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Vielleicht…
ОглавлениеDer Irrtum ist die tiefste Form der Erfahrung .
Martin Kessel (1901-1990)
Haben wir heute im naturwissenschaftlichen Zeitalter wirklich ein gutes Gefühl? Die Welt der Baukräne und Flugzeuge gehört uns. Die Welt der Schmetterlinge und Ameisen gehört uns nicht. Gleichen wir mit unserem Begriff Naturwissenschaft nicht eher dem Bettler, der am Straßenrand sitzt und davon träumt, er besäße eine Villa in Frankreich, ein Haus in den Bergen und eine Farm in Südafrika?
Den Schmetterling und die Ameise haben wir zerlegt wie ein kleiner Junge, der sein Spielzeug auseinander nimmt, um zu wissen, wie es funktioniert. Wir heißen dieses Spiel Wissenschaft. Gegenstand unserer Zerlegungswut ist die Natur, deshalb nennen wir es Naturwissenschaft. Unser Wahlspruch lautet, kaputt machen kann man alles, was ja auch stimmt. Und da unsere Instrumente immer feiner werden, wird das Sammelsurium immer größer. Und keine Frage, wir haben alles benannt. So entstand beim staunenden Publikum der Eindruck, wir wüssten schon viel. Nun liegen die tausend Einzelteile um uns herum und wir bekommen sie nicht mehr zusammen. Das Spielzeug, von unendlicher Schönheit, unerreichbar hoher Kunst, voll Leben und Vitalität ist kaputt. Der Weg nach unten, wenn auch bisweilen holprig, war leicht. Nun merken wir, der Weg zurück, dahin wo alles begann, ist nicht möglich. Und wenn wir ehrlich sind, wir kommen nicht einen Millimeter in diese Richtung voran. Wir merken nicht, dass wir hier vor einem Trümmerhaufen stehen, für den es magische Hände bräuchte, ihn wieder in Gang zu setzen. Die Form, die einmal bestand, ist verloren und zu allem Überfluss kommt hinzu, dass sie keinen Augenblick innehielt, sich zu wandeln, was die Sache ins Unendliche hinein kompliziert. Nur ein höheres Wesen mit überirdischen Fähigkeiten ausgestattet, wäre dazu imstande, eine solche Anlage wieder in Gang zu setzen, wir nicht. Wenn wir heute in den Spiegel schauen, erblicken wir den Bettler, der wir sind. Und es überfällt uns ein peinliches Gefühl angesichts der Natur, die wir angeblich besitzen und doch in dem was sie ist, nicht. Es wird uns klar, von einer Naturwissenschaft kann keine Rede sein, was Natur ist, kann nie Wissenschaft werden. Wären die von ehrlicher Gesinnung, die eine solche Art der Forschung betreiben, müssten sie jetzt den Raum verlassen, die Segel streichen und nach einer abschließenden Erklärung die Fahne einrollen.
Haben wir heute im naturwissenschaftlichen Zeitalter wirklich ein gutes Gefühl? Oder ist da eine Ahnung, dass etwas Grundsätzliches nicht in Ordnung ist? Dass unsere Augen in irgendeiner Weise verbunden sind und irgendwann, möglichst weit in der Zukunft die Folgen uns einholen? Ist da in uns ein geheimes Wissen, wenn wir in unserem Garten arbeiten, auf einsamen Waldwegen unterwegs sind oder ein Kind uns anlächelt, dass alles ganz anders ist? Dass alles falsch ist, was man uns beigebracht hat und man uns eines Tages die Rechnung serviert. Wir ziehen Kraft aus diesen Dingen, auf eine tiefe, umfassende Art leben wir von ihnen. Nicht von Theorien, nicht von der Wissenschaft, nicht von all den Etiketten, die man gegen die Wirklichkeit eingetauscht hat und an die wir so gerne glauben. Wie eine Urgewalt lebt tief in unserem Innern die wahre Natur des Lebens, sie lässt sich nicht täuschen. Vielleicht ahnen wir, dass das Geld dieser Wissenschaft nichts wert ist und uns eine Wirklichkeit anblickt, geheimnisvoll, ratlos, fragend wie eh und je? Vielleicht ist die Welt zu groß für den Menschen und Wissenschaft als ihr Zuchtmeister ein schlechter Scherz. Vielleicht verhält es sich wie bei der Ameise, die nach Australien reisen wollte.
Vielleicht ist da ein fernes Ahnen, dass heute mit der toten Natur an die wir glauben, einer Natur, in der es in dem, was sie treibt das Höhere, dem menschlichen Verstand nicht fassbare, nicht geben darf, etwas so Grundlegendes aus den Fugen geraten ist, wie es grundlegender und weitreichender nicht gedacht werden kann. Was mit dieser Wissenschaft einzog, war in seiner Tragweite etwas so fundamental Neues, jeder geschichtlichen Parallele Enthobenes, in der Art einer Herausforderung als gäbe es kein darüber Hinaus. Der Ameise, dem Schmetterling ihr höheres Wesen abzusprechen, tausend Wetten stehen dagegen, dass es gelingt, doch es gelang, keiner weiß wie. Vielleicht wäscht man heute unsere Gehirne mehr als jemals in der Geschichte zuvor. Vielleicht ist unser innerer Zeiger dermaßen verstellt, dass wir nicht sehen, was die Stunde geschlagen hat und der Irrtum so groß, dass wir nun vor einem Tor stehen, hinter dem es ums Ganze geht. Vielleicht sollen wir dumm gemacht werden, das Unglaubliche für wahr halten, in der Hoffnung, dass man nicht nachfragt? Schön, wenn die Welt, wie wir sie heute sehen, Ewigkeit verspricht.
Von dieser sind wir aber sehr wahrscheinlich ein gutes Stück entfernt und es erhebt sich im Gegenteil die Frage, ob die Art, wie wir uns die Welt heute vorstellen, überhaupt Zukunft hat. Wir glauben uns aufgeklärt und ferner dem Mittelalter als je zuvor, vielleicht sind wir ihm näher als wir glauben und tiefer in Irrtum und Wahn verstrickt als wir für möglich halten. Wir glauben uns im naturwissenschaftlichen Zeitalter der Natur näher als je zuvor, vielleicht sind wir ihr ferner denn je. Vielleicht werden wir diese Erde vernichten, weil wir so wenig von der Natur wissen und von ihr verstehen. Vielleicht ist diese Zeit der sogenannten Aufklärung auch auf eine subtile Art gewalttätiger als alle Zeiten zuvor und man hält uns auf eine geschickte Weise von jenem Wissen fern, das wir so dringend bräuchten. Ja unter Umständen ist alles in einem grundlegenden Sinne anders als wir es denken und uns heute vorstellen können. Vielleicht leben wir im Zeitalter eines Fundamentalen Irrtums.
Ein kleines Unbehagen mag uns schon lange beschleichen, Versprechungen werden nicht eingelöst und immer neu werden wir von gefährlichen Entwicklungen überrascht im Persönlichen, wie im Ganzen des Planeten. Und auch was unser Empfinden gegenüber der Welt betrifft, das Grundgefühl unserer Existenz, ist da ein Bruch, von einem Eingebundensein in eine höhere Ordnung ist da nichts. So sind wir Geworfene, uns Vorfindende, beziehungslos, allein. So viel Ordnung ist in der Natur, wir sehen es nicht, für alles haben wir Geschichtchen, nach denen alles erklärt sei, dünne Geschichtchen mit einer aufgepappten Logik, dünn wie ein Rinnsal speisen sie ein Weltbild, das auf tönernen Füßen steht. Es ist ein Fundament ohne Statik, auf dem heute der Erdball ruht. Eine Aufklärung in flatternden Hosen. Vielleicht haben wir keine Zukunft, ohne dass unser Denken sich nicht von Grund auf wandelt.
Es kann nicht gut gehen, wenn wir die Welt für etwas halten, was sie nicht ist, und wenn sie gerade das wäre, was wir heute kategorisch ausschließen. Vielleicht glauben wir an Märchen, an Hexen, so irrational und aus einem Nichts hervorgeholt wie man es nicht für möglich halten sollte, Gespensterschiffe in Gestalt von Worten, die nichts besagen, auf Papier gekritzelt und doch gierig geglaubt. Vielleicht hat der Mensch dieses Zeitalters seinen Verstand mehr verloren als je zuvor, vielleicht kann man ihm heute alles erzählen und er glaubt es, wenn es nur Wissenschaft heißt. Vielleicht ist das, woran man am meisten glaubt der größte Betrug? Die Gesellschaft scheint frei, man braucht nicht mehr in Ketten zu legen, wer einem nicht gefällt. Millionen müssen heute ihr Auskommen finden. Sie werden immer das glauben, was man von ihnen verlangt, diese Art der Kontrolle funktioniert besser, als die Drohung mit Kerker oder Inquisition.
Aber trotz allem ist da etwas, das mahnt und uns sagt, dass es so nicht bleiben kann. Wer einer höheren Welt entstammt, wird nicht leben können, wenn er an eine niedere glaubt. Er wird unglücklich sein und er wird falsch handeln. Und können Lüge, Verrat und Betrug ewig bestehen? Es will einmal diese Sonne wieder auf Erden scheinen und erkannt werden, als das was sie ist. Jedes Gänseblümchen will einmal als das erkannt werden, was es ist, wie der Mensch neben uns auch. Wir ahnen und wissen, dass wir im Irrtum sind und dass er nicht ewig sein kann. Wenn die Lügen zu dreist und die Gefahren zu groß werden, ist es Zeit inne zu halten. Man lebt heute auf den Verbrauch und ist das Kapital aufgezehrt, war der Rest eben Schicksal. Wie man das Konto wieder füllt, weiß bis heute niemand. Oder wie man Schäden vermeidet.
In Denkfabriken zum Widerwillen gegen das Denken erzogen, ist uns nichts mehr lästig als das Denken. Was nicht schnell abgeht, taugt nichts, schneller als man bis drei zählen kann, ist es beiseite gewischt. So verlangen wir Unmögliches, weil wir die Gesetze der Natur nicht kennen, was nicht auf Knopfdruck funktioniert, begreifen wir nicht. Nichts halten wir heute für wahrer als die Wissenschaft, aber wir wissen nicht einmal zu sagen, was Wissenschaft ist. Wir haben über alles eine Meinung, was ist, wenn alles falsch wäre, so wie wir es denken? Vielleicht haben wir gar keine Wissenschaft, sondern das Gegenteil und was sich Wissenschaft heißt, ist ihr ärgster Feind.
Die Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen, haben wir längst verlernt. Vor der Offenheit der Welt, der Unendlichkeit haben wir keinen Respekt, immer in der Illusion, einmal bei der letzten Frage angekommen zu sein. Merken wir nicht, dass wir uns der Sache nicht nähern, sondern von ihr entfernen, dass wir von der Auslage, die im Schaufenster liegt durch eine Scheibe getrennt sind? Was man uns anbietet, ist auf eine tief greifende Weise nichts wert. Wir nehmen dies hin, weil wir die Welt für nichts anderes halten als das Nichts. Wie wollte da etwas zu finden sein? Überall scheint es, dass man uns etwas gibt, doch nirgendwo bekommen wir etwas. Mit Mitteln und Maßnahmen versuchen wir Dinge zu erreichen, die so nicht zu erreichen sind. Unser Denken ist auf Grenzen genormt und wir sehen nicht die lächerlich kurze Strecke, wie weit es reicht. Vor allem akzeptieren wir Begründungen, die keine sind und sehen Dinge für erklärt, die sich in einem Nichts von Worten verlieren. Wir fragen nicht nach. So sind wir wie Strandgut, wie eine Flaschenpost, die ihren Absender vergessen hat, ihre Biografie nicht kennt, auf eine denkunwillige Art unhistorisch, unreflexiv. Nicht willens nachzuforschen, woher unser Denken kommt, wie es geworden ist und ob so zu denken in Ordnung ist.
Unsere innere Stimme wurde zum Schweigen gebracht, das spontane Nein haben wir verlernt und nicht zuletzt den Willen zur Wahrheit. Den Blick für vieles, vor allem für das Leben und die Natur, haben wir verloren. Wo wir dachten nach vorwärts, sind wir rückwärts gefahren, sehenden Auges mit dem Blick entgegen der Fahrtrichtung. Keine guten Aussichten. Wir halten uns für frei, niemand scheint uns zu zwingen, unser Kerkermeister ist das, woran wir selbst glauben, weil wir niemals in Frage stellen, was uns gesagt wurde, wenn es nur Wissenschaft hieß. Wissenschaft ist unser Glaube, nichts scheint unabhängiger vom Menschen und seinen Interessen zu sein, als sie. Als besitze sie nur sich selbst, als getreues Abbild der Wirklichkeit. So ist sie das wirksamste Mittel, uns zu beeinflussen. Sie ist die Macht, die ungehindert Zugang zu unserem Gehirn besitzt, der man alles glaubt, weil sie ja nichts von einem will und niemand hinter ihr steht, wie man meint. So scheint sie gleichbedeutend mit der Wirklichkeit selbst, das Objektive schlechthin, die Einzige und wirklich letzte Instanz. Nichts brächte man weniger in Verbindung mit dem Wort Ideologie als die Wissenschaft.
So ist sie praktisch für die, welche diese Chipkarte geladen haben und von ähnlichem Nutzen, als hätten sie den Stein der Weisen gefunden. Eine Macht, die ohne Bodyguards auskommt und alle Arbeit still und ohne Widerspruch fürchten zu müssen von selbst erledigt. Wenn man sagt, sie kommt gleich nach Gott, liegt man nicht falsch, insoweit, dass sie weit vor ihm kommt.
Der Wind weht kühl seit jenen frühen Tagen der Wissenschaft und die Sonne scheint anders. Wir haben über sie berichten gehört, so wie über alles andere, so hat sie ihre Unschuld verloren. Nicht, dass wir schlecht über sie redeten, aber sie ist uns ziemlich gleichgültig geworden. Für einen Gasball betet man keinen Sonnengesang. Und auch das Gras treten wir flach. Unser Freund, der Baum ist tot. Nicht die Kettensäge ist sein Tod, sondern, was wir über ihn wissen: Photosynthese. Und wir wissen so viel. Wer so viel über die Dinge weiß, sieht sie unter sich, er schaut hinab. Das macht sie langweilig. Wären die Dinge über uns und wir schauten zu ihnen hinauf, so gäben sie Zeugnis, Zeugnis des Großen, Zeugnis von sich. Sie lachten uns an, sie würden uns einladen teil zu haben an ihrem Geheimnis. Wer alles weiß, für den gibt es kein Geheimnis. Vielleicht wird er sagen, mein Wissen ist noch nicht ganz vollständig, aber Geheimnisse sind da nicht. Und überall warten Dinge auf uns, um zu uns zu sprechen. Wir hören sie nicht. Was maßen wir uns an?
Kalt weht der Wind seit jener Zeit und es riecht nach Moder. Die Weisen sind vom Berge gestiegen. Sie haben keine Chance inmitten des Wissens. Wissen, ätzend wie Säure und scharf wie Glas. Wie kann man glauben zu wissen? Ist man selbst so groß und die Welt so klein? Wer zu wissen behauptet, setzt Grenzen, tilgt das Unendliche. Er ist mit tödlicher Fracht unterwegs, denn seine Welt hat Enden. Sind die Dinge so klein, dass sie nach einem Ende aussehen? Sind wir Herr über uns selbst? Die Größe der Welt, sie lacht über uns. Bleibt zu hoffen, dass sie uns gnädig ist. Wir wissen um die Ameise, um den Schmetterling, den Mond und die Sonne, den Jupiter und den Saturn. Selbst wie viel Sterne stehen, scheinen wir zu wissen. Aber unsere Adresse im unendlichen Raum wissen wir nicht.
Und kalt weht der Wind, wer so viel weiß, weiß vor allem eins, dass er das Leben besitze und Gott tot ist. Es ist ein abgedämpftes Gefühl, das wir der Welt gegenüber haben, heruntergefahren bis fast auf Null. Nichts blieb über uns, was uns Hoffnung sein könnte, das ist die Folge, wenn man so viel weiß. Herr sein macht einsam. Die Welt haben wir in eine Ecke gestellt und Neues hat Einzug gehalten, die Wissenschaft. Mit ihr fühlen wir uns stark, stark wie nie. Mit ihr werden wir Herr, Herr worüber? Eine unerkennbare Welt schien bedrohlich, eine erkennbare aber ist es noch mehr, um sie herum lauert der Abgrund. An einer begrenzten, erkennbaren Welt wird einer, der meint sie zu besitzen mehr irre als an einer die nicht erkennbar ist.
Wo die Fragen begrenzt sind und ein Ende in Sicht ist, wartet der Absturz. Das ist die Alternative zum Nichtwissen. Ein schlechter Tausch. So wird uns alles zur Wissenschaft, gleich ob Igel, Ameise oder Schmetterling im sonnendurchfluteten Schlag. Und die Forschung lässt hoffen. So ist dann doch eine Hoffnung geblieben. Was aber wäre wenn, wenn es eine solche Wissenschaft als Herrscherin über Ameise und Schmetterling gar nicht gäbe? Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering, dass man uns getäuscht hat, der Schmetterling und die Ameise sind einfach zu groß. Mit Sicherheit wissen sie mehr. Und würden wir sie befragen über den Tag, über Jahre, Jahrhunderte, so wüssten sie immer noch mehr. Wann sinkt uns dieser kalte, anmaßende Mut?
Nur, mit der Natur ist es so eine Sache, richtig bleibt, wir können ihr nicht entrinnen. Wer führt da wen an der Leine? Selbst, würden wir sie zerstören, bleibt sie die, die sie ist, eine andere haben wir nicht. Zu sagen, es war ein Irrtum, wir starten einen neuen Versuch, ist hier, in diesem Fall, was die Natur anbelangt, nicht möglich. Aber keine Bange, sie scheint uns stark, als ein Seil, das nie reißt. Da, in dieser Beziehung glauben wir an sie, eisern und für alle Zeit. Wohl verwechseln wir da Ewigkeit, eine Eigenschaft, die sie wohl irgendwo besitzt, mit Haltbarkeit. Doch mit ihr, der Haltbaren, als unserem angeblichen Besitz stehen wir vor einer fatalen Situation, reparieren können wir sie, wenn sie schwächelt, nicht. Wir können sie nur schonen, oder entlasten, Schädliches von ihr nehmen, in der Hoffnung, dass sie sich von selber wieder regeneriert. Unglaublich ist das, klingt wie Hokuspokus. Ein schöner Besitz ist das. Wir, die wir behaupten, die Gesetze zu kennen nach denen sie funktioniert, stehen ihr hilflos gegenüber und nichts Besseres fällt uns ein, genauer gesagt bleibt uns übrig, als, wenn es so weit ist, hinaus zu schreien in die Nacht, komm raff dich auf, mach´s selber, damit du wieder auf die Beine kommst, helfen können wir dir nicht. Denn was wir vorgaben, in Sachen Natur zu wissen, so stellt sich bei näherem Hinsehen heraus, war bisher in Wahrheit nur ein Versprechen, die berühmten fünf, zehn Jahre und danach kamen sie wieder diese Jahre, alte Bekannte, nicht klüger geworden, genau dieselben. Eine Autoreparaturwerkstatt hätte unter diesen Bedingungen, als der merkwürdigste Betrieb der Welt, längst pleite gemacht, wo Heinzelmännchen am Schrauben sind, und der Chef nichts zu sagen hat. Unter normalen Umständen hätte man solch einem Treuhänder längst das Mandat entzogen. Doch wie steht es um diese Natur, kann sie Schäden, die wir anrichten, wirklich reparieren? Wir wissen sehr wohl, dass wir über Dinge verfügen, die sind so grob, so schädlich, da hat die Natur keine Chance. Offensichtlich legen wir es darauf an und nähen den Stoff auf Kante, anders scheint uns nicht wohl. Mal sehen, wie sie antwortet, die Unverschämte, die sich unserem Zugriff so hartnäckig verweigert. Wir nennen das Forschen. Klug werden wir dadurch nicht, so stark die Natur uns erscheint, ist sie doch zart. Eine Rose, eine Orchidee, ist kein Amboss auf den man einschlagen kann und mit einem Schraubenschlüssel anzurücken wird wenig nützen. Genschere klingt nach Frankenstein, und das Einschleusen fremder Gene wie ein Betrug am Mann. Verunstaltet mit einer Fratze im Gesicht, glotzt einen diese malträtierte Natur nun an und der Vorteil den man sich versprach, verkehrt sich über kurz oder lang in sein Gegenteil. Nach welchen Gesetzen die Natur arbeitet, welche Kräfte hinter ihr wirken, wenn da für jedermann sichtbar, man kann es kaum glauben, über verschiedene Stadien der Verwandlung hinweg, aus der Zygote ein Schmetterling wird, das und nichts anderes ist es doch um was es hier geht, wüsste man wirklich um diese Natur Bescheid. Doch diese Buchseiten stehen leer; wer da wirklich auf der Seite derer, die das Heft in der Hand halten, weiß, was Sache ist, möge sich bitte melden. Wie Einstein meinte, sind wir mit dieser Wissenschaft nicht auf der Seite des Wissens, sondern auf der ständigen Flucht vor dem Staunen. Auf Dauer gut geht das nicht.
Den Baukran, dass er nicht umfällt, oder, dass Wasser das Licht in einem bestimmten Winkel bricht, macht der Wissenschaft niemand streitig. Wodurch die Welt aus den Fugen geriet ist etwas anderes, es war der Tag, an dem man die Physik auf die Biologie übertrug. Man muss sich wundern, dass dies passieren konnte, lassen der feinstrukturierte Bau eines Schmetterlings oder die wohlgeformte Blüte einer Orchidee doch an alles andere denken als an Physik. Doch es geschah, obwohl da jedem, aber auch wirklich jedem, hätten Zweifel kommen müssen. Jemand einzureden, die Zeichnung auf dem Flügel eines Schmetterlings verdanke sich einem chemischen Prozess, ist gewiss nicht leicht. Doch ist die Skepsis, die hier aufkeimen sollte, uns an gedanklichem Aufwand heute schon zu viel. Die Botschaft, die ein Käfer, ein Schmetterling ein Baum, ein Kind eine sommerliche Wiese oder der Wald uns vermitteln, kommt bei uns heute nicht an. Heute gilt es als ausgemacht, dass die Natur tot ist und es Kräfte höherer Art, solche die unser Verstand nie begreift und auch nie begreifen wird, dort nicht gibt, ja es ist dies das Selbstverständlichste von der Welt. Mit dem Übertrag der Physik auf die Biologie, bekamen wir dann all die Probleme die wir heute haben, dass Gott tot ist, dass wir mit der Natur falsch umgehen und das Leben als eine Kraft nicht anerkennen. Für wen das Leben keine Kraft sein darf, der fühlt auch nicht mit ihr und dem Leben mit. Und er wird falsch handeln, sowohl gegenüber sich selbst, wie gegenüber der Natur im Ganzen.
Klar ist uns das in keiner Weise. Was man von Prominenten eben so wissen will, wurde Clint Eastwood einmal danach befragt, ob er ein Weiterleben nach dem Tod für möglich halte. Überlegen, wie sich dieser Mann stets gab, meinte er, das sei Wunschdenken, in solchen Sachen bleibe er rational. Andere bekannte Größen äußerten sich in ähnlicher Weise. So meinte der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, man solle um ein Weiterleben nach dem Tode nicht viel Federlesens machen, in den Atomen und Molekülen würde man überleben und außerdem dienten diese ja dem Gras als Dung, dass es sprieße. So überlebt einer dann halt in den Atomen und Molekülen der Suppe, die er gestern gegessen hat. Der Kabarettist Dieter Hildebrand meinte gar, er fände sich dereinst in den Kohlenstoffatomen eines Autoreifens wieder. Sie alle haben den Materialismus der Biologie fraglos übernommen, und der Physik, und der Chemie, Fächern die ihnen selbst fremd waren, in Unkenntnis Fähigkeiten angedichtet, die sie innerhalb physiologischer Prozesse nie und nimmer besitzen. Gerade Menschen, die in der Schule mit diesen Fächern ihre Schwierigkeiten hatten, übernehmen, was ihnen die Wissenschaft sagt, ungefragt. Damit, dass sie von sich behauptet, eine Naturwissenschaft zu sein, ist für sie alles gesagt. Ihnen genügt allein dieses Wort Wissenschaft und dass einer nicht rational sein soll, der nicht an sie, die alles bestimmende glaubt. Erst kommt ja heute die Wissenschaft vor allem andern, wer oder was auch sonst? Wen soll man fragen, etwa Gott, ist doch heute jedem Schulbuben klar, dass der in Schopenhauers Käfer nichts zu suchen hat. Menschen wie Eastwood oder Helmut Schmidt waren Tatmenschen, sie waren ehrgeizig, zu etwas, das einer allgemeinen Übereinkunft entspricht in Opposition zu treten, etwas das sie in ihrem Vorwärtskommen hindern könnte, gar sich als Außenseiter zu erkennen zu geben, käme solchen Menschen nicht im Traum in den Sinn. Diese Menschen geben sich rational, sie tragen das wie ein Parfum mit sich herum. Dass da Gott in der Natur nichts zu suchen hat, haben sie begriffen, von den Fächern Mathematik, Physik und Chemie nichts.
Daran, was für wahrhaft phantastische Eigenschaften man Atomen, Molekülen und Zellen zuschreiben müsste, um sich von einer befruchteten Eizelle zu einem Käfer oder Schmetterling hin auf den Weg zu machen, haben sie nie einen Gedanken verschwendet. Wenn man in Rechnung stellt, auf welch verschlungenen Wegen Atome, Moleküle und Zellen da unterwegs sind, wird einem schwindlig, wenn man nur daran denkt. Durch den Spalt einer Tür, die eigentlich offen steht, haben sie nie geblickt, und genau da liegt heute unser Problem. Die metaphysische Schwärze, die uns umgibt, ein Gott der nichts taugt, eine Natur, von der wir glauben, wir hätten sie mit einem Wort wie Naturwissenschat im Griff, dass wir uns selbst für sterblich halten und uns über den Tod wundern, nicht jedoch über die Geburt (die das größere Rätsel ist), dass wir gefangen sind in einem System, das keine Logik besitzt und uns die Natur, in dem was sie wirklich ist, vorenthalten wird, all das verdanken wir der Biologie, die uns einreden will, einer höheren Welt für den Schmetterling und das Leben ganz allgemein, bedürfe es nicht. Auf den abgrundtiefen Atheismus, der mit einem Begriff wie Naturwissenschaft einhergeht, schwören wir heute Stein und Bein. Mit dem Käfer, der Ameise, dem Schmetterling wirklich beschäftigt, haben wir uns nie. Und nur deshalb hat das mit einer Naturwissenschaft, die wir angeblich besitzen, dann auch geklappt. Goethe kämpfte gegen den Ungeist einer Wissenschaft an, die den Käfer als den, der er tatsächlich ist, nicht im Mindesten interessiert. Er gab uns den Rat, uns mit der Natur zu befassen, in dem was sie tatsächlich ist. Die Mythen und Märchen, die man um die Biologie gesponnen hat, schwinden in dem Augenblick wie Schnee an der Sonne dahin, wenn wir uns diesen Käfer einmal zur Brust nehmen und ihn befragen in dem, was er wirklich ist.
Es ist an der Zeit, diese geradezu unglaubliche Gedankenlosigkeit an den Pranger zu stellen, macht der Käfer Schopenhauers als die Physik, beziehungsweise die Chemie die er sein soll, bei näherem Hinsehen doch eine reichlich schräge Figur. Das Kind, als es aus der Taufe gehoben wurde und man die Chemie und die Physik des Labors auf die Biologie übertrug, braucht einen Namen! Die seligen Zeiten, in denen Voltaire noch sagen konnte, „Wenn es keinen Gott gäbe, müsste man ihn erfinden; doch er existiert, die ganze Natur ruft es uns zu“, scheinen, seitdem man die Physik der Biologie ans Bein hexte und alle an dieses Märchen glauben, ein für alle Mal vorbei. Sie kommen wieder!