheit sind wir Gläubige, in der Biologie wissen wir nichts. Was überhaupt bedeutet Wissen, was können wir wissen, was nicht? Was können wir erkennen, was begreifen? Ein System, das uns, wie die Entwicklung der Zygote zum fertigen Exemplar, als ein selbstständig Handelndes gegenüber tritt, können wir nicht begreifen. Könnten wir so etwas begreifen, müssten wir imstande sein es nachzubauen, woran nicht im Entferntesten zu denken ist. Unsere Zeit ist, entgegen dem, wofür wir sie halten, Psyche, nicht Wissenschaft. Die genannten Begriffe erfüllen uns mit Stolz und wenn wir sie nicht wiedergeben, wenn einer uns fragt, bekommen wir das zu spüren.

Dass vieles noch ungeklärt sei, sagt auch die Wissenschaft, doch davon, dass es Dinge gibt, die sich schon vom Prinzip her nicht klären lassen, will sie nichts wissen. Die Behauptung, im Prinzip wisse man, wie sich das mit der Biologie verhalte, ist Schall und Rauch. Man geht da auf dünnem Eis, ist es doch einzig und allein der Glaube, eines fernen Tages ließe sich klären, was sich in Wahrheit nicht klären lässt, der die Menschen bis jetzt bei der Stange und diesen Mythos am Leben hält. Formeln können wir begreifen, vielleicht gerade noch ein mechanisches System, niemals jedoch Materie, die es auf das Ziel einer Form hin gerichtet zu handeln versteht. Dabei ist der Glaube, es gebe nichts, was sich der Wissenschaft je verweigern könne, blanke Hybris und bar jeder Vernunft. In der Biologie ist gerade das Gegenteil der Fall, es verweigert sich hier einem alles. Was da bis heute erforscht wurde, hat dieses „wie kommt es von A nach B“, um das es geht, um nichts anderes, nicht klarer gemacht, sondern umso mehr rätselhaft.

Der Kolumnist einer süddeutschen Tageszeitung, Werner Ludwig, beschreibt es, wenn wir versuchen uns dem Unaussprechlichen in Worten zu nähern, mit einem feinen Anflug von Ironie in etwa so: „Eine Menge Fantasie ist auch vonnöten, wenn man versucht, das Konzept der gekrümmten Raumzeit zu erfassen oder ein anderes gedankliches Konstrukt der modernen Astrophysik. Wie wäre es zum Beispiel mit der String-Theorie, nach der die Welt so um die zehn oder noch mehr Dimensionen haben könnte? Die vielen Dimensionen sind den Anhängern dieser Lehre zufolge so kunstvoll ineinander gefaltet, dass sie irgendwie in unsere bekannten drei, oder einschließlich der Zeit vier Dimensionen hinein passen. Alles klar? Zum Glück haben es nicht alle Forscher so schwer, wenn sie Laien ihre Arbeit erklären sollen“, sagt Ludwig und greift dabei in die Tasten der Biologie: „Es gibt eine Milliarde Proteine in der Zelle, die müssen alle an die richtige Adresse geschickt werden. Dafür gibt es kleine Postleitzahlen, die jedes Protein hat, damit es an die richtige Stelle kommt“, zitiert er den Medizin-Nobelpreisträger Günter Blobel aus einem Interview, das dieser nach der Preisvergabe der Presse gegeben hatte. Und weiter kommentiert Ludwig: „Proteine mit Postleitzahlen! Da kann man sich gleich viel besser vorstellen, wie der Paketdienst in der Zelle funktioniert - nämlich ganz ähnlich wie ein Amazon-Logistikzentrum. Forscher, die ihrer Großmutter nicht erklären können, woran sie da im Labor arbeiten, hätten es selbst nicht richtig verstanden, findet Blobel. Jungwissenschaftler, die es wirklich zu etwas bringen wollen, sollten also öfters ihre Oma besuchen und mit ihr über ihre Forschung plaudern - bei einer Tasse Kaffee oder einem mittels doppelt diffuser Konvektion fabrizierten Glas Latte Macciato.“

Pech nur, wenn die Oma ihrem Enkel dann erklärt, er habe das, was da in einer Zelle geschieht zwar einigermaßen anschaulich beschrieben, lasse jedoch in seinem Eifer, die Sache auch einer betagten Frau wie ihr zu erklären, jede Kausalität vermissen. Irgendwelche Heinzelmännchen, die diese Proteine in Raum und Zeit dann richtig etikettieren, weil sie wissen wohin sie sollen, gibt es nämlich in einer Zelle ebenso wenig wie den fliegenden Holländer, der sie hernach an diesen Ort der Verheißung verfrachtet. Derart in die Enge getrieben, muss die Biologie nun passen und eine andere Wirklichkeit tritt hervor. Wenn wir gelernt haben, in dieser Weise zu denken, erscheinen dann Fragen, die das Werden und Vergehen der Natur an uns stellt, in einem anderen Licht. Was uns als Zeit, als der zeitliche Wandel in der Natur entgegentritt, bekommen wir, wie hier ein Schritt dem anderen folgt, nicht zu fassen. Und das ist nicht wenig. Im Gegenteil, an dieser Frage, der nach dem Wesen der Zeit, wird sich alles entscheiden.

Weshalb wir uns alle von dem Glauben, die Wissenschaft hätte die Biologie im Griff, haben verhexen lassen, weiß Gott allein. Ob DNA hin oder her, wer zielgerichtet handelt, und die Atome und Moleküle innerhalb einer Zelle tun dies, muss um den nächsten Schritt, die Form, die erst noch entstehen soll, wissen. Er benötigt ein Vorauswissen. Doch der Materie, Atomen und Molekülen ein Wissen um die Zukunft, ebenso wie zielgerichtetes, intelligentes Verhalten zu unterstellen, wird nicht gelingen. Die Physik, die Chemie und die Mathematik, mit der die Wissenschaft versucht, der Biologie zu Leibe zu rücken, ist dazu ein völlig ungeeignetes Instrument. Und um die Philosophie, die dem Einhalt gebieten müsste, ist es heute nicht zum Besten bestellt. Um was es hier geht, ist das Wesen der Zeit, die Frage wie und warum folgt B auf A, oder anders gesagt, folgt B aus A oder nur auf A? Hier in diesem Problem liegt der Welten Grund, wer es zu lösen vermag, weiß alles, wer nicht, nichts.

Ist es für die Philosophie zu viel verlangt, den Ewigkeitscharakter der Mathematik herauszuarbeiten, dass sie eben nichts, was sich Entwicklung nennt, dem je gerecht werden kann? Ist es zu viel verlangt, das Wesen der Physik und ihrer Formeln, in denen allein sie sich manifestiert, herauszuarbeiten, und so, da in der Formel Mathematik und Physik verschmelzen, die Nichtzeithafttigkeit der Physik, klar als eine solche zu benennen, enthielt doch keine Formel je etwas, das sich Entwicklung hätte nennen können. Wo sich Form gestaltet, wo sie vorher nicht war und Neues auf den Plan tritt, bleibt die Physik außen vor. Und da die Welt in all ihren Erscheinungen Entwicklung ist, welche Bedeutung will die Physik für die Frage, wie auf allen Ebenen der Natur ein Schritt dem anderen folgt, haben? Es ist wohl einer der größten Irrtümer der Zeit, der Physik hier eine Kompetenz zuzumessen, eine Kompetenz, die sie beim besten Willen nicht hat. Von der Schwerkraft blenden lassen sollte man sich da nicht. In den Rang einer Kosmologie erhebt die Schwerkraft die Physik auf jeden Fall nicht. Nichts, was Entwicklung ist, konnte sie je erhellen. Ihr größter Triumph, den Lauf der Planeten und künstlicher Himmelskörper berechnen zu können, ist so statisch wie der freie Fall, doch wie das Planetensystem entstand, bleibt im Dunkeln. Carlo Rubbiar, Nobelpreisträger der Physik 1984, äußert sich dazu wie folgt: „Als Forscher bin ich tief beeindruckt durch die Ordnung und die Schönheit, die ich im Kosmos finde sowie im Inneren der materiellen Dinge. Und als Beobachter der Natur kann ich den Gedanken nicht zurückweisen, dass hier eine höhere Ordnung der Dinge im Voraus existiert. Die Vorstellung, dass dies alles das Ergebnis eines Zufalls oder bloß statistischer Vielfalt sei, das ist für mich vollkommen unannehmbar. Es ist hier eine Intelligenz auf einer höheren Ebene vorgegeben, jenseits der Existenz des Universums selbst.“Und wie recht dieser Mann doch hat, eine Philosophie, die sich vorschreiben lässt, was sie darf und was nicht, ist keine Philosophie, sie ist ihr Gegenteil.

Und überhaupt, die Sache mit Gott! Ein grüner Politiker äußerte sich einmal darüber, ob er an Gott glaube oder nicht, dahingehend, er tue dies nicht. Er meinte, weil er zu viele Philosophen gelesen habe, sei ihm dies nicht mehr möglich. Dass man diesem Mann Unrecht tut und er die Sache mit Gott so versteht, dass man an Gott nicht glauben könne, sondern in einem unwiderlegbaren Sinne um seine Existenz wissen müsse, ist wohl eher ein Scherz. Natürlich schließt er für sich das Glauben aus, das Wissen dann umso mehr. So ist es also mit der Rehabilitierung dieses Politikers im Sinne Einsteins, Albert Schweitzers Goethes und vieler anderer mehr, die eine höhere Macht in einem naturphilosophischen Sinne aus rein logischen Gründen für erwiesen hielten, nichts gewesen. Diese Menschen waren bekanntlich der Überzeugung, dass sich, was wir Leben nennen, der Wissenschaft verschließe, und das aus gutem Grund. Die Wissenschaft, die mit völlig ungeeigneten Instrumenten wie der Mathematik, der Physik und der Chemie dem Leben zu Leibe zu rücken versucht und dabei scheitert, war für sie der Maßstab. Was sich mit diesem Maßstab, der Wissenschaft nicht messen ließ, nannten sie Gott. Und gerade weil es die Wissenschaft gab, kristallisierte sich dann, was sich nicht an ihr messen ließ, umso mehr heraus. Zugespitzt könnte man sagen, erst im Zeitalter der Wissenschaft ist es möglich, die Existenz einer höheren Welt auch wirklich zu beweisen. In gleißendem Licht steht da, was der Mensch über die Wissenschaft zu leisten vermag, umso deutlicher hebt sich davon ab, was nicht. Nie in der Geschichte war dies so in dieser Weise möglich. Die Heftigkeit, mit der sich die, nun besser „sogenannte Wissenschaft“, gegen entsprechende Tendenzen zur Wehr setzt, ist der augenfällige Beweis dafür, dass sich der von ihr errichtete Wall auf Dauer nicht halten lässt. Jetzt endlich, im Angesicht der Wissenschaft, hätte man die Möglichkeit, von Metaphysik in einem dezidierten Sinne überhaupt zu reden, obwohl dies hernach in keiner Weise geschah, sondern man im Gegenteil deren Existenz leugnete. Die Wissenschaft selbst verfuhr andersherum, sie kassierte, was ihr nicht gehörte, gleich mit ein. So hat dieser Mann zwar seine Philosophen gelesen, aber er hat sie schlecht gelesen.

Und der Fall ist tief, und hier wird die Sache peinlich. Um in der Angelegenheit mit Gott in dem Sinne zu dem Ergebnis zu kommen, dass es eine höhere Kraft jenseits der Wissenschaft nicht gebe, setzt voraus, dass man an die Märchen der Wissenschaft, hier speziell der Biologie glaubt, was sich für einen Grünen schlecht anlässt. Und darüber hinaus gefragt, was ist, wenn man das nicht tut, wenn man die Biologie – bezogen auf das, was allem Leben zugrunde liegt - als eine der Wissenschaft nicht zugängliche Wesenheit anerkennt? Dann ist sie, eine höhere Welt, die man nicht wahrhaben will, auf einmal da. Irgendwelche Zwischentöne, zwischen einer klassisch als Formel verstandenen Physik und der Metaphysik, wie wir sie in der Biologie so unabweisbar vor uns haben, mit dem Hintergedanken, was heute noch als Metaphysik gelte, gelte morgen schon als Physik, gibt es nicht.

Doch was fangen wir mit dieser in der Biologie so wasserklar zu Tage tretenden Metaphysik an? Wie bringen wir das mit der Moral zusammen, dass es diesen Gott in einer Natur, die grausam ist, eben doch gibt? Wohl sind Vorstellungen, die wir uns von Gott machen, noch sehr naiv und in einem Umfeld, das die Metaphysik der Natur leugnet, nicht einmal im Ansatz, das heißt in einem maßgeblichen Sinne, möglich. Ist jedoch einmal die Einsicht so weit herangereift, dass es, um einen Käfer oder einen Schmetterling, ebenso wie uns selbst, von der Zygote zum fertigen Exemplar heranwachsen zu lassen und am Leben zu halten, eine Macht erfordert, die unseren Verstand um Lichtjahre hinter sich lässt, schließt dies ebenso ein, dass jeder Mangel, den wir einer solchen Macht andichten, ein Unding ist. So ist damit eigentlich alles gesagt. Alles wird in Zukunft davon abhängen, ob wir es mit der Natur ernst meinen oder ob wir an die Märchen der Biologie weiter glauben wollen. Und in einem können wir sicher sein, mit einer Natur, einer Welt, die wir nicht wirklich verstehen, wird es auch in einem ökologischen Sinn nichts werden.

Natur ist anders

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