Читать книгу Insel der Versuchung - Catherine Hart - Страница 5

KAPITEL 1

Оглавление

Kelly Kennedy verstaute ihr Handgepäck und ließ sich mit einem Seufzer der Erleichterung in ihren Sitz fallen. Ein langer Flug von Neuseeland in die Staaten stand ihr bevor, den sie, wie sie hoffte, die meiste Zeit schlafend verbringen würde.

Sie war erschöpft – physisch, emotional und mental ausgelaugt. In den vergangenen zwei Monaten war sie durch die Hölle gegangen. Ein traumatisches Ereignis hatte das nächste gejagt. Mitten während der Vorbereitungen zur Eröffnung ihres neuen Schönheits- und Fitneß-Centers in Australien – des dritten einer aufstrebenden, vielversprechenden Kette – hatte sie sich nach üblen Szenen von ihrem Mann getrennt. Vor drei Wochen, kurz nachdem sie die Scheidung eingereicht hatte, war sie von Phoenix nach Sydney geflogen, hatte sie die Asche ihrer gescheiterten Ehe hinter sich gelassen und gehofft, im Arbeitsstreß Schmerz und Wut vergessen zu können.

Die Flucht hatte nichts genutzt. Weder die große Entfernung noch die mit der Eröffnung der neuen Zweigstelle verbundene Hektik hatten ihr geholfen. Immer wieder waren ihr abscheuliche Einzelheiten ihrer zerstrittenen Ehe in Erinnerung gekommen. Die Wunden waren zu tief und zu frisch, es würde lange dauern, ehe sie vernarbt waren. Das wußte sie vom Verstand her. Emotional hoffte sie jedoch immer noch auf ein Wunder, eine Art Superpille, die sie über Nacht von den bohrenden Selbstvorwürfen, von ihrer Wut und ihrem Haß befreien würde.

Nun war sie auf dem Rückflug nach Phoenix, über Auckland, Hawaii und San Francisco. Zu Hause würde sie darüber nachdenken müssen, wer nach der Scheidung noch ihre und wer seine Freunde waren. Zu Hause würde sie sich all die ungebetenen und wohlmeinenden Ratschläge anhören müssen, die ihr jetzt schon in den Ohren klangen. Zu Hause würde sie sich an die Rolle der alleinstehenden Frau gewöhnen müssen, nachdem sie fünf Jahre die Frau an seiner Seite gewesen war. O Gott! Es war einfach zu deprimierend, darüber nachzudenken!

Kelly schaute aus dem Fensteroval und wollte sich gerade anschnallen, als eine schrille Stimme sie – und alle in der Nähe sitzenden Passagiere – hochschrecken ließ.

»Vier A! Hier, steht auf meinem Ticket! Die Frau sitzt auf meinem Platz! Ich verlange, daß sie meinen Platz räumt!«

Kelly hob den Kopf und erkannte in dem ungehaltenen Fluggast die mexikanische Popsängerin Alita Gomez. Mir bleibt aber auch nichts erspart! stöhnte Kelly innerlich.

»Miss Gomez, bitte verstehen Sie doch«, versuchte die Flugbegleiterin zu erklären. »Wenn ein Passagier nicht eine halbe Stunde vor Aufruf der Maschine eintrifft, wird sein Platz an einen anderen Fluggast vergeben. In Ihrem Fall wurde die Reservierung nicht einmal bestätigt. Sie sollten das Kleingedruckte auf Ihrem Ticket lesen, da steht es deutlich. Im hinteren Teil der Maschine sind noch Plätze frei ...«

»Nein!« Alita Gomez stampfte wütend mit ihrem Stiletto-Absatz auf. »Ich habe ein Erster-Klasse-Ticket bezahlt, und ich werde auch erster Klasse fliegen! Wie können Sie es wagen, mich so zu behandeln! Mich! Wenn ich nur mit den Fingern schnipse, sind Sie Ihren mickrigen Job los! Ist Ihnen das eigentlich klar?«

Kelly war ausgesprochen schlecht gelaunt, und diese Miss Ekelhaft war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. »Wie wollen Sie denn mit diesen langen Krallen schnipsen? Noch dazu mit hundert Schichten Lack drauf«, legte sie los. »Ich an Ihrer Stelle würde es jedenfalls nicht riskieren. Möglicherweise brechen Ihnen nicht nur die Nägel, sondern auch Ihre kurzen dicken Finger ab!«

»Ach, Sie sind das?« höhnte Alita. »Sie leiten doch diese Bruchbude von einem Schönheitssalon im Grandhotel in der City, nicht wahr? Ich begreife nicht, wie dieses renommierte Haus einen so schäbigen Laden beherbergen kann.«

Kelly feixte. »Möglicherweise bereitet es dem Hotelmanagement Vergnügen, versnobte Kundinnen wie Sie zu vergraulen. Im übrigen ist mein Salon keine Bruchbude.«

»Tja, lange wird er sich ohnehin nicht halten«, prophezeite Alita hochtrabend. »Wie kann man nur Fitneß Center, Schönheitssalon und Modeboutique miteinander kombinieren? Das klappt doch nie! Pah!« Sie rümpfte verächtlich die Nase.

»Wenn Sie uns die Chance geben, Attila, könnten selbst Sie von uns profitieren. Wir könnten Ihnen zum Beispiel das Geheimnis verraten, daß Make-up nicht mit dem Spachtel aufgetragen wird.«

Auf der anderen Seite des Mittelgangs saß Zach Goldstein. Er bemühte sich nicht einmal, sein Grinsen zu verbergen. Der lange, eintönige Flug versprach richtig spannend zu werden. Und er saß in der ersten Reihe beim Ringkampf zweier fauchender Wildkatzen. Die heißblütige Mexikanerin trat gegen eine kühle, scharfzüngige Blondine an. Er war zwar kein notorischer Schürzenjäger, doch die Vorstellung, die beiden Furien würden sich gleich in den Haaren liegen und sich die Kleider vom Leib reißen, war nicht ohne Reiz. Beinahe so verlockend wie eine Schlammschlacht!

Er persönlich fuhr eher auf die Rotblonde mit dem langen Zopf und den großen grünen Augen ab. Eine nordische, ungekünstelte Schönheit. Alita Gomez war auch nicht zu verachten, doch Zach fühlte sich weniger zu südländischen glutäugigen Frauen hingezogen. Er bevorzugte natürliche, weniger auffallend zurechtgemachte Frauen.

Frauen wie Rachel. Rachel verkörperte für ihn das ideale Frauenbild, sie war die perfekte Lebensgefährtin.

Zurückhaltend in der Öffentlichkeit, temperamentvoll und sprühend in der Zweisamkeit. Sie hörte lieber zu, als zu reden, zögerte aber nicht, feste Standpunkte einzunehmen und beharrlich zu vertreten, wenn es darauf ankam.

Zach pflegte sie eine heimliche Rebellin zu nennen. Er würde seinen rechten Arm dafür hergeben, wenn er sie noch einmal so nennen könnte.

Wie sehr sie ihm fehlte! Drei Jahre nach ihrem Tod war der tiefe Schmerz, vor dem es kein Entrinnen gab, immer noch da. Und mit jedem Jahr entwickelte sich ihre Tochter mehr und mehr zu Rachels Ebenbild. Becky hatte die großen braunen Augen, die gerade Nase, das energische Kinn ihrer Mutter. Mit zwölf stand sie jetzt an der Schwelle zum Frausein, war aber immer noch kindlich genug, um Daddys Liebling zu sein – jedenfalls immer dann, wenn sie ihr hübsches Köpfchen durchsetzen wollte.

Sein Beruf als Hochbau-Ingenieur und Architekt zwang Zach viel zu reisen, und er war öfter von zu Hause fort, als ihm lieb war. Während seiner Abwesenheit kümmerten sich seine Eltern und seine beiden Schwestern liebevoll um Becky. Und Zach plante seine freien Tage möglichst in Übereinstimmung mit Beckys schulfreien Tagen. Während der großen Ferien im Sommer besuchte sie ihren Vater für mehrere Wochen an seiner jeweiligen Baustelle. Die Zeitplanung war nicht immer einfach, aber irgendwie schafften sie es. Sobald er sich jetzt in Las Vegas eingerichtet hatte und sein neues Projekt angelaufen war, wollte er sie wieder zu sich kommen lassen. Bis dahin würden seine Telefonrechnungen neue Rekordhöhen erklimmen, und er würde sich weiterhin sorgenvoll fragen, wann seine Kleine wohl Lippenstift benutzen und weibliche Rundungen entwickeln würde. Und wann sie – Gott behüte! – wohl anfing, mit Jungs auszugehen!

Zachs Gedanken klinkten sich wieder in die Gegenwart ein. Die Flugbegleiterin versuchte geduldig, die beiden Streitenden zu beschwichtigen. »Bitte, meine Damen. Die Maschine ist in wenigen Minuten startklar. Sie müssen Ihre Plätze einnehmen und sich anschnallen.«

Mit flehendem Blick wandte sie sich an Kelly, in der sie anscheinend die Einsichtigere der beiden zu erkennen glaubte. »Madam, wenn Sie auf Ihren Platz verzichten würden, verspreche ich Ihnen Erster-Klasse-Service einschließlich aller Getränke bis San Francisco.«

»Legen Sie einen Freiflug drauf, und wir kommen ins Geschäft«, sagte Kelly.

»Ich tue mein Bestes«, versprach die Stewardeß. »Vielen Dank.«

»Und was ist mit meinem Manager?« beharrte Alita Gomez und deutete auf einen untersetzten rundlichen Herrn, der stumm hinter ihr stand. »Eduardo muß neben mir sitzen. Wir haben eine Menge zu besprechen.«

»Es tut mir leid, Miss Gomez, aber ...«

»Kein Problem. Zu den gleichen Bedingungen, die Sie dieser charmanten Dame einräumen, überlasse ich Miss Gomez meinen Platz«, bot Zach an.

Alita schenkte ihm ein betörendes Lächeln. Ihr glutvoller Blick wanderte flink über sein ansehnliches Äußeres. »Wie angenehm!« gurrte sie. »Endlich ein Mann, der sich wie ein Gentleman zu benehmen weiß! Eduardo wird Ihre Großzügigkeit mit einem Freiticket für mein Konzert belohnen, das ich an diesem Wochenende auf Hawaii gebe.«

»Das ist reizend von Ihnen, Miss Gomez. Leider dauert die Zwischenlandung nur so lange, bis die Tanks aufgefüllt sind.« Sein Bedauern war echt. Alita, die neuerdings auch Ambitionen hatte, ihr schauspielerisches Talent unter Beweis zu stellen, war zweifellos eine der besten Popsängerinnen der letzten zehn Jahre. Ihre volle Altstimme hatte eine unglaublich starke erotische Präsenz, und sie verstand es, aus einem simplen Song eine Verführungsszene zu machen. Zach besaß ihre beiden CDs und freute sich schon auf die dritte.

»Aber gegen ein Autogramm für meine Tochter hätte ich nichts einzuwenden«, schlug er vor. »Sie heißt Becky.«

»Und wie heißen Sie?« fragte Alita gedehnt und mit verheißungsvollem Blick.

»Zach.«

»Stimmt das mit der Tochter, oder ist das Autogramm für Sie? Ich könnte es signieren: ›Für Zach mit den sexy Goldaugen‹.«

»O Gott!« stöhnte Kelly genervt. »Wenn Sie den Platz unbedingt haben wollen, Lolita, sollten Sie Ihren Flirt verschieben und mich hier rauslassen. Sie blockieren den Durchgang.«

Alitas Lächeln erstarrte zu Eis. »Mein Name ist Alita. A-li-ta!« buchstabierte sie.

»Und meiner ist Kelly. Ke-ll-y«, äffte Kelly sie nach. »Und Sie stehen mir immer noch im Weg. Es sei denn, Sie wollen doch hinten sitzen.«

Die Diva funkelte sie gehässig an, machte aber den Weg frei. Als Kelly ihr Handgepäck herunterholen wollte, sagte die Stewardeß höflich: »Ich bringe Ihnen Ihr Gepäck gern nach hinten, Madam.«

»Nein danke«, lehnte Kelly ab. »Im Gegensatz zu anderen Leuten bin ich es gewohnt, mein Zeug selbst zu tragen.«

Zach zog seinen Aktenkoffer aus dem Fach, räumte seinen Sitz und folgte Kelly den Gang entlang in den hinteren Teil des Flugzeugs. Als er sich auf einen leeren Platz setzte, nur durch den Mittelgang von ihr getrennt, beugte sich der neben ihm sitzende junge schwarze Soldat herüber und flüsterte an seinem Ohr: »Gehört der Fuchs zu Ihnen?«

»Leider nicht.«

Zach, der nur zu gut wußte, daß Mitreisende oft den unwiderstehlichen Drang verspürten, sich einem völlig fremden Nachbarn mitzuteilen – häufig bis zur Preisgabe intimer Einzelheiten aus ihrem Leben, die der unfreiwillige Zuhörer gar nicht zu wissen wünschte –, holte Unterlagen aus seinem Koffer, die Lesebrille aus der Brusttasche seines Sportjacketts und begann, Akten über sein nächstes Projekt, einen Hotelkomplex in Las Vegas, zu studieren.

Auf der anderen Seite des Durchgangs versuchte sich Kelly auf ihre Weise die Zeit bis zum Start zu vertreiben. Sie haßte das Fliegen und würde sich erst entspannen, wenn die Maschine in der Luft war. Sich einzureden, daß statistisch gesehen weitaus mehr Menschen bei Auto-Unfällen ums Leben kamen als bei Flugzeugabstürzen, half ihr nicht im geringsten, ihre Nerven zu beruhigen. Um sich abzulenken, beobachtete sie die in der Nähe sitzenden Passagiere, die sie um ihre Gelassenheit beneidete.

Kelly liebte es, Menschen zu beobachten. Nicht, daß sie besonders neugierig gewesen wäre, aber sie interessierte sich für fremde Kulturen und Sitten. Die Vielfalt von Landestrachten, Moderichtungen, Sprachen, Gestik und Eßgewohnheiten faszinierte sie. Eine japanische Teezeremonie mochte für manche Leute sterbenslangweilig sein, Kelly aber verfolgte jeden Handgriff, jede Geste gebannt. Im letzten Sommer hatte sie sich bei einem Folklorefestival Tanzvorführungen indianischer Ureinwohner angesehen, gefesselt von ihren alten, überlieferten Gesängen zu eindringlichen Trommelwirbeln und den Kostümen. Einige Elemente indianischen Kunsthandwerks, Farben und Stoffmuster hatten sie zu einer Kollektion für ihre Modeboutique inspiriert. Auch während der Olympischen Spiele in Atlanta, wo buchstäblich alle Kulturen und die Jugend der ganzen Welt zusammentrafen, hatte Kelly begeistert Ideen gesammelt.

Nun beobachtete sie ihre Umgebung, und ihre wachen grünen Augen registrierten feinste Hinweise auf bestimmte Charaktereigenschaften. Den Mittelgang entlang näherte sich ein Japaner im Maßanzug aus feinstem Tuch und mit perfektem Sitz. Der Mann machte auf Kelly den Eindruck, besonders penibel und gründlich zu sein. Dahinter kam ein Australier im hellbraunen Tropenanzug mit passendem Hut. Kurz danach beanspruchte eine dicke Frau die gesamte Breite des Ganges. Sie trug Stretchhosen zur quergestreiften Bluse, eine Kombination, die ihre Körperfülle nur noch unterstrich. Bei ihrem Anblick juckte es Kelly förmlich in den Fingern, die Frau unter ihre Fittiche zu nehmen. Eine vernünftige Diät mit Fitneß-Programm, vorteilhafte Kleidung in lässiger Weite und gedeckten Farben, dazu eine neue Frisur – und die Frau wäre eine attraktive Erscheinung.

Ein paar Reihen weiter vorne kümmerten sich junge Eltern um ihren Sprößling, ein entzückendes, pausbäckiges Mädchen mit strahlendem Lächeln im rosafarbenen, mit Rüschen besetzten Strampelanzug. Die Kleine hangelte sich zwischen den Eltern an der Rückenlehne hoch und winkte brabbelnd einem älteren Ehepaar in der Sitzreihe dahinter zu.

Kellys Herz zog sich zusammen. Vor zwei Jahren hatte sie eine Fehlgeburt erlitten und war seither nicht mehr schwanger geworden. In Gedanken an ihre bevorstehende Scheidung vermutlich ein Segen! Doch der Anblick dieses süßen Kleinkinds trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie wünschte sich so sehr ein Kind! Eine Familie, die sie mit ihrer Liebe überschütten konnte.

Der Anblick der älteren Eheleute, die ihre schlohweißen Köpfe zusammensteckten und das Kind anlächelten, stimmte sie noch wehmütiger. Die beiden führten anscheinend eine Ehe, wie Kelly es sich wünschte. Eine gefestigte Liebe, die im Laufe der Jahre gewachsen war und sich vertieft hatte. Gegenseitige Hingabe und Zuneigung zwischen lebenslangen Gefährten.

Kelly wischte sich verstohlen eine Träne weg, wollte sich nicht von einer sentimentalen Anwandlung übermannen lassen. Sie kramte in ihrer Tasche, ohne in dem Durcheinander zu finden, was sie suchte.

Da schob sich ein weißes Tuch in ihr Gesichtsfeld, gehalten von sonnengebräunten Fingern. Sie hob den Kopf und schaute in die topazfarbenen Augen des Mannes, der seinen Sitz in der ersten Klasse Alita Gomez überlassen hatte. Zach Sowieso. Er bot ihr ein Taschentuch an.

Kelly lächelte befangen. »Ihre Mutter kann stolz auf Sie sein. Höflichkeit ist heute eine Seltenheit.«

Zach grinste. »Vielleicht bin ich gar nicht höflich. Vielleicht ist es ein Friedensangebot oder eine bedingungslose Kapitulation?«

Kelly lachte. »Ich wußte gar nicht, daß wir uns im Kriegszustand befinden.« Sie nahm das Taschentuch. »Danke sehr.«

»Keine Ursache«, antwortete er und wandte sich wieder seinen Akten zu.

Schließlich waren alle Passagiere an Bord, und die Maschine rollte auf die Startbahn. Der für die hinteren Reihen zuständige Steward, ein gutaussehender junger Mann mit roten Haaren und seelenvollen braunen Augen, begrüßte die Passagiere und ratterte die üblichen Anweisungen herunter – über Rauchverbot, hochgeklappte Tabletts, festgeschnallte Sitzgurte bis nach dem Start, wenn die Signale erloschen. Er erläuterte, wo sich Spucktüten, Sauerstoffmasken, Schwimmwesten und Notausgänge befanden, und beendete seinen Vortrag mit der höflichen Floskel: »Ihre Flugbegleiter sind bemüht, Ihnen den Flug so angenehm wie möglich zu gestalten.«

In der hintersten Reihe, die an die Wand der Bordküche grenzte, knurrte ein riesiger Mann: »Angenehm? Pah, daß ich nicht lache!« Dabei klirrte er mit den Handschellen, die ihn an das Handgelenk des Kriminalbeamten neben ihm fesselten. »Ich kann mir nicht mal die Nase putzen, ohne Ihre Pranke vor der Fresse zu haben.«

»Stellen Sie sich vor, wir seien siamesische Zwillinge, und halten Sie den Mund«, riet ihm der Beamte ungehalten. »Mir paßt das genausowenig wie Ihnen. Und ich habe auch nicht das Hirn meiner Frau im Schlafzimmer verspritzt und mich anschließend aus dem Staub gemacht. Es ist ein verdammt langer Flug nach Tennessee, Roberts. Und er wird nicht angenehmer, wenn Sie ständig rumnörgeln.«

»Wieso nehmen Sie uns die Dinger nicht ab?« fragte Earl Roberts. »Abhauen kann ich doch sowieso nicht. Oder denken Sie, ich reiß die Tür auf und stürze mich ins Meer? Ich hab nicht gesehen, daß Fallschirme verteilt wurden, als wir diese riesige Todesfalle bestiegen.«

»Entspannen Sie sich, Roberts. Die 747 ist ein sicherer Vogel. Von den zweihundert Passagieren an Bord sind Sie wohl der einzige, der rumjammert wie ein kleines Kind.«

»Ich bin ja auch der einzige, der an Sie gefesselt ist. Und Sie haben auch ganz schön rumgemeckert, als man Sie zwang, Ihr Schießeisen beim Piloten abzugeben.« Earl Roberts begleitete seine spitze Bemerkung mit einem boshaften Grinsen und musterte den schmächtigeren Mann neben sich verächtlich. »Haben wohl Schiß so ganz ohne Waffe, weil Sie wissen, daß ich Sie mit bloßen Händen erwürgen könnte, wie?«

Der Kriminalbeamte ließ sich von der Drohung nicht einschüchtern. »Nur zu, probieren Sie es! Aber dann wünschen Sie sich garantiert, Sie hätten einen Fallschirm. Mir hat nämlich keiner gesagt, daß ich Sie lebend zurückbringen soll.«

Auf dem Flug wurde die internationale Datumsgrenze überschritten, und man gewann damit einen Tag auf dem Kalender. Irgendwo über der Polynesischen Inselkette geriet die Maschine in mehrere Gewitterfronten hintereinander. Der Pilot meldete sich über die Bordsprechanlage und versicherte, es bestehe kein Grund zur Besorgnis. Dennoch wurden die Passagiere gebeten, ihre Plätze nicht zu verlassen und sich anzuschnallen. Die Turbulenzen wurden so heftig, daß die Flugbegleiter die Rollwagen in die Bordküchen zurückbrachten und sicherten. Je unruhiger der Flug wurde, desto mehr Getränke wurden bestellt. Das überforderte Flugpersonal eilte in der durchgeschüttelten Maschine hin und her, um alkoholische Getränke zu servieren, da viele Passagiere es vorzogen, sich mit Alkohol zu betäuben, als die beängstigende Situation nüchtern durchzustehen.

Erfahrene Flugreisende ebenso wie Neulinge holten die Spucktüten hervor, während die Maschine durch schwarze, unheilvolle Gewitterwolken schlingerte und heftig hin und her geworfen wurde. Die anfänglich angeregten Gespräche verstummten, wurden durch aufgeregtes Flüstern ersetzt. Manche bewegten die Lippen im Gebet, und bald verstummten auch sie in angstvollem Schweigen.

Jedesmal, wenn der riesige Vogel in ein Luftloch sackte, unterdrückte Kelly nur mühsam einen Entsetzensschrei. Sie klammerte sich an den Armstützen fest, bis ihre Finger weiß wurden und schmerzten.

Zach, dem ihre Angst nicht entging, bot ihr an: »Wenn Sie wollen, können wir uns an der Hand halten.«

Kelly schüttelte ängstlich den Kopf. »Danke. So lange kann ich nicht loslassen.« Nicht einmal eine Brechstange hätte ihre Finger von den Armstützen gelöst. Um so verblüffter war sie, als Alita in dem schlingernden Flugzeug nach hinten gestelzt kam.

Obwohl auch sie bleich und angespannt war, bemerkte sie Kellys weiße Fingerknöchel an den Armstützen und lachte hämisch. »Wie es aussieht, brechen gleich Ihnen alle Fingernägel ab, nicht mir.«

Kelly brachte nur mühsam die Zähne auseinander. »Ist Ihnen schlecht, Miss Gomez?«

»Ich komme nur, um Zach die Autogrammkarten zu bringen«, sagte die Sängerin und schenkte Zach ein Dreihundert-Watt-Lächeln. Sie reichte ihm die Fotos und erklärte mit rauchiger Stimme: »Das Foto, auf dem ich angezogen bin, ist für Ihre Tochter. Das andere ist nur für Sie.«

Zach bedankte sich. Der Steward erschien und forderte Alita auf, sofort an ihren Platz zurückzukehren.

Alita warf ihre schwarzen Locken in den Nacken und erklärte lauthals: »Ich pfeife auf diese idiotischen Anweisungen. Ich mußte durch die ganze Maschine nach hinten gehen, um eine leere Toilette zu finden. Ich werde mich bei Ihrer Fluggesellschaft beschweren. Für so viele Menschen muß es einfach mehr Klos geben.« Damit stürmte sie derart heftig an ihm vorbei, daß er beinahe auf Kellys Schoß gelandet wäre, schubste einen anderen Passagier beiseite, der seinerseits das stille Örtchen aufsuchen wollte, und verschwand.

Kaum war der Riegel der Toilettentür eingeklickt, zuckte ein greller weißer Blitz auf, der das Flugzeug mit gleißendem Licht erfüllte, gefolgt vom ohrenbetäubenden Lärm einer Explosion. Die Maschine senkte die Schnauze nach unten und ging in Sturzflug.

Panik brach aus. Das Flugpersonal versuchte, die gellenden Schreie der Passagiere mit Anweisungen zu übertönen. Kelly konnte den direkt neben ihr stehenden Steward kaum verstehen, der in die Runde brüllte: »Klappen Sie die Tabletts hoch! Nehmen Sie die Brillen ab! Entfernen Sie alle spitzen Gegenstände aus den Taschen! Legen Sie sich ein Kissen, eine Decke oder eine Jacke auf dem Schoß zwischen die Beine. Nehmen Sie die Arme über den Kopf, beugen Sie sich weit vor und stecken den Kopf zwischen die Knie.«

Es ging alles wahnsinnig schnell, niemand war zu einem klaren Gedanken fähig. Zugleich schienen die Vorgänge surrealistisch wie in Zeitlupe abzulaufen. Kelly riß ihre Jacke herunter und beugte sich nach vorn. Die Frau links von ihr holte einen Wollschal hervor und stopfte ihn zwischen ihre Oberschenkel. Auf der anderen Seite des Ganges zog Zach das Sportjackett aus. Der Soldat neben ihm preßte seinen Kopf in ein kleines Kissen. In der hintersten Reihe begannen der Kripobeamte und sein Gefangener ein Gerangel bei dem Versuch, sich gegenseitig den Mantel des Gesetzeshüters zu entreißen.

In den Momenten des Grauens vermischte sich lautes Schreien und Schluchzen mit Flüchen und Gebeten. Das Kleinkind schrie gellend. Über dem ohrenbetäubenden Lärm heulten und spuckten die Motoren, während das Flugzeug in wilden Spiralen schräg nach unten taumelte.

Halb erstickt von ihren Tränen und der Jacke, hob Kelly den Kopf. Ihre entsetzten Augen begegneten Zachs Blick.

Blitzschnell streckte er den Arm aus und drückte ihren Kopf wieder nach unten.

Sein Befehl, sie solle unten bleiben, war das letzte, was sie hörte – kurz vor dem mächtigen Aufprall, der ihr glücklicherweise das Bewußtsein raubte.

Insel der Versuchung

Подняться наверх