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Оглавление7. Juli, morgens
Als ich mit schmerzenden Gliedern und eingeschlafenen Beinen zu mir komme, ist es draußen taghell und der Bus biegt in einen Rastplatz ein. Das Wetter ist nicht besonders schön und aus den Schildern, die ich im Vorbeifahren erkennen kann schließe ich, dass wir uns irgendwo in Frankreich befinden. Nach der Morgentoilette auf dem Herrenklo des Parkplatzes und ein paar Banjo-Riegeln zum Frühstück, rauche ich erstmal eine Zigarette und schaue den Jungs dabei zu, wie sie ein wenig mit Heikos Fußball kicken. Ihre Einladung mitzumachen, schlage ich aus. Ich bin am Ball ungefähr so talentiert wie beim Flirten – nämlich überhaupt nicht – und stecke mir deshalb lieber eine weitere Zigarette an.
Auf dem Weg zurück zum Bus beobachte ich, wie sich Alexandra und der Busfahrer mit ernsten Mienen unterhalten.
Kein gutes Zeichen.
Als alle Passagiere wieder im Bus sitzen, greift Alexandra zu Mikrofon. Die französischen LKW-Fahrer streiken seit gestern Abend und blockieren sämtliche Autobahnzufahrten. Es wird also etwas länger dauern, bis wir Lloret erreichen.
Ein Stöhnen geht durch die Reihen und wir stöhnen mit. Anscheinend bin ich nicht der einzige in unserer Runde, der schlecht geschlafen hat und schnellstmöglich von den unbequemen Sitzen runterkommen möchte. Laut Alex plant unser Fahrer nun, über Landstraßen nach Spanien zu gelangen. Die von mir erhoffte zügige Ankunft hat sich damit höchstwahrscheinlich erledigt.
Der Bus quält sich seit zwei Stunden durch das französische Hinterland. Wir vertreiben uns die Zeit wieder mit Dosenbier und Albernheiten. In einer kleinen Ortschaft ist allerdings Schluss mit lustig. Sattelzüge und Traktoren stehen kreuz und quer auf der Straße. Nichts geht mehr und der Bus stoppt. Die verdammten Franzosen wollen uns tatsächlich den Urlaub versauen!
Alex steigt aus und läuft, von sämtlichen Augenpaaren im Bus beobachtet, zu einem Gendarm, der mit seinem Motorrad bei einem der Traktoren steht. Sie unterhalten sich und Alex’ Körpersprache lässt unseren Mut sinken. Der Polizist zuckt beim Reden oft mit den Schultern und deutet mehrmals auf die umstehenden Fahrzeuge. Alex fragt anscheinend etwas, woraufhin der Gendarm in sein Funkgerät spricht. Nachdem er sich wieder an Alex gewendet hat, schlägt sie die Hände über dem Kopf zusammen.
»Das sieht schlecht aus.«, kommentiert Heiko.
Und wie.
Nach kurzer Rücksprache mit dem Busfahrer erzählt Alexandra via Mikrofon, dass die Polizei heute nicht gegen die Blockaden vorgehen wird. Außerdem sind nun auch einige Landstraßen auf unserem Weg versperrt.
»Wir starten jetzt noch einen Versuch, weiter im Süden auf die Autobahn zu kommen.«
Gespannte Stille.
»Sollte das nicht funktionieren, müssen wir leider umkehren und nach Deutschland zurückfahren. Tut mir wirklich leid, aber in diesem Fall haben wir keine andere Möglichkeit.«
Eine Flut von lauten Unmutsbekundungen, Fragen und Pfiffen setzt ein. Wir sitzen erstarrt auf unseren Plätzen. Das darf nicht wahr sein!
Die Terrazaz!
Die Strandpromenade!
Saufen im »Fame«!
Alles dahin?
Meinetwegen gehe ich auch mit Dieter und Heinz ins Bayrische Haus, Hauptsache wir kommen überhaupt irgendwie in Lloret an!
Unser Fahrer ist jetzt richtig gefordert. Teilweise geht es nur noch über Feldwege weiter. Einmal muss er das riesige Gefährt in einem Weinberg wenden, weil wir uns verfahren haben. Im Bus ist es sehr still geworden. Ich höre über meine Kopfhörer Musik und starre aus dem Fenster.
Nach einer gefühlten Ewigkeit gelangen wir an eine Polizeisperre. Der Gendarm bedeutet dem Busfahrer nach links in einen Feldweg abzubiegen und diesem zu folgen. Ich denke mir nur: Na toll! Hier geht’s schon wieder nicht weiter. Nach ein paar hundert Metern sehe ich aber, dass wir uns der leeren Autobahn nähern. Ein weiterer Polizist winkt uns heran und zeigt auf einen Abschnitt, an welchem die Leitplanken entfernt wurden. Dann geht alles ganz schnell, der Bus rumpelt über eine Grasnarbe und plötzlich befinden wir uns tatsächlich auf der Autobahn!
Die Passagiere brechen in kollektiven Jubel aus, wir klatschen uns lachend ab und die Beamten bekommen von uns durchs Fenster ein paar »Daumen hoch«. Die Tachonadel und das Stimmungsbarometer im Bus klettern rasant auf Höchstwerte.
Auf der Autobahn ist so gut wie nichts los. Nur ein paar Autos und andere Reisebusse sind unterwegs. Wir kommen gut voran und das Wetter wird immer besser. Irgendwann springt Pudding hektisch auf:
»Ich seh’ das Meer, Männer! Da ist das Meer!«
Er zerrt an »Jürgens« Arm, als wolle er ihn vor Freude abreißen. Zwischen einigen Felsen, die wir passieren, kann man tatsächlich das glitzernde Wasser und ein wenig Brandung erkennen.
Auch ich bin bei diesem Anblick ein bisschen ergriffen. Es ist für mich die endgültige Bestätigung, dass ich mich im Urlaub befinde. Bisher hätte es auch ein einfacher Busausflug sein können, aber jetzt ist klar, dass wir ziemlich weit weg von Zuhause sind.
Als die Euphorie ein wenig abgeebbt ist, stellen wir mit Schrecken fest, dass unsere Biervorräte zur Neige gehen. Himo öffnet die letzte Dose seiner Palette und bei uns anderen sieht es ähnlich aus. Leider waren nicht alle Passagiere so gut vorbereitet wie wir und deshalb sind die Vorräte, die Alex noch im Angebot hat, ziemlich dürftig. Heiko kauft das letzte Bitburger Sixpack und verteilt die Flaschen. Pudding lädt Alex stimmgewaltig ein, mit uns ein Bit auf die Gendarmerie zu trinken, aber sie lehnt freundlich ab. Ich glaube, dass sie sowieso langsam die Schnauze von unserem überdrehten Dauergefasel voll hat. Wir sitzen seit beinahe zwanzig Stunden in diesem Bus und haben mittlerweile einen vollendeten Reisekoller. Wir lachen hysterisch über dämliche Witzchen und versuchen uns gegenseitig mit blöden Sprüchen zu übertreffen. Ich glaube, auch der Vater der Teenager ist froh, wenn er uns nicht mehr zuhören muss. Jedenfalls sitzt er seit geraumer Zeit mit gesenktem Kopf auf seinem Platz und reibt sich angestrengt die Schläfen.
Nach knapp 24 Stunden Fahrt erreichen wir endlich die Autobahnabfahrt von Lloret de Mar.
Während der Bus in den Ort rollt, kleben wir an den Fenstern und staunen. Allein auf der Hauptstraße, die wir gerade entlangfahren, scheint es mehr Bars, Kneipen und Clubs zu geben als im gesamten Rhein-Main-Gebiet. Ich lese ein paar der Schriftzüge über den Läden und stelle mir vor, wie geil diese Straße heute Abend wohl aussehen wird, wenn die vielen bunten Neonreklamen leuchten.
Nach ein paar hundert Metern hält der Bus und Alexandra erklärt, welche Hotels von dieser Station aus erreichbar sind. Die Terrazaz al Mar sind noch nicht dabei. Gut zwei Drittel der Passagiere steigen aus, unter anderem auch Dieter und Heinz. Die zwei haben während der gesamten Fahrt kaum geredet, dafür aber den kompletten Piccolo-Vorrat der Bar vernichtet. Wir verabschieden uns kurz und Pudding ruft ihnen »Bis bald im Bayrischen Haus.«, hinterher.
Als wir beobachten, wie die Meute ihre Koffer aus dem Gepäckabteil entgegennimmt, fällt uns ein, dass einer den Fresskoffer schleppen muss. Da sich niemand freiwillig meldet, holt Heiko sein Kartenspiel raus und legt es als Fächer auf dem Tisch aus.
»Niedrigste trägt den Koffer.«
Jeder zieht eine Karte und wir legen sie gleichzeitig auf den Tisch. Ich habe die Pik-Sieben und fünf Zeigefinger deuten sofort in meine Richtung.
Wir sind beim nächsten Stopp dran und die einzigen Gäste für die Terrazaz. Der Bus hält vor einem modernen Bau aus roten Backsteinen, der ein kleines Einkaufszentrum beherbergt. Wir raffen unser Handgepäck zusammen und verabschieden uns herzlich von Alex, schließlich haben wir gemeinsam einiges durchgemacht.
»In zwei Wochen sehen wir uns wieder.«, teilt sie uns mit, »Bis dahin viel Spaß!«
Dann ist es endlich soweit, erschöpft aber fröhlich verlassen wir den klimatisierten Bus und betreten spanischen Boden. Lloret de Mar empfängt uns mit Sonnenschein und mediterraner Sommerhitze. »Jürgen« und mich trifft sie doppelt hart, denn in der ganzen Hektik haben wir Idioten unsere Bomberjacken angezogen, statt sie in die Rucksäcke zu stopfen. Während ich anfange aus allen Poren zu schwitzen, räumt der Fahrer das Gepäck aus und stellt auch diesmal keine Fragen zum Inhalt des schweren, hässlichen Koffers. Ich lobe seine Fahrkünste und drücke ihm zwei Mark in die Hand. Als er wieder in den Bus klettert probiere ich aus, wie es sich mit schwarzer Bomberjacke, zwei Koffern und meinem Rucksack auf dem Buckel bei dreißig Grad im Schatten läuft. Schon nach zwei Metern hoffe ich inständig, dass wir keinen allzu weiten Weg mehr zurücklegen müssen.
Die anderen schauen sich suchend um.
»Wo müssen wir denn hin?« ruft »Jürgen« noch schnell in den Bus hinein. Alex zuckt mit den Schultern:
»Haben wir noch nie angefahren. Das muss aber irgendwo hier sein.«
Nach einem kurzen Zischen ist die Tür zu und der Bus fährt ab.
Na klasse!