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Mündliche Überlieferung
ОглавлениеDie Häuser von Westeros haben ihre Wahlsprüche, ihre Devisen oder „Hauswörter“, die das Selbstverständnis des jeweiligen Hauses zusammenfassen. „Ein Lennister begleicht stets seine Schulden“ ist eigentlich gar nicht das Motto des Hauses Lennister – das lautet: „Hört mich brüllen“ –, aber den anderen Satz hört man viel häufiger, sei es aus dem Mund der Lennisters oder auch über sie. „Der Winter naht“, das Motto des Hauses Stark, ist die inhaltsschwerste aller Devisen; „Wir säen nicht“ fasst die unerbittliche Weigerung der Graufreuds zusammen, irgendein Leben in Erwägung zu ziehen außer dem als Plünderer, eine Ideologie, die Asha bei ihrem Griff nach dem Thron ihres Vaters infrage stellt. Das blutleere „Kräftig wachsen“ des Hauses Tyrell schließt eine Warnung ein, die Cersei nur zu deutlich heraushört; der Ehrgeiz von Margaerys Haus schraubt sich im gleichen Maß immer höher, wie es mit den Geschicken der Häuser Stark, Baratheon und Tully abwärts geht. Die ganze Erzählung beginnt damit, dass das Wappentier des Hauses Stark buchstäblich zum Leben erweckt wird: Die Stark-Kinder finden per Zufall Schattenwolfwelpen, von denen jeder mit dem Schicksal seines Besitzers in der Folge tief verbunden ist. Der Löwe, der Krake, der Hirsch und der abstoßende Gehäutete verkörpern die Identitäten jener Häuser, für die sie stehen. Die Wappenfiguren sind außerdem unerlässliche Erkennungszeichen in einer überwiegend noch schriftlosen Gesellschaft, womit sie die selbe Funktion erfüllen wie in der mittelalterlichen Heraldik die Tudor-Rose, die unterschiedlichen Löwen Englands und Schottlands oder die französische Lilie. So versucht Gregor Clegane, der Berg, seine Untaten den Tullys anzuhängen, indem er auf dem Schauplatz seiner Verwüstungen einen Sack blutiger Fische hinterlässt, als er die Flusslande plündert; der Landbewohner, der sein Leid über die Untaten Gregors vor Ned als des Königs Rechte Hand trägt, versteht zwar nicht das Wort „Wahrzeichen“, kann aber die am Ort des Geschehens hinterlassenen Symbole mit Bestimmtheit als eine Art Unterschrift deuten.
Abb. 6: Schilde mit Wappenmotiven
In Gesellschaften ohne oder nur mit sehr begrenzt vorhandener Schriftsprache, so wie im europäischen Mittelalter, war das Wort eines Mannes überaus wichtig. Sprechakte – Gelübde, Versprechen oder Eide – gewinnen dann besondere Bedeutung, wenn sich eine Vereinbarung nicht auf einen schriftlichen Vertrag stützt, und häufig werden sie durch die Gegenwart von Zeugen oder die Anrufung Gottes bekräftigt. Kommt dann die Zeit, das Versprechen zu erfüllen oder den Eid zu halten, steht der Zeuge, sei er menschlich oder göttlich, bereit, um den Eidleister daran zu erinnern. So ruft Khal Drogo „die Mutter der Berge“ an, als er schwört, seinem Kind den Eisernen Thron zu verschaffen und endlich das Versprechen an Viserys und Daenerys wahrzumachen:
Ich werde meinen Khalasar nach Westen führen, wo die Welt endet, und auf hölzernen Pferden über das schwarze Salzwasser reiten (…) Ich werde diese Männer in ihren Eisenkleidern töten und ihre steinernen Häuser einreißen (…) Das schwöre ich vor der Mutter aller Berge und die Sterne sollen meine Zeugen sein. (1.7)
Drogos dramatischer Auftritt, bei dem er schreit und aufstampft, die Arme erhebt und Götter wie Menschen zu Zeugen anruft, macht es ihm unmöglich, sein Versprechen nicht zu halten; nur der Tod kann ihn daran hindern, zu seinem Wort zu stehen und zu tun, was noch nie ein Dothraki getan hat: sein Khalasar in Schiffen über das „Giftwasser“ zu bringen und Westeros anzugreifen.
Im altenglischen Epos Beowulf schwört dessen gleichnamiger Held an einer Stelle vor seinen eigenen Männern und den Dänen am Hof Hrothgars, des Königs von Dänemark, er werde entweder das Ungeheuer Grendel töten, das die königliche Halle heimsucht, oder aber dabei sterben. „Ich werde kriegerische, tapfere Taten vollbringen/oder auf meinen letzten Tag in dieser Methalle warten!“, gelobt er. Und ehe er sich schlafen legt, treibt Beowulf die Spannung noch zusätzlich mit der Prahlerei in die Höhe, er werde kein Schwert oder eine andere Waffe gegen das Monster richten, und fordert Grendel so heraus, seine Körperkraft gegen den menschlichen Helden zu erproben. Während des Kampfes – Grendel und Beowulf sind ineinander verschlungen und der Krieger hat Grendels Hand fest im Griff – ruft er den letzten Adrenalinstoß ab, den er braucht, um den Arm glatt abzureißen, indem er sich an seine æfenspræce erinnert, an die Rede, die er früher am Abend gehalten hat. Und was das Ungeheuer angeht, „wurde eine klaffende Wunde auf seiner Schulter sichtbar,/die Sehnen sprangen auseinander, das Gelenk brach auf“. Grendel ist verloren.5
Den Eid der Nachtwache mit allem, was er einschließt, schwört man besser nicht leichtfertig. Die erste Staffel beginnt mit den grauenvollen Ereignissen, die Will (im Roman heißt er Gared), einen Bruder der Wache, zur Flucht von der Mauer nach Süden treiben. Die Folgen seines Weglaufens stehen von vornherein fest: Deserteure und Eidbrüchige müssen sterben, und Ned Stark selbst vollstreckt das Todesurteil. Als Jon Schnee die Nachricht erreicht, dass Robb seine Vasallen aufgeboten hat und nach Süden zieht, schlägt er seinen Schwur beinahe in den Wind –„Ich müsste dort sein. Ich müsste bei ihm sein“ (1.9), den weisen Worten Maester Aemons zum Trotz. Schon ist Jon zum Tor der Schwarzen Festung hinaus und draußen im Wald, als seine Freunde Grenn, Pypar und Sam, die mit ihm den Eid geleistet haben, ihn einholen. Als sie Jon die Klauseln des Eides vorsprechen und ihn daran erinnern, was er im Angesicht der alten Götter geschworen hat, da erkennt er endlich, wie gewichtig sein Versprechen gewesen ist. Zwar wird er später mehrere andere Punkte des Eides brechen, aber endlich holt Jon jene Wahrheit ein, die im Argument Jeor Mormonts, Maester Aemons und seiner Freunde steckt: Jetzt sind die Brüder der Nachtwache seine Familie. Einen Eidbruch muss man im wahrsten Sinne des Wortes todernst nehmen; Jaime wird nie den Spitz- und Schimpfnamen „Königsmörder“ los. Weder kann er abstreiten, dass er zutrifft, noch das Ereignis ungeschehen machen, dem er ihn verdankt, und mag der Tod des Irren Königs angesichts der Gräuel, die Aerys begangen hat, noch so gerechtfertigt gewesen sein.
Die Schwurbruderschaft war im mittelalterlichen Europa eine wichtige Institution. Ihr Ursprung liegt im germanischen Bereich, und es gibt eine ganze Menge Belege für verschiedene Arten von Kriegerscharen, die sich Treue bis zum Tod auf dem Schlachtfeld schworen. In England schlossen Männer im Mittelalter Vereinbarungen in Form einer Schwurbruderschaft, wodurch sie ihre Familienbande durch einen frei gewählten Freund und Gefährten ersetzten oder ergänzten. In diese Art Bündnis traten sie ein, indem sie zusammen zur Kommunion gingen, ihre gegenseitige Liebe beschworen und sich durch Eid verpflichteten, den Bruder zu rächen, falls er getötet wurde. Im Jahr 1421 beschworen zwei Knappen im Heer Heinrichs V., Nicholas de Molyneux und John Winter, ihre Verbrüderung in der Kirche St. Martin im französischen Harfleur. Ihr Eid mehrte lamour et fraternite, die Liebe und Brüderlichkeit, die bereits zwischen ihnen bestand, indem sie freres darmes wurden, Waffenbrüder. Molyneux und Winter vereinbarten füreinander das Lösegeld zu besorgen, falls einer von ihnen in Gefangenschaft geriet, sich füreinander als Geiseln zur Verfügung zu stellen und ihre Kriegsbeute zusammenzulegen, damit sie sie später in London würden investieren können.
Wie förmlich ist das Versprechen, das sich Robb und Theon geben, als der Großjon vorschlägt, Robb zum König im Norden auszurufen? Theon fragt, ob er Robbs Bruder sei, „jetzt und für immer?“. Und Robb antwortet: „Jetzt und für immer“ (1.10), worauf Theon ihm sein Schwert und seine Dienste verspricht.6 Von der Dramatik des Moments lässt sich Theon mitreißen; er überlegt nicht, ob er sein Haus (und seinen reizbaren Vater) mitziehen kann, sondern ergreift stattdessen die Gelegenheit, seinen Status gegenüber den anderen Mitgliedern des Hauses Stark aufzuwerten. Maester Luwin und auch Robb selbst haben Theon gelegentlich daran erinnert, dass er in Winterfell im Grunde nur eine Geisel ist, welche die Treue des Hauses Graufreud zum Thron sicherstellt, und sein Ausschluss aus der Gruppe der Verwandten hat Theon verletzt. Teilweise rührt die Tragik Theons daher, dass er sich den vollen Umfang dieses Versprechens nicht vor Augen führen kann; die Tatsache aber, dass er es beschworen hat und daran glaubte, was er schwor, steht hinter seiner Entscheidung, die Verfolgung von Bran und Rickon aufzugeben, als er die Kontrolle über Winterfell besitzt.
In mittelalterlichen Versromanen begegnet auch häufig die Reue über einmal gegebene Zusagen. Das „übereilte Versprechen“, wie das Motiv heißt, wird oft ohne vollständige Kenntnis seiner Folgen abgelegt. So gewährt in einer walisischen Erzählung, dem Ersten Zweig des Mabinogi, Lord Pwyll einem Bittsteller bei seinem Hochzeitsfest einen Wunsch ohne jede Vorbedingung – und prompt verlangt der Mann Pwylls Frau und das Fest! Das kann Pwyll nicht abschlagen, allerdings ist seine Frau schlau genug, sich einige Bedingungen auszudenken, die letzten Endes die Situation retten und das Gesicht ihres Mannes wahren. Und so verspricht auch die arme Sharin ihrem Vater Stannis, dass sie alles tun wird, was er verlangt, wenn es ihm nur beim Feldzug gegen Winterfell helfen wird – ein Versprechen mit Folgen, die die liebende Tochter nie hätte absehen können (5.9).