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Irrländer

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Roman

August 2016, Irland, Dublin

Belmours Handy schrillte. Der Ton kratze an seinen Nerven. Er kam aus einem anderen Jahrhundert, als Telefone wuchtig und schwarz waren und eine Kurbel hatten. Er hatte ihn in einem sentimentalen Moment ausgewählt. Er sollte das ändern. Vielleicht die ersten Takte von Dvorak's „Aus der neuen Welt“ auf sein Handy laden. Er liebte diese Symphonie. Aber vielleicht war das zu zynisch. Er glaubte nicht an eine Neue Welt. Gib einer Handvoll Menschen ein neues Land, eine Insel oder richte ihnen eine neue Welt ein und der Kampf beginnt von vorn.

Er stellte seinen Koffer ab, griff in die Jackentasche, holte das Handy heraus und hielt es sich ans Ohr

„Sind sie angekommen?“ fragte eine Männerstimme.

„Gerade.“

„Gut. Sie melden sich, wenn alles nach Plan gelaufen ist.“

Unnötige Anweisung, dachte Belmour. Er musterte das Hotel und war überrascht. „Schade um das Haus.“ sagte er.

„Was ist mit dem Haus?“

„Ich habe nur laut gedacht. Ich steh auf alte Gemäuer.“

„Sie sollten die Nacht alleine verbringen. Ich kenne ihren Ruf. Womöglich denken sie auch im Schlaf laut.“

„O.K.“ sagte Belmour, lächelte und dachte: er hat ja sogar Humor. Er schaltete das Handy aus, ließ sich Zeit, zündete sich eine Zigarette an und betrachtete das Hotel und seine Umgebung. Wie ein Tourist oder wie jemand, der sich für Architektur interessierte. Er musste nicht heucheln, Gebäude interessierten ihn.

Die Hotelanlage bestand aus drei Häusern. Das Hauptgebäude hockte wie ein moderner Drache auf einem Hügel und bewachte die weitläufige Parklandschaft. Seine Haut, ein Schachbrett aus Glas und Metall, leuchtete golden im Herbstlicht. Und wer hier eine Suite bezahlen wollte, von dem musste schon ein ebenso reicher Glanz ausgehen. Östlich des Hotels versteckte sich hinter Bäumen der Wirtschafts- und Personaltrakt. Westlich am Fuß des Hügels lag das ursprüngliche, ältere Hotelgebäude. Dieses war in dem berühmten Georgian Style im 19.Jahrhundert erbaut, mit schnörkellosen dreigeschossigen Fensterachsen und Kollonaden mit zierlichen Säulen. Einst war der Bau Adelssitz, später zum Hotel umgebaut und immer wieder liebevoll instand gehalten. Das hatte er im Internet recherchiert.

Belmour spürte Bedauern oder Mitleid, wenn man denn mit einem Gebäude Mitleid haben konnte. Für ihn eine ungewöhnliche Regung, die er selten an Menschen verschwendete. Manchmal besuchte er sogar Kirchen, Kathedralen. Nicht dass er dort einen Gott suchte. Dann konnte er schon eher an die Existenz einer teuflischen Macht glauben.

In der Lobby herrschte der übliche Wochenendtrubel. Gäste irrten herum oder saßen an kleinen Tischen, raschelten mit Zeitungen, schossen nervös suchende Blicke durch die Halle, Pagen ratterten Koffer hinter sich her, Fahrstuhltüren zischten überlastet und an der Bar klirrten Eiswürfel in Gläser. Die Dame am Empfang mühte sich mit einer zeternden Touristin ab, die nicht akzeptieren wollte, dass ohne Buchung kein Zimmer

zu haben war. Da war der nächste Gast eine angenehme Routine. Ein kurzen Blick genügte, um ihn mit erfahrener Sicherheit einzuschätzen und willkommen zu heißen.

Hätte die Empfangsdame später als Zeugin in einem Hoteldiebstahl oder gar Mord die Gäste dieses Tages beschreiben müssen, sie hätte sich an die penetrante Touristin erinnert, aber Belmour sicher übersehen. Grau, schattenhaft, hinterließ er im Gedächtnis der Menschen kaum Spuren. Er trug einen leichten, beigen Sommeranzug. Darunter ein hellblaues Hemd. Er war schlank, hatte schütteres, dunkelblondes Haar, das altmodisch gescheitelt war. Eine leicht getönte Brille verschleierte seinen Blick. Sein Gesicht war blass und ausdruckslos. Seine Haltung schlecht, die Schultern krümmte er nach vorne. Das einzig auffällige an ihm war ein drei Zentimeter langer Krater, der unter dem linken Ohr begann und wie ein kleiner Pfeil abseits auf das Schlüsselbein zeigte. Eine Vertiefung, in der die Haut zerknüllt war und rosig glänzte.

Sein Gepäck bestand aus einem wuchtigen Lederkoffer und einer Umhängetasche. Man hätte sich fragen können, warum ein Mann für nur eine Übernachtung so viel Gepäck mit sich schleppte. Aber wer achtet schon auf die Menge des Gepäcks. Es gab viele Gründe, nur mit einer kleinen Reisetasche oder mit einem halben Kleiderschrank zu reisen.

Bei der telefonischen Buchung hatte Belmour erwähnt, dass er schon einmal im Hotel logiert hatte und damals äußerst zufrieden gewesen sei. Er erinnere sich noch an den bezaubernden Blick aus dem Fenster auf die weite Parklandschaft und wäre sich ziemlich sicher, dass er

damals das Zimmer zweiundvierzig gehabt habe, und wenn das Zimmer zufällig frei sei...? Er bekam das Zimmer.

Bescheiden lehnte Belmour die Hilfe des Hotelboys ab und trug seinen Koffer selbst. In der vierten Etage stieg er aus und betrat den Flur, an dem zu beiden Seiten je acht Zimmer lagen. Er wartete, bis ein anderer Gast den Gang verließ und setzte seinen Koffer ab. Er öffnete die Tür rechts neben dem Fahrstuhl und ließ seinen Blick durch das dahinter liegende Treppenhaus schweifen. Dann schloss er die Tür wieder.

Das Hotel hatte zwei Fahrstuhlschächte jeweils an den Giebeln des lang gestreckten Baus. Zwischen den Fahrstühlen und den Zimmern gab es auf jeder Etage Abstellräume für die Geräte und Putzmittel des Reinigungspersonals. Belmour drückte die Klinke der Kammer neben seinem Zimmer und fand sie unverschlossen. Ein kurzer Blick genügte ihm. Der Raum war mit Kanistern, Eimern und Reinigungsmaschinen voll gestellt. Leise schloss er die Tür und wandte sich dann Zimmer Nr. 42 zu. Er schloss die Tür auf und betrat den Raum. Als erstes ging er zum Fenster, öffnete es und zog die Gardine wieder ordentlich davor. Dem Ausblick gönnte er keinen Blick. Er öffnete den Schrank, zog sein Jackett aus und hängte es über einen Bügel. Den Koffer stellte er in das untere Schrankfach. Er streifte die Schuhe ab, legte die Brille auf den Nachttisch und warf sich auf das breite Bett. Er richtete die Augen auf die Zimmerdecke und sein Blick wurde leicht glasig, als dämmere er schon im Halbschlaf dahin. Doch das täuschte. In Gedanken prüfte er jedes Detail seines Plans. Irgendwann schlief er zufrieden ein.

Am frühen Abend bestellte er sich eine kalte Platte und ein Guinness beim Zimmerservice. Er verließ das Hotel erst am nächsten Morgen. Auf das Frühstück verzichtete er, ein Mann, der womöglich einen Geschäftstermin und es eilig hatte.

Später an diesem Vormittag betrat ein Mann in einem dunkelgrünen Overall das Foyer. Auf der Brusttasche war ein dem Personal bekanntes Logo aufgedruckt. Es wies den Mann als Angestellten der Firma aus, die für die Wartung der Fahrstühle des Hotels unter Vertrag stand. Der Mann trug ein Käppi im gleichen Grün, unter dem krause schwarze Haare bis auf den Kragen quollen. Er hatte ein sonnengebräuntes Gesicht, das Aknenarben auf Kinn und Wangen nicht etwa entstellten, sondern noch markanter machten. Das Haar verdeckte eine lang gestreckte Narbe am Hals.

Er stellte sich am Empfang vor, zeigte einen Firmenausweis und scherzte mit der Angestellten. Er sprach von einer Routinekontrolle und dass er jeweils einen Fahrstuhl für einige Zeit außer Betrieb setzen müsse. Die Angestellte seufzte gespielt unwillig. Der Mann beugte sich über den Tresen, fischte mit seinem besten Flirtgesicht nach ihrem Lächeln und machte ihr mit männlich rauer Stimme Komplimente. Dann nahm er seinen Werkzeugkoffer auf und verschwand in Richtung Fahrstuhl. Er fuhr in den vierten Stock, steuerte das Zimmer mit der Nr. 42 an, zog einen Schlüssel aus der Hosentasche und öffnete die Tür. Er holte den Koffer aus dem Schrank, öffnete ihn und machte sich an die Vorbereitungen. Nach knapp zwei Stunden war der Mann mit seinen Arbeiten an beiden Fahrstühlen fertig.

Gegen vierzehn Uhr kam Mr. Belmour ins Hotel zurück, holte sein Gepäck aus dem Zimmer und checkte aus. Bevor er in das Taxi stieg, drehte er sich um und warf einen bedauernden Blick zurück. Er konnte sich vorstellen, noch ein paar Tage zu bleiben. Aber sein Auftrag war erfüllt. Wie immer hatte er hervorragende Arbeit geleistet. Es war besser, er würde den Leuten im Hotel keinen Anlass geben, sich an ihn zu erinnern.

Am nächsten Tag, einem Sonntag, verließ der letzte Gast gegen Abend das Hotel. Montag Mittag waren die üblichen Spuren des Wochenendbetriebes getilgt. Das Personal, bis auf wenige Mitarbeiter, wurde in einen Zwangsurlaub entlassen. Nachmittags überschwemmte ein Heer von Handwerkern, Technikern und dem Sicherheitspersonal das Hotel und das umliegende Areal. Schon am Abend war ein fast drei Kilometer langer Sicherheitszaun um das Grundstück gezogen. Nur noch ausgesuchtes Personal mit speziellen Ausweisen hatte ab jetzt Zugang. Man hatte nur zwei Wochen Zeit das Hotel für ein Treffen der europäischen Außenminister umzurüsten. Der Gipfel war sehr kurzfristig anberaumt worden.

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