Читать книгу German Tourist - Carsten Schiller - Страница 11

Оглавление

7. Juli – Nachmittag Tag 1

Endlich am Ziel und doch noch nicht angekommen.

Wir stehen zwischen unserem Gepäck vor dem kleinen Einkaufszentrum und schauen uns um. Von hier aus kann man die gesamte Bucht überblicken, an welcher sich der Strand von Lloret in der hellen Nachmittagssonne ausbreitet. Wir befinden uns am westlichen Ende der Promenade und hier sind tatsächlich lauter gutgelaunte Leute in Sommerklamotten unterwegs. Das Bild im Katalog hat nicht zuviel versprochen.

»Schön hier.«, stelle ich fest und schäle mich aus meiner viel zu warmen Bomberjacke.

»Wäre noch schöner, wenn wir unseren Kram schon in den Zimmern hätten.«, erwidert Himo leicht genervt.

Wir haben nichts außer dem Namen Terrazaz al Mar. Keine ­Adresse, keine Wegbeschreibung und den Katalog hat natürlich auch niemand mitgenommen. Pudding spricht spontan ein paar Jungs an:

»Terrazaz al Mar?«

Als Antwort bekommt er ein Schulterzucken. In den folgenden zehn Minuten fragen wir immer wieder mal Leute, aber keiner kann uns sagen, wo die Terrazaz sind. Als ein Taxi in den kleinen Kreisel vor uns einfährt, springen Jochen und Pudding auf die Straße und versperren ihm den Weg. Der Fahrer kurbelt sein Fenster runter und wir fragen auch ihn nach den Terrazaz al Mar. Er spricht nur spanisch, aber ich weiß, dass »No sé.« »Ich weiß nicht.« bedeutet. Netterweise ruft er über Funk die Zentrale an und fragt bei seinen Kollegen nach, aber auch dort kennt anscheinend niemand die Apartment-Anlage. Er fährt wieder ab und wir lassen uns niedergeschlagen auf den Stufen eines Souvenirshops vor dem Einkaufszentrum nieder.

Pudding äfft Alexandra nach:

»Das muss irgendwo hier sein! Ham wir noch nie angefahren! Blöde Schlampe! Vielleicht haben die uns beschissen und den ­Laden gibt’s gar nicht! Scheiß auf Massa-Touristik!«

»Jürgen« findet das witzig und lacht, aber keiner lacht mit.

Ich versuche mich an die Beschreibung im Katalog und an die Bilder zu erinnern. War da nicht ein Burgturm abgebildet? Ich stehe auf und suche die Umgebung ab. Und tatsächlich kann ich den Burgturm sehen. Er liegt genau am anderen Ende der Bucht. Ich mache die Jungs auf meine Entdeckung aufmerksam. Auch sie können sich dunkel an das Bild im Katalog erinnern. Wir sind übermüdet und genervt und keiner kann sich an den genauen ­Zusammenhang zwischen dem Turm und den Terrazaz erinnern, aber wir sind der festen Überzeugung, dass der Burgturm der Wegweiser zu unseren Apartments ist. Diese Erkenntnis verleiht uns frische Energie. Pudding und Jochen erklären sich bereit, los zu laufen und nachzuschauen, der Rest macht es sich wieder auf den Stufen des Ladens bequem. Die Nachmittagssonne knallt uns auf die Köpfe und vom Strand her sind fröhliche Menschen und die leichte Brandung zu hören.

Morgen liegen wir hoffentlich auch am Strand, denke ich bei mir. Erschöpft lehne ich mich an meinen Koffer, zünde mir eine Lucky Strike an und genieße den Blick auf das Meer.

Zwanzig Minuten später kommen Pudding und Jochen wieder zurück und wir sind gespannt. Auf Heikos Frage, ob sie die Terrazaz gefunden haben, antwortet Pudding:

»Nö, aber wir sollen heute Abend in den Laden hier kommen.«

Er zeigt uns den knallbunten Flyer eines Clubs namens »Tropics«. Heiko, Himo, »Jürgen« und ich schauen die beiden verwirrt an. Pudding erzählt ungerührt weiter:

»Hat uns so ein Mädel gegeben. Sah top aus die Alte!«

Heiko platzt der Kragen:

»Sag mal, seid ihr weich in der Birne? Ihr sollt das Hotel suchen und nicht mit irgendwelchen Weibern labern!«

Jochen verteidigt sich gereizt:

»Hast du mal geschaut wie weit der Scheiß-Turm weg ist? Da muss man ’nen Kilometer latschen! Wir hatten einfach keinen Bock mehr!«

Bevor die Situation eskaliert erkläre ich mich bereit, noch einen Versuch in Richtung Turm zu starten. Heiko schließt sich an, allerdings nicht, ohne weiter auf »Die Penner!« zu schimpfen. Immerhin bekommen wir beide auf diese Weise etwas mehr von der Strandpromenade zu sehen. Unter den hohen Palmen beruhigt sich Heiko ein wenig und wir fangen an zu lachen. Die Situation ist einfach zu dämlich.

Der Marsch bringt zunächst mal zwei Erkenntnisse. Erstens ist der Scheiß-Turm tatsächlich ziemlich weit weg und zweitens war die Einladung ins Tropics keineswegs exklusiv an Pudding und Jochen gerichtet. Die sonnengebräunte Top-Frau spricht jeden an der vorbeiläuft. Heiko und ich bekommen auch einen Flyer:

»Deutsch? Hier für Euch. Kommt heute Abend vorbei. Happy Hour!«

Sie spricht mit flämischem Akzent. Heiko meint, dass wir nur vorbeischauen, wenn sie uns verrät, wo sich die Terrazaz al Mar befinden. Das weiß sie auch nicht, deutet aber auf ein Gebäude hinter uns. Wir sollen mal bei der »Tourisme Información« fragen. Ich würde sie am liebsten in den Arm nehmen. Mal abgesehen davon, dass sie wirklich toll aussieht mit ihren langen blonden Haaren und dem engen Tanktop, hat sie uns unserem Quartier vermutlich einen großen Schritt näher gebracht. Wir bedanken uns hastig und lenken unsere Schritte zügig in Richtung des gezeigten Hauses. Es ist ein etwas altertümlich aussehender Bau und an seinem Giebel wehen mehrere katalanische Flaggen. An einer der Eingangstüren ist das allgemeingültige Piktogramm für »Information« angebracht und wir treten ein. Es ist angenehm klimatisiert und hinter einem Tresen aus dunklem Holz begrüßt uns eine junge Frau mit einem freundlichen »Holà!«. Wir bringen unser Anliegen auf Englisch vor und sie holt eine kleine Stadtkarte unter dem Tresen heraus. Darauf malt sie zwei Kreuze. Das erste Kreuz zeigt die Position des »Tourisme i«, das zweite kommentiert sie mit den Worten:

»You have to go here. It’s on the backside of the shoppingcenter. You know? Einkaufszentrum.«

We know the fucking Einkaufszentrum!

Wir sitzen nämlich seit einer halben Stunde ratlos davor herum.

Salvador ist ein großer, schlanker Typ mit Halbglatze und ich schätze ihn auf Mitte dreißig. Er ist der Hausmeister der »Terrazaz al Mar« und führt uns zu den Apartments im ersten Stock. Nachdem Heiko und ich ungläubig kopfschüttelnd vom »Tourisme i« zurückgekehrt sind, war unsere Unterkunft in weniger als zwei Minuten gefunden. Salvador gibt uns die Schlüssel und erklärt auf gebrochenem Englisch, dass wir uns morgen Vormittag mit unserer Reiseleiterin an der Rezeption treffen sollen. Die Belegung der Apartments haben wir in Raucher und Nichtraucher aufgeteilt. Und so betrete ich mit Jochen und »Jürgen« unsere Bude.

Die kleine Wohnung besteht aus einem Wohnbereich mit Einzelbett und Küchenzeile, einem Schlafzimmer mit Doppelbett und einem kleinen Bad. Es ist einfach eingerichtet, aber sauber und schön hell. Von beiden Zimmern aus gelangt man auf den Balkon mit seitlichem Meerblick. Angenehm überrascht schmeißen wir unser Gepäck erstmal mitten in den Raum. Dem Fresskoffer gebe ich dabei noch einen kräftigen tritt in Richtung Küchenzeile mit.

»Ich schlafe hier!«, meint Jochen und lässt sich sofort in entspannter Position auf dem Bett im Wohnbereich nieder. Damit können »Jürgen« und ich prima Leben. Ich denke, wenn wir in den kommenden Nächten irgendwann ins Bett steigen, werden wir keine Probleme mit dem Einschlafen haben, egal wer nebenan liegt.

Die anderen Jungs treten strahlend durch die offene Tür in ­unser Wohnzimmer ein. Pudding jubelt:

»Ein Hoch auf Massa-Touristik! Ist das geil hier?«

Ist es! Da sind wir uns alle einig.

Nach einer ausgiebigen Inspektion der Zimmer finden wir lediglich einen kleinen Kritikpunkt. Einen Safe für unsere Urlaubskasse gibt es nur im Nichtraucher-Apartment und der ist alles andere als »safe«. Das Teil von der Größe eines Schuhkartons liegt einfach unbefestigt im Kleiderschrank und jeder potenzielle Einbrecher kann ihn sich unter den Arm klemmen und damit verschwinden.

Kurze Zeit später sitzen wir zufrieden im Nichtraucher-Apartment und trinken teures Dosenbier. Während der Rest eingeräumt hat, sind Heiko und Pudding losgezogen um ein paar Begrüßungsdrinks zu kaufen. Sie sind bei einem winzigen Supermarkt gegenüber fündig geworden und haben eine Palette Warsteiner erstanden, natürlich mit horrendem Touristenaufschlag. Der Laden liegt in unmittelbarer Strandnähe und die Jungs haben sich in wiedergekehrter Urlaubs-Euphorie einen Dreck um den Umrechnungskurs geschert.

»Fast vier Mark pro Dose!«, hat Himo nachgerechnet,

»Da muss jeder Schluck schmecken!«

»Wir sind im Urlaub!«, meint Pudding, öffnet sein Hipbag und wirft mit lässiger Pose ein paar Pesetenscheine auf den Tisch:

»Ab jetzt ist alles scheißegal! I’m German Tourist!«

Ich trete lachend auf den Balkon. Mittlerweile hat sich die Sonne etwas gesenkt und der Strand leert sich. Zumindest sehe ich schon einige Lücken in dem Bereich, den man von hier aus überblicken kann. Ich schaue mich weiter um. Die Straße vor den Terrazaz führt eine leichte Steigung hinauf und scheint nicht sonderlich befahren zu sein. Unter dem Balkon befindet sich die Terrasse einer Pizzeria, die aber noch völlig verwaist ist. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht ein modernes, mehrstöckiges Gebäude. Über den großen Schaufenstern im Erdgeschoss hängt ein riesiges, gelbes Schild. Darauf prangt der Name »Metzen«. Scheint ein deutscher Supermarkt zu sein. Die Fenster in den oberen Stockwerken sind verklebt und es sieht unbewohnt aus. Nicht besonders spannend. Da genieße ich doch lieber noch ein wenig den Ausblick auf den Strand und das glitzernde Mittelmeer. Die lange Busfahrt und die Aufregung bei der Ankunft sind fast vergessen. Ich nehme einen großen Schluck Warsteiner und freue mich auf den bevorstehenden Abend.

Nicht nur Frauen belegen gerne mal länger das Badezimmer. »Jürgen« steht der Damenwelt in dieser Beziehung in nichts nach. Jochen, ich und der Rest der Truppe sitzen ungeduldig im Wohnbereich des Raucher-Apartments und lauschen Ollis Interpretation von »Knockin on heavens door«, die durch die geschlossenen Badezimmertür tönt. Wir sind seit geraumer Zeit startbereit und haben unsere Abendgarderobe, sprich Jeans und T-Shirt, angelegt. Wer weiß, wo wir landen, deshalb soll’s nicht gleich am ersten Abend in kurzen Hosen auf die Straße gehen.

Pudding wird ungeduldig:

»Jürgen! Mach hin, wir wollen los!«

Nach weiteren fünf Minuten ist es dann soweit. Olli kommt frisch gefönt und gut gelaunt ins Wohnzimmer. Wir empfangen ihn mit höhnischem Jubel.

»Was habt ihr denn? Ich bin bereit. Kann mir jemand Kohle leihen? Ich hab keine Peseten getauscht.«

Pudding schüttelt daraufhin nur verständnislos mit dem Kopf und öffnet die Tür: »Los jetzt! «

Wir verlassen das Apartment und starten in unseren ersten Abend in Lloret.

Auf der Straße ist richtig was los. Sehr viele fröhliche, meist junge Menschen bevölkern lachend, grölend – oder wie wir – staunend, die neonbeleuchteten Gehwege. Auf der Hauptstraße, die wir in Richtung Ortskern entlang schlendern, rollen Mopeds, Motorräder und Autos, aus denen wummernde Bässe dröhnen, vorbei.­ Partystimmung überall!

Irgendwann biegen wir in eine kleine, ebenfalls irrsinnig bunt beleuchtete Fußgängerzone ab. Zu diesem Zeitpunkt hat jeder von uns bereits ein dutzend Flyer in die Hand gedrückt bekommen. Die Zettel-Verteiler lauern alle paar Meter und preisen die Vorzüge dieses oder jenes Etablissements an. Meist mit dem Angebot »Happy Hour« oder, wenn sie uns als Deutsche erkannt haben, mit den Worten »Frei saufe!«. Da es sich mehrheitlich um weibliche­ »Werber« handelt, fühlen wir uns geschmeichelt und nehmen so gut wie jeden Flyer an. Außerdem werden wir vor beinahe jedem Laden angesprochen, ob wir nicht reinkommen möchten. Wahlweise wird die beste Musik- oder Getränkeauswahl angepriesen.

Der Schuppen vor dem wir jetzt stehen heißt »The Highwayman« und er trumpft gleich mit zwei weiblichen »Werbern« auf, einem hübschen Zwillingspaar aus Deutschland. Bis zehn Uhr ist noch Happy Hour, erzählt die eine und angeblich läuft hier nur bester Hardrock, erklärt die andere. Zusätzlich zu den beiden hübschen Frauen also zwei weitere Argumente, die für den Pub sprechen.

Ehe ich richtig auf einem der Barhocker sitze, hat schon jemand einen Krug Sangria bestellt. Ich wollte eigentlich erstmal ein Bier, aber was soll’s. Es ist noch eine Viertelstunde lang Happy Hour und allzu lange wird der Krug sowieso nicht überleben. Mein Blick schweift durch den Raum. Der Laden ist klein, rustikal eingerichtet und aus den Boxen schmettert Axl Rose gerade »Paradise City«. Obwohl ich Guns’n’Roses nicht mag, passt der Song momentan voll ins Bild. Zwei hübsche Frauen haben uns in einen Laden geführt, wo wir günstige alkoholische Getränke bekommen und harte Gitarren erklingen. Außerdem weht durch die offenen Fenster und die Eingangstür eine laue Brise herein.

Das hier scheint wirklich »Paradise City« zu sein.

Ich zünde mir lächelnd eine Zigarette an und nicke leicht mit dem Kopf im Takt der Gunners. Himo reißt mich aus meiner Glückseeligkeit, er drängt darauf zu trinken und reckt sein Glas in die Höhe.

»Prost Jungs! Weg mit dem Zeug!«

Wir trinken zwei weitere Krüge Sangria. Einen vor, und einen nach Ende der Happy Hour. Der Stoff schmeckt köstlich und unsere Laune steigt. Wir übertönen mit unserem Lachen teilweise die Musik, obwohl die ziemlich laut ist. Irgendwann schallt »Hells Bells« aus den Boxen und obwohl ich AC/DC genauso wenig abgewinnen kann wie Guns’n’Roses, gröle ich, dank ausreichend Sangria im Kopf, gemeinsam mit Heiko und Olli den Refrain. Eine der Zwillingsschwestern ist mittlerweile rein gekommen und hilft an der Bar aus. Pudding hätte auch ohne Sangria-Zufuhr kein Problem damit, sie anzusprechen, aber jetzt ist er ganz besonders in Fahrt. Nach einer knappen Minute hat er ihr bereits ein paar Basis-Infos entlockt: Ihr Name ist Nina und ihre Schwester heißt Angie, sie stammen aus Mühlheim, sind 21 Jahre alt und arbeiten bereits seit Mitte Mai hier. Dann ist sie wieder verschwunden und Pudding gibt uns die Infos weiter.

Mittlerweile hat sich der Highwayman gut gefüllt. Selbiges gilt auch für die meisten Gäste. An der Tischgruppe hinter uns stimmen fünf Holländer ein Lied an und treten in stimmgewaltige Konkurrenz mit DIOs »Holy Diver«. Was sie singen verstehe ich nicht, aber das Wort »noeken« kommt ziemlich oft vor und der Song scheint ungefähr hundert Strophen zu haben.

»Kommt, lasst uns mal weiterziehen.«, meint Jochen mit Blick auf die Holländer. Wir sind einverstanden.

Draußen herrschen immer noch angenehme Temperaturen und jetzt ist noch mehr feierwütiges Volk unterwegs als vorhin. Wir laufen etwas weiter in die kleine Fußgängerzone hinein. Clubs, Bars und Pubs soweit das Auge reicht. Lediglich unterbrochen von einigen kleinen Geschäften, die auch zu dieser fortgeschrittenen Stunde noch Badezubehör und Souvenirs anbieten. Weitere Flyer-Angebote lehnen wir freundlich ab. Allerdings lassen wir uns immer wieder von hartnäckigen »Werbern« in kurze Gespräche verwickeln. Nach einigen Stopps schaffen wir es aber immer besser, uns schnell loszueisen.

Schließlich landen wir vor einer Diskothek, dem »Bumpers«. Erstmal fällt uns angenehm auf, dass uns niemand anspricht. Der Eingang befindet sich in einer kleinen Arkade. Dort stehen zwar zwei große Typen, die wollen der Statur nach aber sicher niemanden davon überzeugen, dass man reinkommt, sondern sind eher für das Gegenteil zuständig. In der Arkade hängen einige Poster, die das Innenleben und die Attraktionen des Clubs zeigen. Spätestens nachdem sie die Fotos der GoGo-Girls gesehen haben, ist für Himo und Heiko klar, dass sie da rein müssen. Ich bin nicht überzeugt. Die Musik, die aus dem Eingang schallt ist überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Für House bin ich einfach noch nicht betrunken genug. Außerdem ist das eine Disco, kein Stripclub. Mehr als tanzende Mädels im Bikini wird es hier nicht zu sehen geben. Ich trage meine Bedenken vor. Pudding möchte sich lieber noch ein wenig umschauen bevor er irgendwo einkehrt. Olli hat sowieso kein Geld und die einzige Frau, der Jochen beim Tanzen zuschauen möchte, ist Susan. Für Heiko und Himo ist die Entscheidung aber gefallen. Also wünschen sie uns viel Spaß und verschwinden in Richtung der Türsteher.

Pudding, Olli, Jochen und ich sind auf der anderen Seite der Hauptstraße unterwegs und laufen auch hier durch kleine Gassen, in denen sich eine Bar an die andere reiht. Im Vorbeigehen hört man laute Musik aller Stilrichtungen und Stimmengewirr in allen möglichen Sprachen. Wie soll man sich da entscheiden? Gute Laune scheint beinahe überall zu herrschen. Hätten wir vielleicht doch ins »Bumpers« mitkommen sollen? Eine kleine Orientierungshilfe bieten handgeschriebene Tafeln vor den Etablissements. Dort sind meist die wichtigsten Getränkepreise, Happy Hour Zeiten sowie dargebotene Musikrichtungen oder sogar konkrete Bandnamen in Kreide angeschrieben. Bisher hat uns allerdings noch keine Tafel überzeugt.

Plötzlich versperrt uns ein junger Typ den Weg. Er trägt kurze Hosen, Springerstiefel und Lederjacke. Um den Kopf hat er ein Bandana gewickelt. Er deutet auf mein Metallica-Shirt und spricht uns auf Deutsch an:

»Ihr hört Metal? Dann seid ihr hier richtig!«

Er deutet auf einen Pub zu unserer Rechten. Das »Village Inn«. Durch die winzigen, holzgerahmten Fenster kann man nicht erkennen was drinnen vor sich geht, aber die Klangkulisse und die Meute, die lachend mit Bierflaschen und Gläsern auf ein paar Stühlen davor sitzt, sprechen eine eindeutige Sprache. Wir nicken und er führt uns zum Eingang. Langsam kann ich zwischen den Unterhaltungen der Leute den Song erkennen, der drinnen läuft und ich bin mir sicher, dass wir hier richtig sind.

Dann macht der Kerl die Tür auf und die Hölle bricht los!

Der Pub ist voll und es ist heiß, stickig und verqualmt. Im Halbdunkel erkenne ich eine Menge Metal-Shirts. Ihre Träger haben meist ein Bier in der Hand und schütteln, egal ob langhaarig oder nicht, die Köpfe im Stakkato-Takt von Metallicas »Battery«. Ich schaue meine Jungs an, sie grinsen und nicken zustimmend.

Das ist unser Laden!

Währenddessen, kämpft sich der Lederjacken-Werber zum Barkeeper durch, spricht kurz mit ihm und deutet auf uns. Daraufhin erhält er anscheinend sein Kopfgeld – in großes Glas Bier. Es sei ihm gegönnt. Ich bin ihm jedenfalls dankbar.

Wir suchen uns einen Stehplatz auf der kleinen Bühne gegenüber der Bar und beobachten erstmal das Treiben. Hier scheinen sich Gleichgesinnte aller Nationalitäten versammelt zu haben und feiern ihre Lieblings-Musik. Ausstattung und Theke sind in dunklem Holz gehalten. Über dem Tresen hängen kleine gusseiserne Laternen, die bedenklich hin und her schwingen. Gleich wird uns auch klar warum. Sobald der Refrain des Songs ertönt und die ganze Kneipe geschlossen »Battery« brüllt, haut einer der Barkeeper mit voller Wucht auf die Lampen und einige der Gäste tun es ihm gleich. Wir lachen uns platt. Pudding quetscht sich an die Bar und bestellt eine Runde für uns. Neben den beiden männlichen Barkeepern arbeiten dort auch noch zwei junge Frauen. Eine blond, eine dunkelhaarig, beide braungebrannt und verdammt hübsch. Die Blonde überreicht Pudding vier große Gläser Bier. Als er zurückkommt und die Getränke verteilt schreit er uns zu:

»Leck mich am Arsch! So ,ne Frau bedient in so einem Laden. Ich dreh durch!«

Wir stimmen ihm zu.

Ein weiteres Gespräch ist kaum möglich. Pudding ist von uns momentan der einzige, der mit seinem Organ halbwegs gegen Metallicas Thrash-Gewitter anstinken kann.

Rund zwei Stunden später bin ich immer noch gefangen von der Atmosphäre in dem Laden. Um die dargebotene Musik gut zu finden, bräuchte ich gar nicht so viel Bier und Sangria im Blut, aber dermaßen ausgestattet singe ich ausgelassen beinahe jedes Stück mit, egal ob ich den Text beherrsche oder nicht.

Als es kaum noch besser werden kann, legt der DJ »Angel of death« auf. Wir schreien uns sofort euphorisch »SLAAYYYEEER« entgegen, fangen an wild zu bangen und bearbeiten die Luftgitarren. Das Publikum dreht komplett durch. Irgendjemand schleudert sein Bier quer durch den Raum und die Lampen werden in Bewegung geprügelt. Der Barkeeper an der Zapfanlage reißt das Abtropfblech aus der Theke und hämmert damit auf den gekachelten Tresen ein. So verbeult, wie das Ding aussieht, scheint das oft zu passieren. Währenddessen haben sich die zwei Superfrauen mit großen Wasserpistolen bewaffnet und feuern damit in die aufgeheizte Menge. Was für ein Schauspiel.

Paradise City?

Ach was! Das hier ist der verdammte Himmel auf Erden!

Gegen vier Uhr morgens stehen wir, immer noch aufgekratzt, im Wohnzimmer des Nichtraucher-Apartments und teilen die letzten Warsteiner Dosen sowie einige winzige Flaschen Estrella, die ich an einem Automaten gekauft habe. Das »Village Inn« hat um drei Uhr die Pforten für heute geschlossen. Himo und Heiko sind auch wieder da und erzählen uns von den weiteren Erlebnissen ihres Abends. Sie haben sich im Bumpers prächtig amüsiert und berichten mit glänzenden Augen von einem riesigen Aquarium unter der Tanzfläche und den Darbietungen der GoGo-Girls.

»Hört sich ganz gut an, aber morgen müsst ihr mit in unseren Laden! Sowas habt ihr noch nicht erlebt!«, starte ich unseren ­Bericht. Dann reden wir zu viert auf Himo und Heiko ein:

»Village Inn, Mann!«

»... nur Durchgeknallte drin ....«

»... zwei Schnitten hinter der Theke, Mannomann ...«

»... SLAAAYYYEERR! ...«

»Und dann kloppen die an die Lampen wie die Irren. Andauernd! Ungefähr so!«

Pudding holt weit aus und versetzt der Lampe über dem Tisch einen Schlag. Im gesamten Apartment wird es stockdunkel.

Der Strom ist weg.

German Tourist

Подняться наверх