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Die Frage

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Das künftige Denken ist nicht mehr Philosophie.

Martin Heidegger


Nicht redet diese Schrift von menschlichem Leid, von unergründlichem Schicksal, von der Angst vor dem Tod, nicht vom Sinn des Lebens, nicht von einem Gott, der sich nicht zeigt und für einen sorgt, nicht von der Grausamkeit der Natur, nicht von Krankheit, der Ungerechtigkeit der Welt oder dem Krieg.

Der französische Schriftsteller und Philosoph Jean Paul Sartre meinte, wenn der Mensch erlebe, dass er existiere und irgendwann sterben müsse, ohne darin einen Sinn zu erkennen, dann schaffe dies Angst und er müsse sich in einer Welt ohne Sinn fremd fühlen. Dies wiederum führe zur Verzweiflung und zur Langeweile, oder auch zu Ekel und Auflehnung. Er war davon überzeugt, dass es ewige Werte nicht gebe, nach denen er sich und sein Leben ausrichten könnte, dennoch sei er frei. So etwas wie Verantwortung sah er dann doch, aber, worauf soll sie sich gründen? Ein anderer, Friedrich Nietzsche, sprach so: Wohin bewegen wir uns, irren wir nicht durch ein unendliches Nichts? Gott ist tot! Gott bleibt tot. Das Leben in Schaffen und Zerstörung hat nichts worauf es zugeht, keinen Zweck und kein Ziel. November in Sils Maria, Nebelfetzen irren im Tal, früh fällt die Nacht.

All diese Menschen, und es gibt deren nicht wenige, graben an der falschen Stelle. Sie erkennen den Grund ihres so Seins nicht. Der Gegner mit dem sie es zu tun haben wandelt in ihrem Haus. Sie bewirten ihn mit guter Speise und geben ihm kostenlos Logie. Abends im Gespräch am Kamin halten sie mit ihm Eintracht und reißen gemeinsam Witze. Was ihnen dieser Hausgeist vorlegt unterschreiben sie unbesehen. So ruinieren sie ihr Vermögen wie ihren Verstand, denn der, den sie ihren besten Freund nennen, ist ein Betrüger. Sie lassen sich jedoch nicht davon abbringen und sagen er sei im Recht, mit der Begründung, sein Leumund sei bestens, was stimmt. Dass es so sei nennen sie das Gesetz. An dem ließe sich nicht rütteln. Was Gesetz ist liegt nicht in unserer Hand, sagen sie.

Von dem her, was Jean Paul Sartre in intellektueller Hinsicht zu leisten vermochte, war er ein Gigant. Sah er einen Bogen Papier, musste er ihn beschreiben. Und so beschrieb er tausende von Seiten, virtuos, dicht, klug. Sätze vollgepumpt mit Bildung, Zehnfingersystem. Wie ein Krake griff er aus, dass er nichts von dem was einer wie er zu fassen bekam, vergaß. Seinem Hauptwerk gab er den Titel : „Das Sein und das Nichts“ Nachdem man es gelesen hat ist man klug, aber leider so klug wie zuvor. Manche Sätze darin sind so klug, dass sie klüger sind als der Autor selbst. Peinlich, wenn er das nicht bemerkt.

Als Denker interessiert mich die richtige Frage, sagt der Philosoph. Ja, gibt es sie, die eine, die alles Übrige beantwortet, gehört ihm die Welt. Mit Geld ist sie nicht zu bezahlen. Nicht immer, wie hier im Fall Sartre, ist ein verqualmtes Zimmer, er rauchte Kette, der richtige Rahmen dieses philosophische Gold zu finden. Laden wir deshalb den Philosophen ein und begeben uns mit ihm zusammen hinaus an die frische Luft. Vielleicht steigen wir mit ihm wie Jesus auf einen Berg, dort pfeift der Wind und da ist es gut möglich, es weht ihm hier oben, wo die Luft klar ist, die richtige Frage zu. Auch ein Philosoph muss mal raus in die Natur und so sehen wir ihn denn heute inmitten von Touristen oben am Gipfelkreuz, wie er den Blick in die Ferne gerichtet auf diese sinnlose Welt hinunterschaut oder dem sinnlosen Spiel der Wolken zu. In Gedanken ist er schon wieder zu Hause am Schreibtisch bei Stift und Papier. Der Wind lässt ihn frösteln, die Sonne scheint ihm zu grell, die Luft ist zu dünn und der Abgrund nah.

Plötzlich grüßt es von hinten Hallo. Es ist eine sinnlos hübsche Studentin aus seinem Seminar, die er zufällig da oben trifft, unverhofft kommt ja oft. Natürlich sind die beiden schnell bei der Philosophie. Eigentlich wollte die junge Dame Biologie studieren, sagte sie, blieb dann aber doch bei der Philosophie. Obwohl sie dem Philosophen bisher nicht aufgefallen war, entwickelte sich zwischen den beiden bald ein lebhaftes Gespräch. Der Duft würziger Kräuter durchströmte die Lungen und machte den Kopf und das Denken frei. Am Himmel kreiste majestätisch ein Adler. „Ja, der Adler,“ sagte sie, „wer ihn nicht in seinem Herzen trägt ist kein Philosoph.“ „Hinter der Stirn, Madame“, berichtigte sie der Philosoph, „hinter der Stirn, im Kopfe.“ Und wie im niederen Buschwerk ihnen zu Füßen allerhand Getier krabbelte, fühlte sie sich befleißigt Schopenhauer zu zitieren: „Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten, aber alle Professoren keinen herstellen.“ „Aber bitte, liebe Kommilitonin, das mit dem Ungeziefer ist ja wohl klar, kalter Kaffee, Evolution, Mutation, Selektion, Gene, Zeit, viel Zeit, Protein, chemische Prozesse, physikalische Gesetze, Zufall, Mann Gottes, auf welchem Planet leben Sie? Schopenhauer war ein Schwärmer.“

Man muss wissen, das französische Schulsystem ist streng auf Reproduktion und Rezitation geprägt und Sartre hat alles was ihm gesagt wurde stets brav gelernt. Er war auf die Note eins abonniert. Die Studentin ließ sich von dem großen Mann nicht irritieren. „Und wenn nun alles Schwindel ist, an was Sie da glauben, die Chemie, die Physik und all das Andere?“ „Papperlapapp, das bin nicht ich, das ist die Wissenschaft, die das sagt,“ entgegnete der Philosoph kurz und knapp. Irgendwie war ihm die Laune verdorben. Die junge Frau ließ nicht locker. „Bleiben wir dabei und nehmen einmal an, die Art wie wir heute denken ist falsch, was machen Sie dann?“ insistierte sie weiter und fuhr ungeachtet des dunklen Gewölks um die Stirn des Philosophen fort: „Zweifellos spricht Schopenhauer mit diesem Käfer von Gott, dem er die Wissenschaft entgegensetzt, von der er sagt, dass sie ihn nie und nimmer erreicht und nie und nimmer erreichen wird, was machen Sie dann?“ „Wissen Sie was, junge Frau, ich treibe Philosophie, naturwissenschaftliche Studien anzustellen, dafür bezahlt man mich nicht. Ich kümmere mich um den Menschen, sinnlos geworfen in ein sinnloses All, sterblich, verblasen im Wind“, erwiderte der Philosoph. Die Studentin schmunzelte. Sie dachte an den Titel eines Films „Hunde wollt ihr ewig leben?“ und stellte sich einen UrUrUr…Enkel, selbst schon so alt wie Methusalem vor, wie er seinen Großvater aus dem Bett holte mit dem Weckruf: „Opa, Opa, schau mal hinaus, da draußen, ein roter Riese, die Sonne bläht sich auf zu einem roten Ballon.“ Offensichtlich hatte hier ein Philosoph, ein Titan des Geistes, Schwierigkeiten mit der Metaphysik! Doch sie behielt das für sich.

„Die Wissenschaft, die Physik, die Chemie, die Biologie gehen mich nichts an.“ fuhr der Philosoph fort. Das haben doch die Fachleute alles längst geklärt, oder sie sind dabei es zu klären. Ich betone es noch einmal, gehen sie mir mit diesem deutschen Schwärmer, der an den Osten geglaubt hat, fort, er hinkte seiner Zeit hinterher und der heutigen sowieso. Die Materie kann gar nicht anders, sie treibt das hervor was ist, wie Gras auf dem Mist. Von der Schönheit der Natur und ihrer perfekten Organisation lasse ich mich nicht beeindrucken. Das hat Darwin alles geklärt, die natürliche Selektion und Zeit, Zeit und noch einmal Zeit, da kriegt man alles hin, das glaubt einem kein Mensch was da möglich ist. Wenn ich so lange Zeit habe wie die Natur kann ich das auch, vielleicht noch besser. Mich interessieren die philosophischen Fragen, nicht dieser ganze chemisch physikalische Quatsch, wo einer den anderen frisst, wohl bekomms“, sprach er kauend. Er hatte inzwischen seine Wurstsemmel ausgepackt und ließ sie sich schmecken. Offenbar hatte ihn die frische Luft hungrig gemacht.

Der Studentin war klar, sie musste ihm seine Meinung lassen. Der Mann fühlte sich aus der Reserve gelockt, gegen Menschen die an der Wissenschaft Zweifel hegten war er allergisch. Offensichtlich hatten sie in der Schule gefehlt, sie waren Versager, schwärmerisch veranlagt oder durch irgendeinen Guru verführt. Als aufrechter Verfechter eines aufgeklärten Denkens hatte er für so etwas schlicht und einfach keine Zeit. Weder Zeit, Lust, Humor, noch Geduld, wartete doch zu Hause ein ganzer Stapel weißen Papiers darauf, dass er es beschrieb. Und nun saß er hier, vertane Zeit, ließ sich von Mücken stechen und holte sich womöglich den Brand.

Die Studentin sah den Unmut des Philosophen, wie er stieg, gleichzeitig aber wusste sie auch, Sartre war ein Intellektueller par Excellence. Und da, an dieser Stelle wollte sie ihn packen. Intellektuelle sind Spieler und so erklärte sie das Ganze zum Spiel. Als sei sie bereit zu einem Kompromiss, und um ihn nicht weiter zu provozieren, gab sie sich entspannt: „Wir werden die Sache wohl heute nicht klären. Machen wir daraus ein Spiel. Und da würde mich dann doch die Meinung gerade eines Intellektuellen mit Format, mit Weltformat wie Sie einer sind, interessieren. Behandeln wir das Ganze also rein theoretisch und nehmen gegen jede Vernunft, gegen jeden Verstand einmal an, die Wissenschaft hätte Unrecht, alles was sie behauptet sei falsch. Als ein reines Planspiel regt uns das nicht weiter auf. Trotzdem muss es rein intellektuell gesehen möglich sein, diese Frage, was passiert, ist es falsch was die Wissenschaft zu diesem Thema sagt, auf eine fundierte Weise zu klären.“ Wie es um diesen Käfer, wenn er so schwirrt, wirklich steht, dass dies die Frage aller Fragen ist und mit ihr die Welt steht und fällt, wenigstens das, dass er das versteht, wollte die Studentin bei ihrem Gegenüber erreichen. Ihr selbst war wie Jorge Luis Borges (1899- 1986) längst klar, würden wir auch nur eine einzige Blume verstehen, wüssten wir wer Gott ist und was die Welt. Ebenso galt, was immer einem auch an Fragen einfallen könnte, ließe sich beantworten, wüsste man wirklich um den Käfer Schopenhauers Bescheid. So ganz nebenbei wollte sie Sartre eine Ahnung davon vermitteln, falls er sich um diesen Käfer nicht kümmert und ihn der Wissenschaft überlässt, er sich dann gar nicht erst mit der Philosophie zu beschäftigen brauchte. Wenn eine solche Philosophie dann überhaupt noch Philosophie wäre! „Meines Wissens wurde die Frage was Leben ist bis heute nicht wirklich beantwortet.“ fuhr sie fort. „Ein Intellektueller soll und darf sich einem solchen Spiel nicht verweigern, sei es auch noch so absurd, lächerlich machen sollte er sich nicht. Sehen wir einmal vom Realitätsgehalt dieses Spiels ab, ist alles möglich.“

Der Philosoph zündete sich eine Zigarette an um seine Nerven zu beruhigen, er meinte „auf dieser Ebene können wir uns treffen, da haben Sie recht, dem intellektuellen Spiel gegenüber sage ich nicht nein. Auch so etwas Absurdes, Abstruses wie die Wissenschaft in Zweifel zu ziehen, hat seinen Reiz und es bereitet durchaus ein gewisses Vergnügen mit einer solchen Idee zu spielen.“ „Nehmen wir einmal an, die Wissenschaft hat Unrecht“ fuhr die Studentin fort. „Und der Käfer dieses deutschen Romantikers ist nicht anders zu denken, als dass ihn von der Zygote zum fertigen Exemplar einer erbaut, oder ihn überhaupt am Leben erhält, hier, gerade jetzt in diesem Moment, auf eine geheimnisvolle Weise. Vielleicht ragt da aus jener Ferne, die wir nicht erreichen ein Feld in unsere Welt hinein, Spielwiese einer Art von Superintelligenz, jenseits von Raum und Zeit, die wir, mit verschämt auf den Boden niedergeschlagenem Blick, versucht sein könnten, sie Gott zu nennen. Sprich, die Physik und Chemie, von der sie reden, gäbe es nicht, wie sieht es dann mit der Philosophie, mit Ihrer Philosophie, mit der Art wie wir heute denken aus? So oder ähnlich ließe sich die Sache um Schopenhauers Käfer wohl heute an.“

„Billionen von Atomen und Molekülen sind in diesem Tier solange es lebt unterwegs,“ setzte sie noch eins drauf. „An welch geheimnisvollen Fäden werden sie geführt hin auf das Bild dieses Käfers, obwohl es da, wenn er sich entwickelt, um tausenderlei Ecken und Kanten geht, dass er nicht aus dem Ruder läuft, bei all dem kruden Zeug, das er frisst? Das habe ich schon als Kind meinen Vater im Zoo gefragt, als wir dort sonntags einen Besuch machten, wie wird aus dem Heu, das der Elefant frisst ein Rüssel? Und schon damals mit fünf Jahren war ich mir sicher, wer mir sagt, er wüsste wie das geht, der lügt.“ Der Denker tat drei tiefe Züge, Lunge. „ Ja, dann, wenn sich die Sache mit der Steuerung dieser Billionen von Teilchen nicht klären lässt, gäbe es eine Instanz, die wir als Gott bezeichnen könnten, das ist richtig und wie wir uns die Welt heute denken, auch die Philosophie, verbläst der Wind.“ Im Klang seiner Stimme, wie er diesen Satz sprach, lag ein Ton feiner, verkniffener Ironie. Aber es war da auch ein gewisser Schreck herauszuhören, so als hätte er das Wort von der Steuerung, das ihm als sprachgewandtem und präzisem Denker angesichts der Widerrede der Studentin einfach so herausgerutscht war, hier in diesem Zusammenhang zum ersten Mal in seinem Leben gehört. Und dass es hier um Steuerung ging war klar. Wo da ein Fühler in die Luft sich reckte, dort, knapp daneben platziert, ein Auge sich befand, dann, Kleinkunst am Bau, die Kauwerkzeuge, die, ob ihres filigranen Baus, den Betrachter in Staunen versetzen, nicht zu vergessen, die feingerippten Flügel und unten, das Chassis, getragen von Beinchen, herzallerliebst mit Krallen, Widerhaken und Härchen dran; das alles auf engstem Raum, dicht an dicht, da drängte es sich einem geradezu auf, dass all dies, aus dem völlig anders gestalteten Anfang einer ersten Zelle heraus, ohne Steuerung nicht möglich war. Alles an diesem Tier war ja Form, ausziseliert bis ins Feinste, wie kein Künstler sie hätte besser gestalten können. Man konnte den Eindruck gewinnen, der Philosoph sei dieses Umstands wegen nun leicht irritiert. Hatte er sich mit dem Wort Steuerung ein Bein gestellt? Steuerung, das klingt nach etwas von außerhalb, nach einem Hier und Jetzt, das der Materie sagt, was sie machen soll. Und das, wo es doch heißt, die Materie da in unserem Käfer mache alles selbst! Ein Fauxpas, man kann das nicht anders sagen.

Sartre wurde das dumpfe Gefühl nicht los, dieses Wort mache ihm sein ganzes Konzept kaputt. Eine bisher nie gekannte Unsicherheit ließ ihn die Sonne, die dünne Luft und den ständigen Wind der um den Gipfel strich, spüren, es fröstelte ihn. Auf seinem Cape, auf dem er sich niedergelassen hatte, rutschte er unruhig hin und her. Nach außen hin merken ließ er sich nichts. „Ja dann, wenn das so ist, haben die Schwärmer Recht“, fuhr er fort, „ aber sie haben es nicht.“ „Geben sie zu, dass ihre ganze Philosophie mit einem Gott, den es da in der Natur nicht geben soll, nur an einer einzigen Annahme hängt… der, die Wissenschaft habe Recht und alles in diesem Käfer, hunderte Billionen von Teilchen, flutschten wie Seife nur so dahin?“ „ Das gebe ich zu,“ räumte der Philosoph ein, „aber, da die Wissenschaft Recht hat, bin ich auf der sicheren Seite, ihre Frage ist hypothetisch, so als sei der Mond weißer Käse.“ „Bleiben wir dabei, nehmen wir an, der Schwarmgeist Schopenhauer habe Recht und eine Million Jahre, eine Million Professoren und zehn Tonnen gescheites Gehirn reichten nicht aus uns auch nur die kleinste Mücke zu erklären - schon wieder hatte den Philosophen eine gestochen - so müssen Sie doch zugeben, Ihre ganze Philosophie ist falsch. Die Folgen sind dann gewaltig. Ragt die Leiter dieses Käfers in den Himmel, und ich meine den echten Himmel, den, der nicht endet, anders gesagt, lässt es sich wissenschaftlich nicht ergründen, was es mit diesem Insekt auf sich hat, nimmt sie alle Fragen, gerade die, mit denen Sie sich beschäftigen, die des Todes, allen Leids, allen Elends, aller Widersprüche, wie auch die des Bösen dieser Welt in sich auf. Eine Größe, die unerreichbar ist, bedarf meiner Fragen nicht. Nachhilfe von meiner Seite bedarf sie nicht. Sollen nur wir das Gute denken können und eine Welt, die auch uns selbst, wenn wir den Gedanken der Steuerung weiter verfolgen, in jeder Sekunde neu erschafft, nicht? Das ist lächerlich. Die Natur wie sie ist, auch mit ihrer Grausamkeit, gehört wohl zu Gottes Plan. Keiner hat das besser zum Ausdruck gebracht als Goethe, der sagte, in der Natur spiele Gott die Orgel und der Teufel trete die Bälge dazu. Und an deren Spitze steht bekanntlich der Mensch, der Gut und Böse zu unterscheiden vermag. Was will man mehr? Auschwitz, das war nicht Gott, das waren wir. Und wenn es sie, diese Größe gibt, - angenommen es ist, was wir heute Naturwissenschaft nennen, falsch und es eine solche Wissenschaft gar nicht gibt - und die Atome und Moleküle in Schopenhauers Käfer wissen ohne externe Hilfe nicht aus noch ein, erledigt sich auch der Zweifel. Verantwortung und Sinn werden unter der Schirmherrschaft einer höheren Welt zur existentiellen Pflicht, wie Donnerhall klingen sie aus jener Ferne zurück, die keiner je erreicht.“ Die Partie war eröffnet. Jetzt folgte Zug auf Zug. Wo ein Gedanke den anderen nach sich zieht, ist die Fahrt nicht zu stoppen. Auf halber Strecke anzuhalten war die Sache dieser Studentin nicht. Und da der Philosoph in solch attraktiver Nähe sich ein Amüsement daraus zu machen schien, der Jugend ihren Lauf zu lassen, fuhr sie fort.

„Dem ersten folgte der zweite Krieg und ihm der dritte, der Krieg gegen die Natur. Irgendetwas scheint mit uns nicht in Ordnung zu sein. Ich frage mich, führen Menschen die, wenn sie ein Haus bauen, einen Regenwurm zur Seite in Sicherheit bringen, Krieg, vergiften oder verstrahlen sie die Natur? Sehr wahrscheinlich nicht. Und den Wurm setzen sie auch nicht daneben ins Gras, weil sie glauben, dass sie ihrer reinkarnierten Großmutter andernfalls auf die Füße treten (die Studentin lacht). Sie tun dies, wie Albert Schweitzer es formuliert hat, aus Ehrfurcht vor dem Leben. Ihre Haltung gegenüber der Natur, ja der ganzen Welt, ist eine andere. Es verhält sich da wie bei Schopenhauer, dass jedes Lebewesen und vor allem auch der Mensch selbst einer Welt entstammt, die so hoch über allem steht, dass wir sie, so sehr wir uns auch mühen, nie erreichen. Schweitzers Ethik ist in Wahrheit die einer Ehrfurcht vor Gott. Mücken totzuschlagen, ließ er nicht zu, und wenn ihn jemand deshalb kritisierte sagte er, das sind meine Mücken. Solche Menschen wissen auch etwas anderes, das Leben ist eine Kraft, eine göttliche Kraft, die man nicht unbegrenzt belasten kann. Glauben Sie mir, unser inneres Koordinatensystem wäre ein anderes, wären wir gewiss, dass es Gott und seine Kraft wirklich gäbe. Das Schaffende hat anders als das Geschaffene an Raum, Zeit und Vergänglichkeit keinen Aneil. Ich glaube nicht, dass Menschen Kriege führen, die wissen, alles Vergängliche ist nur Schein.

Da der Chemiker in seinem Labor keinen Käfer hinbekommt, ist ihnen ebenso klar, die Natur macht das anders. Sie ist eine göttliche Kraft, zu der die Chemie und die Physik im Widerspruch stehen. Überzeugen tut mich die ganze Propaganda, die heute auf uns niederprasselt, nicht. Wer anders denkt weiß, dass diese Kraft empfindlich ist, er weiß ebenso was ihr nutzt und was ihr schadet, und vor allem warum. Und das Wichtigste, er fühlt mit dieser Kraft mit. So verhält er sich gegenüber den Tieren, seinen Mitmenschen, sich selbst in der Art, wie er lebt und der Umwelt gegenüber anders. Die Misere, unter der wir leiden, ist doch die, dass es für uns diesen Gott Schopenhauers oder den Goethes, der in der Natur die Orgel spielt, der in jedem aller Wesen zugegen ist, und sie in jedem Moment neu erschafft und am Leben hält, nicht geben darf. Und glauben Sie mir, das hat Folgen, hier in Sachen Umwelt, dort in Sachen Moral. Wir sehen, dass wir Gott aus unserem Käfer herausgeworfen haben, bedeutet nichts anderes als, dass es ihn, nicht nur philosophisch gesehen sondern auch ganz praktisch in unserem Verhalten, der Umwelt oder auch uns selbst gegenüber, dann nicht mehr gibt. An einen Gott, den einer da ganz tief in sich drin spüren soll, im Angesicht einer Welt, die nichts auslässt, was man an Bosheit und an Schlechtem nur denken kann, nicht weniger in Anbetracht einer Natur, die grausam ist, glaubt in einem tieferen, ontologischen Sinne kein Mensch. Auf der anderen Seite ist dann ebenso klar, wenn es diese, dem menschlichen Verstand nicht fassbare Größe in der Natur, sprich diesen Gott wirklich gibt, geht durch diese Welt ein Ruck. Dann wäre auch ihre Philosophie eine andere, da bin ich mir sicher. Eine Belehrung oder Kritik meinerseits bedarf diese Größe, die ich dann in einem Käfer, einer Ameise oder einem Schmetterling erkenne, nicht. Es fällt mir da keine Frage ein, die sich, wenn ein solcher Ruck durch diese Welt geht, nicht anders stellt. Da werden die Karten in jeder Hinsicht neu gemischt. Das Problem ist doch das, wenn wir, wie es geschah, Gott aus diesem Schmetterling verbannen, es ihn dann gar nicht mehr gibt, denn was wir heute Religion nennen reicht nicht tief, oder es ist gar ihr Gegenteil. Wo anders, als auf der Bühne der Wandlungen, wenn das Ei zu einer Raupe wird und es sie von da über die Larve in den Schmetterling treibt, soll dieser Gott sein, wenn nicht hier? Haben wir das einmal begriffen, beginnen wir zu verstehen, die wirkliche Welt ist nicht die, die wir anfassen können, sondern jene, die Atome und Moleküle in unserem Käfer am Laufen hält. Dazu müssen wir jedoch wie Schopenhauer erst zu der Überzeugung gelangen, dass sie das von sich aus nicht tun. Und daraus ergibt sich dann fast schon von alleine, was hinter den Dingen wirkt ist ewig, es gehört dem, was wir mit unserem Verstand fassen können, nicht an. Wenn wir schon unsere rein physische Existenz einer solchen Welt verdanken, wieviel mehr die Person, die wir sind. Die Menschen des Ostens wissen, dass sie sich vor einer Welt, die eine völlig andere ist als wir heute annehmen, verantworten müssen, und es den Tod nicht gibt. Deshalb, um ihr Karma zu verbessern, vollbringen sie gute Taten.

Hitler, und dass man alle Kultur, Ethik und Religion vergaß, das war der Zweifel, der Zweifel, dass es Gott wirklich gibt. Hitler setzte nur um, für was er diese Welt hielt. In der Biologiestunde hatte er aufgepasst, in der Religion, die einen Gott lehrte, an den man lediglich glauben durfte, nicht um ihn wissen, nicht. Da hielt er sich lieber an das was er sah und da in der Natur fraß einer den anderen auf. Sein Pamphlet „Mein Kampf“ liest sich dann auch wie ein Who is Who der Biologie. Wie ein Irrer spielte er eine Natur ohne Gott, wie man sie ihn gelehrt hatte, nach. Da war dann die Rampe und die Selektion, der die Desinfektion folgte. Der Mann litt unter Bazillenangst. Nach jedem Kontakt mit seinem Hund wusch er sich die Hände. Hitler war ein gepflegter Mann, seine Sekretärin Junge kommentierte das so. Im Umgang mit Behinderten sah man, woran man mit Hitler war. In der Natur hat Behinderung keine Chance. Doch nicht nur die Behinderten verfielen dem Wahn, auch die Juden. Die Zeit möchte ich kennen, die einen verrückteren Satz als den Himmlers hätte hervorbringen können, selbst beim Anblick tausender von Leichen anständig geblieben zu sein. Wie deutlich hört man da im übertragenen Sinne eine Art Bazillenangst heraus und in der Folge, wer das Gesetz der Natur vollziehe, sei deshalb kein schlechter Mensch. Die israelische Produktion „Der Anständige“ ist eines der beeindruckendsten filmischen Dokumente, die es gibt. Das süßliche, ungerührte Nebeneinander von Privatem, mit Kosenamen wie Mami und Püppi, die Himmler seiner Frau Margarete und seiner Tochter Gudrun zugedacht hatte, wird hier in diesem Film direkt seinen mörderischen Befehlen gegenüber gestellt. Kaum lässt sich dieser Film ertragen. Er ist widerwärtig. Das Ganze, auch historisch gesehen, ist nicht normal. Zu allen Zeiten war das Böse präsent, immer, überall, und in jeder Form. Nur in dieser Form nicht. Hinterlist, Boshaftigkeit, Rücksichtslosigkeit, Brutalität, Mord und Totschlag, Rohheit, Schadenfreude, Sadismus, Niedertracht, Unterdrückung, Knechtschaft, Egoismus zum Schaden anderer, das alles und was einem sonst noch an Schlechtem einfallen könnte, trifft hier bei Hitler und Himmler den Kern dieser Sache nicht. Wem wir hier begegnen, ist der Übermensch Nietzsches, der, nachdem der Philosoph Gott in der Welt nicht mehr finden konnte, dessen Stelle einnimmt, hart, grausam, brutal, als eine Projektion im Kleinen, was diese Welt nach der Ansicht vieler Menschen heutzutage in Wahrheit ist. Ein Mensch wie Himmler konnte einer anderen Zeit als dieser nicht passieren. Hexen zu verbrennen war das eine, es war eine Art von Besessenheit einer von Mythen und bösen Geistern besetzten Zeit. Behinderte umzubringen ist etwas anderes, es ist der Akt eines fehlgeleiteten und pervertierten Intellekts. Alle Schlechtigkeit dieser Welt kam seither irgendwie aus dem Bauch, was Himmler und Hitler taten, kam aus dem Kopf. Der Geist einer Zeit, in der die Welt zu einem chemischen und physikalischen Totenhaus mutierte, es einen Gott nicht gibt und der Stärkere siegt, dringt in diesem Film aus allen Ritzen, deutlich wie nirgendwo sonst. Er wird hier zur Religion. Radikaler als im Hier und Jetzt hat sich dieses „Gott ist tot“ Nietsches nie in dieser Welt manifestiert. Mir fällt dazu nur eines ein, lieber Gott, dass du dem Menschen den sogenannten Verstand gegeben hast, war ein gewagtes Experiment. Mehr lassen sich Verbrechen und Wahn nicht steigern. Auch historisch gesehen war der Tiefpunkt der Menschheit mit Hitler, Himmler und Mengele erreicht. Mehr geht einfach nicht.

Um hier die Brücke zu schlagen, wer diesen Orgelspieler Gott in der filigranen, ausziselierten Gestalt, sagen wir einmal einer Libelle, auch wenn sie anderes Kleingetier frisst, nicht mehr sieht, landet direkt in der Hölle. Dass wir nichts wissen können, so beginnt der Faust, was in krassem Widerspruch zur Wissenschaft steht, die behauptet, wie die Welt funktioniert wisse sie, zumindest vom Prinzip, wenn auch noch nicht ganz im Detail. Das ist der Faust, nichts anderes: die Welt ist von Gott, reine wasserklare Metaphysik. Um nicht das kleinste Zipfelchen, wo sich auf verschlungenen Wegen in der Natur etwas bewegt, wissen wir Bescheid. Damit ist Gott gewiss. Man müsste geradezu blind sein, ihn nicht zu sehen. Einzig und allein die Wissenschaft, die sagt, der Wald und die Wiese sei ein biochemischer Prozess, das alles sei Physik und Chemie, hält einen davon ab. Doch warum ist das alles so kompliziert? Fiele dem Menschen das Gute und die Erkenntnis der Welt wie eine reife Frucht in den Schoß, wäre er nicht frei - und damit kein Mensch. Er muss sich, was es mit dieser Welt auf sich hat, erarbeiten. Den Käfer Schopenhauers muss er sich erarbeiten, andernfalls guten Nacht. Spinosa sagt im Übrigen ganz dasselbe, betonte er doch, einen anderen Zugang zu Gott als die Natur gebe es nicht. In dieselbe Kerbe, wenn auch in etwas verklausulierter Weise, schlägt im Übrigen Heidegger, der zum Ende seines Lebens erkennen musste, das künftige Denken sei nicht mehr Philosophie, zumindest nicht die klassische Philosophie, verstanden als Spekulation, als die er sie kannte. Auch ohne dass er das so deutlich zum Ausdruck gebracht hat, was damit gemeint sein könnte, kann man erahnen, worum es geht. Zuerst einmal steht da die Natur.

Ließe man sich dann, wie es sich eigentlich gehören würde, dazu herab, den Tatsachen entsprechend zu beschreiben, was diese Natur wirklich macht, was mit Philosophie bis dahin noch nichts zu tun hat, würde man bei dem Versuch, die Ergebnisse zu interpretieren, sehr schnell merken, dass es da ohne Metaphysik nicht geht. Und gerade darum stiehlt sich heute die Philosophie herum, weil sie die Natur, so wie sie ist, gar nicht interessiert. Dieses urwissenschaftliche Prinzip, zuerst zu beschreiben, dann zu folgern, hat nie jemand wirklich interessiert, wozu also Philosophie? Davon, von beidem sind wir heute meilenweit entfernt. Die Natur als Dynamik, als ein unablässig Formen erschaffendes, spontanes sich Bewegen von Teilchen, gibt es heute nicht mehr. Die Theorien die man ansatzweise, wenn überhaupt, darum gesponnen hat, sind erbärmlich, nicht zu halten und mehr zum Lachen als sonst etwas. Kann man besser als Spinosa sagen, worum es geht, wir erkennen Gott in der Natur oder wir erkennen ihn nicht? Und was ist, wie die Naturwissenschaft behauptet, wenn es diesen Orgelspieler Goethes gar nicht gibt? Was wird dann aus Goethes Satz? Da tritt dann der Teufel nicht nur die Bälge, er übernimmt die Regie. Die Antwort war Hitler. Goethe würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er erleben müsste, wie wenig man heute von seinem Faust versteht. Wenn wir die Sache mit Hitler nicht wie Hänsel von Hohenhausen in seinem Büchlein „Hitler und die Aufklärung“ sehr viel tiefer betrachten als heute üblich, begreifen wir nichts. Grausame Herrscher gab es seit je, einen wie Hitler nicht. Merken Sie, worauf ich hinaus will? Der Kampf um die Metaphysik, die Frage, ob es Gott nun tatsächlich gibt oder nicht, spitzt sich heute in einem Zeitalter, wo unsere Erde mehr bedroht ist als jemals zuvor, zu. Sie beantwortet sich mit dem Käfer und daran, ob wir ihn der sogenannten Naturwissenschaft, wie Schopenhauer es empfiehlt, entreißen.

Mit der Metaphysik, jener anderen Welt, von der ich spreche, in der es nur noch das Schaffende gibt, nicht mehr den Käfer, den man abfotografieren oder auf eine Waage stellen kann selbst, sind wir doch heute in einer durchaus komfortablen Situation. Hat die Wissenschaft mit Schopenhauers Käfer, von dem sie sagt, im Prinzip wisse sie, wie der funktioniert, Recht, gibt es sie nicht, hat sie es nicht, ist sie da. Um die Metaphysik zu spekulieren, oder philosophische Purzelbäume mit ihr zu schlagen, brauchen wir nicht. Gradmesser ist, was die Wissenschaft sagt auf der einen Seite, und was eine zuerst einmal beschreibende Wissenschaft dem entgegenzusetzen hat, auf der anderen. So einfach ist das. Erst diese Zeit mit ihren vielen Entdeckungen, die sie, gerade in der Biologie oder der neueren Physik, nicht auf die Reihe bringt, ist reif für Gott. Erst heute zeigt sich uns konkret anhand erwiesener Tatsachen, wie hoch diese Leiter ist, dass sie ins Unendliche reicht und wir sie, so sehr wir uns auch recken und strecken nicht erklimmen können, nicht die erste Sprosse. Viele Dinge, die heute so gewiss sind, wie die Hand vor unseren Augen, verstehen wir nicht mehr und zwar so, dass wir sie auch nie verstehen werden. Haben wir die Natur als das Unendliche, unserem Verstand nicht fassbare, erst einmal erkannt, ist es zur Erkenntnis des Guten nur noch ein kleiner Schritt. Im Angesicht einer Welt die wir nicht verstehen, weil sie buchstäblich zu hoch für uns ist, ist das Gute Weltengrund, nicht wie ihre Kollegen, die Existentialisten, meinen, eine Blähung des menschlichen Gehirns oder vielleicht eine Art biologisches Programm zur Aufzucht der Nachkommenschaft, wie man heute glaubt. Das ist sie dann, wenn wir gelernt haben, die Welt anders zu betrachten, eben nun mit Sicherheit nicht. Alleine, dass wir das Gute in einem sehr viel umfassenderen Sinne als die Biologisten denken können, ist dafür der sicherste Beweis. Anzunehmen, eine Welt, die so viel über uns steht, könnte das nicht, ist absurd.

Glauben Sie mir, der Gott früherer Zeiten hat nichts getaugt. Da war zwar die Natur von Gott, ihn gab es wirklich (auf eine sehr oberflächliche Weise) und trotzdem schlugen sich die Menschen den Schädel ein. Zumindest verhielt es sich in manchen Gesellschaften so, nicht in allen. Gott wirklich zu erkennen, war immer nur das Privileg weniger. Heute könnte es anders sein. Mit dem, was die Forschung zutage gefördert hat, scheitert sie jeden Tag neu, es wirklich zu verstehen. So wird dieser Gott Tag für Tag unter aller Augen größer, nur sieht es keiner, obwohl es so ist. Heute ist die Asservatenkammer erwiesener Fakten, die sich dem Menschen verweigern sie zu verstehen, bis zum Eichstrich voll. Wie wir die Natur als die Schaubühne, die sie ist, verdrängen, ist längst reif für Satire. Keiner der angelernten Sätze, die wir, um dieser Welt zu Leibe zu rücken, mit uns herum tragen, hält der Wirklichkeit stand. Bis jetzt gelingt es der Propaganda, uns davon fern zu halten, die Wirklichkeit als das in die Hand zu nehmen, was sie wirklich ist. Um diesen Widerspruch zwischen Anspruch, Behauptung und Wirklichkeit unter der Decke zu halten und die Flut von Erkenntnissen, die uns rätselhaft sind und dies auch bleiben, nicht ins Bewusstsein treten zu lassen, redet man uns heute das Gegenteil ein, man hätte schon viel erreicht, die Hauptarbeit sei getan und man käme der Wirklichkeit immer näher. Trotzdem ist das Zeitalter der Wissenschaft, die sich ohne jedes Recht Naturwissenschaft nennt, notwendig, auch wenn die Nacht vor Sonnenaufgang oft am dunkelsten ist. Geben Sie als intellektueller Geist, der Sie sind, zu, alle Philosophie bündelt sich, gleich wie wir sie beantworten, in der einen Frage, der nach dem Käfer, gehört er der Wissenschaft, oder gehört er ihr nicht? Kann sie ihn erklären, oder wächst ihr dieser kleine Kerl über den Kopf, kapituliert sie vor ihm. Bewegen sich die Atome und Moleküle in Schopenhauers Käfer von alleine, was man heute frivol als Selbstorganisation bezeichnet, oder sind sie zu dumm dazu und ohne externe Hilfe, was man in der Technik Steuerung nennt, läuft da nichts? Diese Frage, die nach dem Käfer, ist das philosophische Gold nach dem wir suchen. Sie schließt alle anderen mit ein. Tragisch nur, wenn die Philosophie diesen Zug verpasst. Ich glaube, wenigstens was die Frage anbelangt, liegt der Fall klar! Dann wissen wir wenigstens worum es in der Auseinandersetzung, die folgen wird, einmal geht.“

Nachdem die Studentin all ihren Mut zusammengenommen, sich in Rage geredet hatte und der große Mann sie hatte gewähren lassen, war es spät geworden. Der Philosoph schaute auf die Uhr. „Zeit zu gehen“, meinte er, „sonst wird es noch dunkel bevor wir das Dorf erreichen. Gehen wir gemeinsam?“ Während sie ihre Sachen packten beantwortete er ihre Frage, unhöflich zu sein war nicht seine Art. „Zweifellos haben Sie Recht. An dieser Frage, hält die Wissenschaft dem Käfer stand, oder muss sie passen, wird sich alles entscheiden. Sie bringt das Problem auf den Punkt. Ein solcher Gott wie Sie ihn meinen wäre, wenn ich es richtig verstehe, nicht Glaube, er wäre Wissen und Wissen ist Macht. Bedarf der Käfer einer höheren Welt, die ihn von der Zygote zum fertigen Exemplar hin erbaut, habe ich das Spiel verloren, von der Evolution wollen wir in diesem Fall dann erst gar nicht reden. Von einem Gott, der in dieser Welt, die wir damit zum ersten Mal mit Recht Schöpfung nennen dürfen, die Fäden zieht, ist es zur Moral nur noch ein kleiner Schritt. Das habe ich, soweit Sie das zum Ausdruck bringen wollten, verstanden. Dann ziehe ich in die Berge und mache Urlaub.“ So machten sich beide auf den Weg in der Meinung, dass was Recht ist Recht bliebe. Gemeinsam, doch jeder in seinen Gedanken, für sich. Der Weg über grasige Matten führte steil bergab und forderte Aufmerksamkeit genug. Tief unten lag der See, den es, bevor die Nacht hereinbrach, zu erreichen galt. Danach, wo der Wald begann, führte ein breiter Forstweg, der sich zog, hinab ins Dorf. Mit sich allein zu sein, sich nur auf sich selbst und seine Beine konzentrieren zu müssen, um auf dem, mit zahlreichen Trittspuren des Weideviehs übersäten Hang, unbeschadet hinab zum See zu gelangen, tat beiden gut. Die Luft, mehr als am Tage, voll dem Duft würziger Kräuter, war noch warm, begann sich aber, jetzt da die Kühle der Nacht hereinbrach und der Wind sich gelegt hatte, nach außen hin zu verströmen. Wenn das Licht des Tages weicht, entsteht eine eigentümliche Atmosphäre, sie nimmt einen in sich auf, reißt Schranken ein, traumverloren gibt man sich ihr hin, so als sei alles, innen wie außen, eins. Die Studentin, sie hieß übrigens Ninon, überließ ihre Gedanken der Phantasie, sie stellte sich den großen Mann vor, wie er an seinem Schreibtisch saß und schrieb, Blatt um Blatt sich füllte. Und dann eines Tages als er so schrieb, war es soweit.

Oft sind es ja nicht die Tage im Kalender, an denen Wichtiges vermerkt ist, wo dann wirklich Entscheidendes passiert. Konstruieren wir den zwar wahrscheinlichen, nichts desto weniger jedes Jahr neuen und jedes mal spektakulären Fall, es sei Frühling geworden, eine Zeit, wo man der Natur gegenüber milde gestimmt ist. Nehmen wir an, der Autor sei mit seinem Buch zu Ende gekommen und gerade auf der letzten Seite, wo er den Schluss zieht, er wüsste nichts in dieser Welt, wofür ein Gott notwendig sei, landete ein Käferlein, ein ganz kleines Käferlein. Ein kleiner willensbeseelter Punkt, der jetzt auf diesen Zeilen völlig respektlos, ebenso geschäftig wie zielgerichtet, seine Bahn zog.

Wie, als sollte er ihm etwas sagen, machte ihn der Blick auf diesen kleinen Kerl nachdenklich. Wahrscheinlich sogar hatte er sich nicht einmal ohne Absicht gerade diesen Landeplatz ausgewählt. So als wolle er ihm, der die Botschaft in die Welt tragen wollte, einen höheren Bezug des Seins gebe es nicht, bedeuten: „Du, ich bin auch noch da und schau, es wird Frühling!“ So blieb ihm denn nichts anderes, als ihm die Referenz zu erweisen.

Er dachte an Computer und Mondraketen, aber dieser Käfer war anders. Und so kam er ins Grübeln, so ganz privat. Ach Käferlein, wie unendlich ist dein Abstand zu diesen Dingen. Wie hoch stehst du über allem, was der Mensch je geschaffen hat und wird je erschaffen können. Computer und Mondraketen werden in Fabriken zur Form und Funktion gebacken, wer aber hat deine Form gemacht? Und wer hält alles in dir am Laufen? Wo hat dein deutlich sichtbarer Wille seinen Ort? Und wie stellt es jener Geist als dein Wille an, Materie in Bewegung zu setzen und dein chitingepanzertes Fahrwerk zu lenken? Würde sich eine Mondrakete von alleine bauen, würde sich bestimmt die ganze Menschheit um ein solches Mysterium herum versammeln und wie zu vermuten erschiene mit Sicherheit der parapsychologische Dienst zusammen mit Feuerwehr und Polizei. Und dann die Verwandlungsstadien der Insekten, Formen, Wandlungen in einem fort. Ach Käferlein, zu groß bist du für mich. Wer ist dein unsichtbarer Ingenieur und welcher Art ist der Fluss deines Lebens?

Wo Form entsteht stellen sich Fragen, ständig wird sie neu modelliert. Alles ist da ständig im Umbau. Welche Millionen Uhren sagen, was in jedem Moment im Organismus dieses Käfers zu tun ist? Organe, die auf kleinstem Raum ihre Funktion erfüllen. Wer wollte es je verstehen? Wie käme mir einer vor, der sagte, er könne so etwas erklären? Man müsste ihn wohl zum kühnsten Menschen des Universums küren und gleichzeitig zum größten aller Phantasten und Aufschneider. Hätten wir nicht schon lange die Augen für das Leben verloren, so müssten wir uns fragen ob das nicht reine Zauberei ist, was wir da sehen. Vor Zauberei haben wir Angst und wehren sie deshalb ab. Ist etwas aber Zauberei, sollte man nicht sagen, es sei keine. Käferlein, wer bist du, Wunder vor meinen Augen, denke ich über dich nach, so versinke ich unweigerlich in das Undenkbare. Wie sind deine Flügel so fein geädert und transparent und warum schlägt von Sekunde zu Sekunde dein Herz? Was bleibt ist Staunen, Ahnen und Wissen um eine Transzendenz. Nachbauen kann diesen Käfer kein Genie dieser Welt. Es spricht dieses Tier eine andere Sprache, die unser Autor wohl nicht versteht und kein Kafka hilft ihm aus diesem Gefängnis heraus. Dass der Philosoph ob dieses Tieres nachdenklich wird und sich all die genannten Fragen stellt, war leider nur ein frommer Wunsch. Vielleicht ist es ihm auch zu weit weg, dass ein Käfer es wagen könnte auf einer Seite seines Buches zu landen, um ihn, den Großen, zu stören.

Dass es so mit unserem Käfer hätte gehen können, und der Schriftsteller ihn mit anderen Augen sah, geschah leider nur im Traum, dessen war sich Ninon bewusst. Ein solches Fluidum wie die abendliche Luft in der alles nach einem heißen Tag frei, sich in alle Richtungen verströmend, fließt, auch in seinem Denken wirksam werden zu lassen, ist bei Menschen wohl eher die Ausnahme als die Regel. Es ist wohl die Gescheitheit, die sie daran hindert, die Dummheit der Gescheiten, die diese Welt, in dem was sie ist und den tausend Zungen, mit denen sie spricht, ruiniert, Ninon gestand sich das ein. Und so begann sie skeptisch zu werden, gegenüber dem Wald und dem Weg, wenn er breit wurde und bequem und einlud zum Gespräch. Ist das Ding, hier der Käfer, als das, was er spricht, nicht größer als das, was man über ihn sagt? Ist er nicht unendlich viel mehr? Wer das verliert, dieses Mehr, dem ist sein Menschsein geraubt. Wer das verliert was Du verlorst, macht nirgends halt… In seinem Gedicht „Vereinsamt“ hat Nietzsche wie kein zweiter das Lebensgefühl des modernen Menschen zum Ausdruck gebracht: eine Welt ohne Gott. Wäre da nicht bei vielen der Stolz des Eroberers, sie könnten es wie der Dichter Jean Paul nicht ertragen: „Es ist kein Gott… starres stummes Nichts! Kalte, ewige Notwendigkeit, wahnsinniger Zufall… wie ist jeder so allein in der weiten Leichengruft des Alls.“ Ob so oder so, wir alle tragen das mit uns herum. Allen Hypochondern dieser Welt geht es seit diesen Tagen, als man glaubte, man wissen wie die Welt funktioniert, gut. Versprach es doch, sich die Natur so zusammenschrauben zu können, dass alle Fährnis, die eine unbekannte und undurchschaubare Natur mit sich brachte, ein Ende hatte. Die Zeiten, sich von einem Gott an der Nase herumführen zu lassen, waren vorbei. Nie war wohl ein Irrtum größer als der.

Sofern sie in diesem Bewusstsein sich zu Hause fühlen, tauschen viele das Gefühl, jetzt Herr der Natur zu sein, gegen den verlorenen Gott gerne ein. Eine blanke Illusion, denn wie die Natur das macht, was sie macht, weiß bis heute kein Mensch. Was bedeutet all das Wissen das wir heute haben? Es hat uns diesem Rätsel wie die Natur arbeitet nicht nähergebracht, ja mit jedem Detail das bekannt wurde, weiter davon weg. Diese Menschen haben das nicht bemerkt, die unbegreifbare Größe der Natur tauschen sie ein - gegen nichts. Für die Verhältnisse wie sie tatsächlich liegen, haben sie sich nie wirklich interessiert. Als Dynamik einer Entwicklung Schritt für Schritt bekommen wir die Natur, so wie man sie uns heute lehrt, nicht zu Gesicht. Der Schweizer Zoologe Adolf Portmann hat seinen Zuhörern einmal geraten, sich vorzustellen, ein paar Liter eines schleimigen Kunststoffs würden bei bestimmter Temperatur und Luftfeuchtigkeit plötzlich zu wachsen beginnen und ohne jede Hilfe von außen ein Passagierflugzeug mit Motoren und Elektronik bilden, das sich nach Vollendung aus eigenem Willen (und ohne Piloten) in die Lüfte erhebt und am Flugverkehr teilnimmt. „Erscheint ihnen das zu viel verlangt?“ fragte Portmann seine Zuhörer und erinnerte sie: “Das schleimige Kügelchen einer Eizelle leistet noch viel mehr.“ Nur allzu sehr ist man sich bewusst, wie peinlich es wäre, würde sich einer der Zuhörer erdreisten zu fragen, wie es denn im Bereich des Allerkleinsten, der Atome und Moleküle, zugeht, wenn da ganz plötzlich aus der Raupe ein Schmetterling wird. Hände weg von solchen Sachen! Was Zeit ist in der Natur, wie ein Schritt dem anderen folgt, bleibt ein unbeschriebenes Blatt. Anstelle der Zeit, was sie wirklich macht, stehen Geschichten, Geschichten, die zu dem was passiert nicht passen und treffsicher all das ausklammern, worum es geht. Das Märchen hat schon immer alles gewusst. Versucht man dem geheimnisvollen Treiben der kleinen Männchen auf die Schliche zu kommen wie sie das machen, heimlich still und leise, aus dem rohen Material Schuhe von allerhöchster Qualität zu fertigen, verschwinden sie auf nimmer wiedersehen. Das ist es dann wohl gewesen, wenn Goethe sagt, dass wir nichts wissen können. Von der Dynamik der Natur verstehen wir nichts, nicht den kleinsten Ruck.

So zu denken hatte Ninon von ihrem Vater gelernt, auch er war ein durchaus unkonventioneller Mensch. Er lehrte sie ein anderes Bild von der Natur, vor allem Respekt vor den Tieren. Und er wusste, für seine Gesundheit sorgen musste man selbst. Wenn ihm einer erzählte, das mit der Natur sei doch heute alles wissenschaftlich in trockenen Tüchern, so sagte er nein. Er lehrte sie, an das Nichterklärbare, das Wunder zu glauben. Während ihre Freunde und Kameraden an die Natur keinen fragenden Blick mehr verschwendeten, war für sie keines ihrer Rätsel beantwortet. So wuchs in ihr das Bewusstsein, Distanz zu halten zu all den Dingen, von denen man ihr erzählte, dass sie als abgehakt galten. Im selben Maße, wie diese andere Sichtweise der Natur in ihr wuchs, verlor sie den Respekt vor Autoritäten. Was sich mit dem stolzen Namen Wissenschaft schmückte, rückte immer mehr ab, in Richtung einer zweifelhaften Veranstaltung und sie lies sich ihre Gewissheit nicht nehmen.

Dass die Natur anders war, wurde ihr zum ruhenden Pol, zur unerschütterlichen Gewissheit einer höheren Welt. Mit Blick auf die Natur konnte sie nichts mehr um sie herum irritieren. Sie wurde ihr zur letzten, alleinigen Autorität mit der Gewissheit, was auch immer geschah, es wird alles gut. So lebte sie mit ihr unter einem Dach heiliger Hallen und wie auf einem anderen Planeten. Über all das wissenschaftliche Gerede, was man alles wisse und herausgefunden hätte, konnte sie nur noch lachen. Über Dinge, von denen man in Wirklichkeit nichts wusste mit Worten und Begriffen zu reden, als sei alles erklärt, widerte sie an, sie fand es nur lächerlich. Es provozierte sie dieses „alles machen die Atome“, es schien ihr ein Maß nicht zu steigernder Idiotie. Wie in einem verwunschenen Schloss sah sie die Menschen um sich herum gebannt in den Spruch einer gegen jeden Verstand gerichteten Macht, deren Strippenzieher sich den Spaß erlaubten zu erproben, wie weit man im Aufstellen phantastischer Behauptungen gehen könne, mit anderen Worten zu testen, ob es eine Grenze zum Abstrusen hin gäbe oder ob tatsächlich alles geglaubt wird, was Kollektiv und soziale Kontrolle verordnen, so abwegig es auch sei. Auch dachte sie an die Folgen und eines wusste sie sicher, von Dauer kann dieses Weltbild nicht sein. Immer deutlicher wurde ihr klar, dass sich hier ein Ungeist austobte und eine enorme Anstrengung darin investiert wurde, die Menschen zu täuschen. So verlor sie jeden Respekt vor dieser Art von Wissenschaft. Es wurde ihr klar, das war keine Wissenschaft, hier wollte sich zwanghaft eine Idee ausleben. Eine Wissenschaft des Lebendigen gab es nicht und konnte es nie geben, das konnte ihr niemand weismachen. Was wäre wohl los, wenn es anders wäre! Der Mensch als Herr allen Lebens! Der Mensch als Herr über die letzten Geheimnisse, die Natur und sich selbst. Ihr wurde klar, wer solches glaubt ist verrückt. Sie konnten forschen so viel sie wollten, auf das Dahinter kamen sie nie.

Welches Fest würde man feiern, wenn es so weit wäre? Wohl das des eigenen Untergangs. Also ist es nur gut, dass es nie so weit kommt. Und wenn es göttliche, andere als physikalisch-chemische Kräfte sind, die jene astronomische Zahl von Teilchen in Gang setzen, was will diese Wissenschaft herausbekommen, wenn sie diese Kräfte leugnet? In diesem Fall wird das Ganze zum Witz. Und so zog Ninon aus dieser Natur Kraft, gegen alle Lügen. Sie war für sie das lebendige Zeugnis, wie klein der Mensch und die Wissenschaft ist, gegenüber ihr, dem Großen. All diese unfassbaren Kunstwerke, die uns umgeben, wurden für sie Abbild und Zeugnis dafür, was hinter dieser Natur wirkte. Ist dieser Punkt erreicht, so verliert sich der Glaube an die Biologie und an den Tod. Nie haben Atome und Moleküle gelebt, es treibt sie jenes geheime Spiel einer höheren Welt, die abgerückt existiert von dem, was sie tut, sie ist von einer anderen Qualität. Was hinter allen Wandlungen wirkt, ist jenseits unseres Denkens und seiner Kategorien Raum und Zeit, unvergänglich und ewig. Das war der Stand der Dinge in ihrem Kopf, damals nach der Schule. Je mehr sie später dazulernte und vom Leben und der Wissenschaft erfuhr, wusste sie, sie war auf dem richtigen Weg.

Noch hundert Schritte bis zum Wald, noch fünfzig. Sollte sie reden und dabei doch schweigen, reden über Politik, Geld, das Geschäft, die Sinnlosigkeit von allem, oder, die das Geschwätz reizende Schlechtigkeit der Welt? Noch einmal, auf den letzten Metern, nachdem sie den steilen Weg hinter sich hatten, sann sie darüber nach, was wohl zwischen Menschen der Unterschied sei. Und hätte sie reden wollen, so wurde ihr klar, es fehlte hier etwas, ein Begriff, der die falsche Sichtweise eines Menschen wie Sartre auf den Punkt brachte, der die Sichtweise auf die Welt, wie wir sie heute haben, relativierte, und sie als das wenigstens ahnen ließ, was sie ist, als eine Ideologie. Nichts war hier da, mit dem man diesen Ungeist hätte packen können, wo es doch sonst an Begriffen, an denen man eine Sache festmachen oder in Zweifel ziehen konnte, nicht fehlte. Kommunismus, Kapitalismus, Religion, Gott, was auch immer, all das war zu einem Begriff geworden, den man sich vornehmen, und wenn nötig, in Zweifel ziehen konnte. Dass wir heute glauben, Schopenhauers Käfer, gehöre der Wissenschaft und Kräfte höherer Art brauche es dafür nicht, besitzt keinen Namen, wir nennen das Wissenschaft. Wie also sollte man mit einem Menschen wie Sartre darüber reden? Das war nach Eitelkeit, Überheblichkeit, Stolz und Eigensinn das andere, an dem es hier fehlte, gleich an erster Stelle, leben wir doch vom Wort. Nicht in einem Begriff dingfest gemacht, irrlichtert dieser Geist frei, und, ohne dass ihm einer wehren könnte, umher.

Inzwischen war es Nacht geworden und am Himmel leuchtete der große Wagen. Wer wollte den Raum, der uns umgibt, je verstehen, oder die Zeit? Die Tiefe der Welt, sie zieht uns hinaus, weg von dem, was die Menschheit im Lärm von Streit und Gezänk an Wissenschaft, Hypothesen und Theorien auf kleiner Flamme so kocht, aufgeschäumt und verworfen am selben Tag. Was dieser Wissenschaft fehlt ist der Kitt, der Kitt, der die Dinge, wie sie sich in der zeitlichen Abfolge ereignen, verbindet und der sie hält, hält auf einer Bahn, die nie auch nur eine Sekunde lang den Pfad einer Ordnung verlässt. Dies gilt für Atome und Moleküle in einem Käfer wie für die große Galaxie. Der Gedanke wir seien nur ein Stäubchen im All, macht in einer Welt, in der Entfernungen keine Bedeutung zukommt und es so etwas wie Zeit nicht gibt, keinen Sinn. In der kleinsten Mücke ist dieser Gott zugegen. Wie in einem Delirium behaupten, die am lautesten schreien, heute die Frage nach diesem Insekt sei geklärt. Sie ist es nicht! Sie war es noch nie.

Fragen, die wir nicht beantworten können, wie die nach einem persönlichen Gott, der uns kenne und bei unserem Namen gerufen habe, sollten wir, bevor wir nicht gelernt haben anders zu denken, nicht stellen. Mit der Zahl fangen wir nichts an, Gott sehr wohl. Wer bin ich und wenn ja wie viele, wird uns für immer verschlossen sein. Die Perspektive Gottes einnehmen können wir nicht. Das Kinderlied ist da ehrlicher, Gott kennt jedes seiner Wesen, jedes Fischlein, jede Mücke, jedes Kind das abends zu Bette geht. Wäre, wenn wir die Natur anders verstehen, doch rein physisch gesehen keines von diesen Wesen am Leben. Nun hatten die beiden den Wald erreicht. Ninon war klar, überzeugen konnte sie den Philosophen von einer Welt, die nicht sinnlos war, nicht, einer Welt, die sich trotz aller Widersprüche, die wohl zu ihr gehörten, einer höheren Ordnung fügte. Nicht, weil sie ihm nicht mit hervorragenden, ja exzellenten Argumenten Paroli bieten könne, oder der Meinung gewesen wäre, der Weg bis zum Dorf, so weit er sich zog, sei er doch, um die Welt zu erklären, zu kurz, das nicht. Sie glaubte an die Macht des Eigensinns und dass er größer sei als jedes noch so gute Argument. Wer sich selbst Mauern erbaut und diese schön findet und klug, den muss man lassen.

Und so, um den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, und das begonnene Gespräch fortzusetzen, ließ sie das mit den Argumenten sein und setzte ganz aufs Gefühl, in der Hoffnung da sei es schwerer zu lügen. Was sie genau sagte ist nicht verbürgt. Mit Blick zum nächtlichen Firmament, dessen tiefem, nachhaltigem Eindruck sich auch Sartre nicht entziehen konnte, wollte sie ihn, der auf die Wissenschaft schwor, so ganz durch die Blume darauf hinweisen, ob es denn Wissenschaft sein könne, jenes unendliche Mehr, das uns die Dinge sagen, zum Verschwinden zu bringen. Dem Unendlichen läuft man bekanntlich nicht hinterher. Wo ist da die Grenze in Sicht, von der die Wissenschaft glaubt, sie könne sie erreichen, im Käfer, am Himmel, hier wie dort? Oder anders herum, wo ist bei Schopenhauers Käfer der Anfang, an dem die Wissenschaft ihre Recherche beginnen will, zu suchen, fällt er doch mit der Größe, die er ist, mit der Tür ins Haus? Vorgelagert ist einer solchen Größe nichts, keine Physik, keine Chemie. Auch die Frucht so abzuschälen, dass ein Kern übrig bleibt, den man glaubt verstehen zu können, ist blanke Illusion. Ein sicheres Fundament, auf dem die Biologie ruht, ist nicht zu finden, ja im Gegenteil, was da auf der Ebene von Atomen und Molekülen geschieht, wenn sich filigran bis ins letzte Detail hier der Fühlfaden eines Schmetterlings, dort eines seiner hunderten von Augen heranbildet, widerspricht allen Gesetzen, die wir kennen. Bequem wäre es, wenn es den Reduktionismus, an den manche sich klammern, gäbe, doch leider, es gibt ihn nicht. Schon wer so tut als gäbe es ihn, sitzt im falschen Abteil. Mit diesem Wort Reduktionismus tut man wie Popper so, als gäbe es da unten bei den Atomen und Molekülen in unserem Käfer ein sicheres Fundament. Doch dieses Fundament gibt es nicht. In Schichten gebaut, hier Atom oder Molekül, dort die Zelle und über allem der Geist, nur um die Illusion aufrecht zu erhalten, ein Anfang sei da irgendwo schon gemacht, ist die biologische Wirklichkeit nicht. Der Käfer beginnt ganz unten beim Atom oder Molekül, das ist schon wahr, nicht erst bei der Zelle, doch genau da ganz unten, treffen wir auf eine Form der Bewegung und Interaktion von Teilchen, die von allem so verschieden ist, das wir kennen, dass Worte nicht hinreichen, es der Wirklichkeit gemäß zu fassen.

Setzt man einem Philosophen Grenzen, bekommt er die Krätze, damit wollte Ninon diesen großen Mann packen. Fiel es ihm nicht mehr auf, dass die Naturwissenschaft, wie nichts sonst für sich in Anspruch nahm, die Welt sei erklärt und wenn vielleicht auch noch nicht alles geklärt sei, so doch zumindest vom Prinzip - und dies zur Philosophie, die vom Fragen lebt, in Widerspruch stand? Fiel es ihm nicht mehr auf, dass auf der einen Seite die Behauptung, die Welt sei erklärt, auf der anderen, die feste Überzeugung, sie sei nach wie vor offen, miteinander kollidierten und es eine solche Zweiteilung der Welt nicht gibt, nicht geben konnte? Was bedeutet all das Wissen, das wir heute haben, die Kolonnen von Zahlen, die Formeln, die Mathematik, wenn wir die Dynamik der Natur nicht begreifen und das Geheimnis der Zeit? Das alles ist totes Holz, es bedeutet nichts. Die Worte von Walt Whitman, die er vor hundert Jahren schrieb, mahnen uns mit dem, was wir Wissenschaft nennen, neu zu beginnen, ohne Eigensinn, ohne Streben nach Macht, ohne falschen Stolz. So oder ähnlich mag es sich wohl angehört haben, was Ninon dem großen Philosophen der an die Wissenschaft glaubte, sagen wollte, nichts anderes, als dass sie angesichts der Größe dieser Welt gar keine war. Walt Whitman sagt es uns so: „Als ich den gelehrten Astronomen hörte,/ Als die Beweise, die Ziffern, untereinander geschrieben, aufgereiht waren vor mir,/ Als er die Karten, die Diagramme mir zeigte, sie zu addieren, dividieren, sie zu vermessen,/ Als ich auf meiner Bank den Astronomen hörte, wie er unter stärkstem Applaus seine Vorlesung hielt,/ Wie bald, ich weiß nicht warum, wurde ich müde und krank./ Und blieb’s, bis ich aufstand, hinausschlich und davon ging, mir selbst überlassen,/ In die zaubervolle, feuchte Nachtluft, und dann und wann/ Aufschaute in tiefem Schweigen, bis zu den Sternen.

Natur ist anders

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