Читать книгу Schuld war nur die Mustertapete 2 - Carmen Immel - Страница 8
Phase 2! Ende der elenden Einleitung
ОглавлениеHätten in den 70ern, die Leute von der Regeninsel bei uns im Dorf gewohnt, wären sie vor Neid erblasst. Ich meine natürlich die Engländer. Unsere Dorfsprache bestand aus dem "Siegerländer Platt", ein kläglich, versuchtes Hochdeutsch dazwischen und von den Dörfern drum rum, noch einmal, so ein dazu gefügter seltsamer Dialekt und irgendwie verstand man sich doch. Auf jeden Fall wuchs ich mindestens zweisprachig auf und für mich war die Grundlage für gutes Englisch vorgegeben. Oma, Opa und Mutti und die anderen Verwandten versuchten allerdings bei mir und den anderen Enkeln ihre Bauernsprache zu verfeinern und brachen sich dabei oft die Zunge. Man merkte auch, dass sie sich schon Mal schämten, wenn Fremde unser Dorf aufsuchten. Wenn die Westerwälder zu Besuch kamen und diese am Schluss ihrer Sätze immer ihr Gelle dran hingen, dann konterten wir mit Worr. Ich habe nie herausgefunden, was das alles sollte, aber ich konnte dieses Worr am Ende meiner Sätze nie abstellen und ertappe mich leider heute noch dabei. Allerdings ist das jetzt gesellschaftsfähig, weil ja aus dem Osten das Nä Wöö dazu gekommen ist. Während heute für jedes Wort eine Verenglischung eingesetzt wird und ich mich massiv dagegen wehre, habe ich aber auch für alt bekannte Dinge, Begriffe in meinem Wortschatz, die ich immer wieder erklären muss. So erzog mich Mutti mit den Worten: "Räum mal deine Brocken in den Schrank". Das war ein Wort, das man in vielen Situationen gebrauchen konnte, denn, ich sollte natürlich auch schon Mal nach dem Fegen, die Brocken wegräumen. Eine Frau bekam damals einmal im Monat ihr Gedingse und Papa aß Gelüng, dass ich Gedingse nicht erklären muss, ist doch wohl klar, aber das Gelüng waren Innereien von schmackhaften Nahrungsmitteln. Und wenn die Nachbarn Nachwuchs bekamen, dann hatten sie Geknättert. Wenn sie viele Kinder bekommen hatten, dann hatten die fürchterliches Geknätter abgehalten. Eine schwangere Frau trug einen Balsch vor sich her, und wenn im Frühjahr die Frösche gelaicht hatten, dann schwammen Kullbätsche im Bomsch rum. Alles klar?
»Menschenskind! Erzähl dem Kind doch nicht immer so ein Geschiss«, brüllte Oma schon mal den Opa an. Oder Mutti brüllte Papa auf der Beerdigung am offenen Sarg an:
»Hännä (Henner) musst du dämm Kind immer sorr é Geschiss verklickern?« Also wenn das nicht eine wunderschöne allgemein verständliche Sprache war? Wie schön die Zeiten damals waren, kann man heutigen Kindern leider nicht mehr erklären. Wenn wir uns damals verlaufen hatten, schauten wir noch nach den Sternen. Ich werde nie vergessen, wie ich damals zu einer Nachbarin geschickt wurde, weil die Sockengarn hatte. Mutti konnte ihre Socken nicht fertig stricken. Es war schon dunkel, aber nicht weit weg und Mutti hatte keine Bedenken, dass ich mich auf den paar Metern verlaufen könnte. Es war auch nur hinter Opas Haus und ich fand sofort dorthin. Dort angekommen, wurde ich liebevoll mit einer heißen Schokolade empfangen und bekam auch noch einen Schmatzbeckel vom Mittagstisch. Wie erkläre ich jetzt den Schmatzbeckel? Kurz und bündig! Das sind die Reibekuchen, die es immer völlig überteuert und verfettet auf jedem Weihnachtsmarkt gibt. Vom restlichen Teig wurde nach dem Backen in der Eisenpfanne, ein ganz großer letzter Fladen gebacken. Der schmeckte abends gut, wenn er kalt war, mit guter Butter. Das Ding dann eingerollt, herzhaft, saftig, mir läuft das Sabberwasser im Mund zusammen ... Hunger, Sehnsucht ... Äh? Zurück zu mir. Also ich wurde gut versorgt und dann mit der Sockenwolle wieder gen Süden geschickt und lief prompt in die falsche Richtung. Mutti hatte das gesehen. Also sie hatte mich im Licht der Straßenlaterne gesehen und rief und rief. Die hohle Stimme kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich ging weiter und dann wurde mir angst und bange. Aber ich war ein kluges Mädchen und klingelte sofort an der nächsten Haustüre. Eine schimpfende Oma öffnete mir und ich heulte Rotz und Wasser, weil ich seit Stunden hungernd und verlassen durch die Wüste irrte. Sie drehte mich rum und schob mich zur Straße. Dann trat sie mir in den Hintern ... Quatsch ... sie drehte mich Richtung Mutti und dann sah ich in der Ferne das Paradies. Mutti winkte und rief und ich rannte los. Mit der Wolle in der Hand. Seit Ewigkeiten war da dieses Loch in der Straße. Niemals, selbst nicht beim Verlegen vom Kabelfernsehen viel, viel, viel später, ist dieses Loch repariert worden. Durch dieses Loch fuhr ich auch immer mit meinem Vollgummi Fahrrad und das gab immer mächtigen Rumms im Gebälk. Ich raste los und freute mich auf meine Heimat und dann knallte ich in das Loch. Mutti brüllte auf. Ich bremste mit den Ellbogen, meinem Kinn und den Knien formvollendet auf dem Teer. Die Wolle fiel in eine seichte Pfütze und aus mir erhalten die Sirenen.
»Buuuuuuuuuuuäääääääääääääääää!« Mutti konnte nicht mal schimpfen. Die Rettungskräfte waren sofort zur Stelle und dann kam das berühmte Hansaplast in großen Streifen auf alle Wunden. Auf meinem Rücken war vom Onkel Doc, unserem Graf Grob, der letzte Stempel von der Tetanusimpfung eingestanzt, aber die musste laut Datum noch nicht aufgefrischt werden. Das hätte jetzt noch gefehlt. Mutti schüttelte still mit dem Kopf und wusste, dass Botengänge in der Dunkelheit noch nichts für mich waren. Diese Orientierungslosigkeit habe ich bis heute. Die erste Schnitzeljagd in der Grundschule verlief auch in einem Desaster und hätte ich im Wald nicht die heimischen Kirchenglocken gehört, wäre ich wohl bis heute verschollen geblieben. Ok, gut, also legen wir mal los.
Wie immer sind alle Geschichten wirklich so passiert und ich hab mir bei einigen schwer überlegt, diese wirklich zu veröffentlichen. Aber ... da bin ich mir sicher, der Mist muss in die Welt. Am besten mit den schlimmsten Geschichten vorne weg. Würgereiz abstellen! Mit dem Schlimmsten rechnen und ach ... ab durch die Mitte.