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Primogenitur

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Die Regel, dass der älteste Sohn erbt, ist in ganz Westeros fest verankert. Anders in Dorne: Arianne Martell erwidert auf Arys Eichenherz’ Argument, Tommen habe gegenüber Myrcella den Vorrang: „Warum? Welcher Gott hat das so eingerichtet? Ich bin die Erbin meines Vaters. Sollte ich mein Recht zugunsten meiner Brüder aufgeben?“ (ZK 13 = FC 13)

In einem früheren Stadium des Kampfes um den Eisernen Thron bedeutet der Umstand, dass Robert nicht der Vater von Cerseis Kindern ist, dass der wahre Erbe Stannis sein muss, Roberts nächstjüngerer Bruder. Wie so viele jüngere Brüder im ganzen Mittelalter ist Renly gar nicht angetan von dem Brauch, dass der Thron an den Zweitältesten übergehen soll. Loras Tyrell, der die Lady Macbeth für den ehrgeizigen, aber zweifelnden Renly spielt, erklärt: „Stannis hat die Persönlichkeit eines Hummers!“ (1.5) und führt einen heftigen Angriff auf das Prinzip des Erstgeburtsrechts, die Primogenitur. Renly hat fortschrittlichere Ansichten zur Rolle des Königs als seine beiden Brüder und behauptet, er werde milder regieren; ein Anspruch, der nie auf die Probe gestellt werden wird. Derart alles entscheidend ist die Primogenitur für die Denkweise der Westerosi, dass Daenerys davon ausgeht, sie müsse auch bei den Dothraki gelten; entsprechend entsetzt ist sie, als sie von Jorah erfährt, dass ihr Sohn, falls Drogo stirbt, keinerlei herausgehobene Stellung im Khalasar besitzen wird. Vielmehr, so warnt Jorah, wird der neue Khal das Kind als potenziellen Rivalen umbringen lassen.

Die Vorstellung, der älteste Sohn sollte den Thron erben oder, falls er nicht aus königlichem Haus war, den Titel und die Ländereien, womit für die jüngeren Brüder nichts übrig blieb, wurde in Europa während des 11. Jahrhunderts geltendes Recht. Zumindest in England waren die Könige vorher aus den zur Wahl stehenden Männern des Königshauses durch den Rat gewählt worden; falls man einen älteren Bruder als Herrscher ungeeignet fand, konnte man auch einen jüngeren an seine Stelle wählen. Der Familienbesitz wurde zwischen den Söhnen aufgeteilt, wogegen die Töchter bei ihrer Heirat eine Mitgift bekamen. Dieses Erbschaftssystem, das als Realteilung bekannt ist, hatte den Vorteil, dass alle überlebenden Geschwister versorgt waren, im Lauf der Generationen schwächte es jedoch tendenziell die Position der Familie, indem Land und anderer Besitz wieder und wieder aufgeteilt wurden, so dass jedes Individuum nur einen ziemlich kleinen Anteil besaß. Die Einführung der Primogenitur (außerhalb des Adels „Anerbenrecht“ genannt) zielte darauf, dieses Problem zu lösen, indem alles an den Ältesten ging, und zwang die jüngeren Söhne, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, indem sie an Kreuzzügen teilnahmen, in den geistlichen Stand eintraten oder eine passende Erbin heirateten. In Frankreich hielt sich die strenge Form der Primogenitur nicht besonders lange: schon im 12. Jahrhundert führte das manchmal unglückliche Schicksal vieler jüngerer Brüder zu einer Abänderung. Von jetzt an konnte man jüngeren Söhnen Burgen, Herrenhöfe oder Güter übertragen, die sie vom ältesten zugewiesen bekamen, statt sie formal selbst zu besitzen. Diese Praxis half in gewissem Umfang, den Besitz zusammenzuhalten.

Der Schwarze Tod, die Pest, die Europa in den Jahren ab 1348 heimsuchte, reduzierte die Bevölkerung Schätzungen zufolge um 40 %. Diese Katastrophe entschärfte die Landnot erheblich; in England sahen sich viele Familien, angefangen bei den reicheren Mitgliedern des Bauernstandes, jetzt in die Lage versetzt, Land und Häuser zu erwerben und so an ihre überlebenden Kinder weiterzugeben, dass nunmehr alle heiraten konnten. In der fiktionalen mittelalterlichen Literatur, besonders im Versroman, wird der jüngere Bruder oft so geschildert, dass er sich in seine Rolle fügt – schließlich hat er von klein auf gewusst, dass er von seinem Vater nicht viel zu erwarten hat, falls seinem älteren Bruder nichts zustößt – und in die Welt hinauszieht, um sein Glück zu machen, womit er allen Bruderzwist hinter sich lässt. Einen englischen Versroman gibt es jedoch, die Tale of Gamelyn aus dem späten 14. Jahrhundert, in dem sich Brüder ebenso bitter wegen ihres Erbes entzweien wie Stannis und Renly. Schuld am Ärger ist Gamelyns Vater, der gegen den Rat all seiner Barone beschließt, seinem jüngsten Sohn ein Erbteil zu hinterlassen, das dreimal so groß ist wie die, welche er den beiden älteren Brüdern zuweist. Der mittlere Bruder Ote hält treu zum jungen Gamelyn, John aber, der älteste, intrigiert gegen Gamelyn, lässt ihn ächten und sein Erbteil beschlagnahmen. Ote verbürgt sich, dass sein Bruder vor Gericht erscheinen wird; gerade will ihn John hängen lassen, weil Gamelyn nicht aufgetaucht ist, da platzt der jüngere Bruder herein und schwört, dass John und nicht Ote hängen wird. Und wirklich knüpft Gamelyn John auf; die Feindschaft und der Neid, den die exzentrische Erbteilung des Vaters wachgerufen haben, lassen sich auf friedlichem Weg nicht mehr lösen.7

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