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1. Wie stehen Mann und Frau in ihrem Menschsein zueinander?

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Eva – Verführerin des Mannes. Eva – Verkörperung der Sünde. Die Frau an sich als Schuldige für die Vertreibung aus dem Paradies. Über Jahrhunderte wurde die abendländische Vorstellung geprägt von dieser Urerzählung, die Frauen potentiell verdächtig machte, den Mann vom geraden Wege abzubringen. Trotz anders lautender wissenschaftlicher christlicher Auslegungen zur biblischen Erzählung vom Sündenfall ist die Vorstellung von der Frau als personifizierte Versuchung tief verwurzelt. Im Mittelalter trug die bildende Kunst dazu bei, in der Neuzeit auch die Literatur, wie etwa John Miltons „Paradise Lost“. Heute beziehen sich Werbestrategen in ihrer Bildlichkeit auf Eva und die von ihr ausgehende Verlockung: Da ein Joghurt mit Botticelli-Eva, dort eine Frau im Evakostüm mit Apfel in der Hand, die sich auf der Kühlerhaube eines Autos räkelt.

Im Koran findet sich die Geschichte des Sündenfalls bereits zu Beginn.9 Ich las die Stelle gleich mehrmals, weil mir irgendetwas gegenüber der vertrauten Version besonders erschien. Eva wurde von Adam nicht beschuldigt, ihn verführt zu haben! Beide tragen zu gleichen Teilen die Schuld, sich über das Verbot hinweggesetzt und vom verbotenen Baum gegessen zu haben. Da packte mich die befreiende Erkenntnis, was das allgemein für Frauen bedeutet: „Ich bin nicht die sündige Eva!“ Dieser Gedanke übt bis heute die gleiche Faszination aus. Wie hatte ich mich im Geschichtsunterricht aufgeregt, dass in mittelalterlichen Wertungslisten eine Frau sogar nach einem Mörder geführt wurde – bloß, weil dieser ja immerhin ein Mann sei.

Von Adam und Eva ausgehend lässt sich das islamische Menschenbild untersuchen. Und wieder war ich in Bann gezogen, dass Mann und Frau in ihrem Menschsein die zentrale erste Erfahrung des Scheiterns und der Wahrnehmung eigener Grenzen teilen, eines Scheiterns, von dem Gott in seiner Allwissenheit vorher Kenntnis hatte. Lernen durch Fehler – das schien hier die Botschaft zu sein. Menschsein inkludiert die Erfahrung der eigenen Endlichkeit und der Anfälligkeit für Fehler – ohne die wiederum keine Entwicklung möglich wäre. Als wäre das Erlebnis der Übertretung notwendig gewesen, um Mann und Frau auf ihr Dasein als Menschen auf der Erde vorzubereiten.

Mann und Frau bereuen ihr Verhalten zutiefst und ihnen wird durch Gottes Barmherzigkeit verziehen. Hier gibt es einen wesentlichen Unterschied zur christlich-jüdischen Erzählung. An dieser Stelle entsteht ein anderes Narrativ. Gott gibt ihnen für ihre Aufgabe in der Welt, in die sie nun versetzt werden, eine zentrale Erfahrung mit: das Gefühl für Verantwortlichkeit. Konsequenzen des eigenen Handelns sind persönlich zu tragen.

In der tiefen Scham, als ihnen bewusst wird, gegen den göttlichen Willen verstoßen zu haben, fällt ein zentraler Satz: „Wahrlich, wir haben gegen uns selbst gesündigt.“10. Die gleiche Wendung ist immer dann im Koran zu finden, wenn es um die menschliche Erkenntnis eines Fehlverhaltens geht. Was hat es mit dem „Gegen-uns-selbst-gesündigt-Haben“ auf sich? Wäre nicht viel eher zu erwarten, dass es „gegen Gottes Gebot“ heißt? Dahinter steht, dass Gott in Seiner Größe von den Sünden der Menschen unberührt bleibt. Es wäre ja absurd anzunehmen, Er sei angewiesen auf das Wohlverhalten der Menschen. Dies lässt die Formulierung „gegen uns selbst“ plausibel und angemessen erscheinen.

Erst wenn auch das Prinzip der fitrah mitgedacht wird, erschließt sich freilich die ganze Tiefe der Bedeutung. Fitrah bedeutet, dass Gott bei der Erschaffung des Menschen diesem die prinzipielle Erkenntnisfähigkeit in den rechten Weg mitgegeben hat. Mann und Frau, dem Menschen schlechthin, ist nicht nur ein Gewissen mitgegeben, sondern die Möglichkeit, das Gute zu erkennen und danach zu handeln. Folgerichtig ist Adam und Eva bewusst, dass sie nicht nur gegen Gottes Gebot verstoßen haben, sondern eigentlich sich selbst untreu geworden sind. Denn der göttliche „Bauplan“ hat im Menschen eine Art Kompass angelegt, sich nach dem Guten auszurichten. So haben sie gegen sich selbst gesündigt.

Dieses grundsätzlich positive Menschenbild wird ergänzt durch Aussagen im Koran, die auf die Vermessenheit des Menschen, seine Maßlosigkeit und Selbstüberschätzung eingehen. Hier werden die dunklen Seiten des Menschen sehr deutlich angesprochen. Davon ist sogar schon unmittelbar vor der Erschaffung des Menschen die Rede, als die Engel – eigentlich bedingungslos in ihrem Gehorsam gegen Gott – das neue Wesen, das da entstehen soll, geradezu in Frage stellen: „‚Willst du auf ihr einen solchen einsetzen, der darauf Verderbnis verbreiten und Blut vergießen wird – während wir es sind, die Deinen grenzenlosen Ruhm lobpreisen und Dich preisen und Deinen Namen heiligen?‘ Gott antwortete: ‚Ich weiß, was ihr nicht wisst.‘“11 Die Stelle weist auch auf die besondere Rolle des Menschen hin, auf der Welt „eingesetzt“ zu sein. Mann und Frau sind beide als khalifatullah, also als „Statthalter Gottes“ entsandt und tragen damit besondere Verantwortung für die Schöpfung. Dieser Gesichtspunkt wird uns noch einmal beschäftigen, wenn wir auf die politische Repräsentation zu sprechen kommen.

Die absolute Gleichwertigkeit von Mann und Frau als Menschen zeigt sich überall, wo es um das Verhältnis zwischen ihnen geht. Bereits die Geschichte der Erschaffung des Menschen macht die gleiche Bedeutung von Mann und Frau klar. Dazu sei der Beginn der vierten Sure zitiert: „O Menschheit! Seid euch eures Erhalters bewusst, der euch aus einer einzigen lebenden Wesenheit erschaffen hat und aus ihr Partnerwesen erschuf und aus den beiden eine Vielzahl von Männern und Frauen verbreitete.“12 Mann und Frau sind also aus der gleichen Ursubstanz geschaffen und bedingen sich gegenseitig. Sie brauchen einander.

Wenn von der Erschaffung Adams die Rede ist, so als dem Menschen an sich – das Geschlecht ist dabei nebensächlich. Als Gott den Engeln sich vor dem neu geschaffenen Mensch zu verneigen befiehlt, dann nicht als dem Mann, sondern als dem Mensch, dem er soeben von Seinem Geist eingehaucht hat und den er die Namen der Dinge gelehrt hat.13 An verschiedenen Stellen taucht die Erzählung von der Schaffung des Menschen auf. Da ist von der Erschaffung „eines sterblichen Menschen“ aus „tönendem Lehm, aus dunklem, verwandeltem Schleim“14 die Rede – es geht um die Schaffung des Menschen an sich. Wenn an verschiedenen Stellen im Koran von den bani Adam, den Kindern Adams, die Rede ist, dann immer als Synonym für die Menschen.

Im Unterschied zur Bibel findet sich im Koran kein Hinweis darauf, dass Eva aus der Rippe Adams geschaffen worden sei. Auch daraus lässt sich also kein hierarchisches Verhältnis begründen. Allerdings ist das Rippenbild unter Muslimen trotzdem verbreitet. Ausgerechnet die Geschichte Evas, von der mich begeistert hatte, dass sie keine Projektionsfläche bietet, die Frau an sich abzuwerten oder in ein bestimmtes negatives Eck zu stellen, wird durch außerkoranische Quellen ergänzt und dadurch in ihrer klaren Aussage verwässert, ja völlig umgedeutet. Eva als „Prototyp“ des Weiblichen kann so doch wieder als „schlechte Kopie des Mannes“, als die Zweitgeschaffene und damit zweitrangige angesehen werden.

Denn in der Sunna kommt dieses Motiv zur Sprache. Da dem Propheten Vorbildcharakter zukommt, bilden diese Zeugnisse der Sunna die zweite Quelle der Theologie gleich nach dem Koran. Viele Fragen der religiösen Praxis wären ohne die Sammlung der Sunna gar nicht zu beantworten. Klassisches Beispiel ist hier das Gebet, dessen ritueller Ablauf vor allem durch das Vorbild des Propheten Muhammad erklärt wird. An der großen Bedeutung und der Unverzichtbarkeit für die Auslegung besteht also kein Zweifel, wenn es um die Sunna geht. Die Sunna wird durch viele Einzelberichte (Hadithe) überliefert.

Dennoch sind Fragen nach der Auslegungstradition aber auch nach dahinterstehenden Interessen angebracht, eine Höherwertigkeit des Mannes zu behaupten und diese durch eine bewusste Auswahl bestimmter Texte und Unterdrückung anderer Texte zu „beweisen“. Der „Rippenhadith“ ist unter Muslimen weit verbreitet und hat eine entsprechende Wirkungsmacht entfalten können. Erstaunlich ist dabei, dass er so klar in Widerspruch zu koranischen Aussagen steht. Viele Muslime nehmen ihn als dermaßen gesichert in seiner Überlieferungskette der Tradenten an, dass sie Scheu haben am Inhalt zu zweifeln. In der Einleitung wurde ja schon beschrieben, wie ein Rütteln am matn, dem Inhalt eines Hadith, viel mehr Skrupel hervorruft, als beim isnad, den Überlieferern, anzusetzen. Es besteht in der Auslegung aber eine Art „blinder Fleck“, gerade wenn es um das Verhältnis der Geschlechter geht. Wer sich hier Denkverbote auferlegt, konserviert traditionelle Sichtweisen, die einer Revision bedürfen.

Für den christlich-muslimischen Dialog ist die Parallelstelle in der Bibel (Genesis 2, Verse 22 bis 24) besonders interessant. Tatsächlich steht zu vermuten, dass Koranexegeten wie Ibn Kathir, der in seinem tafsir eine Überlieferung bringt, die an die Bibelstelle erinnert, nicht unbeeinflusst davon waren. Die so genannten Israeliyat, also Texte der älteren Buchreligionen, vor allem aus dem Judentum, waren damals bekannt und wurden in der Auslegung herangezogen. Es wäre nur fair, wenn dann auch die christlichen Interpretationen dazu unter Muslimen bekannter gemacht würden. Diese gehen nicht immer von einem hierarchischen Gefälle zwischen Mann und Frau aus – wie das oft im Mainstream als selbstverständlich angenommen wird. Ganz im Gegenteil wird Genesis 2, Vers 24, wo Mann und Frau „ein Fleisch werden“, als Beleg für die Zusammengehörigkeit von Mann und Frau gesehen. Christliche Frauen zitieren gerne ergänzend Genesis 1, Vers 27: Gott schuf also den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie ‚um die Gleichwertigkeit von Mann und Frau zu untermauern. Muslime werden bei diesem Vers stutzig. Im Islam gilt schließlich über Gott: „Nichts ist Ihm gleich.“15. Umso interessanter ist es dann, eine christliche Sicht dazu zu hören: Die biblische Aussage über den Menschen als Ebenbild Gottes bedeutet keine Gleichartigkeit von Gott und Mensch und schreibt dem Menschen keineswegs etwas Göttliches zu.16

Im Dialog unter christlichen und muslimischen Frauen ist das Ringen mit den Texten eine spannende Erfahrung und auch ein Prozess. Zu Beginn eines Arbeitskreises kann es vorkommen, dass als frauenfeindlich empfundene Stellen den Teilnehmerinnen der anderen Konfession unter die Nase gerieben werden. Während der Zusammenarbeit kommt dann die Erkenntnis, wie albern es eigentlich ist, solch eine Bestätigung, auf der „besseren“ Seite zu stehen, zu suchen. Am schönsten ist die Erfahrung ehrlicher Freude, mit einer plausiblen Auslegung wieder ein Stück Geschlechtergerechtigkeit gewonnen zu haben – die schließlich allen Frauen zugutekommt. Wie ähnlich oft die Suche nach einem angemessenen Textverständnis ist, kann zudem sehr inspirierend sein.

Generationen muslimischer Frauen bekamen von klein auf zumindest scherzhaft zu hören: „Als Mädchen bist du aus einer krummen Rippe gemacht!“. Welchen Dämpfer solche Herabsetzungen auf das Selbstwertgefühl bedeuten, zeigt sich im Alltag. Schlimmstenfalls internalisieren Mädchen die eigene „Minderwertigkeit“. Besonders im Gedächtnis ist mir die geradezu körperliche Reaktion einer Frauengruppe bei einem Vortrag über den „Rippenhadith“ geblieben. Sie wuchsen, während sie zuhörten. Als wäre das Krumme überwunden, von dem sie so lange bei sich ausgegangen waren, richteten sie sich im Sitzen zu voller Größe auf. Es gab viel Redebedarf, weil alle ins Nachdenken kamen, wie lange sie sich selbst doch künstlich klein gemacht hatten. Erst jetzt wurde ihnen bewusst, dass die Rippengeschichte sie mehr als je angenommen beeinflusst hatte. Die Rolle der Religion wurde heftig diskutiert. Sie sollte uns doch innerlich stärken und nicht verbiegen! Selbstkritisch vermerkten die Frauen auch, dass es wohl mehr Bereitschaft geben müsse, religiöse Behauptungen in Frage zu stellen.

Der pakistanischen Islamwissenschaftlerin Riffat Hassan kommt besonders Verdienst zu, sich der Interpretation des Hadith angenommen zu haben: „Es ist eine zwingende Notwendigkeit für die muslimischen Töchter Hawwas (Evas) zu erkennen, dass die Geschichte ihrer Unterwerfung und Erniedrigung durch die Hände der Söhne Adams mit der Geschichte der Erschaffung Evas begann und dass ihre Zukunft nicht anders als ihre Vergangenheit sein wird, wenn sie nicht zum Ursprung zurückkehren und die Authentizität jener Hadithe in Frage stellen, die sie ontologisch als minderwertig, untergeordnet und verbogen darstellen.“17

Der „Rippenhadith“ liegt in sechs ähnlich lautenden Versionen vor, wobei hier jene nach Bukhari zitiert sei: „Die Frauen wurden aus einer Rippe geschaffen, und das am stärksten gebogene Teil einer Rippe ist das obere. Wenn du versuchst, sie gerade zu biegen, wirst du sie zerbrechen. Überlässt du sie aber sich selbst, dann bleibt sie gekrümmt“.18 Nicht nur steht der erste Teil in einem klaren Widerspruch zur koranischen Aussage, dass Mann und Frau aus der gleichen Ursubstanz geschaffen seien. Der zweite Teil liest sich ausgesprochen misogyn. Die Wertung einer Frau als „krummes Wesen“, das jeder Erziehung widerstehe und zum Krummsein verurteilt sei, steht vielleicht in noch eklatanterem Widerspruch zu Aussagen im Koran und einem darin verankerten egalitären Geschlechterbild. Auch das Verhalten des Propheten Muhammad passt nicht zu einer derartig frauenfeindlichen Aussage. Er steht für einen respektvollen Umgang mit Frauen; keinesfalls bezeichnete er sie intellektuell als minderbemittelt. Im Übrigen lassen sich auch im Hadith selbst Aussagen finden, die mit dem Bild der „verbogenen Rippe“ nicht zusammenpassen. So heißt es in einer Überlieferung nach Aisha etwa, Mann und Frauen seien Zwillingswesen.19 Diese Kritik setzt am matn, am Inhalt des Hadith, an, der kontradiktorisch zum Koran ist – eine Methode, die, wie bereits aufgezeigt wurde, nicht von allen Muslimen gleichermaßen unbefangen angewendet würde.

So soll auch der Ansatz vom isnad, der Überlieferungskette, her versucht werden. Alle Versionen des „Rippenhadith“ gehen auf den Gleichen Tradenten Abu Hurairah zurück. Andere Personen, die das gleiche berichten, gibt es nicht. Abu Hurairah wurde bereits zu Lebzeiten trotz seiner großen Hingebung zum Propheten auch kritisch gesehen. An seinem Lebenswandel gefiel zum Beispiel nicht, dass er es ausschlug, eine Arbeit anzunehmen. Aisha, eine Gattin des Propheten, auf die viele Hadithe zurückgehen, reagierte sehr ungehalten, wenn er den Propheten in einer Weise zitierte, die offensichtlich nicht stimmen konnte. Oft ging es dabei um Themen, die Frauen betrafen, wobei Abu Hurairah angeblich an mangelndem männlichen Selbstwertgefühl litt und entsprechend zu einer gewissen Frauenfeindlichkeit neigte.20 Der große Gelehrte und Begründer der hanefitischen Auslegungstradition, Abu Hanifah, war darum vorsichtig bei der Heranziehung von Hadithen dieses Tradenten. Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass bis in die Moderne ganze Bücher zur Verteidigung beziehungsweise Diskreditierung von Abu Hurairah geschrieben wurden, auch weil sich daran zusätzlich Trennlinien (schiitische contra, sunnitische eher pro) auftun. In diesem Fall wird es nicht leichter, zumindest was die „Fans“ von Abu Hurairah betrifft, den isnad, die Herkunft der Überlieferung, in Zweifel zu ziehen.

So bleibt für die nicht kleine Gruppe jener Muslime, die bei diesem Hadith den isnad nicht in Frage stellen und am matn nicht rühren wollen, nur die Möglichkeit, eine verträgliche Interpretation zu finden, die ihm seinen frauenfeindlichen Stachel zieht. An solchen Bemühungen haben vor allem jene Muslime großes Interesse, für die die klassischen Hadithsammlungen, etwa von Bukhari oder Muslim, einen Textkanon bilden, den sie prinzipiell nicht in Frage stellen würden. Dazu gibt es viele, sehr kreative Versuche. Er wird etwa als Beweis betrachtet, dass der Mann zur Rücksichtnahme gegenüber einer Frau verpflichtet sei und ihre spezielle Natur achten müsse. Ähnlich wie christliche Auslegungen weisen sie auch auf die damit gegebene Verbundenheit von Mann und Frau hin. Manche führen den Gedanken weiter und sagen, dass diese Rippe über dem Herzen liege und so auf die besondere emotionale Natur der Frau hinweise. Oft erfolgt aber gleichzeitig eine Essentialisierung weiblicher Eigenschaften in Richtung „gefühlsbetonte Frau“ gegenüber „verstandesorientierter Mann“. Es ist fragwürdig, wenn Frauen ein unveränderliches Wesen auf diese Weise zugeschrieben wird.

Wer sich an das Prinzip hält, dass koranische Aussagen die oberste Quelle in der Auslegung bilden, wird durch zahlreiche weitere Aussagen im Koran darin bestärkt, dass Frauenfeindlichkeit, ja nur ein patriarchalischer, bevormundender Ton, keinen Platz im Islam haben darf. „Siehe, ich lasse nicht verloren gehen das Werk des Wirkenden unter euch, sei es Mann oder Frau, die Einen von euch sind von den Anderen“21 dokumentiert einmal mehr, wie Mann und Frau nicht ohne einander bestehen können. Ihr Handeln zum Guten wird gleichermaßen gewürdigt und dafür eine Belohnung im Jenseits versprochen. Diese Verheißung kommt im Koran mehrfach vor, so auch hier: „Wer aber Rechtes tut, sei es Mann oder Frau, und er ist gläubig – jene sollen eingehen ins Paradies und sollen nicht um ein Keimgrübchen im Dattelkern Unrecht erleiden.“22 Bemerkenswert ist hier, dass beide Geschlechter dezidiert angesprochen werden, anstatt dass einfach ein Plural verwendet wird, bei dem die Frauen mitgedacht sind. Rechtes zu tun schließt die Bereitschaft und das Vermögen ein, Verantwortung zu übernehmen, und vor allem die Fähigkeit, sich mündig ein eigenes Urteil zu bilden. Männer können also nicht für sich in Anspruch nehmen, Frauen die eigene Entscheidung über ihr Handeln einfach abzunehmen. Dieser Punkt ist darum so wichtig, weil sich in vielen Traditionen Vorstellungen gehalten haben, Männer müssten das letzte Wort haben. Der Koran weist dies zurück: „O ihr Menschen, Wir haben euch von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Verbänden und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt. Der Edelste (Angesehenste) von euch bei Gott, das ist der Gottesfürchtigste (Gerechteste) von euch. Gott weiß Bescheid und hat Kenntnis von allem.“23 Kriterium für das Ansehen bei Gott ist also, wie sich der und die Einzelne im Leben bewährt. Die Vielfalt der Geschlechter wie der Ethnien und religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen ist gottgewollt und soll den Austausch untereinander befruchten. Mann und Frau sollen als Partnerwesen agieren.

Vor Gott sind Mann und Frau absolut gleichwertig. Auf diesem Fundament lässt sich ein Geschlechterverhältnis aufbauen, das von einem Umgang miteinander als ebenbürtige Partner getragen ist. Dieser Anspruch muss immer dann in Erinnerung gerufen werden, wenn das soziale Gefüge ein Ungleichgewicht zu Ungunsten der Frauen aufweist. Vor allem erscheinen Mann und Frau als Partner in ihrem Menschsein. Die Kategorie „Mensch“ verbindet Mann und Frau und legt ihnen gleichzeitig die gleiche Verantwortlichkeit nahe.

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