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KAPITEL 3

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Kelly sackte schlotternd in die Hocke und starrte mit vor Entsetzen geweiteten Augen auf das flammende Inferno. Tränen strömten ihr haltlos übers Gesicht. »Barmherziger Gott«, murmelte sie.

»Wir haben es geschafft«, beruhigte Zach sie. »Mit knapper Not, aber wir haben es geschafft.«

»Glauben Sie, es gibt noch ...?« Die Stimme versagte ihr.

»Nein«, antwortete Zach tonlos. »Und wenn ... wir könnten nichts mehr für sie tun.«

»Vermutlich nicht. Aber allein der Gedanke, daß da drin noch ...« Sie erschauerte. »Gütiger Himmel! Die armen Menschen. Was für ein schreckliches Ende!«

»Versuchen Sie nicht daran zu denken«, riet Zach.

»Leichter gesagt als getan«, seufzte die zierliche Frau neben ihm. »Dieses Erlebnis wird mich ewig in meinen Alpträumen verfolgen.«

»So ergeht es uns allen«, bestätigte der Soldat dumpf.

Die kleine Gruppe Überlebender sah sich die Szene des Grauens für eine Weile an, jeder einzelne in seine düsteren Gedanken versunken, bis einer der Verletzten vor Schmerz aufstöhnte.

»Wie lange wird es dauern, bis eine Rettungsmannschaft uns findet?« fragte Alita.

»Das hängt ganz davon ab, wo wir sind«, antwortete der Steward. »Wenn wir Glück hatten und die Maschine auf eine bewohnte Insel gestürzt ist, findet man uns vielleicht schon in ein paar Stunden.«

»Vermutlich sind Sie diese Route schon öfter geflogen«, sagte Zach. »Haben Sie eine Ahnung, wo wir sein könnten?«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Irgendwo auf halber Strecke zwischen Neuseeland und Hawaii in der Polynesischen Inselkette. Der Pazifik ist hier mit Tausenden winziger Atolle und Inseln übersät, von denen nur etwa ein Drittel bewohnt ist. Ich kann Ihnen beim besten Willen nicht sagen, auf welche wir gestürzt sind.«

Der Verletzte lag inzwischen bewußtlos auf dem Boden und stöhnte wieder. Zach runzelte die Stirn. »Wir sollten ins Tal absteigen. Vielleicht treffen wir unterwegs auf eine Bergungsmannschaft. Ich halte es nicht für ratsam, noch länger hier oben zu bleiben.«

Der Corporal widersprach. »Wenn man eine Rettungsmannschaft ausschickt oder ein Flugzeug, das nach Überlebenden sucht, sieht man uns hier oben besser.«

»Aber nur, wenn unsere ungefähre Absturzstelle bekannt ist«, wandte Zach ein und machte eine Geste zu den bewußtlosen Verletzten zu ihren Füßen, »ich bin zwar kein Mediziner, aber je früher diese Leute ärztlich versorgt werden, desto größer sind ihre Chancen durchzukommen. Wenn wir uns jetzt auf den Weg machen, können wir bis Sonnenuntergang das Meer erreichen. Vielleicht finden wir dort unten ein Dorf. Im übrigen halten wir es hier oben nicht lange ohne Nahrung und Wasser aus.«

»Vorausgesetzt, es gibt überhaupt etwas auf dieser Insel«, sagte der Steward skeptisch. Und auf Kellys fragenden Blick erklärte er weiter: »Viele dieser Inseln sind nicht besiedelt, weil die meisten nur aus einem Haufen erkalteter Lava bestehen, oder es sind Korallenriffe und tropischer Urwald.«

Wie sie es auch drehten und wendeten, ihre Situation war nicht sehr rosig.

»Ich bin dafür abzusteigen, solange wir sehen können, wohin wir treten«, schlug der Riese vor. »Ich hab nämlich keine Lust, im Dunkeln von einem wilden Tier angefallen oder von einer Schlange gebissen zu werden.«

»Schlangen?« kreischte Alita mit aschfahlem Gesicht.

»Oder noch Schlimmeres«, murmelte eine andere Stimme.

»Ich bin mit Zach und dem anderen einer Meinung«, beeilte sich Alita zu versichern. »Bringt mich so schnell wie möglich aus diesem Dschungel an einen hübschen, sauberen Strand. Ich will ein Telefon, Zimmerservice und ein Glas eisgekühlte Margarita ... und das alles möglichst schnell.«

»So ist es recht, Alita«, stellte Kelly verächtlich fest und kam mühsam auf die Beine. »Bleiben Sie sich treu und denken Sie immer nur an sich. Kümmern Sie sich bloß nicht um andere, denen es viel schlechter geht als Ihnen, auch wenn Sie aussehen, als hätte man Sie durch die Mangel gedreht.«

Alitas dunkle Augen verengten sich haßerfüllt. »Wenn ich Sie wäre, würde ich den Mund halten. Ihre Haare sehen aus wie eine aufgeplatzte Matratze, und Ihre Kleider, als hätten Sie sich in der Gosse gewälzt.«

»Na, wenigstens wurde ich beim Absturz nicht auf dem Klo mit heruntergelassener Unterhose überrascht«, gab Kelly bissig zurück. »Das muß ja ein reizender Anblick gewesen sein, wie Sie als Flipperkugel durch das Häuschen geschleudert wurden.«

Alita wollte sich mit ausgefahrenen Krallen auf Kelly stürzen, die in Kampfstellung ging. Zach trat schleunigst dazwischen. Mit einem abgewinkelten Arm wehrte er Alita ab, bis der Soldat sie festhalten konnte. Den anderen Arm schlang er um Kellys Mitte und hielt sie zurück.

»He! Hört sofort damit auf! Es ist jetzt wirklich nicht die Zeit für euer albernes Weibergezänk.«

Kelly versuchte, sich seinem Griff zu entwinden. Er rüttelte sie grob. »Es ist mein Ernst, Sie Zicke! Reißen Sie sich gefälligst zusammen!«

»Zicke?« schrie Kelly wütend. »Wen nennen Sie hier Zicke?«

»Sie, wen denn sonst?« Zach drehte sie zu sich um, und die beiden maßen einander mit wütenden Blicken. Plötzlich trat ein belustigtes Funkeln in seine Augen. »Wenn die Beule auf Ihrem Kopf noch größer wird, sehen Sie aus wie ein verdammtes Einhorn.«

Kelly suchte vergeblich nach einer scharfen Antwort, ihr gepeinigter Verstand ließ sie im Stich. Ihr Zorn legte sich ebenso schnell, wie er hochgekocht war. Sie leistete keinen Widerstand mehr. »Ich ... es tut mir leid. Ich weiß gar nicht, wieso ich mich so aufführe. Ausgerechnet in dieser Situation.«

Zach ließ sie zögernd los. »Vermutlich das Adrenalin«, meinte er ernsthaft. »Jeder reagiert in einer Krise anders.«

»Es ... ist alles wieder in Ordnung«, versicherte sie verwirrt.

Er zwang sich zu einem matten Lächeln. »Gut. Hauptsache, Sie drehen nicht durch. Wir müssen klaren Kopf bewahren und uns gegenseitig helfen.«

»Gehen wir jetzt endlich, oder was?« fragte der Riese mit seinem singenden Südstaatenakzent. »Oder wollen wir noch länger hier rumstehen?«

Es wurde abgestimmt. Nur der Soldat war gegen den Abstieg.

»Ich mach Ihnen einen Vorschlag, Corporal«, meinte Zach. »Sie helfen uns, die Verletzten runterzuschaffen. Und wenn Sie wieder raufklettern wollen, um ein Signalfeuer anzuzünden, nur zu! Im Augenblick ist es ratsamer, zusammenzubleiben.«

Drei aus der Gruppe, ein Mann, eine Frau und ein halbwüchsiger Junge, waren ohne Bewußtsein und bewegungsunfähig. Das linke Bein des Stewards war ziemlich zerquetscht. Mit fremder Hilfe hatte er es unter qualvollen Schmerzen bis auf das Plateau geschafft. Doch den beschwerlichen Abstieg würde er niemals bewältigen. Zach, der Corporal und der Riese hatten zwar keine ernsthaften Verletzungen, waren aber beileibe nicht ohne Blessuren davongekommen. Der Soldat hatte eine gebrochene Hand, Zach hatte sich die Schulter ausgerenkt und mit Sicherheit mehrere Rippen gebrochen. Der Riese hatte ein gebrochenes Nasenbein und am Kopf eine Beule von der Größe eines Tennisballs. Und das waren nur die sichtbaren Wunden.

Den Frauen erging es kaum besser. Kelly befürchtete, neben Schürfwunden und Blutergüssen eine Gehirnerschütterung zu haben. Ständig wurde ihr schwarz vor den Augen, und sie war ziemlich unsicher auf den Beinen. Alita hatte eine lange Schnittwunde am Bein und rieb sich den Ellbogen. Die alte Frau, immer noch in einem benommenen Schockzustand, hielt sich den Brustkorb. Die vierte Frau humpelte, ihr Fußknöchel war stark angeschwollen. Ihr Gesicht war mit kleinen Splitterwunden übersät, auf denen das getrocknete Blut kleine schwarze Blasen gebildet hatte. Das Kleinkind weinte zwar leise vor sich hin, schien aber das Unglück ansonsten unversehrt überstanden zu haben.

Schließlich willigte auch der Corporal zögernd ein.

»Okay, dann wollen wir mal überlegen«, meinte Zach. »Wir haben drei bewußtlose Personen und drei leichter verletzte Männer, die sie tragen können. Kelly, Sie kümmern sich um die alte Dame. Sie ist offenbar verwirrt. Nehmen Sie sie an die Hand und passen Sie auf, daß sie nicht allein loszieht und sich verläuft. Sie ...« Zach sah die zierliche Frau, die das Kind auf dem Arm trug, fragend an.

»Blair«, stellte sie sich vor. »Blair Chevalier.«

Zach nickte. »Blair, Sie tragen das Kind. Alita, Sie stützen den Steward.«

»Wenn wir einen Ast finden, den ich als Krücke benutzen kann, komm ich allein zurecht«, sagte der Mann.

»Kann mir jemand einen Teil der Sachen aus dem Bündel abnehmen?« fragte Kelly. »Es ist schwerer als ich dachte. Aber ich bin sicher, daß wir einiges davon brauchen werden.«

»Was denn zum Beispiel?« fragte der Gefangene mit einem verächtlichen Blick auf das pralle Bündel. »Lippenstift und Lidschatten?«

Kelly funkelte ihn böse an. »Nein, Sie ausgewachsener Riesenmacho. Aber Aspirin und Heftpflaster, vielleicht eine Pinzette und Sicherheitsnadeln, um einen Verband anzulegen. Und Tampons könnten uns helfen, Blut zu stillen.«

Das von Natur aus gerötete Gesicht des grobschlächtigen Kerls wurde noch um einige Schattierungen dunkler. »Okay. Hab begriffen.«

»Ich nehme Ihnen etwas davon ab«, bot Blair an. »Und wenn wir aus einer Jacke oder einer Decke einen Tragesack für das Kind machen könnten, kann ich es auf dem Rücken tragen, dann hätte ich die Hände frei.«

»Machen Sie ein zweites Bündel als Rucksack für mich«, bot der Steward an.

Kurze Zeit später war die Gruppe marschbereit. Alle drehten sich noch einmal um und warfen einen letzten Blick auf das brennende Flugzeug – sie dachten daran, daß sie mit knapper Not dem Schicksal der Toten im Wrack entronnen waren, und jeder schickte auf seine Weise Dankgebete zum Himmel für die wunderbare Rettung.

»Ob es eine Bombe war?« fragte Alita in die Runde.

»Der grelle Blitz weist darauf hin«, meinte Zach.

»Der Meinung bin ich auch«, pflichtete ihm der Steward bei. »Eine Explosion in der Maschine könnte die Stromversorgung unterbrochen und sämtliche Aggregate außer Betrieb gesetzt haben.«

»Hätte der Pilot in diesem Fall überhaupt noch SOS funken können?« Der Soldat sprach die Frage aus, die kein anderer zu stellen wagte.

Der Steward zuckte mit den Schultern. »Kaum. Die Funkverbindung war vermutlich sofort abgebrochen. Aber der Flugschreiber sendet möglicherweise noch Signale.«

»Glauben Sie?« fragte Kelly. »Auch nach dem Crash und dem Brand?«

Wieder zuckte der Mann mit den Achseln. »Möglich ist es. Timex hat einen guten Werbeslogan: Auch wenn die Uhr leck geschlagen ist, tickt sie noch.«

»Ihr Wort in Gottes Ohr«, bemerkte Blair düster und sprach damit den anderen aus dem Herzen.

Der Marsch war unwegsam und beschwerlich. Wie viele der Pazifikinseln vulkanischen Ursprungs war auch dieses Eiland aus erkalteter Lava entstanden. Die Felsen waren scharfkantig und spitz. Die Gruppe mußte sich einen Pfad durch dichte Vegetation bahnen, wodurch das Fortkommen sich auf ein Schneckentempo verringerte. Die Männer bildeten die Vorhut und wechselten einander ab, das dichte Gestrüpp mit Knüppeln, die sie wie Macheten schwangen, freizuhacken. Die Frauen folgten im Gänsemarsch.

Unter dem dichten Blätterdach bewegte sich kein Lüftchen. Die hohe Luftfeuchtigkeit machte das Atmen schwer. Die feuchten Kleider klebten an den naßgeschwitzten Leibern. Regennasse scharfkantige Blätter peitschten auf sie ein und fügten ihnen Schnittwunden zu. Kriechende und fliegende Insekten belästigten sie. Stechmücken surrten in dichten Schwärmen herbei und stürzten sich auf jedes Fleckchen nackter Haut. In das Schwirren der Insekten mischten sich krächzende Warnschreie tropischer Vögel, die von den Eindringlingen aufgeschreckt wurden.

Armdicke Schlingpflanzen wanden sich auf dem Boden zwischen Baumstämmen. Alita stakste auf ihren hohen Stilettoabsätzen durch den Dschungel und stieß dabei gotteslästerliche spanische Flüche aus. Nachdem sie das dritte Mal gestolpert war und sich an dem muskelbepackten Rücken des Südstaatlers festgekrallt hatte, blieb der Mann stehen. Wortlos klemmte er sich den Popstar wie eine junge Katze unter den Arm, hob sie hoch, zog ihr die Schuhe aus und knickte die zehn Zentimeter hohen Absätze ab wie Zahnstocher. Danach zog er ihr die Schuhe wieder an, stellte Alita ab und ging weiter, als sei nichts geschehen.

Alita erwachte aus ihrer Starre und fuhr hoch wie eine Rakete. »Sie Vollidiot!« kreischte sie. »Sie ... Sie blöder Ochse! Sie haben mir meine Zweihundert-Dollar-Schuhe ruiniert!«

»Verklagen Sie mich doch!« antwortete er und lachte. »Ich hab ja nichts dagegen, wenn Sie mir Ihre Titten alle zwei Minuten in den Rücken klatschen. Aber im Moment bin ich anderweitig beschäftigt, Schätzchen. Versuchen Sie es später noch mal, wenn ich ausgeruht bin.«

Kelly, die Alita mit der alten Dame und dem humpelnden Steward überholte, konnte sich eine spitze Bemerkung nicht verkneifen. »Man weiß ja nie! Vielleicht wird das ein neuer Trend, Slipper im Handumdrehen, Gomez!«

»Scheren Sie sich zum Teufel!« fauchte Alita. »Und dieser Riesenaffe auch!«

An einer kleinen Lichtung etwa auf halbem Wege ins Tal wurde eine kurze Rast gemacht. Zach hätte für eine Machete seine Seele verkauft. Seine Schulter schmerzte höllisch. Ihm war, als hätte man seine Knochen in eine Schraubzwinge geklemmt und eine Lötlampe daran gehalten. Er hatte sich die Schulter schon mal im College beim Football ausgerenkt, doch so schmerzhaft hatte er das nicht in Erinnerung. Der Junge, den er mitschleppte, war zwar ein Fliegengewicht, doch seine Bewußtlosigkeit machte ihn schwerer. Wenigstens war die linke Schulter ausgekugelt und nicht die rechte. Zach wußte nicht, wie lange er noch durchhalten würde.

Andererseits blieb ihm nicht viel anderes übrig. Genausowenig wie den anderen. Alle waren angeschlagen. Alle hatten Schmerzen. Alle standen unter Schock.

Kelly hockte keuchend neben der kleinen alten Dame. »Wo ist James?« murmelte die Frau tonlos vor sich hin. »Er ... er ist vorausgegangen, meine Liebe.« In den Himmel, ins Fegefeuer oder wohin wir auch gehen, wenn wir sterben, fügte Kelly stumm hinzu.

Die Frau nickte beruhigt. »Wir haben in Australien goldene Hochzeit gefeiert«, sagte sie mit einem verträumten Lächeln. »Wir sind seit fünfzig Jahren zusammen. Aber mir kommt es vor, als hätten wir gestern erst vor dem Traualtar gestanden. Wir sind Seelsorger, müssen Sie wissen. Wir sind als Missionare in der ganzen Welt herumgereist. Gute Taten werden immer belohnt, Miss ... wie war doch gleich Ihr Name?«

»Kelly. Kelly Kennedy.«

»Ah. Ein schöner irischer Name. Ich bin Wynne Templeton. Britisch bis in die Zehenspitzen. Aber ich war immer gegen den Krieg zwischen Iren und Engländern. Die Menschen müssen endlich lernen, friedlich miteinander zu leben. Das Leben ist zu kurz für Zank und Streit.«

Wynne reckte den Hals und schaute zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »James wird aufgehalten. Es ist gar nicht seine Art zu trödeln. Ich mache mir Sorgen um ihn. Er weiß, daß ich wegen seines schwachen Herzens beunruhigt bin. Ich wünschte, er würde sich beeilen.«

Kelly hatte große Mühe, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Dann fiel ihr Blick auf Zach, und sie sah, wie er das Gesicht beim Versuch, den linken Arm zu bewegen, schmerzhaft verzog.

»Ist es der Arm oder die Schulter?« fragte sie.

»Schulter«, preßte er zwischen den Zähnen hervor. »Ich glaube, sie ist nur ausgerenkt. Aber es tut höllisch weh. Schlimmer als ein Bruch.«

Kelly robbte zu ihm hinüber. »Was dagegen, wenn ich sie mir ansehe?«

Er beäugte sie argwöhnisch. »Ich denke, Sie leiten einen Schönheitssalon. Was verstehen Sie von einer Schulterverletzung?«

»Ich leite auch ein Fitneß-Studio und bin staatlich geprüfte Masseuse und Physiotherapeutin«, erklärte sie. »Mein Vater und mein älterer Bruder sind Orthopäden. Ich kenne mich mit Knochen, Sehnen und Muskeln besser aus, als Sie denken. Wenn die Schulter nur ausgerenkt ist, kann ich sie vielleicht wieder in die Gelenkpfanne schieben und Ihnen die Schmerzen erleichtern.«

»Oder verschlimmern«, meinte Zach skeptisch.

Kelly zuckte die Achseln. »Ihre Entscheidung. Ich will Ihnen nur helfen.«

Zach zögerte und sagte dann: »Okay.« Und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: »Versprechen Sie, ganz sanft mit mir umzugehen, Schätzchen? Ich laß mich nämlich nicht von jeder Frau ›massieren‹.«

Kelly kannte sämtliche anzüglichen Bemerkungen und dummen Witze über Entspannungsmassagen und ließ sich nicht davon beeindrucken, auch nicht, wenn sie von hochgewachsenen, dunklen, gutaussehenden Männern mit Glutaugen und Grübchenlächeln gemacht wurden. Sie verdrehte die Augen und entgegnete trocken: »Na logisch, das sagen sie alle. Genau wie alle sagen: ›Schatz, ich bring dir das Frühstück ans Bett.‹«

Zach grinste und zog eine Braue hoch. »Wollen Sie mit mir im Bett frühstücken?«

Sie schüttelte den Kopf. »Machen Sie sich keine Hoffnungen. Und nun lassen Sie den Quatsch und tun Sie, was ich Ihnen sage.«

Dem Südstaatler blieb der Mund offen stehen. Der Soldat lachte, und Blair kicherte. »Die zeigt euch, wo’s langgeht.«

Kelly legte Zach die flache Hand in den Nacken und zwang ihn sanft, den Kopf zu neigen. Mit kräftigen und gewandten Fingern tastete sie seine Halswirbelsäule ab, dann die Krümmung seines Schulterblattes, das Schlüsselbein und das Schultergelenk. Behutsam bewegte sie seinen Kopf nach hinten, nach links und nach rechts. Selbst diese sanften Bewegungen ließen ihn vor Schmerzen ächzen.

»Sie haben recht. Die Schulter ist aus der Gelenkpfanne gerutscht und nicht gebrochen. Setzen Sie sich gerade hin und halten den Kopf hoch. Nun beugen Sie den Rücken und die Schultern leicht vor. Gut. Atmen Sie ein paarmal tief ein und tief und langsam wieder aus. Entspannen Sie sich.«

»Warnen Sie mich, bevor Sie die Schulter einrenken.«

»Aber klar«, versprach Kelly munter. »Ich zähle bis drei.«

Kelly legte seine Hand an sein Schlüsselbein, mit der anderen hielt sie seinen Oberarm, mit dem linken Knie stützte sie das Schulterblatt ab. »Sehr gut. Einatmen. Ausatmen. Entspannen. Ein. Aus. Und noch einmal.«

Beim dritten Ausatmen stieß sie die Schulter mit einem kräftigen Ruck nach oben in die Gelenkpfanne. Zach japste erschrocken nach Luft und wurde blaß vor Schmerz. »Sie sollten mich doch warnen«, krächzte er gereizt. »Sie haben gelogen!«

Seine Verärgerung machte keinen Eindruck auf sie. »Es war besser so. Sie hätten sich sonst nur verkrampft und die Prozedur für Sie und mich um so schwerer gemacht.« Zach versuchte, sich zu ihr umzudrehen, doch sie hielt seinen Kopf fest. »Bleiben Sie still sitzen. Ihre Schulter muß verbunden werden, um den Druck auf das Gelenk zu erleichtern, bevor Sie sich bewegen. Wir wollen das Ding doch nicht gleich wieder ausrenken, nicht wahr?«

»Mein Hemd muß als Verbandszeug genügen«, knurrte er mürrisch.

Sie half ihm beim Ausziehen, riß den Stoff in breite Streifen, verwendete den Rest als Polsterung, und bald hatte sie ihm einen stützenden Verband angelegt, auch um seine schmerzenden Rippen. »Später erneuere ich den Verband, dann sehe ich mir auch die Rippen näher an. Wie fühlen Sie sich?«

»Besser«, gestand er mißmutig.

Als ihre Finger leicht seinen Nacken entlang tasteten, durchrieselten ihn kleine Schauer. Zach dachte schon, sie wolle mit ihm flirten, da sie ihre Hände flach an seine Ohren legte und ihre Daumen unter den Kieferknochen einhakte. Und wieder riß sie ohne Vorwarnung seinen Kopf mit einem Ruck nach links. Die Wirbel knackten hörbar. Und ehe er wußte, wie ihm geschah, riß sie den Kopf zur anderen Seite. Wieder krachten seine Halswirbel beängstigend laut.

Zach jaulte vor Schreck auf und sprang auf die Füße. »Sie hinterhältige Schlange! Was haben Sie vor? Wollen Sie mir den Kopf abreißen?«

Ihr Lächeln hatte große Ähnlichkeit mit einem schadenfrohen Grinsen. »Wieso? Brauchen Sie ihn noch?«

Wieder lachten alle über Kellys Schlagfertigkeit. Bevor Zach eine passende Antwort geben konnte, versuchte Kelly ihn zu beschwichtigen. »Sie werden feststellen, daß Sie den Kopf auf und ab bewegen und nach jeder Seite drehen können. Was ich beispielsweise nicht kann. Ich wünschte, es gäbe jemanden, der mir diesen therapeutischen Gefallen erweisen könnte.«

»Aber gern, meine Dame! Lassen Sie mich nur ran!« Zach krümmte die Finger, als wolle er ihr an die Gurgel springen. Doch dann ließ er vorsichtig den Kopf kreisen. Seine Augen weiteten sich verblüfft, seine Hände entspannten sich. »Du lieber Himmel! Ich komme mir vor wie neu!«

Kellys Augen blitzten. »Ich hab Ihnen ja schon gesagt – das sagen sie alle. Auch vorlaute Besserwisser wie Sie.«

Insel der Versuchung

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