Читать книгу Wenn Wolken Wandern - Carsten Freytag - Страница 7
Wohlstand in der Armut
ОглавлениеM anchmal war meine Oma mit mir und den Brüdern meiner Mama im Jeepney nach Bacolod gefahren, nicht weit weg von Victorias City, und wir guckten uns die Geschäfte im Robinsons Place an. Niemals hatten wir etwas in der Shopping Mall gekauft, niemals waren wir in die Restaurants gegangen, um dort etwas zu essen, weil es zu teuer war, denn wir waren schrecklich arm. Wir waren zum Windowshopping gezwungen. Ich wunderte mich immer wieder über die Menschen, die so viel Geld hatten, im Robinson Place einkaufen gehen zu können. Ich beneidete sie. Sicherlich gehörten viele der Kunden den Familien der Zuckerbarone an, denen die Zuckerrohrfelder gehörten, auf denen die Brüder meiner Mama und alle anderen sacadas, auch minderjährige Kinder, für zweihundertvierzig Pesos am Tag auf den Zuckerrohrfeldern schuften mussten.
Sie hatten alles, hatte Noel mir ungläubig staunend gesagt, als er einmal, was äußerst selten vorkam, einen der reichen Landbesitzer mit spanischen Vorfahren besuchen musste, um für ihn etwas zu erledigen. Eine Hacienda, drei große Autos mit Allradantrieb, Zimmer mit Klimaanlagen oder mit mächtigen Ventilatoren, die an den Zimmerdecken hingen wie übergroße summende Bienen. Wie herrlich kühl und luftig es in den Zimmern war. Zimmer mit Glasscheiben und Tapeten. Eine Terrasse, so groß und breit wie fünf Häuser in unserer Straße. Ein Swimmingpool, von weiten Grünflächen umgeben, in dem zwei Frauen ihre Bahnen zogen. Eine hohe Mauer verhinderte neidische Blicke auf die Hacienda, wenn es denn überhaupt eine Gelegenheit gab, einen Blick auf den Lebensstil der Zuckerbarone zu werfen, denn Mitarbeiter einer Security-Firma mit Walkie-Talkies bewachten die Anlage, die von einem drei Meter hohen Drahtzaun abgeriegelt wurde und wo eine rotweiße Schranke den Zugang auf die Anlage kontrollierte.
„Und dennoch geht es uns besser als denen, die hinter der Anlage leben“, hatte Noel nach seinem Aufenthalt beim Zuckerbaron trotzig gesagt, und ich wusste, was er meinte. Wir hatten ein Haus, direkt an der Straße zu der großen Zuckerrohrfabrik in unserer Stadt. Es war zwar aus Stein und ohne verputzte Wände und ohne Tapeten. Aber es bot ausreichend Schutz in der Regenzeit. Wir hatten zwar keine Toilette mit einer weißen Toilettenschüssel mit fließendem Wasser. Dafür wurde unsere große Grube hinter dem Haus jede Woche geleert, obwohl es nur wenig zu entleeren gab, denn wir verrichteten meistens unsere Notdurft heimlich in den Zuckerrohrfeldern, die direkt neben unserer Straße grenzten. Dafür hatten wir eine Pumpe, die uns täglich frisches Wasser zum Kochen lieferte. Wir hatten Strom im Haus, ein Luxus, der nicht zu unterschätzen war. Außerdem hatten wir immerhin zwei fette Schweine im Hinterhof und drei stolze Kampfhähne, angekettet an einer eisernen Stange, die uns ab und zu beim Wetten Geld einbrachten, sofern sie denn den Hahnenkampf überlebten. Oma Ocampo hatte ihre kleine Rente. Noel, 1977 geboren, musste jetzt schon achtunddreißig Jahre alt sein. Noel verdiente sich sein Geld als Tricycle-Fahrer und Jeffrey, der fünf Jahre ältere Bruder, er musste jetzt schon dreiundvierzig sein, vor dem ich mich wegen seiner Unbeherrschtheit immer gefürchtet hatte, arbeitete in einer Autowerkstatt und brachte regelmäßig Geld, wenn auch nicht viel, mit nach Hause. Gab es keine Fahrgäste zu befördern oder Autos zu reparieren, waren Noel und Jeffrey während der Zuckerrohrernte zwischen Oktober und Mai gezwungen, besonders wenn das Essen zu Hause knapp wurde und die Ehefrauen böse Gesichter machten, mannshohe Grasstauden kurz über dem Erdboden mit einer scharfen Machete zu schneiden. Obwohl die Brüder meiner Mama die schweißtreibende Arbeit in den Zuckerrohrfeldern nicht nur wegen der Ameisen, so groß wie Noels Fingerkuppen, und der handflächengroßen Spinnen hassten, die sich in den Grasstauden versteckten, waren sie froh, durch die zusätzliche Arbeit im Herbst und bis zum Frühjahr ihre Kinder ernähren zu können. Bedrohlich wurde die Lage in den Sommermonaten, wenn es keinen Zusatzverdienst gab. Dann durfte der Motor von Noels Tricyle nicht streiken. Dann drohte die Gefahr der bitteren Not.
Dennoch ging es uns besser als den Menschen, die in dem hinter der Wohnanlage beginnenden Slum lebten, wo illegal errichtete wackelige, und daher eher baufällige Hütten, aus Holz und Wellblech bestehend, am Fluss entlangstanden, wo die Menschen gleichzeitig ihr Wasser entnahmen und der Kot flussabwärts trieb. Diese Menschen hatten nichts, wir hatten zumindest wenig. Wie gerne hätte ich mir gewünscht, ein zweites Kleid zu besitzen oder für Mamas Bruder Noel, der mit seinem halbzerfetzten T-Shirt Fahrgäste auf seinem reparaturanfälligen Tricycle mitnahm, ein zweites T-Shirt zu kaufen. Nur einmal, als meine Mama mich zusammen mit Hans-Jürgen und den Kindern auf den Philippinen besuchte, um mich nach Deutschland abzuholen, versammelte sich die ganze Familie im Jollibee und wir aßen riesig große Burger, wie ich sie nur aus der Werbung kannte. Ich war so glücklich, endlich einmal nicht nur Fisch und Reis essen zu können. Und es gab Halo-Halo zum Nachtisch.