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3. Wie kann ich mich Gott weiter nahe fühlen, auch wenn ich während der Periode nicht bete und faste?

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Vor allem Frauen, die zum Islam konvertiert sind, tun sich oft schwer damit, dass sie während der Zeit ihrer Monatsblutung von einigen religiösen Übungen befreit sind: Das rituelle Gebet, fünfmal über den Tag verteilt, und das Fasten im Ramadan sind hier vor allem zu nennen. So ganz fremd ist ihnen die Anschauung ja nicht, dass Frauen in dieser Zeit irgendwie „anders“ seien. Noch die Großmutter vermied, in diesen Tagen Marmelade einzukochen. Auch in Europa herrschte lange Zeit die Vorstellung, Frauen seien während der Menstruation „unrein“ und man halte sich besser von ihnen fern. Feministinnen wie Germaine Greer begannen bewusst, zu Beginn der 1970er-Jahre Tabus um die Menstruation der Frau aktionistisch aufzubrechen. Bis heute scheint diese Auseinandersetzung noch nicht abgeschlossen. Publikationen wie Chella Quints „Adventures in Menstruating“ oder Chris Bobels „New Blood – Third-Wave Feminism and the Politics of Menstruation“ liefern weiterhin Diskussionsstoff. Wegzukommen von strikten Zuschreibungen, was „Frau“ sei, und gleichzeitig die eigene Körperlichkeit in all ihren Aspekten aus weiblicher Sicht offen zu besprechen und zu ihr zu stehen, bleibt ein Anliegen.

Sichtweisen auf die Regelblutung sind auch bei Muslimen nicht frei von Zuschreibungen, die darin gerne die These von der angeblich gefühlsbewegten und sprunghaften weiblichen Veranlagung begründet sehen wollen. Dies kann negative Folgen für Frauen haben, wenn mit dieser Begründung ihre gesellschaftliche Teilhabe eingeschränkt werden soll, wie dies im Kapitel über die Zeugenschaft noch erörtert werden soll.

Die Menstruation wird im Koran nur einmal erwähnt. Da heißt es: „Und sie werden dich fragen nach den monatlichen Perioden (der Frauen). Sag: ‚Es ist ein verletzlicher Zustand.‘“29 Dies ist eine der Stellen, in denen Gott sich direkt an den Propheten wendet („Sie werden dich fragen“) und ihm aufträgt, wie er mit den Fragen der muslimischen Urgemeinde nach der Regelblutung umgehen soll. Interessant ist hier schon einmal, dass damit dokumentiert ist, wie wenig sich die frühen Muslime scheuten, auch den Bereich der Sexualität offen anzusprechen. Im Verlauf des Verses geht es dann auch darum, dass Geschlechtsverkehr in der Zeit der Menstruation aus Rücksicht auf die Frau religiös verboten ist. Tabus im Gespräch über natürliche körperliche Vorgänge und Bedürfnisse bestanden nicht. Diese Einstellung, über derlei Dinge offen reden zu können, wird uns immer wieder begegnen, etwa wenn wir diesen Vers im Kapitel über Sexualität noch einmal aufgreifen – dies steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu manchen kulturell geprägten Erscheinungen von falsch verstandener Schamhaftigkeit und daraus resultierender Sprachlosigkeit.

Muhammad Asad, dessen Koranübertragung oben zitiert wurde, hat sich offensichtlich bemüht einen möglichst neutralen Ausdruck für das arabische ’aḏan zu finden, der frei ist von einem Ton, der Frauen während ihrer Monatsblutung als irgendwie „eingeschränkt“ oder gar „geschädigt“ sieht. Ihm war wohl bewusst, dass jeder Beigeschmack einer Art Abwertung der Frau während ihrer Regelblutung genau jene Projektionsfläche bietet, die dann zu gar nicht einmal böse gemeinten Interpretationen führt, nach denen Frauen eben nicht die gleichen Aufgaben zuzutrauen seien wie Männern. Wer sich hier an die Rede von den Frauen als dem „schwachen Geschlecht“ erinnert fühlt, spürt auf, wie kulturübergreifend männliche Zuschreibungen über die Frau sein können.

Asads Koranübertragung ins Deutsche hebt sich damit wohltuend von den meisten anderen ab. Khoury, Bubenheim und Rassoul übertragen die Beschreibung der Menstruation im Koran mit „Leiden“, Azhar und Ahmedeyya mit „Schaden“, Paret mit „Plage“, Pickthall mit „Krankheit“ (illness). Zaidan spricht dagegen nur von einer „Beschwerlichkeit“, während Ali F. Yavuz gar den Ausdruck „eine verhasste Unreinheit“ (nefret edilen bir pislik) verwendet und damit eine emotionale Wertigkeit ins Spiel bringt, von der es nicht weit ist zu Minderwertigkeitsgefühlen einer Frau während ihrer Periode als einer zumindest temporär „Unreinen“.

Die Liste dieser Übertragungsvarianten ist einer Internetseite entnommen, die der Bewegung der Koranisten (quraniyun) zuzurechnen ist.30 Diese aus der Türkei stammende Bewegung beruft sich ausschließlich auf den Koran und wirft die Prophetenüberlieferung komplett über Bord. Daher vertritt sie hier auch den Standpunkt, Frauen könnten während ihrer Regel fasten und beten wie sonst auch – schließlich stehe im Koran nichts Gegenteiliges. Ganz so einfach kann man sich die Sache dann doch nicht machen. Denn über die Sunna, also das in vielen Hadithen beschriebene Vorbild des Propheten Muhammad, können Gläubige nicht hinweggehen – schließlich spricht der Koran selbst mehrfach davon, dass das Beispiel des Propheten zu berücksichtigen sei.31 Er gilt als „der lebende Koran“32, weil er diesen durch sein Vorbild in die Glaubenspraxis übersetzte. Die Koranisten übertreiben ihre Kritik am Hadith bis zur totalen Zurückweisung. Auch wenn hier durchaus kritische Betrachtungen angebracht sind – etwa zur Authentizität oder zum historischen Hintergrund, wann sich jemand an diese oder jene Aussage erinnerte – könnten ohne die Sunna viele praktische Fragen gar nicht beantwortet werden. Auch in Frauenfragen ist die Sunna eine wichtige Quelle.

Der Gattin des Propheten, Umm Maimuna, verdanken wir eine sehr klare Überlieferung, warum an einer Frau nichts „Schmutziges“ ist, während sie menstruiert: „Zuweilen rezitierte der Prophet den Koran, wobei er den Kopf auf das Knie von einer von uns Frauen gelegt hatte, die ihre Regel hatte. Es geschah auch, dass eine von uns seinen Gebetsteppich in die Moschee trug und ihn ausbreitete, während sie ihre Regel hatte.“33 Auch bei Bukhari findet sich eine auf Aisha zurückgehende Überlieferung, die ähnlich berichtet, dass der Prophet den Kopf in ihren Schoß gebettet hatte und so den Koran rezitierte, während sie ihre Tage hatte.

Der Prophet pflegte also einen völlig unverkrampften Umgang mit den Frauen auch während ihrer Regelblutung. Mehr als das sah er ihren momentanen Zustand nicht als etwas, das ihn spirituell von Gott entfernen würde, käme er mit ihnen körperlich in Berührung. Hätte er sonst beim Koranlesen die direkte körperliche Nähe gesucht? Für muslimische Frauen ist dieses Verhalten des Propheten in Bezug auf die Selbstwahrnehmung ihrer Menstruation eine große Hilfe, um zu erkennen, dass sie selbst in dieser Zeit keinesfalls „schmutzig“ sind.

In den Handbüchern für muslimische Frauen, wie sie seit dem Mittelalter immer wieder von Gelehrten zusammengestellt wurden, wird die Menstruation sehr oft unter dem Aspekt der tahara, der rituellen Reinheit, behandelt – auch dies mag ein Grund dafür sein, dass sich die fatale Assoziationskette in Richtung „Unreinheit“ der Frau bilden konnte. Nach der Beendigung der Menstruation ist eine Ganzkörperwaschung (ghusl) notwendig. Die rituelle Reinheit ist für manche gottesdienstliche Handlungen wie das fünfmal täglich zu verrichtende Gebet eine Voraussetzung. Dazu gibt es eine Gebetswaschung (wudu, abdest), bei der Hände, Mund, Nase, Gesicht, Kopf, Arme bis zum Ellenbogen und Füße gewaschen werden. Hierbei geht es nicht allein um den Aspekt der Hygiene und äußerlichen Sauberkeit, sondern um ein viel ganzheitlicheres Streben nach innerer Reinheit. Beim Waschen der genannten Körperteile sollten Gläubige auch darüber nachsinnen, was sie mit diesen seit der letzten Waschung getan haben. Wer etwa über andere schlecht geredet hat, sollte bei der Gebetswaschung (wudu) die Gelegenheit ergreifen, sich innerlich davon zu distanzieren, diese Tat bereuen und den Vorsatz fassen, sie nicht zu wiederholen beziehungsweise den eventuell entstandenen Schaden wieder gut zu machen. Es geht also nicht um eine rein äußerliche Handlung. Die Waschung hat eine zutiefst spirituelle Seite.

Die Gebetswaschung muss nicht bei jedem Gebet erneuert werden. Sie kann gültig bleiben, wenn man dazwischen nicht in tiefen Schlaf gefallen ist. Ausscheidungen, wie Urin oder Stuhlgang, aber auch aus Blähungen resultierende Winde machen die Erneuerung der Gebetswaschung erforderlich. Uneinigkeit herrscht bei den Gelehrten über den Umgang mit einer Blutung. Wer sich etwa beim Vorbereiten von Gemüse fürs Kochen in den Finger geschnitten hat, sollte nach manchen Auslegungstraditionen seine Gebetswaschung erneuern.

Was die Blutungen der Frauen betrifft, so wird unterschieden zwischen jenen bei der Menstruation (haid), dem Wochenfluss nach einer Geburt (nifas) und solchen aus anderer Ursache (istihada) wie außerhalb des Zyklus auftretende Schmierblutungen. Solange eine Frau menstruiert oder noch Wochenfluss auftritt, hat das Folgen für die religiöse Praxis. Ibn Al Djauzi listet auf: „Die Menstruation verbietet das Verrichten des Gebets, und es muss auch nicht nachgeholt werden. Das Fasten ist auch verboten, muss aber später nachgeholt werden. Das Lesen des Korans, das Berühren eines Korankodexes, den Aufenthalt in der Moschee, die Umrundung des Hauses34 untersagt die Menstruationszeit ebenfalls.“35

Es geht also um etliche Einschränkungen, wobei bezüglich des Betens, Fastens und des tawafs, der rituellen Umrundung der Kaaba in Mekka, ein weitgehender Konsens unter den Gelehrten besteht, obwohl, wie eingangs bereits festgestellt, eigentlich keine relevante Aussage dazu im Koran vorliegt. Ableitungen aus der gelebten Praxis der Frühzeit des Islams sind also erforderlich. Wie bereits ausgeführt gibt es hier authentische Schilderungen von Frauen im unmittelbaren Umfeld des Propheten und auch Aussagen von ihm selbst. Bei der Pilgerfahrt etwa ist interessant, dass er Frauen, die mit der Absicht, diese zu verrichten, aufgebrochen waren, erklärte, sie müssten in den Zustand der rituellen Reinheit eintreten (ihram) – also eine rituelle Ganzkörperwaschung vornehmen, die sonst erst am Ende der Menstruation möglich ist – und sich vor der Blutung eben mit einer Binde schützen, um sich frei bewegen zu können.36 Nicht von allen Riten der Hadsch sind menstruierende Frauen zudem ausgenommen: „Wenn die menstruierende Frau und die Frau im Wochenbett die Zeit erreichen, sollten sie baden, in den Ihram eintreten (also wie oben) und alle Rituale (wie die anderen) ausführen, außer den Tawaf um die Kaaba.“37

Für die Untersuchung des Reinheitsaspekts ist besonders aufschlussreich, dass der ihram-Zustand auch für eine Menstruierende gültig ist, ja sie diesen bewusst annehmen kann. Denn dieser oft mit „Weihezustand“ übersetzte Begriff umschließt die ganze spirituelle Dimension, Gottes Nähe während der Pilgerfahrt zu suchen. Ist die Ganzkörperwaschung (ghusl) schon ein spiritueller Akt, so das Eintreten in den ihram noch viel umfassender und für viele Muslime ein einzigartiges Erlebnis, weil es sozusagen das Tor bildet, die Pilgerfahrt zu vollziehen, an deren Ende das Ziel steht, sich wie „neugeboren“ zu fühlen. Dass Frauen, auch wenn sie ihre Tage haben, nicht ausgeschlossen sind, zeigt ganz deutlich, dass sie während dieser Zeit eben nicht irgendwie „minderwertig“ sind. Wer dies in aller Konsequenz bedenkt, kann für sich auch viel eher annehmen, dass es beim Aussetzen von Beten und Fasten in dieser Zeit um eine wirkliche Erleichterung geht, die ihren „verletzlichen Zustand“ berücksichtigt.

Wünschenswert wäre ein reflektierter Sprachgebrauch beim Verfassen religiöser Erläuterungen. Wenn Männern erklärt wird, sie müssten sich von einer rituellen Unreinheit (Samenerguss) zuerst mit einer Ganzwaschung (ghusl) reinigen, ehe sie wieder beten, so findet sich nicht jener abwertende Unterton, der Texte rund um die Menstruation häufig begleitet. Wenn dagegen Frauen lesen, dass nach ihrer Periode ein ghusl vorzunehmen sei, dann oft mit dem Beisatz „damit sie ihre Reinheit wieder erlangen“, was impliziert, sie seien während der Periode „unrein“.

Dass die rituelle Unreinheit nicht mit einer den ganzen Menschen umfassenden Unreinheit zu verwechseln ist, belegt eine Episode, in der ein Mann, der sich nach dem Beischlaf noch nicht gereinigt hatte, dem Propheten schamhaft aus dem Weg ging. Dieser wies ihn zurecht, dass er sehr wohl auch in diesem Zustand neben ihm hätte sitzen können: „Preis sei Gott! Ein Muslim wird doch nie unrein!“38 Diese Aussage bezieht sich in ihrer Allgemeingültigkeit natürlich sowohl auf Männer wie auf Frauen. Das innere Bekenntnis zum Islam bedingt bereits eine Gottesnähe, die nicht temporär durch Zeiten sehr menschlicher körperlicher Zustände – die ja alle in Gottes Schöpfung liegen! – aufgehoben werden kann.

Die monatliche Blutung als natürlichen Vorgang anzunehmen, ist wichtig für Frauen, um sich in diesen Phasen positiv wahrnehmen zu können. In der theologischen Literatur zur Menstruation gibt es eine Fülle von Datierungsvorschlägen, wie die Zeit der Regelblutung zu bemessen sei. Diese beziehen sich nicht nur auf direkte Hinweise, sondern auch auf allgemeinere theologische Erkenntnisse, von denen ausgehend Übertragungen vorgenommen werden. So manche Aussage würde einer medizinischen Überprüfung aus heutiger Sicht kaum standhalten. So zum Beispiel der schon zitierte Ibn Al Djauzi: „Wenn eine junge Frau Blut sieht und sie ist neun Jahre alt, so handelt es sich um die Menstruation. Wenn sie Blut sieht und sie ist über fünfzig Jahre, dann ist das kein Regelblut.“ Verwirrend mag auch scheinen, wie die Anzahl der Tage einer Blutung bei Hanafi auf ein Minimum von drei und ein Maximum von zehn Tagen festgelegt ist, während ein anderer der vier sunnitischen Begründer einer Rechtsschule, Shafai, von bis zu fünfzehn Tagen ausgeht. Da ist es als betroffene Frau wohl realitätsnäher, sich direkt an Aisha zu orientieren. Frauen hatten ihr einige Wäschestücke mit gelben Flecken zugesandt, weil sie wissen wollten, ob ihre Menstruation schon beendet sei. Sie kommentierte: „Seid nicht hastig, bis ihr den weißen Ausfluss seht.“ Anstatt stur Tage zu zählen, geht es also vor allem um Selbstbeobachtung. Wer das unternimmt, lernt sich und den eigenen Körper viel besser kennen und wird sich im Zyklus so auskennen, dass dies auch beim Spüren der fruchtbaren und unfruchtbaren Tage hilft und insgesamt ein tieferes Körperbewusstsein und innere Balance mit sich bringt. Eine muslimische Frau mag sich auch daran erinnern, dass der islamische Mondkalender ihr das Verfolgen des Monatszyklus erleichtert, weil er sich oft mit diesem deckt.

Im Zusammenhang mit der Natürlichkeit des weiblichen Zyklus sei auch daran erinnert, dass Blut nichts „Ekliges“ an sich hat. Es wurde schon festgestellt, dass manche Gelehrte eine Blutung nicht einmal als Grund sehen, die Gebetswaschung zu erneuern. Sicher ist auch, dass eine Zwischenblutung (istihada) keine Befreiung vom Gebet mit sich bringt. Hier wird das Blut einfach abgewaschen und nach der Gebetswaschung das Ritualgebet verrichtet. Bei der Menstruation und dem Wochenfluss geht es also nicht eigentlich um das „Bluten“, denn das ist nur das äußere Anzeichen für jenen Zustand der Verletzlichkeit, wie er in 2:222 bezeichnet wird, auf den in der religiösen Praxis Erleichterungen folgen.

Eine Frau ist auch völlig frei darin, sich vielleicht umso intensiver anderen Formen des Gottesdienstes zu widmen. Die dua‘, das Bittgebet, und der dhikr, das intensive Gedenken Gottes mit meditativem Charakter, stehen den Gläubigen jederzeit auch ohne vorherige Gebetswaschung offen.

Dass die Unmöglichkeit, eine Gebetswaschung zu verrichten, den Hintergrund der Einschränkungen bei manchen religiösen Übungen bildet, hat einige wenige Meinungen dazu gebracht, das Fasten anders zu betrachten als das Ritualgebet. Denn würde man eine Übertragung von jenen Hadithen vornehmen, in denen eindeutig davon die Rede ist, dass Männer im Zustand, in dem sie noch einer Ganzwaschung bedürfen, das Fasten begannen und dieses volle Gültigkeit hat, so würde die Notwendigkeit der rituellen Reinheit beim Fasten wegfallen. Eine solche Auslegung, die davon ausgeht, beim Nicht-Fasten der Frauen gehe es um eine ruhsa – eine Erleichterung, bei der sie selbst entscheiden können, ob sie dieser bedürfen oder nicht – bildet aber eine absolute Minderheitenmeinung und würde bei den Frauen selbst auf Protest stoßen.

Zum tawaf zeigt die Al Azhar einen interessanten Ansatz, indem sie moderne Herausforderungen bedenkt. War es in alten Zeiten kein Problem, wenn eine Frau eben bis zur Beendigung der Menstruation wartete, ehe sie den tawaf ausführte, kann das heute bei gebuchten Flügen und zu verlängernden Hotelaufenthalten logistisch und finanziell große Probleme verursachen. Unter Berücksichtigung dieser geänderten Umstände wird einer Frau der tawaf freigestellt, auch wenn sie ihre Regel hat. Al Azhar sichert sich gegen Vorwürfe ab, dass dies ja wohl eine willkürliche Fatwa sei, indem zusätzlich Hadithe als Belege angeführt werden, die zeigen, dass es unter den frühen Muslimen sehr wohl eine ähnliche Praxis gegeben hat.

Was das Lesen des Korans betrifft, so bestehen im Gegensatz zur zuvor zitierten Meinung von Ibn Al Djauzi durchaus verschiedene Auffassungen. Weil viele Muslime aus großem Respekt vor der Würde des originalen Korantextes, des mushaf, diesen nur nach einer Gebetswaschung berühren wollen oder laut rezitieren, sind viele Frauen zurückhaltend, den Koran während ihrer Periode, wo sie diese Waschung nicht vornehmen können, zur Hand zu nehmen und zu lesen. Moderne Technik wie Internetseiten, die den Koran nicht nur optisch abbilden, sondern daneben von diversen Rezitatoren bis zur Möglichkeit, Übertragungen in eine Vielzahl von Sprachen einzublenden, eine große Auswahl zum Studium bieten, machen es unnötig, das Buch selbst anzugreifen. Schon seit langem gibt es außerdem Auslegungen, die vor dem Hintergrund des Abwägens von Prioritäten etwa einer Koranlehrerin freistellen, auch während ihrer Tage den Koran selbst laut zu rezitieren.

Auch was das Betreten einer Moschee angeht, hat der bereits erwähnte Hadith, demnach eine menstruierende Frau einen Gebetsteppich in der Moschee ausbreitet, gezeigt, dass es hier wohl nicht um ein absolutes Tabu gehen kann. Allerdings ergibt die Analyse weiterer Hadithe ein widersprüchliches Bild, da auch differenziert wird zwischen der Notwendigkeit, die Moschee zu durchqueren, und einer sitzenden Teilnahme, etwa bei einer Ansprache des Imams. Viele Frauen würden von sich aus die Moschee in dieser Zeit nicht aufsuchen, weil ein Hauptgrund des Besuchs, nämlich das rituelle Gebet, ja wegfällt. Wenn es aber um ein soziales Miteinander und das Erleben von Gemeinschaft geht, ist überliefert, dass auch menstruierende Frauen ausdrücklich aufgefordert wurden, anlässlich des Festgebets nach dem Ramadan und zum Opferfest an der Zusammenkunft teilzuhaben, auch wenn sie dem eigentlichen Gebet fernblieben.

Daraus lässt sich eine Schlussfolgerung ziehen, die vor allem dann von großem Interesse ist, wenn es darum geht, kulturelle Tabus um die Regelblutung der Frau aufzubrechen. Denn jene Frauen, die nicht am Gebet teilnahmen und trotzdem beim Fest erschienen, konnten unschwer als Menstruierende ausgemacht werden – ohne dass es ihnen „peinlich“ gewesen wäre. In muslimischen Kulturen trifft man heute immer noch auf diesen Geist, bei gebotener Wahrung von Respekt und Intimsphäre gleichzeitig ohne geziertes Versteckspielen mit diesen Dingen umzugehen. In einer Großfamilie, wie sie vielerorts noch üblich ist, wäre es auch schwer die Menstruation zu verbergen. Allerdings gibt es auch andere Gepflogenheiten, wo es zum guten Ton gehört, die Menstruation möglichst geschickt vor allen zu verbergen. Ein menstruierendes Mädchen muss sich dann vor den Brüdern verstecken, wenn sie im Ramadan nicht fastet und tagsüber etwas essen möchte. Männliche Verwandte dürften auch nie etwas wie Vorkehrungen der Monatshygiene zu Gesicht bekommen. Ein solcher verkrampfter Umgang verhindert dann leider auch, dass junge Burschen wie beiläufig etwas von der spezifisch „weiblichen“ Lebenswelt junger Frauen mitbekommen, selbst wenn diese ihre Schwestern sind. Dabei würde ihnen das sehr helfen, mehr Verständnis für Frauen zu entwikkeln.

Das Thema der Menstruation ist so von Ambiguität gekennzeichnet. Einerseits beweist der Umgang des Propheten selbst eine fast demonstrative Unverkrampftheit damit. Andererseits haben sich doch Einstellungen gehalten, die von einer „Unreinheit“ der Frau in dieser Zeit ausgehen und die Menstruation geradezu tabuisieren. Einerseits füllen die Gelehrten Seite um Seite, um die Aspekte der tahara in aller Ausführlichkeit darzulegen – andererseits bleiben sie dann doch irgendwie in technischen Beschreibungen stecken, so dass die Spiritualität der Frau eine Leerstelle bildet. Heute würden sich viele Frauen gar nicht trauen, die Einschränkungen in der religiösen Praxis in Frage zu stellen. Dahinter kann die Scheu stehen, ein Reinheitsgebot zu verletzen – die Gebote der tahara verinnerlichen alle Muslime von klein auf. Viele Musliminnen fühlen sich auch sehr wohl damit, weil sie die Besonderheiten während der Menstruation nicht als Einschränkung, sondern wirklich als Erleichterung sehen.

Umso wichtiger ist es, endlich persönliche Schilderungen von Frauen einzubeziehen, vor allem, wie sie ihre Religion in dieser Zeit leben und sich – das bildete ja die Eingangsfrage – dabei Gott nahe fühlen. So seien abschließend einige Statements wiedergegeben, wie sie Musliminnen untereinander austauschen: Während der Zeit, in der ich nicht bete, nehme ich mir immer ein Lektüreprogramm vor. Dann studiere ich parallel zur Länge des Gebets einen Text, der Ruhe zum Nachdenken braucht.“ – „Nach der Gebetspause freue ich mich umso mehr auf das rituelle Gebet und finde immer wieder einen frischen Zugang dazu – es ist dann viel intensiver.“ – „Ich habe lange darüber nachgedacht, worin die göttliche Weisheit steckt, dass wir Frauen während der Menstruation nicht beten und fasten. Dann habe ich mir überlegt, wie es wäre, wenn Frauen sich aussuchen könnten, ob sie sich fit genug für diese Gottesdienste fühlen. Würde dann nicht eine Konkurrenz untereinander einsetzen? So nimmt die Weisung auf jene Rücksicht, die wirklich dieser Erleichterung bedürfen – und lässt alle anderen daran teilhaben. So braucht sich keine in ihrer Frömmigkeit herausgefordert fühlen, ‚Fleißaufgaben‘ zu erfüllen – die Befreiung gilt für alle Menstruierenden und Wöchnerinnen.“

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