Читать книгу Muslimin sein - Carla Amina Baghajati - Страница 7
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Оглавление„Eine gute Frage ist die Hälfte der Wissenschaft“4: Dies begründet die vorliegende Form, die Kapitel mit Fragen zu überschreiben. In muslimischen Kreisen gehört manchmal Mut dazu, eine Frage zu formulieren, in der fundamentale Kritik an bestehenden scheinbaren Selbstverständlichkeiten steckt. Diese Fragen können somit einen Prozess in Gang setzen, der auch die Theologen in die Pflicht nimmt, stärker dem zutiefst islamischen Anspruch zu entsprechen und bei Berücksichtigung der Quellen Koran und Sunna die Lebenswirklichkeit der Gläubigen einzubeziehen. Die Angst, nur mehr zeitgeistig irgendwelchen Trends hinterherzulaufen und allerlei Meinungsmachern nach dem Mund zu reden, bremst hier leider oft. Offenheit für die Moderne ist aber eine theologische Notwendigkeit. Sonst ginge ein wesentlicher Anspruch des Islams verloren: „Erleichterung von der Bedrängnis“5. Darin steckt eine emanzipatorische Kraft, die gerade in der Frage der Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit zu nutzen ist.
Auch Fragen aus der Außensicht sind wertvoll, weil sie dazu einladen, Unterschiede zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung zu entdecken. Wer sich ehrlich auf eine Beantwortung einlässt, muss eigene Standpunkte überprüfen.
Selbstverständlich kann es auf viele Fragen keine letztgültige Antwort geben. Die Beiträge verstehen sich als Teil eines spannenden Prozesses, in dem die Leserinnen und Leser selbst als Agierende angesprochen sind. Manchmal werden Fragen auch neue Fragen aufwerfen. Auf jeden Fall sollen die Texte aber Orientierung bieten, gewisse Erscheinungsformen gerade des Alltags und des Zusammenlebens besser einordnen zu können. Praktische Vorschläge, wie in auftretenden Situationen eine zielführende Handlungsweise aussehen könnte, dürfen dabei nicht fehlen. Oft geht es um ein gemeinsames Ausloten von Möglichkeiten.
So soll das Buch Dialogerfahrungen nicht nur würdigen, sondern auch ein Stück erlebbar machen. Fragen – und gerade die „dummen“ oder provokanten Fragen – regen zu kritischer Selbstreflexion an und liefern wertvolle Denkanstöße. Der Dialog unter Frauen – sei es auf interreligiöser Ebene bereits seit den 1990er-Jahren, sei es zwischen der Frauenrechtsbewegung und Musliminnen – hat in Österreich wesentlich dazu beitragen können, mehr gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Viele der nachfolgend aufgenommenen Fragen stammen daraus. Frauen können nicht nur viel voneinander lernen, sondern werden entdecken, dass bei der Vielfalt der Zugänge letztlich gemeinsame Interessen vorhanden sind. Das „Wir Frauen“ kann so neue Bedeutung in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft gewinnen.
Dass auch Männer Partner in diesem Prozess sein können, ist von immenser Bedeutung. Sie können als Multiplikatoren ein wichtiges Sprachrohr sein, wenn sie etwa die Kanzel der Moschee nutzen, um Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit zu wecken. Mit dem Begriff der Geschlechtergerechtigkeit tun sich viele Muslime, sowohl Frauen wie Männer, leichter als mit „Emanzipation der Frau“, weil er vermittelt, dass der Weg, beiden Geschlechtern gerecht zu werden, auch ein gemeinsamer ist. Gerechtigkeit als universaler Anspruch impliziert ein gemeinsames Interesse. Auch Männer erkennen darüber hinaus zunehmend den Bedarf, ihnen zugeschriebene traditionelle Rollenbilder zu hinterfragen.
Manche der Antworten mögen sehr „theologisch“ erscheinen. Eine seriöse Verankerung in den islamischen Quellen ist aber unumgänglich, wenn erfolgreich gegen verkrustete Haltungen angegangen werden soll. Zu oft wurden Forderungen nach Einstellungsänderungen mit dem Hinweis: „Nicht islamisch argumentiert!“ vom Tisch gewischt. Das betrifft den innermuslimischen Diskurs. Gleichzeitig ist es angesichts aktueller Debatten um die Vereinbarkeit des Islams mit Europa auch wichtig, nicht nur theoretisch zu behaupten, dass Muslime ihre Religion als dynamisch verstehen, sondern dies unter Beweis zu stellen. Das geht nur, wenn auch methodisch Einblick gegeben wird, wie zeitgemäße Auslegungen zugleich den Anspruch der Authentizität erheben können und somit für gläubige Muslime Relevanz gewinnen. Es ist zu hoffen, dass auch Nichtmuslime sich von einer theologischen Argumentation nicht abschrecken lassen, sondern, im Gegenteil, mit Interesse verfolgen, wie das betrieben werden kann. Viele praktische Beispiele sollen dabei helfen, dicht an der Lebensrealität zu bleiben und nicht in reine Theorie abzuschweifen.
Damit es leichter fällt, der Argumentation zu folgen und vielleicht sogar ein Stück vorauszudenken, auf welchem Wege wohl am schlüssigsten eine Beweisführung aufzubauen sein wird, hier einige Hinweise: