Читать книгу Papa und die Motorradrocker - Carl Heyd - Страница 8
Mutter ?
ОглавлениеAls ich gegen Mitternacht meine Wohnung betrat, war ich voll wie ein Pisspott. Bei Ü gab es noch ein paar Halbe (die hätte ich aber locker weggesteckt) und einige Gläser Raki (die gaben wohl den Ausschlag). Einen kleinen Absacker und eine Gutenachtzigarette wollte ich mir aber noch gönnen, denn der beschwerliche Rückweg (ich musste immerhin zweimal die U-Bahn wechseln) hatte meinen Bierdurst wieder neu entfacht.
Zunächst schaffte ich es aber erst mal, mit einer ungeschickten Handbewegung den übervollen Camel-Aschenbecher aus Glas vom Couchtisch zu bugsieren. Ich beglückwünschte mich einmal mehr, auch für den Wohnzimmerbereich pflegeleichte Fliesen angeschafft und selbst (mit ordentlicher Hilfe von meinem Assistenten Manfred) verlegt zu haben. Handfeger und Kehrblech sollten also für die Beseitigung der Asche und der abgebrannten Stummel schon vollkommen ausreichen.
In der Besenkammer stand dann allerdings meine Mutter rum, die bereits vor mehr als zehn Jahren verstorben war. Sie trug eine klassische hellblaue Kittelschürze und starrte geistesabwesend vor sich hin, von mir nahm sie überhaupt keine Notiz. Ich beschloss, direkt ins Bett zu gehen, um die Asche würde ich mich am nächsten Morgen kümmern, und verabschiedete mich noch kurz von meiner Mutter. Dann schloss ich die Tür zur Besenkammer und ließ mich auf meine bequeme Tempur-Matratze fallen. Halluzinationen hatte ich bisher vom Saufen noch nie bekommen – war das etwa schon Delirium-Demenz (oder wie auch immer sich das schimpfte) oder gab es das nur beim Alkoholentzug? Ich nahm mir vor, dieses Fragenkonvolut gelegentlich abzuklären …
Am nächsten Morgen wurde ich von meinem Kater Charley geweckt, der vor der Schlafzimmertür stand und jämmerlich miaute. Der andere Kater, also der namenlose und vom Alkohol verursachte, hielt sich hingegen noch im Hintergrund, lediglich ein leichter Kopfschmerz war zu bemerken, magenmäßig hatte ich aber alles unter Kontrolle. Der Asche- und Kippendreck auf dem Wohnzimmerboden hatte sich leider noch nicht selbst weggeräumt. Ich stellte mich jedoch zunächst einmal unter die Dusche, die meine Lebensgeister wiedererweckte. Das tat gut! Kleidungstechnisch entschied ich mich für Bermudashorts in Grau und ein rotes T-Shirt. Der heutige Tag sollte schließlich ähnlich heiß werden wie der gestrige, da war sommerliche Kleidung mehr als ratsam.
Aufgrund meiner leichten Adipositas neigte ich zudem zu starkem Schwitzen. Als ich dann die Tür zur Besenkammer öffnete, stand dort dubioserweise immer noch meine Mutter in unveränderter lauernder Position. Ich erschrak etwas und gab meiner Überraschung auch verbal Ausdruck: „Mutter, was machst du da im Schrank? Ich bin doch wieder nüchtern …“
„Was hat das denn damit zu tun, ob du nüchtern bist oder nicht, mein Junge? Ich stehe nun mal hier im Schrank – was dagegen?“, erwiderte sie bestimmt.
Ich kratzte mich am Kopf, der auch schon mal mehr Haare beherbergte, und geriet ins Grübeln. Meine Mutter stand also bei mir in der Besenkammer, was allerdings nicht gerade ein angemessener Ort für eine Verstorbene war.
„Möchtest du nicht vielleicht rauskommen? Ich kann einen Kaffee aufsetzen und ein paar belegte Semmeln vom Bäcker holen.“
Keine Reaktion, Mutter zog nur für einen winzigen Augenblick ihre Augenbrauen hoch.
„Es gibt ja auch viel zu erzählen, wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen. Wie lange bist du jetzt tot … elf Jahre?“
Mutter schüttelte entschieden ihren Kopf: „Ich bleibe hier im Schrank, basta, also laber mich jetzt nicht voll.“
Ich schnappte mir den Handfeger und das Kehrblech und schloss die Tür schwungvoll. Das Malheur auf dem Wohnzimmerboden war fast beseitigt, als mein Telefon klingelte. Aha, Manfred wurde im Display angekündigt, anscheinend hatte er endlich seine Mailbox abgehört. Ich war gespannt, in welcher Verfassung er sich befand, denn Manfred war bekennender Quartalssäufer. Wenn er in einer Trunkenheitsperiode steckte, war er praktisch zu überhaupt nichts zu gebrauchen, dann war er dermaßen dauervoll und unansprechbar, dass er sich kaum seine Straßenschuhe zubinden konnte.
„Papa hier am Smartphone“, meldete ich mich erwartungsvoll.
„Manfred hier“, erwiderte mein Assistent mit klarer und fester Stimme. Das klang gut, er war offenkundig einsatzbereit.
„Manni, alte Stasi-Zipfe, ich habe einen Auftrag für dich: Du darfst mich heute Abend zu einer Rockerparty begleiten. Zieh dich entsprechend an. 19 Uhr hier bei mir. Du fährst, ich trinke. Noch Fragen?“
„Nein, Chef.“
Das war gut gelaufen. Ich machte mir einen Latte macchiato und setzte mich vor die Glotze. Ob auf den Nachrichtensendern wohl Berichte über das Skelett liefen? Auf n-tv war die Bundeskanzlerin zu sehen, die eine Ansprache vor dem Bundestag hielt, während N24 mit der Wettervorhersage (Hoch Ulrich) glänzte. Ich zappte noch gelangweilt durch die Kanäle, blieb aber nirgendwo hängen, keine Sendung drängte sich so wirklich auf. Nach einiger Zeit schlief ich dann auch auf dem Sofa ein und geriet in einen heftigen Albtraum.