Читать книгу Wenn Wolken Wandern - Carsten Freytag - Страница 4

Mutterliebe und ihre Folgen

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Dort, wo meine Mama mich verprügelt hatte, gab es wenig Fliegen. Nur eine Fliege, die über meinem blutenden Kopf schwirrte, war in meinem Zimmer. Ich verfolgte sie mit meinen blutverklebten Augen und sah, wie sie auf dem Bein des umgestürzten Tisches landete, so, als wollte sie mich von oben herab betrachten, um zu erfahren, ob ich noch lebte. Der Teppich, auf dem ich schmerzverkrümmt lag, fühlte sich weich an, so, als wollte er mir ein wenig Bequemlichkeit geben. Es war ruhig in meinem Zimmer. Nach dem Geschrei meiner Mama, die mich wütend angebrüllt hatte, und nach dem Lärm der Schläge und Tritte war die Stille beinah himmlisch und legte sich wie ein Kokon über meine verletzte Seele, um mir Ruhe zu geben. Lange blieb ich auf dem Teppich liegen. Auf dem Rücken liegend, sah ich aus dem Fenster. Ich beobachtete das Wolkenspiel am hellgrauen Himmel. Große, mächtige dunkelgraue Wolkenberge hatten sich am Himmel in mehreren Schichten bedrohlich aufgetürmt und wanderten erstaunlich tief, aber recht schnell an meinem Fenster vorbei. Dort oben musste es sehr windig sein. Man müsste eine Wolke sein. Aber keine kleine Schäfchenwolke, die hoch oben in der Atmosphäre einen Schleier mit vielen anderen Schäfchenwolken bildet. Nein, so eine Wolke möchte ich nicht sein. Es musste eine bedrohliche Wolke sein. Eine Wolke, die Angst erzeugt. Eine Wolke, die Blitz und Donner mit sich führt und über dem Haus meiner Mutter schwebt. Eine Wolke ist unantastbar. Unerreichbar. Niemand kann eine Wolke schlagen und verletzen. Wenn ich es könnte, würde ich zu den Wolken hinaufsteigen, eine von ihnen werden, würde mit meinen neuen Freunden über Indien hinweg bis nach Südostasien wandern. Nur weg von hier. Immer schneller, immer weiter weg von hier. Sie würden mich tragen bis in meine Heimat, wo die Luft so warm und weich wie Weihrauch ist. Und plötzlich erfüllte mich ein Gefühl der Hoffnung, ein Gefühl von Wärme durchdrang meinen geschundenen Körper, als ein goldener Sonnenstrahl die Wolkendecke plötzlich durchbrach und mein Gesicht erhellte. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein.

Bei meinem Versuch aufzustehen, spürte ich einen brennenden Schmerz in meinem Unterleib, dort wo meine Mama mich immer getreten hatte, nachdem ich zu Boden gegangen war. Nur der Mann, der irgendwann in mein Zimmer kam, hatte meine Mama davon abgehalten, mich totzutreten. So wütend war meine Mama gewesen. „Bist du total verrückt geworden! Komm zur Besinnung!“, hatte der Mann gerufen und den nächsten Tritt meiner Mama verhindert, indem er dazwischengesprungen war. Der Schreck stand ihm im Gesicht geschrieben. Doch ich wusste nicht, ob er mich oder meine Mama beschützen wollte, als er den nächsten Tritt meiner Mama abgefangen hatte. Ich hatte auch erst viel später verstanden, was Besinnung heißt, denn ich war erst vier Jahre in Deutschland.

Wenn Wolken Wandern

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