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KAPITEL 4

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Ehe man sich wieder an den Abstieg machte, suchten die Frauen das Gebüsch auf.

»Paßt bloß auf Schlangen auf«, warnte der Südstaatler.

Alita geriet vor Schreck ins Stolpern.

Blair wandte sich stirnrunzelnd an den Riesen. »Soweit ich weiß, gibt es keine Schlangen auf den Polynesischen Inseln. Auch keine großen Raubtiere.«

»Ach ja? Was sind Sie? Ein wandelndes Lexikon?«

Blair straffte die Schultern und richtete sich zu ihrer vollen, wenn auch recht unscheinbaren Größe auf. »Ich bin Bibliothekarin und stolz darauf. Und welchen sinnvollen Beitrag leisten Sie der Gesellschaft, Mister ...«

»Roberts«, ergänzte der Mann, fischte eine Zigarette aus einer Packung und zündete sie an. »Fast mein ganzes Leben lang war ich Farmer. Ich habe also dazu beigetragen, euch zu ernähren.« Er hielt seine Zigarette hoch und beäugte sie. »Dann hatte ich eine Tabakpflanzung, bis die Politiker anfingen, ihre Nasen in Dinge zu stecken, die sie nichts angehen und den Pflanzern das Leben schwermachten.«

»Roberts«, wiederholte Zach sinnend. »Waren Sie nicht als Baggerfahrer bei dem Bau der Kirche in St. Louis dabei? Einer von Sam Wrights Leuten?«

Roberts begegnete Zachs Blick herausfordernd. »Ja, und Sie waren der Obermacker, der den ganzen Laden unter sich hatte. Ich wundere mich, daß Sie sich an einen einfachen Arbeiter erinnern.«

»Ich versuche, mich bei einem Bauvorhaben über alles zu informieren«, antwortete Zach. »Auch über die Arbeiter, die daran beteiligt sind. An Sie erinnere ich mich, weil Sam davon sprach, daß Sie so gut wie jede Maschine auf dem Gelände bedienen und reparieren können.«

Roberts zuckte die Achseln. »Wo ist der Unterschied, ob ich einen Traktor oder einen Mähdrescher fahre?«

»Sam jedenfalls war schwer beeindruckt. Er ist ein guter Menschenkenner und achtet darauf, keine Säufer und Junkies in seinem Team zu haben. Irgendwie hab ich das Gefühl, daß ihm bei Ihnen was entgangen ist.«

»Sam ist in Ordnung und war ein fairer Vorarbeiter, aber allwissend ist er nicht«, bestätigte Roberts. »Jeder macht mal einen Fehler.«

»Welchen haben Sie denn gemacht?« fragte Zach nun direkt. »Weshalb waren Sie im Knast?«

Roberts lachte in sich hinein. »Hab mich schon gewundert, wie lange Sie noch um den heißen Brei rumreden, Goldstein.«

»Na, dann schießen Sie mal los«, bohrte Zach weiter. »Was haben Sie verbrochen, daß man Sie in Handschellen zurück in die Staaten schafft? Was war es, Roberts? Raubüberfall? Steuerhinterziehung? Unfallflucht?«

Der Mann grinste. »So was Ähnliches wie Unfallflucht. Nachdem ich meiner Frau, dieser Hure, eine Kugel durch den Kopf gejagt habe, bin ich geflohen.«

Die Gruppe sah ihn entgeistert an.

Der Corporal ließ einen leisen Pfeifton hören. »Mannomann! Sie haben sie umgebracht?«

»Die fiel um wie ein Strohbündel«, erklärte Roberts mit trotziger Miene, als sei er stolz auf sein Verbrechen.

»Sie ... Sie haben Ihre Frau getötet?« stammelte Kelly.

»Weil Sie Ihnen Hörner aufgesetzt hat?« rief Alita fassungslos.

»Was sind Sie nur für eine gemeine Kanalratte«, stieß der Steward angeekelt hervor.

»Sie sind wahnsinnig!« fügte Blair hinzu, in deren Gesicht sich Angst und Abscheu spiegelten. »Man sollte Sie einsperren und den Schlüssel wegwerfen!«

Roberts glotzte in die Runde. Seine grobschlächtigen Hände ballten sich zu Fäusten. »Hey! Ihr mußtet ja nicht mit dem Miststück zusammenleben! Ich habe mir und der ganzen Welt einen Riesengefallen getan, als ich sie umbrachte.«

Da Roberts’ Aufmerksamkeit auf die Gruppe gerichtet war, konnte Zach sich von hinten anschleichen. Blitzschnell legte er einen Arm im Würgegriff um den Hals des Riesen und drückte zu. »Corporal! Holen Sie die Handschellen aus meiner Tasche!« schrie er.

Roberts wurde fuchsteufelswild. Mit einem Wutschrei kam er auf die Füße. Seine Pranken zerrten an Zachs Armen, in dem Versuch, ihn abzuschütteln. Doch Zach festigte seinen Griff, bis Roberts’ Gesicht blaurot anlief. Dem Soldaten gelang es, die Handschellen aus Zachs Tasche zu ziehen und um Roberts’ Handgelenk klicken zu lassen. Dann warf er sich auf den großen Mann, und mit vereinten Kräften gelang es den beiden schließlich, den Kerl zu überwältigen.

»Ihr ... ihr seid keine Bullen!« schnaubte Roberts wütend. »Ihr habt kein Recht dazu!«

Zach drückte ihm das Knie zwischen die Schulterblätter. »Schnauze! Wir haben das Recht, uns vor einem Verbrecher zu schützen.«

Mit Hilfe des Soldaten zerrte er Roberts’ Arme auf den Rücken und ließ die zweite Handschelle einklicken. Nun war der Riese völlig wehrlos. »Sie kommen mit uns, wir werden Sie dem Gesetz übergeben. Bis dahin machen Sie keine Zicken und benehmen sich anständig, sonst trete ich Ihnen kräftig in den Hintern.«

»Und ich helfe Ihnen dabei«, ergänzte der Corporal.

»Ich auch«, meinte der Steward.

»Auf mich könnt ihr ebenfalls zählen«, fügte Kelly hinzu.

»Wie tapfer von euch, auf mich loszugehen, jetzt wo ich verschnürt bin wie eine Weihnachtsgans«, höhnte Roberts. »Nur weil ich meine Alte umgelegt habe, heißt das doch nicht, daß ich noch mehr Leute umbringen will.«

»Möglich, aber wir wollen das Risiko nicht eingehen. Ich jedenfalls bin froh, daß ich die Handschellen eingesteckt habe.« Zach hielt den Schlüssel hoch, ehe er ihn in seine Tasche gleiten ließ. »Denken Sie nicht einmal daran, sich den Schlüssel holen zu wollen, Roberts. Sonst befördere ich Sie nämlich persönlich von der höchsten Felsklippe.«

»Ihr braucht mich, um den Verwundeten zu transportieren«, protestierte Roberts. »Wie soll ich das machen, wenn ich gefesselt bin?«

»Lassen Sie den Quatsch. Wir schaffen es auch ohne Sie. Und wenn wir Ihnen den Mann auf den Rücken binden müssen.«

Roberts’ Hilfe wurde nicht gebraucht. Als sie nach den Bewußtlosen sahen, mußten sie feststellen, daß ein Mann seinen Verletzungen erlegen war. Sie erwogen, die Leiche liegen zu lassen und die Stelle mit einem bunten Stück Stoff zu markieren, damit er später von der Rettungsmannschaft geborgen werden konnte.

Kelly gefiel dieser Vorschlag nicht. »Wir können den armen Kerl doch nicht einfach hier lassen. Vögel und Raubtiere würden sich über ihn hermachen. Das ist ... pietätlos. Können wir ihn denn nicht begraben?«

»Wie denn? Womit?« hielt Zach ihr entgegen. »Der Boden ist steinhart, und wir haben keine Schaufeln.«

»Ein Hügelgrab«, meinte Blair. »Wir können Steine über ihn häufen. Damit wäre die Stelle auch gut markiert.«

»Meine Damen, wir stehen unter Zeitdruck«, mahnte der Steward. »Und wir haben zwei Verletzte, die dringend medizinisch versorgt werden müssen.«

»Wenn ihr euch weigert, dann mach ich es allein«, beharrte Kelly eigensinnig.

Zach fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und seufzte entnervt. »Okay. Bestatten wir ihn. Aber rasch! Ich will nicht gefühllos erscheinen, aber wir sind noch nicht außer Gefahr. Wir sollten unser Leben nicht für Leute aufs Spiel setzen, denen nicht mehr geholfen werden kann.«

Während die Männer – außer Roberts – Steine aufhäuften, verband Kelly Wynnes Rippen mit dem in Streifen gerissenen Futter einer Jacke, die sie aus dem Flugzeugwrack mitgenommen hatte. Auch Blairs geschwollenen Knöchel verband sie, ohne ihr den Schuh auszuziehen.

»So ist es besser«, meinte sie und tastete die Schwellung ab, die über den Rand von Blairs flachen Tennisschuhen quoll. »Wenn wir ihn jetzt ausziehen, kommen Sie nie wieder rein.«

Blair nickte. »Sich mit Schuhen einen Weg durch den Dschungel zu bahnen ist mühsam genug. Mich treibt nur der Gedanke vorwärts, an den Strand zu kommen und meinen Fuß ins kalte Wasser hängen zu können.«

»Soll ich mir Ihren Ellbogen ansehen?« fragte Kelly an Alita gewandt.

»Nachdem ich mit ansehen mußte, wie Sie an Zachs Schulter rumgezerrt und ihm den Kopf fast abgerissen haben?« entgegnete die Sängerin verächtlich. »Nein danke. Ich warte lieber, bis mich jemand versorgt, der was von seinem Geschäft versteht.«

»Um so besser«, gab Kelly bissig zurück.

Der beschwerliche Abstieg dauerte den restlichen Nachmittag. Verborgen im dichten Dschungel, stießen sie unvermutet auf senkrecht abstürzende Felswände, die es zu umgehen galt. Mehrmals mußten sie den freigeschlagenen Pfad ein Stück zurücklaufen und eine geeignete Abstiegsstelle finden. Endlich erreichten sie flacheres, weniger felsiges Gelände, das jedoch immer noch von hohen Bäumen bewachsen und von Gestrüpp überwuchert war.

»In welche Richtung jetzt?« fragte der Corporal, der sich als Gavin Daniels vorgestellt hatte.

»Vielleicht sollten wir eine Münze werfen«, meinte der Steward Frazer Benson, schwer auf einen Ast gestützt, der ihm als Krücke diente.

Zach blickte prüfend zum Himmel in die tiefstehende Sonne. »Schwer zu sagen, welche Richtung am schnellsten zum Meer führt. Wenn wir uns aber nach Westen halten, haben wir etwas länger Tageslicht. Die Bäume lichten sich vermutlich, wenn wir uns der Küste nähern.«

Also schleppte sich die Gruppe mühsam nach Westen hinter Zach her.

Gleich zu Beginn hatte Zach die Rolle des Anführers übernommen, die anderen beugten sich seiner natürlichen Autorität. In seinem Beruf daran gewöhnt, Anweisungen zu erteilen, fand er es ganz selbstverständlich, daß sich niemand seinen Entscheidungen widersetzte. Im Augenblick war ihm nur daran gelegen, möglichst rasch dem tropischen Urwald zu entrinnen, an die Küste zu gelangen, wo er Hilfe und Sicherheit erhoffte.

Es dauerte noch eine Stunde, ehe der Dschungel sich zu lichten begann, und weitere zehn Minuten, ehe sie blaues Wasser durch grünes Blattwerk schimmern sahen und das gedämpfte Rauschen der Brandung hörten. Der Boden wurde lockerer und sandig. Bald lag der Strand vor ihnen, weiß und jungfräulich unberührt. Dahinter der endlose blaue Ozean, am Horizont der riesige rote Feuerball der untergehenden Sonne.

Einer nach dem anderen ließen die Überlebenden ihre Bündel fallen und sanken in den sonnenwarmen Sand.

»Nie wieder eine Bergwanderung«, schwor Blair stöhnend. »Mir tun alle Knochen weh.«

»Mir geht’s genauso«, keuchte Kelly. »Und dabei dachte ich, ich sei fit wie ein Turnschuh.« Sie blies sich die Haare aus der Stirn. »Wie wohltuend die Brise ist. Endlich dieser Dschungelhölle entronnen!«

Alita kauerte im Sand und untersuchte die Reste ihrer Stöckelschuhe und die aufgeplatzten Blasen an ihren Fersen. »Meine armen Füße!« jammerte sie. »Diese verdammten Felsen haben meine Schuhe ruiniert!«

»Lieber die Schuhe als Ihre Füße«, meinte Zach und blickte den langen, einsamen, weißen Strand entlang. »Verdammt! Kein Haus in Sicht. Nicht einmal eine Schilfhütte!«

»Keine Mole, kein Boot, kein Zeichen menschlicher Zivilisation«, fügte Frazer düster hinzu. »Nicht einmal eine weggeworfene Coladose. Ich hätte nie gedacht, daß ich mich mal nach dem Anblick von Wohlstandsmüll sehnen würde.«

»Vielleicht ist die Insel nur hier nicht besiedelt. Dörfer und Hafen liegen sicher woanders«, sagte Gavin Daniels.

»Möglich.« Zach runzelte die Stirn und setzte hinzu: »Vielleicht gibt es hier zu viele Untiefen und Riffe für den Schiffsverkehr. Aber es müßte doch irgendein Anzeichen menschlicher Besiedelung geben, wenigstens eine Plastiktüte oder ein paar leere Bierdosen!«

»Ja, ein schönes kaltes Bier wär mir jetzt recht«, knurrte Roberts verdrießlich. »Sogar pißwarm dürfte es sein, das wär mir auch egal, Hauptsache flüssig. Mein Mund ist ausgetrocknet wie die Möse einer Hundertjährigen.«

»Sir!« meldete Wynne Templeton sich zum ersten Mal seit Stunden zu Wort. »Es besteht kein Grund, vulgär zu werden. Ein Gentleman achtet im Beisein von Damen auf seine Redeweise.«

»Ach Gott, ach Gott!« spöttelte Roberts. »Ich wußte gar nicht, daß ich mit der Königinmutter unterwegs bin.«

»Und wir wußten nicht, daß wir mit einem Mörder unterwegs sind«, schleuderte Blair ihm tapfer entgegen.

Roberts’ Augen verengten sich. »Hör mal, du kleine ...«

»Oh, por Dios!« mischte sich Alita ein. »Die alte Frau hat gerade ihren Mann verloren. Nehmen Sie doch Rücksicht.«

»James verloren?« fragte Wynne verwirrt. »O Gott! Wir müssen ihn suchen.«

Kelly seufzte tief. »Großartig! Hören Sie, Alita, was Sie angerichtet haben? Vielen Dank!«

Zach kam auf die Beine. »Ich mache mich gleich auf die Suche nach ihm, Mrs. Templeton«, beschwichtigte er die alte Dame. »Doch vorher müssen wir uns um den Gefangenen kümmern und Feuer machen. Es wird bald dunkel.«

Er führte Roberts zu einer kräftigen Palme. »Hier binden wir ihn fest. Daniels, helfen Sir mir bitte.«

»Hey, Moment mal!« protestierte Roberts. »Ein Mann muß schließlich auch mal seinen Strahl ablassen!«

Zach änderte die Richtung und steuerte Roberts zu einem Gebüsch. Als sie an Kelly vorbeikamen, grinste Roberts sie lüstern an. »He, Süße! Kommst du mit und hältst ihn mir?«

Sie bedachte ihn mit kühler Verachtung. »Ich verstehe, warum sich Ihre Frau mit anderen Männern abgab. Es lag mit Sicherheit an Ihrem Charme, Ihren guten Manieren und Ihrer feinen Ausdrucksweise.«

»Blöde Ziege«, entgegnete er und zwinkerte dann Alita zu. »Was ist, Prinzessin? Mein Angebot steht immer noch.«

»Scher dich zum Teufel, hombre.«

Nachdem Roberts an den Baum gefesselt war, sammelte man trockenes Treibholz, um Feuer zu machen. Dabei entdeckten sie eine Bananenpalme und Kokosnüsse, die sie an einem Felsen aufschlugen. Die Kokosmilch lief wie Nektar die ausgetrockneten Kehlen hinunter.

Nachdem sich alle gestärkt hatten, verkündete Zach: »Ich suche den Strand ab. Vielleicht finde ich einen Weg, ein Haus oder sonst eine Spur menschlichen Lebens.« Er wies nach Süden. »Ich nehme diese Richtung. Daniels, versuchen Sie es nach Norden. Wir treffen uns hier wieder. Benson, Sie bleiben hier und passen auf den Gefangenen auf.«

»Ohne Licht? Keine Fackel oder so?« fragte Kelly.

Zach hob den Kopf gen Himmel. »Wenn wir uns am Strand nahe am Wasser halten, müßten wir genügend sehen. Es sind keine Wolken mehr da, und wir haben Vollmond.«

Blair verzog das Gesicht. »Ich hätte es wissen müssen. Wäre ich nur nicht geflogen! Bei Vollmond passieren mir immer die schrecklichsten Dinge.«

»Ich liebe Vollmondnächte«, schwärmte Alita. »Sie sind so romantico, so erregend.«

»Können Sie bei Vollmond besser auf Ihrem Besen reiten?« fragte Benson spöttisch.

Alita fuhr herum. »Halten Sie den Mund, Sie Schwachkopf!« Sie warf ihren zerfetzten Schuh knapp an seinem Kopf vorbei. »Sie sind nur neidisch. Daran bin ich gewöhnt. Alle Welt ist neidisch auf mich.«

Kelly verdrehte die Augen. »Sie sollten wirklich etwas gegen Ihren Minderwertigkeitskomplex tun.«

»Ich bin bald zurück.« Zach war bereits im Aufbruch. »Hoffentlich bringe ich Hilfe.«

»Und was zu essen.«

»Und Wasser.«

»Warten Sie!« Alita sprang auf und schleuderte den anderen Schuh von sich. »Ich komme mit.«

»Bleiben Sie lieber bei den anderen«, rief er ihr über die Schulter zu, ohne stehenzubleiben. »Das ist kein Abendspaziergang.«

»Schon gut, ich halte das Tempo«, versicherte Alita und humpelte hinter ihm her.

»Die denkt vermutlich, sie verpaßt die Happy Hour in der nächsten Strandbar«, brummte Blair.

»Hey! Bringt mir einen Sechserpack Bier mit!« brüllte Roberts ihnen nach.

»Die bringen höchstens den nächsten Dorfpolizisten mit, der Sie in den Knast steckt. Ich jedenfalls tue das«, sagte Daniels und schlug die andere Richtung ein.

»Wo steckt eigentlich der Ku-Klux-Klan, wenn man ihn mal braucht?« schrie Roberts.

»Unter weißen Laken«, platzte Kelly heraus.

Roberts starrte sie lange an. Dann begann er zur Verblüffung aller zu lachen. Bald lachte auch Blair. Und schließlich lachten alle außer Wynne. Nach dem ungeheuren Schock, dem Grauen und all den Strapazen wirkte das Lachen wie eine große Befreiung.

Nach der Flugzeugkatastrophe kam ihnen der atemberaubende Sonnenuntergang irgendwie geschmacklos und unpassend vor. Der rote Feuerball tauchte den Strand und die tropische Landschaft in orangerotes Licht, ehe er majestätisch im Meer versank. Und plötzlich, als falle ein schwarzer Vorhang vor ein Bühnenbild, war es stockfinstere Nacht.

Die kleine Schar hatte Feuer gemacht und ein paar Bananen gegessen. Süßwasser aber hatten sie noch nicht entdeckt. Das Kind, das den Tag über erstaunlich still gewesen war, fing an zu weinen. Blair wiegte es in den Armen und versuchte es mit Banane zu füttern.

»Armes Schätzchen, bist sogar zum Essen zu müde«, murmelte Blair. Und mit einem Blick zu der Palme, an die Roberts gefesselt war, flüsterte sie Kelly zu: »Ist Ihnen eigentlich klar, daß unser Held uns mit einem Mörder und mit Mr. Benson dem gebrochenen Bein allein gelassen hat? Was passiert, wenn der Wahnsinnige sich befreit und uns angreift?«

»Ich bin zu müde, um mich darum zu kümmern«, gestand Kelly. »Wenn jetzt einer käme und mich erwürgte, wär mir das auch egal.«

»Aber er könnte uns schlagen oder vergewaltigen!« fuhr Blair mit angstvoll aufgerissenen Augen fort.

»Wenn er dazu noch die Energie hat, alle Achtung!« antwortete Kelly mürrisch. »Ich jedenfalls bin zu erschöpft, um mir darüber Gedanken zu machen. Regen Sie sich nicht auf. Im Augenblick droht uns bestimmt keine Gefahr von dem Kerl.«

Kelly machte sich mehr Sorgen um ihre Patienten. Sie kauerte sich neben die bewußtlose Frau, deren Brustkorb bei jedem schweren Atemzug hörbar rasselte. Immer wieder wurde sie von einem Hustenanfall geschüttelt, wobei sie frisches Blut spuckte. »Sie muß innere Verletzungen haben, vielleicht hat eine Rippe die Lunge durchbohrt. Wenn nur Zach bald mit Hilfe zurückkäme, möglichst mit einem Notarztteam! Ich komme mir so entsetzlich hilflos vor, rumzusitzen und nichts tun zu können.«

Sie breitete die Decke über die schlotternde Frau und kroch dann zu dem Halbwüchsigen. »Ich weiß nicht, ob der Junge es schafft. Er hat den ganzen Tag noch keinen Mucks von sich gegeben. Und wenn ich mir die Einstiche in seinen Armen ansehe, ist er entweder auf Drogen oder Diabetiker.«

»Haben Sie in seiner Brieftasche nachgesehen? Vielleicht hat er einen Diabetikerausweis bei sich«, meinte Wynne in einem ihrer seltenen klaren Momente.

»Gute Idee.« Kelly kramte in seiner Brieftasche und fand tatsächlich einen Diabetikerausweis. »Verdammt! Er ist Diabetiker! Wer weiß, wann er seine letzte Insulinspritze bekommen hat. Kein Wunder. Er ist im Schockzustand, vielleicht bereits im Koma!«

»Möglicherweise besser, als im Wachzustand furchtbare Schmerzen zu haben«, bemerkte Frazer Benson mitfühlend. Er reichte Kelly ein Stück Kokosnuß. »Tun Sie was für sich. Essen Sie. Trinken Sie. Sie brauchen Flüssigkeit.«

Die Kokosmilch schmeckte wunderbar und löschte den Durst. Das Kokosfleisch herauszukratzen war eine andere Sache. »Haben Sie ein Taschenmesser, Frazer?« fragte Kelly.

Er nickte. »Dort drüben, an den Ast gebunden, mit dem wir uns den Weg freigehackt haben«, sagte er und wollte aufstehen.

»Bleiben Sie, wo Sie sind«, wehrte Kelly ab. »Ich hol es mir. Sie müssen Ihr Bein schonen.«

Sie holte das Messer und stocherte in dem festen weißen Kokosfleisch herum. »Wenn ich es kleingeschnitten habe, bekommen Sie es wieder.«

»Sie könnten in den Taschen des Jungen nachsehen. Vielleicht hat er auch eins«, schlug Frazer vor.

Kelly schnitt eine Grimasse, befolgte aber den Rat des Stewards und durchsuchte behutsam die Taschen des Bewußtlosen. »Herrgott! Wie ich das hasse! Ich komme mir vor wie eine Leichenschänderin!«

Sie fand jedoch ein Taschenmesser und warf es Blair zu. »Sie teilen sich ein Stück mit Wynne. Frazer und ich teilen uns das andere.«

»Und was ist mit mir?« rief Roberts herüber. »Laßt ihr mich einfach verhungern?«

»Sie haben schon etwas gekriegt. Kommen Sie uns nicht auf die Mitleidstour«, entgegnete Kelly kalt. »Wenn Zach und Gavin wieder da sind, bekommen Sie mehr. Ich jedenfalls werde mich hüten, Ihnen zu nahe zu treten, Freundchen. Sie verhungern schon nicht. Von Ihrer fetten Wampe können Sie eine ganze Woche lang zehren.«

Nachdem sie gegessen hatte, bot Kelly an, Blairs Knöchel und Wynnes Rippen frisch zu verbinden. Blair hatte ihren Tennisschuh vor einer Weile ausgezogen und den Fuß ins Wasser gehalten. Sie spürte bereits Erleichterung. Wynne war zu schamhaft, vor den Männern die Bluse auszuziehen.

Roberts war eingeschlafen oder tat so, als schliefe er. Frazer aber war ein Problem, jedenfalls für Wynne.

»Ich mach die Augen zu«, versprach er.

»Und woher soll ich wissen, daß Sie nicht blinzeln?« entgegnete die alte Frau argwöhnisch.

Benson grinste. »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Sie sind eigentlich nicht mein Typ.«

»Hören Sie mal, Sie Schnösel!« gab sie zurück und wurde zum ersten Mal richtig lebendig. »Nur weil Schnee auf dem Dach liegt, heißt das noch lange nicht, daß kein Feuer im Herd brennt! Im übrigen habe ich in den fünfzig Jahren unserer Ehe nie einen anderen gewollt als meinen James! Damit das klar ist: Sie sind auch nicht mein Typ!«

Kelly mußte sich ein Lachen verkneifen. Wenn sie nicht alles täuschte, war Frazer Benson schwul. Doch Wynne war dies bisher entgangen. Kelly aber hätte wetten können, daß Alita es bemerkt hatte, und vermutlich alle anderen in der Gruppe auch.

Sie verband Wynnes Rippen und wandte sich dann an Benson. »Der Nächste bitte. Ich will mir Ihr Bein ansehen.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Schon in Ordnung. Ich warte, bis ich in ein Krankenhaus komme.«

»Ich kann doch wenigstens den schmutzigen Stoff erneuern, den Sie sich umgebunden haben, damit Sie sich keine Infektion holen.« Sie griff nach seinem Bein. »Ich weiß, daß es weh tut. Ich bin ganz vorsichtig. Das verspreche ich.«

»Ich habe nein gesagt!« schrie Benson und rutschte hastig von ihr weg. »Fassen Sie mich nicht an! Wenn etwas daran getan werden muß, tu ich es selbst, bis ich im Krankenhaus bin.«

Seine Heftigkeit erinnerte Kelly an ein verwundetes Tier, das sich nicht helfen lassen wollte. Sie hob beschwichtigend die Hände. »Okay. Okay. Wie Sie wünschen.«

Er atmete erleichtert auf. »Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht anschreien. Es ist nur ... na ja, Sie dürfen mich nicht anfassen.«

Kelly las plötzlich noch etwas in seinem Gesichtsausdruck, etwas anderes als Schmerz. Etwas wie eine klägliche Warnung. Und da dämmerte ihr die Wahrheit. »O nein! Frazer, nein!« murmelte sie tonlos.

Sie sah, wie er schluckte und dann nickte. »Das sollte mein letzter Flug sein. Ich habe mich um einen Schreibtischjob beworben, wo ich weniger Kontakt mit Menschen habe.«

Kelly brachte ein dünnes Lächeln zustande. »Hey!« sagte sie leise. »Magic Johnson ist auch HIV-positiv, und es geht ihm gut. Vielleicht bricht die Krankheit gar nicht aus. Vielleicht schaffen Sie es mit gesunder Ernährung und ärztlicher Versorgung.«

»Vielleicht auch nicht.« Er sah ihr traurig in die Augen. »Sie müssen positiv denken«, entgegnete sie.

»Und Sie und jeder, der keine Gummihandschuhe trägt, läßt die Finger von mir«, sagte er mit Bestimmtheit. »Ich will mein Gewissen nicht belasten. Wenn ich sterben muß, will ich damit keinen anderen in Gefahr bringen.« Nach einer Pause lachte er bittet »So viele kerngesunde Menschen mußten bei diesem Absturz sterben, und ich habe überlebt. Ist das nicht ein Hohn?«

Kelly sah ihn an. Mitleid schnürte ihr die Kehle zu, und sie wußte nicht, was sie sagen sollte.

Insel der Versuchung

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