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Gastrecht

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In den Gesellschaften der realen Welt ist Gastfreundschaft eine zentrale Pflicht im menschlichen Miteinander. Wenn jemand Ihr Haus betritt, übernehmen Sie die Verantwortung für sein (oder ihr) Wohlergehen. Sie sorgen für leibliches Wohlergehen und seelisches Wohlergehen, führen Gespräche mit dem Gast und verabschieden ihn, wenn er aufbricht, häufig begleitet von einem Abschiedsgeschenk. Und die Gäste wiederum sollen sich mit dem begnügen, was geboten wird, sich den Bräuchen des Hauses anpassen und rechtzeitig und mit der verdienten Dankbarkeit wieder aufbrechen. Doch so einfach ist es mit der Gastlichkeit nur selten, gleich ob in der Bekannten Welt oder in mittelalterlichen Erzählungen. Das lateinische Wort hospes („Gast“ oder „Gastgeber“) ist eng verwandt mit hostis („Feind“ und „Heer“);13 Gast und Heer, Gastfreundschaft und Feindschaft sind also miteinander verknüpft. Wenn Gäste eintreffen, können sie unbekannte Komplikationen mit sich bringen, bestehende Feindschaften, vor denen ein guter Gastgeber sie beschützen muss, oder aber – wie beim Besuch Roberts und der mit ihm verschwägerten Lennisters in Winterfell – die Gastgeber finden vielleicht Dinge über ihre Gäste heraus, die andere nicht wissen dürfen. Der Gast ist verwundbar; sie oder er muss sich auf das Wohlwollen des Gastgebers verlassen und hoffen, in Sicherheit zu sein. Der mittelalterliche Versroman gebraucht häufig das Motiv des „herrischen Gastgebers“, eines ungehobelten, gefährlichen Mannes, der sich gegenüber seinen Gästen als Grobian benimmt. In einer Geschichte, in welcher der Artusritter Sir Gawain auftritt, erreichen dieser und seine Begleiter eine Burg, wo sie auf ein Nachtquartier hoffen. Nur können Leute, die sich dort beim Carl von Carlisle einquartieren, einem abscheulichen Riesen, schon von Glück sagen, wenn sie mit dem Leben davonkommen. Gawain jedoch entwaffnet den Carl durch sein höflich-höfisches Benehmen, während seine beiden Gefährten, Bischof Balduin und Sir Kay, der Ziehbruder des Königs, sich grob verhalten und dadurch Anstoß erregen. Durch Gawains vollkommene Nachgiebigkeit gelingt es ihm, den Bann des Carl zu lösen, der in Wirklichkeit ein verzauberter Ritter ist, und zum Lohn darf er die schöne Tochter des Carl heiraten. Diejenigen, die den Fügsamkeitstest nicht bestanden haben, sind – wie der Carl nun mitteilt – von ihm hingerichtet worden; da er aber nunmehr seine Mütterlichkeit und Menschlichkeit wiederhat, will er eine Kapelle errichten, in der Messen für die Seelen der Erschlagenen gelesen werden sollen.14

Sowohl in Westeros als auch in Essos kommt es zu flagranten Regelverletzungen im Gastrecht – vonseiten der Gastgeber wie der Gäste. In Qarth stiehlt man Daenerys’ Drachen und ermordet Mitglieder ihres Khalasars. In Winterfell ist Catelyn doppelt aufgebracht, weil sie irrtümlich glaubt, Tyrion sei es gewesen, der einen Meuchler ausgeschickt habe, um Bran zu töten, denn er hat ihr Haus als Gast betreten. Ihre öffentliche Anklage, Tyrion habe ein Mordkomplott gegen Bran geschmiedet, ist ein wirksames Mittel, um die verschiedenen Vasallen um sie zu scharen, die den Tullys lehnspflichtig sind, als Cat und Ser Rodrik im Gasthaus am Kreuzweg des Königsweges zufällig auf Tyrion treffen. Schlimmer noch, ja geradezu schändlich sind die furchtbaren Ereignisse auf der Hochzeit von Edmure Tully mit Roslin Frey:

Die Rote Hochzeit wird es genannt. Walder Frey hat an jenem Tag einen Frevel begangen. Er teilte Brot und Salz mit den Starks. Er bot ihnen das Gastrecht an. (…) Die Götter werden Vergeltung üben. Frey wird dafür in der siebten Hölle schmoren. (4.3)

So kommentiert ein Bauer der Flusslande das Geschehen gegenüber Arya und dem Hund: Die Rede ist von Walder Freys schrecklicher Rache für den nicht gehaltenen Schwur Robbs, ein Frey-Mädchen zur Frau zu nehmen. Walders strategisch günstige Position in den Sieben Königreichen – er besitzt die Zwillinge, jene beiden Festungen, welche die einzige Brücke über den Fluss Trident auf Hunderte von Meilen kontrollieren – hat ihm einen unerschütterlichen Glauben an seine eigene Wichtigkeit verliehen. Als Robbs Liebe zu Talisa (in der Fernsehserie; in den Romanen spielt sich seine Eheschließung mit Jeyne Westerling etwas anders ab) zum Bruch des Versprechens führt, das Catelyn im Namen ihres Sohnes gegeben hat, ist der alte Mann in seinem Stolz getroffen. Deshalb spielt Walder den Boltons genau in die Hände, die ihrerseits bereits von den Lennisters gewonnen werden konnten, und das, obwohl ihr Haus den Starks Treue geschworen hatte. Nur das Oberhaupt jenes Hauses, dessen Wahrzeichen der grässliche Gehäutete Mann ist, kann grausam genug sein, ein so freudiges Ereignis wie eine Hochzeit in ein Massaker zu verwandeln: Catelyn, Robb, seine schwangere Frau Talisa, zahlreiche Krieger aus dem Norden und sogar Robbs Schattenwolf Grauwind werden niedergemetzelt und die Leichen der Starks geschändet. Grauwind schlägt man den Kopf ab und näht ihn auf den Rumpf Robbs, Catelyns Leichnam wirft man einfach in den Fluss.

Es fällt schwer, ähnliche Ereignisse wie das Grauen der Roten Hochzeit in der realen Welt oder selbst in deren Literatur zu finden. In Chaucers „Man of Law’s Tale“ ist die Sultana, die Mutter des Sultans von Syrien, der sich zum Christentum bekehrt hat, um die liebliche Constantia zu heiraten, die Tochter des Kaisers von Rom, über den Abfall ihres Sohnes empört. Gleichwohl täuscht die Sultana – „die verfluchte Vettel“, wie der Erzähler sie nennt – vor, auch sie wolle konvertieren, richtet dem Brautpaar ein Fest aus und verschwägert sich dann mit ihren Ratgebern, damit „der Sultan und alle Christen/bei Tisch in Stücke gehackt und erstochen würden“. Constantia wird in ein Boot ohne Ruder gesetzt und aufs Meer treiben gelassen. Der Kaiser nimmt furchtbare Rache an den Syrern: sein Heer „verbrennt, erschlägt und bringt Unglück über“ die Sultana und ihre Spießgesellen. Am Ende der Geschichte ist er nach weiteren Schicksalsschlägen mit seiner Tochter, ihrem neuen Mann und ihrem Sohn wieder vereint.15


Abb. 9: The Black Wedding. Buchillustration des frühen 20. Jahrhunderts

Aus späterer Zeit könnten wir auch an das berüchtigte Massaker von Glencoe von 1692 denken, bei dem eine Schar Soldaten, viele davon mit dem Clan Campbell verbunden, nach dem Brauch der schottischen Highlands die Gastfreundschaft des Clans MacDonald annahmen. Am nächsten Morgen ermordeten die Gäste 38 ihrer Gastgeber unter dem Dach des Clanoberhaupts und ringsum in Glencoe. Man brannte die Häuser der MacDonalds nieder und weitere 40 Frauen und Kinder aus dem Clan starben obdachlos an Unterkühlung. Das Glencoe-Massaker war schändlich, nicht nur wegen der schieren Zahl der Opfer aus einem einzigen Clan oder wegen der Tücke, die dabei im Spiel war, sondern hauptsächlich, weil die Morde im schottischen Recht unter den Tatbestand des „murder under trust“ fielen, eine besondere Art des Mordes an Arglosen, die für weit abscheulicher galt als gewöhnlicher Mord. Die anschließende Untersuchung fand unter der Vorgabe statt, König William zu entlasten, der den Befehl zu diesem Massaker unterzeichnet hatte, und kaum jemand hatte den Eindruck, die Täter seien zur Verantwortung gezogen worden. Das Massaker bot während der Jakobitenaufstände von 1715 und 1745 eine hervorragende Gelegenheit zur Propaganda. Martin hat weiterhin auf das „Black Dinner“ von 1440 verwiesen, als der junge 6. Earl of Douglas und sein kleiner Bruder vom zehnjährigen König Jakob II. von Schottland zu einem Festmahl in Edinburgh Castle geladen wurden. Am Ende des Essens warf man den Kopf eines schwarzen Stiers auf den Tisch, der für den Ahnherrn der Jungen stand, den berühmten Schwarzen Douglas16; dann wurden die beiden Brüder nach draußen auf den Castle Hill geschleppt, einem Schauprozess wegen Hochverrats unterzogen und hastig enthauptet; der nominelle Gastgeber, der junge König, war nur ein Feigenblatt für den weitreichenden politischen Ehrgeiz des Lordkanzlers von Schottland, Sir William Crichton, der – wie Tywin, die Hand des Königs – in der Macht des Hauses Douglas eine ernste Gefahr für die Monarchie und das Königreich sah.

Weder in der Fernsehserie noch in den Büchern gibt es viele Hinweise, dass der betagte, zynische und gnadenlose Walder Frey sich einer Flut von Vorwürfen oder aber irgendeiner gerechten Strafe für seinen Verrat ausgesetzt sieht. Die Häuser Stark und Tully sind in völliger Auflösung begriffen und die Lennisters setzen ihren Höhenflug fort. Egal, wie viel Empörung Walders Verrat ausgelöst hat, keine staatliche Macht kann ihn die Abscheulichkeit seines Verhaltens spüren lassen. Doch selbst jene Personen, auf deren Seite zu stehen die Handlung uns drängt, geraten in Versuchung, die Gesetze des Gastrechts zu brechen. Jon Schnee erlangt Zutritt zu Manke Rayders Zelt, angeblich um zu verhandeln, insgeheim jedoch mit einem schlecht durchdachten Plan, den König-jenseits-der-Mauer zu töten, und koste es sein eigenes Leben – als eine Art Selbstmordattentäter. Doch Jon ist nicht durchtrieben genug, seine Absichten vor Manke zu verbergen; sein Blick bleibt an einem Messer hängen, während sie essen, und Manke begreift, was in Jon vorgeht. Als ihm vorgehalten wird, wie unmoralisch es wäre, die Gesetze der Gastfreundschaft zu brechen, kommt Jon zur Besinnung, doch ehe er noch überlegen kann, wie er sich aus der Zwickmühle bringen soll, erscheint Stannis’ Armee. Dass es Jon nur knapp erspart bleibt, eine ebenso schwerwiegende Verletzung des Gastrechts zu begehen wie jene, die seine Familie vernichtet hat, ist ein Teil seiner ethischen Lehrzeit. Von seinen ersten Tagen auf der Mauer an zählt die Charakterentwicklung Jons – der zu übereilt ist, um nicht anzuecken, zu tatendurstig, um sich vor einem Eidbruch lange zu besinnen, aber tapfer, einfallsreich und schließlich in seinem Umgang mit den Wildlingen geradezu staatsmännisch – zu den großen Themen der Fernsehserie.

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