Читать книгу Papa und die Motorradrocker - Carl Heyd - Страница 5
Treffen mit Moreno
Оглавление„Ihr Latte macchiato, der Herr …“ Schwungvoll stellte der flinke Kellner das Tablett mit dem heißen Glas auf den Aluminiumtisch, an dem ich noch allein saß. Für zehn Uhr hatte ich mich mit einem Klienten verabredet, der mir ein lukratives Honorar einzubringen versprach. Fast andächtig hatte meine Sekretärin dessen Namen geflüstert, nachdem sie den Termin ausgemacht hatte: Peter Moreno … Peter Moreno, der Name sagte mir natürlich sofort etwas, der war schließlich fast täglich in der heimischen Lokalpresse präsent, und das zumeist mit wenig originellen Absichtserklärungen der Sorte: „Die U-Bahn muss sicherer werden!“, oder: „Die Freibäder müssen unseren Bürgern erhalten bleiben!“
Originell war der Typ wahrlich nicht, und seine Partei schon lange nicht mehr. Die war einst mit dem Anspruch gestartet, eine Alternative zum sonstigen Politikzirkus darzustellen, doch davon war nicht mehr allzu viel übrig. Und auch optisch war Moreno nicht mehr von den Vertretern der anderen Parteien zu unterscheiden: Er näherte sich meinem Tisch mit gepflegtem Kurzhaarschnitt, perfekt sitzendem grauen Sakko und der Gewissheit, gleich den vielleicht besten Privatdetektiv der Stadt konsultieren zu dürfen.
„Sind Sie Papa?“, fragte er, mich interessiert musternd. Ich nickte ihm zu und wies mit einer kurzen Handbewegung auf den freien Stuhl an meinem Tisch. Mit sichtlichem Unwohlsein nahm Peter Moreno Platz.
„Sind wir hier auch wirklich ungestört? Man kennt mich, die Presse in dieser Stadt lauert überall. Können wir nicht vielleicht einen etwas diskreteren Ort aufsuchen?“
Hoffnungsvoll schaute er mich an. Die anderen Tische des Straßencafés waren um diese Zeit noch unbesetzt, aber hier und da schlängelten sich Fußgänger an den Tischreihen vorbei. Die zahlreichen Boutiquen der näheren Umgebung zogen insbesondere betuchte Damen an, die zum Teil schon stolz ihre fette Beute in bunten Tragetaschen mit edel klingenden Beschriftungen umhertrugen.
„Noch können wir uns hier ja ungestört unterhalten, und wenn der große Ansturm kommt, dann gehen wir halt rein und setzen uns wie ein frisch verliebtes Pärchen in eine Nische“, entgegnete ich.
Gefühlt waren es – trotz der noch recht frühen Tageszeit – an die dreißig Grad, mit denen wir zu kämpfen hatten. Schon seit Tagen herrschten tropische Temperaturen. Ventilatoren und Klimageräte waren im normalen Handel längst ausverkauft und wurden fast nur noch bei eBay, und dann zumeist zu absoluten Wucherpreisen, angeboten. Ganz Deutschland schwitzte, und es war schon von einem Jahrhunderthoch die Rede. So mancher wurde ob der Hitze aber auch etwas rammdösig im Kopf: Die Polizeidienststellen vermeldeten bereits einen deutlichen Anstieg der Verkehrsunfälle, und auf bild.de wurde gar von einem Selbstmörder aus Berlin berichtet, der wenige Augenblicke vor seinem Sprung von einem Hochhaus getwittert haben soll: „Mir ist es irgendwie zu warm heute …“
Peter Moreno bestellte einen Milchkaffee und ein kleines Mineralwasser. „Schießen Sie los, womit kann ich einem aufstrebenden Kommunalpolitiker behilflich sein?“, versuchte ich ihn zu ermuntern, während er nachdenklich auf seiner Unterlippe kaute.
„Ich weiß, dass ich offen mit Ihnen reden kann, Papa. Sie sind mir schon von einigen Parteifreunden empfohlen worden, in Ihrem Job sollen Sie einer der Besten sein.“
Das bejahte ich eifrig und signalisierte Moreno durch eine kurze Handbewegung, weiterzureden.
„Auch Ihre Honorarvorstellungen sind mir bekannt: tausend Euro pro Tag, exklusive Spesen natürlich, dazu weitere fünfhundert Euro pro Tag, wenn Sie Ihren Assistenten mit ins Boot nehmen.“
„Das stimmt“, erwiderte ich mit einem schelmischen Lächeln, „der kommt aus den neuen Bundesländern und ist daher deutlich günstiger.“
Moreno verzog keine Miene: „Auch von Ihrem zuweilen bizarren Verhalten wurde mir schon berichtet, Sie werden mich also nicht so ohne Weiteres schocken können.“ Auf diese Spitze reagierte ich nicht.
„Der Fall ist so“, fuhr er fort, „dass ich meine politische Karriere auf ein neues Level bringen möchte. Meine Partei befindet sich im Moment auf einem absoluten Höhenflug, der weitere Wahlerfolge nach sich ziehen kann und auch wird. Wir sind von einer Protestpartei mit begrenztem Wählerpotenzial zu einer Partei geworden, die für die Mehrheit der Bevölkerung wählbar geworden ist, was unserer Zielstrebigkeit, unserer Glaubwürdigkeit und nicht zuletzt unserem Pragmatismus zu verdanken ist, die Probleme unseres Landes zu erkennen und zu lösen. Wir sind auf dem Weg zu einer wahren Volkspartei!“, trug er mit einem Funkeln in den Augen vor, das mir sogar ein wenig Angst bereitete.
Ich beschloss jedenfalls, mir seine Ansprache nicht länger anzuhören: „Sie brauchen hier keinen Wahlkampf zu machen, Moreno, ich werde Sie und Ihre Froschtransporteure eh nicht wählen. Kommen Sie auf den Punkt: Wofür brauchen Sie einen Privatschnüffler?“
Moreno war wegen meiner Unterbrechung nicht etwa angesäuert, als Politiker kannte er dies Gefühl – nicht zuletzt aus den spätabendlichen TV-Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen – zur Genüge.
„Nun gut, ich werde abkürzen: Ich kann mir auch als Grüner keine Skandale in meinem Privatleben erlauben. Und genau da kommen sie ins Spiel, Papa. In den letzten Wochen und Monaten wurde fast täglich etwas über Motorradrocker geschrieben und gesendet, und das in der Regel wenig schmeichelhaft. Mord, Raub, Erpressung, Prostitution und Drogenhandel sind die Begriffe, die man mittlerweile in der Öffentlichkeit mit Motorradgangs in Verbindung bringt, und insofern passt es mir natürlich auch überhaupt nicht in den Kram, dass sich mein jüngster Sohn einer solchen Gruppe angeschlossen hat.“
Aha, daher wehte also der Wind: Moreno machte sich um seinen Ruf Sorgen. In Gedanken versuchte ich, mein Wissen über Motorradrocker zu sortieren – was wusste ich über das Thema überhaupt? Nicht wirklich viel, dämmerte es mir. Als Jugendlicher war ich häufiger mal in einer Diskothek, die ein Sammelbecken der unterschiedlichsten Subkulturen darstellte, da traf sich einfach alles: Punks, Popper, Gothic-Jünger – und eben auch ein paar Motorradrocker. Die waren auf der Tanzfläche allerdings nie anzutreffen, sondern saßen meistens nur trinkend und rauchend an den ein bis zwei Tischen, die sie in Beschlag genommen hatten. Oder sie standen draußen fachsimpelnd bei ihren Kisten. Ärger gab es mit denen meines Wissens nach nie. Mit achtzehn Jahren kaufte ich mir dann selbst ein Motorrad, allerdings eine japanische Rennmaschine, keinen amerikanischen Chopper – womit meine Nicht-Rocker-Karriere natürlich vorprogrammiert war. Viele Begegnungen mit Rockergangs fanden dann auch nicht mehr statt, und wenn doch, verliefen diese eher unauffällig und unspektakulär.
„Und ist Ihr Sprössling bei den Angels oder Bandidos gelandet?“, erkundigte ich mich bei Moreno. Mittlerweile hatte sich das Café ein bisschen mehr gefüllt, aber es war noch niemand erkennbar auf den prominenten Moreno aufmerksam geworden.
„Nein, weder noch. Die Gang nennt sich Pasing-Devils, und sie haben auch ein richtiges Clubhaus. Mein Sohn ist da so eine Art Anwärter oder Auszubildender, das heißt, dass er die Drecksarbeit für die Typen macht: Motorräder putzen, bei den Partys kellnern und so weiter. Wenn meine Frau oder ich mit ihm darüber reden wollen, macht er sich meistens nur über uns lustig. Er lebe nun mal seinen Traum von Freiheit und Abenteuer, und das könnten wir als verklemmte Spießbürger naturgemäß nicht verstehen. Seine Ausbildung zum IT-System-Kaufmann hat er längst abgebrochen, stattdessen lässt er sich eine martialische Tätowierung nach der anderen stechen.“
Passend zum Thema unserer Unterhaltung vernahmen wir das viel zu laute Dröhnen eines Motorradmotors. Das war garantiert nicht mehr legal. Neugierig guckte ich auf die Hauptstraße, das gewaltige Dröhnen näherte sich von links, und urplötzlich war dann auch das dazugehörige gar nicht einmal so furchtbar ungewöhnliche Motorrad zu sehen: ein Chopper in Schwarz mit viel Chrom. Als Basis diente vermutlich ein Modell der Firma Harley-Davidson, an dem vieles umgebaut worden war: Die ultralange Gabel zum Beispiel war garantiert nicht Serie. Aber wer fährt eine Harley auch schon im Serienzustand? Customizing lautet die Devise. Der Fahrer des Bikes schaute in unsere Richtung und formte mit Zeige- und Mittelfinger das Victory-Zeichen, bevor er aus unserem Blickwinkel verschwand.
Das Ungewöhnliche daran war vor allem, dass weder Zeige- noch Mittelfinger mit Fleisch bedeckt waren: Auf dem Motorrad saß ein menschliches Skelett, das ohne Helm, aber dafür mit einem Paar abgewetzter Cowboystiefel unterwegs war.
Moreno und ich sahen uns an, einige der anderen Gäste hatten sich von ihren Plätzen erhoben und liefen zur Straße, um vielleicht noch einen letzten Blick auf die kuriose Motorrad-Fahrer-Kombination erhaschen zu können.
„Wahrscheinlich ein Werbegag oder so. Neulich lief im C&A einer im Spiderman-Kostüm rum, der machte Werbung für den neuen Kinofilm“, merkte ich an und widmete mich wieder meinem neuen Fall.
Pasing-Devils – von denen hatte ich noch nie etwas gehört. Da würde ich zunächst einmal ein paar Informationen einholen müssen, was jedoch aufgrund meiner Kontakte zur Polizei und Unterwelt kein unüberwindbares Problem darstellen sollte. Ich besprach mit Moreno noch einige Modalitäten finanzieller Art und stellte ihm einen Anruf für den Abend in Aussicht.
„Sie hören von mir, Moreno.“ Ich verabschiedete mich ohne Händedruck von dem Politiker.