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ESBJERG
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Nach neun Tagen lief die Keldysh bei strahlendem Sonnenschein in den Hafen von Esbjerg in Dänemark ein. Am Kai lag eine einzelne Bohrplattform zum Abtransport in die Nordsee. Angesichts der elegant geschwungenen Rotorblätter der Windkraftanlagen, die an Land lagerten, wirkte die Plattform wie ein Dinosaurier. Fisher musste sich seiner Sache ziemlich sicher sein, wenn er bereits jetzt die Anlagen fertigte, von denen man noch nicht einmal wusste, ob man einen sicheren Standort für sie gefunden hatte.
Doch Richards Augen suchten etwas ganz anderes. Seine Familie. Und sie waren alle da. Seine Lebensgefährtin Angela, ihre Tochter Kimberley, ihr Sohn Ethan, seine Söhne Freddy und Jackson und ein riesiger Plüscheisbär, den Jackson bestimmt
für ihn gekauft hatte.
Nachdem sich alle um den Hals gefallen waren und Richard kaum mehr wusste, welcher Erzählung er folgen und welche
Fragen er zuerst beantworten sollte, bekam erst einmal der Bär einen Namen: »Harry.«
»Und Junior, was meinst du, wo fühlt sich Harry am wohlsten?«
»Der soll ins Auto und immer auf dich aufpassen. Dann bist du nie allein.«
Es kam, wie es kommen musste und Richard es bereits vorausgeahnt hatte.
»Das ist die größte Stadt an der Westküste? Mein Gott ist die hässlich. Bleiben wir hier?« fragte Kimberley in abfälligem Ton.
»Nein«, antwortete Richard. »Die Keldysh nimmt Ausrüstung an Bord und läuft die Küste hoch nach Thorsminde. Ich habe keine Lust mehr, auf dem Kahn zu hocken. Wir haben ein Ferienhaus gemietet, und da fahren wir mit dem Wagen hin.«
»Guter Plan. Seit wann machst du Pläne?«
Richard ging auf die kleine Stichelei von Kimberley erst gar nicht ein. Etwas anderes erregte seine Aufmerksamkeit. Und nicht nur seine.
»Was ist das denn Feines?«, fragte Freddy.
Richards Kollege Giuseppe hatte eine wahre Schönheit am Haken seines Ladekrans, etwas, dem keiner der anwesenden Herren hätte widerstehen können.
»Oh shit!«, platzte es aus Kimberley heraus.
»Du sagst es.« Richards Puls beschleunigte, und der Anblick dieses Objekts männlicher Begierde raubte ihm den Atem. Wie zum Sprung geduckt, schwebte sie auf einer Palette stehend hinab. Am Boden angekommen, sah der Lademeister Richard fragend an.
»Nehmen Sie ihr die Fesseln ab.« Er beugte sich vor und strich sanft, ja fast liebevoll, den geschwungenen Kurven folgend, über Lack und Leder.
»Hallo Süße.«
»Bring sie zum Schreien«, rief Giuseppe aus dem Führerhaus des Krans. »Aber sei vorsichtig, die Dame gehört Fisher. Nichts kaputt machen!«
Mit einer einfachen Drehung des Handgelenks entfachte Richard den Zündfunken und die scheinbar unbändige Leidenschaft von Eleanor. Sie brüllte, schüttelte das Wasser von ihrem makellosen Body und bäumte sich kurz auf. Ihm liefen kalte Schauer über den Rücken angesichts der Vibrationen, mit denen sie sich und ihre Umgebung einhüllte.
»Was ist das?«, fragte einer der umherstehenden Männer.
»Das, meine Herren, ist Eleanor. Die Konkurrenz«, sagte Kimberley. »Sie macht jeden Mann zu einem willenlosen Sklaven seiner Urtriebe und senkt die durchschnittliche Zeit bis zum Höhepunkt von vier Minuten auf dreißig Sekunden. Manche nennen es auch …«, sie sah ihren Stiefbruder an.
»… einen Ford Mustang GT 500 Eleanor Super Snake mit einem V8 Shelby Vortech Supercharger, 725 PS«, vollendete Freddy den Satz. »Und sie schafft es in 4,2 Sekunden. Wenn Sie nach einem Fluggerät suchen und sich keinen eigenen Kampfjet leisten können, stellt dieser Wagen durchaus eine adäquate Alternative dar, schnell von A nach B zu kommen. Nicolas Cage hat’s bewiesen.«
»Nicolas Cage?«
»In Nur noch 60 Sekunden. Ich habe den Film mit Papa bestimmt zwanzigmal gesehen, und ich weiß bis heute nicht, wofür er sich letztendlich entscheiden würde. Für den Wagen oder für Angelina Jolie.«
»Glaub mir, er würde den Wagen nehmen. Dafür sorgt Mom schon«, beantworte Kimberley die Frage für ihn. »Und du?«
»Das Auto«, antwortete Freddy wie aus der Pistole geschossen.
»Du bist vierzehn. Ich denke, du bist in der Pubertät.«
»Das Auto«, beharrte Freddy. »Und du? Sollte man mit zwanzig nicht langsam mal einen Führerschein haben?«
»Und unser Frauenschwarm?«, wandte sich Kimberley an Jackson.
»Weiß nicht. Ich bin erst sechs, mache aber bald den Fahrradführerschein.«
Angela war die Einzige, die keinen Kommentar abgab. Sie handelte, schritt mit laszivem Hüftschwung auf den Wagen zu und beugte sich zum Fenster hinab.
»Na Cowboy, sind wir denn auch alt genug, diesen Mustang zu reiten?«
»Oh mein Gott! Darf ich vorstellen, diese peinlichen Menschen sind meine Mutter und mein Stiefvater«, wandte sich Kimberley an den Lademeister.
»Ich bin nur zu Besuch«, ergänzte Freddy.
»Ja, gib’s ihr, Vater!«, schrie Jackson.
Angela stieß sich vom Wagen ab und tänzelte wie ein Model auf dem Catwalk die Gangway hinauf.
Als er die wundervolle und in absolutem Gleichklang stehende Bewegung des Einkuppelns und des massiven Drucks auf das Gaspedal kombinierte, preschte Eleanor los.
»Giuseppe, einsamer Seemann, suchst du noch eine Braut für kalte Nächte auf See? Ich hätte da gerade etwas Zeit«, rief Angela dem gebürtigen Italiener zu.
»Komm an Bord, süße Maus, der ist beschäftigt«.
»Jungs, kommt mit. Wir holen ein Lasso, um den Daddy wieder einzufangen.«
»Wer ist die junge Dame in eurer Mitte?«
Angela sah das Aufblitzen in Giuseppes Augen. »Wie geht es deiner Frau?«
»Was macht der Spinner da draußen wieder?«, rief Kapitän Hansen von der Brücke herunter. »Angela, ich denke, du hast dieses Spielkalb langsam mal zu einem erwachsenen Mann erzogen.« Hansen, ein kleiner, gedrungener Mann Mitte fünfzig mit Hinterkopfglatze und rotem Vollbart, nahm Angelas Hand und deutete einen Handkuss an.
»Na wenigstens einer an Bord dieses Seelenverkäufers, der noch Manieren hat. Schön dich zu sehen, Michael.«
»Die Ehre ist ganz auf meiner Seite. Beim Klabautermann. Sind das die Jungs? Ihr habt aber einen Schuss gemacht.«
Jackson verschwand sogleich hinter dem Steuerpult, magisch angezogen von den Hebeln, Monitoren und blinkenden Lichtern. Seine Finger zuckten bereits. Hansen packte ihn ohne Vorwarnung und schwang ihn auf den Sitz des Steuermanns.
»Wollen wir wetten, dass wir das lauter können als der Papa. Drück da mal drauf.«
Das Schiffshorn übertönte spielend den heulenden Motor des Mustangs und erinnerte die Mannschaft an der Reling daran, wieder auf ihre Positionen zurückzukehren.
Jackson zauberte dieses Geräusch ein Lächeln ins Gesicht, und ehe Hansen eingreifen konnte, versteifte sich sein rechter Zeigefinger nochmals auf dem Knopf. Jetzt sieht er genauso aus wie sein Vater, dachte Angela.
»Danke übrigens, dass du mir deinen Mann zwischendurch mal ausleihst«, wandte sich Hansen ihr wieder zu.
»Keine Ursache. Aber bitte pass ein wenig auf ihn auf. Ich hätte ihn diesmal gern in einem Stück zurück. Okay?«
»Wir werden ihn nicht aus den Augen lassen«, ertönte ein sonorer Bass hinter ihr. Angela drehte sich um und sah Cunningham, der den gesamten Türrahmen ausfüllte.
»Hast du den Kerl etwa von der Leine gelassen? Du solltest doch die Gebrauchsanweisung vorher lesen! Haben sie dir die denn in der Tierhandlung nicht mitgegeben?«
»Paul, ich grüße dich. Es ist so schön, euch alle einmal wiederzusehen.
« Angela zog je einen Mann links und rechts an ihre Seite.
»So, ich hoffe, ihr habt uns eine schöne große Kabine hergerichtet und ein hübsches Haus am Meer gemietet, wo ich für euch kochen kann.«
»Die Einladung zum Essen nehmen wir natürlich gern an. Wer würde da schon widerstehen können.«
Kimberley stand ein wenig abseits an die Navigationskonsole gelehnt und beobachtete, wie ihre Mutter mit zweiundvierzig Jahren die Männer immer noch um den Finger wickelte und dafür sorgte, dass man ihr jeden Wunsch von den Lippen ablas.
»Nicht, dass ich eifersüchtig wäre, aber ein klein wenig Aufmerksamkeit und ein ›Guten Tag‹ hätte ich schon verdient«, maulte sie.
Cunningham zog den Nacken ein und machte eine Drehung ganz im Stile von Cab Calloway. Er begann so laut zu singen, dass der erste Offizier und Zahlmeister, neu an Bord, vor Schreck fast sein Funkgerät hätte fallen lassen.
»Hey folks here’s the story ’bout Minnie the Moocher. She was a red-hot hoocie coocher. She was the roughest toughest frail. But Minnie had a heart as big as a whale. Hidehidehidehi.«
»Wenn sie weiß, was hoocie coocher heißt, wird sie ihm jetzt gleich eine scheuern«, brummelte Freddy.
Cunningham packte Kimberleys rechte Hand und zog sie mit sanftem Druck an sich. Ihr Kopf fiel nach hinten, und mit schnellen Drehungen wirbelten sie tanzend einmal quer über die Brücke.
»Willkommen an Bord, Madam!«, brummte er, während er sich tief vor ihr verneigte.
»Jetzt weiß ich, warum der Stiefdaddy sich hier an Bord so wohlfühlt. Der Kahn ist voller Irrer.«
Jackson pfiff auf den Fingern und Freddy johlte: »Genauso wie das Walross in dem Zeichentrickfilm.«
Cunningham zog die Augenbrauen hoch und stürmte wie ein Boxer in der Offensive auf Jackson zu. »Willst du damit sagen, ich tanze wie ein Walross?«
»Papa!« Jackson flüchtete auf die Brückennock.
»Nein, du bist kein Walross«, verteidigte Angela Cunningham. Sie zog die beiden Männer wieder zu sich heran. Du bist mein Brummbär, Paul mein Seebär, und da draußen balanciert der Tanzbär auf einem Mustang. Wie im Zoo, alles wie immer.«
Jackson und Kimberley waren Freddy inzwischen nach draußen gefolgt und sahen Richard dabei zu, wie er mit den Hinterrädern des Mustangs schwarze Streifen auf den Pier malte.
Kimberley entlockte die Show nur ein Gähnen. »Mit dem, was die Reifen kosten, hätte ich meinen Führerschein bezahlen können.«
Zehn Minuten später war der Spuk vorbei, und Richard lief zufrieden und beschwingt die Gangway hinauf. Auf der Brücke angekommen, nahm ihn Hansen gleich ins Gebet.
»Melde mich zurück an Bord, Kapitän Hansen«, versuchte er von dem abzulenken, was nun kommen würde.
»Mit dem Grinsen kannst du vielleicht deine beiden Frauen rumkriegen, du Spinner. Was sollte der Quatsch da draußen? Du weißt, wie sich die Hafenbehörden anstellen. Außerdem laufen wir in acht Stunden aus, und die Crew hat Besseres zu tun, als deinen Kunststückchen zuzuschauen.«
Richard setzte seine Unschuldsmiene auf. »Tschuldigung. Und der Wagen war die ganze Zeit im Container an Bord?«
»Nein, erst ab Liverpool.«
»Und das sagt mir keiner?«
»Die werden schon wissen warum. Machst ja immer alles kaputt.«
»Äh ja, hier, das ist vom Schaltknüppel abgefallen. Kannst du das Giuseppe geben, damit der das wieder ranbaut?«
»Das gibt eine hübsche Rechnung.«
»Ja, ja. Die kann er Paul schicken.«
»Apropos Paul. Du sollst dich umgehend bei ihm melden.«
»Aye, aye Käpt,n, da spute ich mich besser mal. Wo sind die anderen hin?«
»Mit Cunningham in die Kantine. Angela braucht einen Beruhigungstee, und die Zwerge hatten Hunger.«