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Drachen

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So wirksam valyrischer Stahl auch sein mag – Catelyns Hände werden bis auf den Knochen zerschnitten, als sie die Klinge des Meuchelmörders packt, der ausgeschickt ist, um Bran zu töten – es bleibt offen, ob er selbst Drachenfeuer standhalten kann, ohne zu schmelzen. Denn Drachen, die man seit langer Zeit für ausgestorben hält, sind die ultimative strategische Waffe der Bekannten Welt. Ihre Größe ist allmählich geschwunden, als sie sich dem Aussterben näherten: Die großen Drachen, welche die Targaryens einst aus Valyria brachten, schrumpften zu jämmerlichen Geschöpfen, die kaum Pferdegröße erreichten. Die Dracheneier, die Illyrio Mopatis als Hochzeitsgeschenk für Daenerys überreicht, scheinen anfangs bloße Kuriositäten zu sein, doch Daenerys fühlt sich machtvoll zu ihnen hingezogen; während Viserys sie bloß als Wertobjekte sieht, mit denen er Schiffe und Männer kaufen kann, experimentiert seine Schwester an ihnen mit Hitze. Feuer allein genügt aber nicht, um ein Drachenei zum Schlüpfen zu bringen; die Umstände, unter denen es Daenerys gelingt, ihre ‚Kinder‘ zur Welt zu bringen, sind dunkel und beängstigend. Das heftige Feuer von Drogos Leichenverbrennung und Blutmagie – der Tod von Mirri Maz Duur, die bei lebendigem Leibe auf dem Scheiterhaufen mit verbrannt wird – verbinden sich mit Daenerys’ eisernem Willen, die Drachen zurück in die Welt und unter die Kontrolle einer Targaryen zu holen.

Welche Vorteile Drachen bieten, liegt ganz klar auf der Hand: denen, die sie lenken können, ermöglichen sie es, Krieg aus der Luft zu führen und eine Feuerkraft zu entfesseln, die einem kleinen Atomsprengkopf entspricht. Was Aegons Drachen aus Harrenhal gemacht haben, wo sie die größte Burg der Sieben Königreiche zerstörten und ihre Bewohner im Königsbrandturm brieten, bleibt deutlich sichtbar, in den dort angesiedelten Szenen der Serie ebenso wie im kollektiven Gedächtnis der Westerosi. Dem uralten, blinden Maester Aemon, einem gebürtigen Targaryen, erscheinen die Drachen im Traum: „Ich sehe ihre Schatten auf dem Schnee, höre das laute Flattern ihrer Lederschwingen, spüre ihren heißen Atem. Meine Brüder träumten auch von Drachen, und die Träume haben sie getötet, jeden einzelnen.“ (DK 4 = FC 26) Aber Drachen lassen sich nur schwer abrichten und noch schwerer aufziehen.

Rhaegal, Viserion und Drogon, deren Namen jene Männer anklingen lassen, die in Daenerys’ Leben die wichtigsten waren, wollen anfangs nicht recht gedeihen, denn sie müssen erst ihre Fähigkeit zum Feuerspucken entdecken, damit sie sich ihr Fleisch kochen können. Und während sie wachsen, brauchen sie immer größere Beute: Schafe, Rinder und – da sind sie nicht wählerisch – leider auch Kinder. Daenerys lernt, wie man sie in gewissen Grenzen kontrolliert, und spricht zu ihnen auf Hochvalyrisch (der Befehl, Feuer zu spucken – Dracarys! – verweist auf den Ursprung der Bezeichnung für diese Geschöpfe in den westeuropäischen Sprachen, der sich vom lateinischen draco herleitet). Ihre Fähigkeit, Fische zu fangen, dafür ins Wasser zu tauchen, ihre Beute in die Luft zu werfen und dort zu grillen, ist eindrucksvoll, denn üblicherweise löscht Wasser die Flamme eines Feuer speienden Drachen. Letztendlich muss sich Daenerys über den Schaden klar werden, den sie anrichten, wenn sie sie frei fliegen lässt. Drogon entgeht zwar dem würdelosen Eingesperrtwerden im Drachenkeller von Meereen, seine unglücklichen Brüder aber werden dort festgesetzt, nachdem Daenerys feststellt, dass bei ihren Streifzügen Kinder zu Tode gekommen sind. In den Romanen hat der Eindruck, Daenerys habe die Kontrolle über ihre Drachen verloren, ernste politische Konsequenzen: Der Braune Ben Pflum, der Söldnerführer der Zweitgeborenen, läuft nach Yunkai über und schwächt damit weiter die Position der Königin in Meereen.

Als die Drachen frisch geschlüpft sind, sind sie noch niedliche Tierchen, die leise Krächzer von sich geben und sich anhänglich an die „Mutter der Drachen“ klammern: „Habt Ihr jemals Drachenjunge singen hören? (…) Es ist schwer, danach noch zynisch zu sein“, sagt Jorah zu Tyrion (5.6). In der germanischen Tradition und der britischen Überlieferung kommt es unweigerlich immer so, dass sich das süße kleine Reptil zu einer gefährlichen Plage auswächst. In der Saga von Ragnar Lodbrok bekommt die junge Prinzessin Thora genau so eine kleine Schlange von ihrem Vater geschenkt. Wenn das Tier groß und stark werden soll, muss man ihm jeden Tag eine neue Goldmünze unter den Bauch legen. Bis Thora im heiratsfähigen Alter ist, sitzt der Drache bereits auf einem beträchtlichen Hort und verschlingt außerdem jeden Tag einen ganzen Ochsen. Er scheint sie sehr zu mögen, denn er kreist immer um ihre Laube, aber ihrem Vater und vielleicht auch Thora selbst ist klar, dass man ihn loswerden muss. Thoras Hand wird demjenigen als Belohnung versprochen, der den Drachen töten kann, und der kühne Wikinger Ragnar, ein Sohn des Dänenkönigs, versucht sein Glück. Dieser Drache spuckt Gift statt Feuer, also lässt sich Ragnar eine spezielle Hose anfertigen, die mit Pech getränkt wird, und außerdem einen Speer mit abnehmbarer Spitze. In seinen pechbedeckten Kleidern wälzt er sich im Sand, bevor er sich dem Drachen nähert und ihn zweimal mit seinem Speer durchbohrt. Als die Bestie stirbt, trifft eine gewaltige Flutwelle aus giftigem Blut den weggehenden Ragnar zwischen den Schultern, aber seine schlau ausgedachte Kleidung schützt ihn. Er kehrt zurück, weist sich als Drachentöter aus, denn noch immer trägt er den Schaft in der Hand, der zur Speerspitze im Leib des Drachen gehört, und verlangt die Prinzessin für sich.23


Abb. 12: Drache in einem mittelalterlichen hebräischen Codex

Andere germanische Drachen lieben das Gold; der Drache im Beowulf weiß (genau wie Tolkiens Smaug) bis zum letzten Stück genau, wie viele Schätze er in seinem Hort hat, und als ein Pokal gestohlen wird, fliegt der Drache nachts aus und übt feurige Vergeltung, brennt Beowulfs Halle nieder und verwüstet seine Festung. Dieses Geschöpf (das Vorbild für Smaug) ist wie die Drachen von Valyria Feuer speiend; außerdem besitzt es einen Giftatem, und so braucht es zwei mächtige Helden, Beowulf und seinen jungen Gefährten Wiglaf, um es zu überwältigen. Zwar hat Tolkiens wie Beowulfs Drache jeweils eine Schwachstelle, die der Held erst ausfindig machen muss, aber die Drachen der Bekannten Welt sind stärker und viel durchgehender gepanzert, wie Tyrion genau weiß:

Drachen tötet man nicht so leicht. Wenn ihr ihn mit diesen Dingern (= Armbrustbolzen, C. L.) kitzelt, wird er nur wütend werden. Die Augen waren die verwundbarste Stelle eines Drachen. Die Augen und das Gehirn dahinter. Nicht der Bauch, wie es manch alte Geschichte so gern erzählte. (TD 20 = DD 57)

Wie gesagt sind Drachen schwer großzuziehen –, und auch als Lufttransportmittel und als Waffe schwer einzusetzen. In der mittelalterlichen Tradition reiten Menschen normalerweise nicht auf Drachen, doch gibt es eine faszinierende Anspielung darauf in einem norwegischen Text aus dem 13. Jahrhundert, der als Konungs skuggsjá („Der Königsspiegel“) bekannt ist. Darin unterhalten sich ein Vater und sein Sohn über verschiedene Wunderdinge. Der Vater stellt sich auf den Standpunkt, dass „wundersam“ ein relativer Begriff ist: In Norwegen verwendeten die Leute ganz selbstverständlich Skier, um sich fortzubewegen, aber den Menschen aus anderen Ländern käme das wie ein Wunder vor. Der Sohn ergänzt, dass er gehört habe, in Indien ritten die Menschen auf Drachen. Das bezweifelt der Vater: Drachen seien eklige, giftige Kreaturen, wendet er ein, gibt aber zu, dass man wilde Tiere unter bestimmten Umständen zähmen kann.24 Die indischen Drachenreiter erwähnt auch eine der Versionen des berühmten Briefs des Priesterkönigs Johannes aus dem 12. Jahrhundert. Hierbei handelte es sich um ein Dokument, das sich als Schreiben des legendären christlichen Königs Johannes ausgab, den man in Indien vermutete. In dem Brief (tatsächlich liegt darin die Fiktion eines Mönchs vor) schreibt Johannes, er habe von der Bedrängnis der christlichen Kreuzfahrer gehört, die im Nahen Osten gegen islamische Truppen kämpfen, und bietet ihnen Hilfe an. „Drachen sind Fleisch gewordenes Feuer. Und Feuer ist Macht“, sagt Quaithe die Schattenbinderin (2.5). Der letzte Blick, den wir in Staffel 5 auf Daenerys und Drogon werfen können, zeigt sie weit weg von Meereen, inmitten des großen Graslandes, des Dothrakischen Meeres. Sie hat ihr Baby zu reiten gelernt, wie sie aber die Drachen einsetzen wird, deren Blut auch in ihren eigenen Adern fließt, ist eine der Herausforderungen, denen sie sich erst noch stellen muss.

Zwangsläufig hat sich dieses Kapitel hauptsächlich mit den Gebräuchen, der Geschichte und den Traditionen von Westeros befasst, denn dieser Kontinent steht im Mittelpunkt der Romane: Der Eiserne Thron von Westeros ist der Einsatz in dem großen Spiel, in dem, wie Cersei es ausdrückt, die Devise lautet: „Gewinn oder stirb“ (1.7). Westeros wird viel eingehender und detailreicher beschrieben als Essos; seine Darstellung verdankt sich stark dem Vorbild der Gesellschaft des europäischen Mittelalters. Aus der Sicht der Westerosi sind die Städte und Völker von Essos fremdartig, exotisch, ja barbarisch; ihre Sprachen sind merkwürdig, ihre Bräuche unverständlich. Die einzelnen Regionen von Westeros, der Norden wie der Süden, sind für uns viel zugänglicher, ja wirken in mancher Hinsicht beinahe vertraut. Zwar erweckt der Süden anfangs den Eindruck eines festgefügten Zusammenschlusses von Königreichen, doch er ist von Rivalitäten, unsichtbaren Drohungen, Intrigen und Gefahren durchzogen. Diese stecken tief in Herz und Verstand der Menschen und zeigen sich weniger als äußere Bedrohung wie die „Snarks und Grumkins“ – um Tyrions Worte zu verwenden –, die jenseits der Mauer wohnen. Und der Norden, der stets ein labiles Gleichgewicht zwischen dem geordneten Staatswesen südlich der Mauer und den fremdartigen Wesen nördlich davon zu erhalten sucht, ist wie sein Hüter: schroff, nachtragend, maskulin und wild. Dort, in der mächtigen Burg Winterfell, soll unserer Reise durch die Lande von Eis und Feuer beginnen.


Abb. 13: Jon Schnee und Geist

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