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KAPITEL 6

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Die Frage, was mit Jane zu tun sei, entwickelte sich zu einer längeren Debatte.

»Wenn wir gewußt hätten, daß sie es nicht schafft, hätten wir sie besser im Flugzeug gelassen. Das hätte ihre Identifizierung später erleichtert«, sagte Frazer. »Die Bergungsmannschaft hätte nur die Sitznummer mit der Passagierliste vergleichen müssen, um zu wissen, wer sie ist.«

»Jetzt muß man eben nachsehen, auf welchen Plätzen Passagiere fehlen«, hielt Zach ihm entgegen. »Ich jedenfalls bin nicht bereit, sie wieder den Berg hinaufzuschleppen, nur um der Fluggesellschaft die Suche zu erleichtern.«

»Seht mich bloß nicht so an«, wehrte Gavin ab. »Nicht für eine Million Dollar schleppe ich eine Leiche den Berg hinauf.«

»Moment mal«, mischte Kelly sich ein. »Waren Sie es nicht, der auf dem Plateau ein Signalfeuer anzünden wollte?«

»Ich hab es mir anders überlegt. Ein Feuer am Strand ist ebenso gut.«

Kelly schmunzelte. »Wissen Sie eigentlich, daß Sie damit den Aberglauben bestärken, Schwarze hätten Angst vor Gespenstern? Wie haben Ihre Vorfahren die Toten genannt? Spukgestalten?«

»Die Weiße Frau?« meinte Roberts mit einem unheimlichen Lachen und ließ die Handschnellen klirren, mit denen er wieder an der Palme gefesselt war.

»Ich pfeife drauf, wie man sie nannte oder ob ich einem alten Aberglauben nachhänge«, entgegnete Gavin gereizt. »Ich weigere mich entschieden, mich neben Toten aufzuhalten. Wenn ich das wollte, wäre ich Leichenbestatter geworden wie mein Onkel Calvin.«

»Ich bin für eine Seebestattung«, sagte Zach. »Das ist eine saubere Sache. Und man muß auch nicht befürchten, daß ein Tier die Leiche ausgräbt. Wir könnten sie weit hinausbringen, bis sie von der Strömung ins offene Meer getrieben wird.«

»Und man muß kein Grab schaufeln«, meinte Alita.

»Nein«, wehrte Kelly entschieden ab. »Dann hätte die Bergungsmannschaft keinen Anhaltspunkt für ihre Identifizierung. Kein Gebiß oder sonst etwas. Wir müssen an die Familie der Toten denken. Mit Sicherheit wollen die Verwandten sie überführen und in ihrer Heimatstadt begraben.«

»Im übrigen«, fügte Blair hinzu, »dürfte es auf dieser Insel keine großen Tiere geben, die die Leiche ausscharren. Wenigstens nichts Größeres als Echsen oder Vögel.«

Zach bedachte sie mit einem finsteren Blick »Sie können einem mit Ihrer Schulweisheit ganz schön auf den Wecker fallen. Ich wette, Sie bringen damit auch Ihren Man zur Verzweiflung.«

Blair begegnete seinen kränkenden Worten mit stolzer Arroganz. »Anton ist gebildeter als ich. Er ist Professor an der Laval University in Quebec.«

Schließlich wurde Jane in einiger Entfernung begraben, unter den Bäumen neben einer hohen Palme, deren Stamm im schrägen Winkel zum Wasser wuchs. Daran würde man später die Grabstelle leichter erkennen können. Die Stelle lag außerdem ein gutes Stück über der Gezeitenmarke und war einigermaßen vor Wind und Regen geschützt. Die Männer benutzten Kokosnußschalen, um das Grab auszuheben, die Frauen pflückten tropische Blumen und schmückten den Grabhügel damit. Wynne hielt eine kurze anrührende Totenfeier und schloß alle Opfer in ihr Gebet ein, die bei dem Absturz ums Leben gekommen waren. Danach kehrte die Gruppe stumm und bedrückt zum Lager zurück, jeder in Gedanken über sein eigenes Schicksal versunken, halb erleichtert, halb schuldbewußt, dem Tod mit knapper Not entronnen zu sein.

Das Frühstück bestand aus Kokosnüssen und Bananen, eine Kost, die eintönig zu werden begann. Gavin suchte immer wieder den Himmel mit Blicken ab. »Sollten wir nicht bald Anzeichen hören oder sehen, daß man die Suche eingeleitet hat?« meinte er besorgt. »Mittlerweile muß die Maschine doch vermißt werden. Wieso sucht man nicht nach uns?«

»Die Suche ist mit Sicherheit bereits eingeleitet«, sagte Frazer. »Aber der Ozean ist groß, und es gibt Tausende winziger Inseln. Vielleicht sind wir in der Gewitterfront vom Kurs abgekommen. Es wird noch eine Weile dauern, ehe wir entdeckt werden.«

»Bis dahin müssen wir allein zurechtkommen«, bemerkte Zach resigniert. »Das Wichtigste ist, Süßwasser zu finden. Gestern hat es geregnet. Also müßte es doch wenigstens ein paar Pfützen geben.«

»Das Regenwasser ist im Sand versickert«, klagte Kelly.

»Hier am Strand schon. Aber da drin«, Zach wies in das üppige Grün, »ist der Boden hart und felsig. Seht euch doch die Dschungelvegetation an, all die Blumen und saftigen Blattpflanzen! Und die Vögel müssen doch auch irgendwoher Wasser bekommen.«

»Vielleicht bringen Sie einen dazu, uns eine Wasserstelle zu verraten«, witzelte Roberts. »Papageien können schließlich reden.«

»Sie lernen nur, die menschliche Sprache nachzuahmen«, erklärte Blair. »Auch Sittiche und Kakadus, von denen es hier eine Menge zu geben scheint. Ich bezweifle aber, daß sie vor uns jemals Menschen gesehen haben, noch dazu solche wie Sie.«

Roberts feixte. »Sie halten sich wohl für verdammt klug, was? Mal sehen, wo Ihre Überheblichkeit bleibt, wenn Sie aus einer Pfütze trinken müssen.«

»In der Not frißt der Teufel Fliegen. Ich würde sogar aus einem Pißbecken trinken, und zwar mit großem Genuß«, gestand Gavin.

»Sollten wir uns nicht eine Art Notsignal ausdenken?« fragte Kelly, um das Thema zu wechseln. »Beispielsweise Brennmaterial für ein Feuer aufstapeln?«

»Oder etwas in den Sand schreiben. Das hab ich mal in einem Film gesehen«, steuerte Alita bei.

»Was würden Sie denn schreiben?« fragte Frazer grinsend. »Schickt Kaviar und Champagner?«

Sie funkelte ihn böse an. »Ich dachte eher an das Wort ›Hilfe‹.«

»Versucht es mit SOS. Das ist international«, schlug Wynne vor. »Und es liest sich von allen Seiten gleich.«

Zach war beeindruckt. »Prima, Wynne. Sie sind eine praktische Frau!«

Man kam überein, den Notruf in den Sand zu schreiben. Die Buchstaben wurden aus Kokosnußschalen zusammengesetzt, von denen genügend herumlagen. Außerdem schichteten sie einen Scheiterhaufen auf, wozu Treibholz, Baumrinde, getrocknete Kokosnußschalen und welke Palmzweige gesammelt wurden und alles, was sich sonst noch als Brennmaterial eignete.

Während die anderen mit diesen Aufgaben beschäftigt waren, machten Zach und Gavin sich auf, den nördlichen Teil der Insel noch einmal zu erkunden. Sie kehrten ein paar Stunden später schweißtriefend und erschöpft zurück.

»Wir sind weit genug hinaufgeklettert, um festzustellen, daß an keiner Stelle zwischen den Felswänden ein Hafen verborgen ist«, berichtete Zach entmutigt. »Es war der einzige Teil, den ich letzte Nacht nicht erforscht habe.«

»Wenn es an der Küste keinen Hafen gibt, ist die Insel wohl tatsächlich nicht besiedelt«, sagte Gavin.

»Sie haben recht«, bestätigte Blair. »Inselbewohner ernähren sich hauptsächlich vom Fischfang. Es müßten irgendwo Fischerboote herumliegen oder Netze, die durch seichtes Wasser gezogen werden. Irgendwelche Gerätschaften in der Nähe des Wassers.«

»Das heißt, wir sind mutterseelenallein hier auf dieser gottverlassenen Insel«, murmelte Kelly. »Und können nur hoffen, daß uns jemand zufällig entdeckt.«

Zach nickte. »So sieht es aus. Kein Telefon, kein Swimmingpool, keine Hütte. Wir sind auf unseren Erfindungsgeist angewiesen.«

Kelly lachte bitter. »Welche Ironie! Wie oft habe ich mir gewünscht, alles hinzuschmeißen und auf eine einsame Insel zu fliehen! An irgendeinen Ort, wo es nichts als Sand, Meer und Sonne gibt, um nach Herzenslust zu faulenzen und nichts vom täglichen Streß zu hören und zu sehen. Kein Telefon, kein Fernsehen, kein Faxgerät, kein Computer.«

»Kein Verkehrsstau«, fügte Blair hinzu. »Kein Zeitdruck, keine Waschmaschine, die im falschen Moment den Geist aufgibt.«

»Kein Gehetze von einem Termin zum nächsten«, seufzte Frazer. »Nicht nach der Pfeife anderer Leute tanzen müssen.«

Zach nickte. »Kein Fertigungstermin. Kein Ärger über Baumaterial, das nicht rechtzeitig oder fehlerhaft geliefert wurde.«

»Keine Stubeninspektionen. Kein Ausbilder, der herumbrüllt, kein aufgeblasener Leutnant, der sich aufführt, als sei er Napoleon persönlich. Keine Befehle, kein Schlangestehen – vom Essenfassen bis zur Latrine«, zählte Gavin weiter auf.

Roberts vervollständigte die Liste. »Kein Gefängnis, keine Aufseher. Wenn ihr mir bloß diese verdammten Dinger abnehmen würdet, wäre das hier für mich das Paradies!«

»Machen Sie sich doch nichts vor«, hielt Alita ihm entgegen. »Diese Sandbüchse ist doch ein einziges Gefängnis ohne Gitter. Hier kommen Sie nicht weg.«

»Mich stört das nicht. Ich tausche gerne ein paar Bequemlichkeiten für meine Freiheit. Ich käme mir vor wie auf einem langen Jagd- und Angelausflug.«

»Ich brauch meinen Komfort!« jammerte Alita schmollend. »Ich habe mir das alles hart erarbeitet, und es steht mir zu. Ich vermisse meinen Swimmingpool und meine Designerklamotten. Und meine sagenhaften Bühnenkostüme.« Sie hielt erschrocken inne, ihr Mund formte ein stummes O. »Mein Konzert!« kreischte sie. »Das darf ich nicht verpassen! Das ist unmöglich. Ich habe noch nie eine Show ausfallen lassen.«

»Na und?« entgegnete Gavin sarkastisch. »Seit heute morgen sechs Uhr bin ich als ›unerlaubt von der Truppe entfernt‹ gemeldet. Das stört meine Vorgesetzten vermutlich mehr als Ihre Fans.«

»Du lieber Himmel!« entfuhr es Kelly. »Als hättet ihr das selbst verschuldet. Unter den gegebenen Umständen hat doch wohl jeder Verständnis. Und wenn ihr wieder zurück seid, vollführen alle Freudentänze – falls wir je von diesem Sandhaufen wegkommen.«

»Wer vermißt Sie, Kelly Kennedy?« fragte Zach. »Gibt es einen Ehemann, der sich vor Sorge um Sie die Haare rauft?«

Kelly rümpfte die Nase. »Nur einen künftigen Exmann, der sich vermutlich schon die Hände reibt, weil er denkt, er erbt alles, was ich besitze. Aber meine Eltern und mein Bruder machen sich Sorgen um mich. Nein, nicht Brad. Wie ich ihn kenne, verbirgt er seine Genugtuung selbstverständlich geschickt, um seinem Ruf nicht zu schaden. Ich könnte mir vorstellen, er dementiert bereits, daß ich die Scheidung eingereicht habe, und gefällt sich in der Rolle des trauernden Witwers. Dieser selbstgefällige Affe!«

Dann richtete sie die gleiche Frage an ihn. »Und Sie, Zach?«

»Ich bin seit drei Jahren Witwer. Und ich habe wirklich um meine Frau getrauert.«

Kelly schämte sich für ihre taktlose Bemerkung. »Tut mir leid, Zach! Das konnte ich nicht ahnen. Ich wollte keine schmerzlichen Erinnerungen wachrufen.«

Er zuckte die Achseln. »Ich mache mir im Augenblick mehr Sorgen um meine Tochter. Und um meinen Dad. Er ist nicht gesund. Er hat ein schwaches Herz. Wenn er glaubt, ich sei umgekommen, könnte das seinen Tod bedeuten. Ich kann nur beten, daß er die Hoffnung nicht aufgibt, bis wir gerettet sind.«

»Guter Gott!« platzte Blair mit großen Augen heraus. »Sie haben recht! Mittlerweile hält man uns vermeintlich für tot! Meine armen Kinder! Mein armer Anton!«

»Nun mal langsam! So weit ist es noch nicht«, erklärte Frazer laut und vernehmlich. »Bis jetzt ist nur bekannt, daß die Maschine nicht rechtzeitig gelandet ist und wir irgendwo über dem Pazifik verschwunden sind. Es werden Vermutungen angestellt, daß wir abgestürzt sind, aber das bedeutet noch lange nicht, daß man die Maschine automatisch abschreibt. Zunächst wird geprüft, ob das Flugzeug entführt wurde oder eine Terrororganisation sich zu einem Bombenanschlag bekennt. Man wird Aufklärungsflugzeuge ausschicken. Die werden nach Überlebenden suchen und uns finden.«

Um die Mittagszeit wurde die sengende Hitze unerträglich, und man suchte Zuflucht im Schatten der Palmen, um keinen Hitzschlag zu erleiden. Wenige Stunden später schlug Zach vor, sich erneut landeinwärts auf Wassersuche zu begeben. Er und Gavin kamen überein, die Gruppe müsse in breiter Front ausschwärmen, wie bei der Army, wenn es galt, einen Vermißten zu suchen. Auch Frazer wollte sich trotz seines verletzten Beins an der Suche beteiligen. Wynne erklärte sich gern bereit, bei Sydney, Roberts und dem immer noch bewußtlosen Jugendlichen zurückzubleiben. Bald war die sechsköpfige Schar mit Stöcken bewaffnet, um sich einen Weg durch den dichten Busch zu bahnen. Zach gab Verhaltensregeln. »Wir gehen landeinwärts. Haltet möglichst großen Abstand von euren Nachbarn links und rechts, bleibt aber in Sicht- und Hörweite. Sucht den Boden möglichst genau ab. Unter dem dichten Bewuchs kann ein kleiner Teich oder ein Bach verborgen sein. Meldet, wenn ihr etwas entdecken, aber redet nicht unentwegt miteinander Horcht auf das Plätschern von Wasser. Vielleicht kann man es auch riechen. Wenn der Boden glitschig oder weich wird, macht eure Nachbarn darauf aufmerksam. Es könnte bedeuten, daß ihr auf eine unterirdische Quelle gestoßen sind, es kann aber auch bedeuten, daß ihr in Treibsand geraten, falls es so etwas hier gibt.«

Alle Augen wandten sich mit fragenden Blicken an Blair, die diesmal ratlos die Schultern hob. »Da bin ich überfragt. Keine Ahnung, ob es hier Treibsand gibt.«

»Also seid vorsichtig«, warnte Zach erneut. »Achtet darauf, wohin ihr tretet. Alle zehn Minuten melden wir uns, um sicherzugehen, daß niemand zurückgeblieben ist. Achtet auch auf andere Dinge, die darauf hinweisen könnten, daß hier schon mal Menschen waren. Dosen, Flaschen, Aschenreste einer Feuerstelle, vielleicht ein alter Schuh. Es wäre ja möglich, daß jemand nur gelegentlich zum Fischen auf die Insel kommt.«

Sie nahmen in einer breiten Reihe Aufstellung, abwechselnd ein Mann und eine Frau, und marschierten los. Aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit waren alle innerhalb weniger Minuten in Schweiß gebadet. Da in den dichten Dschungel keine Brise vom Meer her drang, stürzten sich die Insekten in dichten Schwärmen auf die Eindringlinge. Kelly setzte sich über Zachs Anweisung, nicht zu sprechen, hinweg und knurrte: »Einen Waldspaziergang hab ich mir anders vorgestellt.«

Rechts von ihr maulte Gavin: »Krieg ich für diesen Gewaltmarsch eigentlich Sonderzulage oder was?«

»Sie kriegen gleich einen kräftigen Tritt in den Hintern, wenn Sie nicht den Mund halten«, versprach Zach.

»Der Mann hat Ohren wie eine Fledermaus!«

Kelly kicherte. »Lang und spitz?«

»Das habe ich gehört. Haltet den Mund! Paßt lieber auf!«

»Aye, aye, Sir!«

Beim ersten Appell zeterte Alita verdrießlich. »Si! Und außerdem hab ich mehr Blasen an den Händen als Fingernägel. Aber wen interessiert das schon, he? Wie ich es hasse! Wenn ich im Urwald herumkriechen wollte, hätte ich in Mexiko bleiben können.«

Kurz darauf stieß Blair einen schrillen Schrei aus. Alle wollten ihr erschrocken zu Hilfe eilen, doch sie lachte verlegen und entschuldigte sich. »Okay. Schon gut! Es war nur eine Echse. Sie kam unter einem Felsen hervorgeschossen und hat mich zu Tode erschreckt. Ich glaube, es war ein Skink, oder vielleicht ein riesiger Gecko.«

»Das arme Tier ist vermutlich aus der Haut gefahren vor Angst«, meinte Frazer. »Ich wäre jedenfalls fast tot umgefallen vor Schreck bei Ihrem hysterischen Geschrei.«

»Kann man so etwas essen?« wollte Zach wissen.

Die Frage wurde mit einem im Chor gebrüllten »Nein!« beantwortet.

Sie schleppten sich weiter. Nach dem zweiten Appell verkündete Frazer: »Hey! Ich glaube, ich hab’ was gefunden!«

»He?« fragte Gavin verständnislos.

»Was zu essen«, erklärte Frazer. »Etwas Eßbares.«

Alle kamen näher. Frazer deutete auf einen Baum, von dem gurkenähnliche grüne Früchte hingen, manche bis zu dreißig Zentimeter lang.

»Was ist das?« fragte Kelly und beäugte die Gebilde argwöhnisch.

»Brotfrucht. Die gibt es massenweise in den Tropen«, erklärte Frazer. »Ich habe sie schon mal gegessen, bei einer Zwischenlandung auf den Fidschi-Inseln. Schmecken gar nicht schlecht, ein bißchen wie Kartoffeln. Gebacken sehen sie aus wie Brot.«

»So sieht Brotfrucht also aus«, stellte Blair interessiert fest. »Ich habe schon davon gehört, aber noch keine gesehen. Man kann sie braten oder kochen, hab ich gelesen.«

Mit Stöcken schlugen Gavin und Zach einige der Früchte von den Zweigen. »Zu dumm, wir haben nichts mitgebracht, worin wir sie tragen könnten«, sagte Alita.

»Kein Problem«, meinte Zach. »Wir machen aus den Hemden von Gavin und Frazer und aus Kellys Jacke Säcke.«

Kelly wich einen Schritt zurück. »Keine Chance. Ich ziehe meine Jacke nicht aus.«

Er runzelte die Stirn. »Wieso? Sie müssen doch vor Hitze umkommen. Sie sehen aus, als würden sie jeden Augenblick umkippen.«

»Sie sind in Modefragen nicht auf dem laufenden«, erklärte sie. »Ich ziehe die Jacke nicht aus, weil ich nur ein Kamisol darunter trage und keine Bluse.«

»Na und? Wo ist der Unterschied? Was ist ein Kamisol?«

»So etwas wie die obere Hälfte eines Unterrocks«, erklärte Blair in ihrer auskunftsfreudigen Art.

Zach trat näher. Sein Blick wanderte über Kellys Busen, heftete sich mit wachem Interesse und einem verräterischen Funkeln in den goldbraunen Augen auf das hervorblitzende Dreieck des Kamisols. Bei näherem Hinsehen stellte er fest, daß der himbeerrote Stoff zwar nicht völlig durchsichtig, aber sehr dünn und glänzend und oben mit einem breiten Spitzenbesatz verziert war. Er beugte sich vor und raunte mit rauchiger Stimme, nur für Kellys Ohren bestimmt: »Ich würde mir dieses Kamisol gern mal näher ansehen. Später. Wenn wir unter uns sind.«

Kelly starrte ihn an, sprachlos über diesen unerwarteten Annäherungsversuch, obgleich sie sonst bei zweideutigen Angeboten nicht in Verlegenheit geriet. Seit fünf Jahren hatte sie Avancen von Männern strikt abgelehnt. Doch plötzlich schoß ihr der Gedanke durch den Kopf, sich mit dem gutaussehenden Typ auf einen Flirt einzulassen – was an sich eine absurde Vorstellung war. Er schien ein echter Macho zu sein, für ihren Geschmack zu dominant und zu sehr von sich eingenommen. Zugegeben, er sah blendend aus, aber einen eitlen, herrschsüchtigen Mann brauchte sie im Moment so dringend wie die Masern.

Andererseits, für ein zeitlich befristetes Inselabenteuer mochte dieser Zach durchaus geeignet sein. Was wäre besser geeignet, um ihr angeschlagenes Selbstbewußtsein wiederherzustellen als ein gutaussehender Mann?

Endlich schaffte sie es, ihren Verstand wieder in Gang zu setzen. »Klar«, gab sie forsch zurück. »Sie können mein Kamisol gern waschen, wenn wir Wasser gefunden haben. Aber ich will es wieder haben. Und wenn Sie es anprobieren wollen und die Nähte zerreißen, werde ich stinksauer!«

In seinen Augen tanzten amüsierte Funken. »Ich hatte eigentlich an etwas anderes gedacht. Im Augenblick wäre ich aber schon zufrieden, wenn Sie die Jacke in die Hose stecken.«

»Warum?«

»Tun Sie mir den Gefallen, bitte.«

Mit einer seitlichen Drehung knöpfte sie sich die Hose auf, steckte die Leinenjacke hinein und zog den Reißverschluß wieder hoch. So ausgestopft gab sie mit Sicherheit kein besonders vorteilhaftes Bild ab und wunderte sich noch, wieso Zach diese abwegige Bitte geäußert hatte, als er ihr schon das Revers nach vorn zog und zwei lange Brotfrüchte hineinsteckte, die das Jackett ausbeulten.

Alita brach in schallendes Gelächter aus. »Hah! Sie sehen aus wie ein Känguruh mit einem riesigen Beutel!«

»Genau, wie ein Wallaby!« kicherte auch Frazer.

»Euch wird das Lachen gleich vergehen«, meinte Zach und näherte sich dem Steward. »Sie sind der Nächste.« Damit schob er auch ihm zwei Brotfrüchte ins Hemd und wandte sich an den Korporal.

Blair wieherte vor Lachen. »Ich wollte immer mal wissen, wie ein schwangerer Mann aussieht. Genauso lächerlich, wie ich es mir vorgestellt habe!«

Kelly wurde von dem allgemeinen Gelächter angesteckt. »Ich wollte, ich hätte meine Kamera mitgenommen. Wenn wir zum Lager zurückkommen, mach ich ein Foto von Euch, ehe ihr das Zeug ausladet!«

»Sie müssen auch ein Foto von Alita machen«, meinte Blair. »Ich wette, ihre Fans haben sie noch nie so zerrupft gesehen.«

»Sie sollten sich selbst ansehen, kleiner Schmutzfink«, gab Alita bissig zurück. »Sie sehen aus wie einer der sieben Zwerge nach einem Tag im Kohlebergwerk. Und Sie ...«, damit zeigte sie mit einem abgebrochenen Fingernagel auf Kelly, »Sie sehen aus wie ...«

»Wie ein freches Gassenkind«, unterbrach Zach die Mexikanerin, fuhr Kelly mit den Fingern durch die Haare und verwuschelte sie noch mehr.

»Na prima!« brummte Kelly und verzog das Gesicht. Damit konnte sie sich die Idee, mit Zach ein flüchtiges Abenteuer zu beginnen, im wahrsten Sinne des Wortes in die Haare schmieren. Der Sexprotz hatte sie abfällig Gassenkind genannt. Und sie fühlte sich auch wie eins. Sie war völlig verdreckt. Ihr Haar war zerzaust, ihr Make-up verschmiert, ihre Kleider waren zerrissen. Sie entsprach genau der Vorstellung, die ein Mann von einer Liebesgöttin hatte! Er hatte sich mit seiner Bemerkung, sich ihr Kamisol näher ansehen zu wollen, offenbar nur über sie lustig gemacht. Es war nur dummes Gerede gewesen.

Eigentlich schade. Ihre Ehe war gescheitert, ihr Selbstwertgefühl ein Scherbenhaufen. Statistisch gesehen war sie reif für eine heiße Affäre. Zach wäre im Grunde genau die richtige Medizin gegen ihr Leiden gewesen. Groß, dunkel, gutaussehend, kräftig gebaut, durchtrainiert – mit dem gewissen Etwas, einer erotischen Ausstrahlung, die ihrer Weiblichkeit schmeichelte. Sie bekam schwache Knie, ihr wurde flau im Magen und schwindelig im Kopf. Kurzum, sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Auch verschwitzt und verdreckt wirkte er erstaunlich attraktiv – während sie aussehen mußte wie etwas, das die Katze nicht mal ins Haus schleppen würde!

Es paßte wieder mal alles zusammen. Was konnte sie schon erwarten? Seit Monaten war sie vom Pech verfolgt, das Schicksal teilte ihr nur schlechte Karten zu.

Insel der Versuchung

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