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Frauen und ihre Meinungen
(1. Gruppensitzung)

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Miras Kinderwunsch und ihre auch heute noch etwas außergewöhnlichen und provokativen Bedingungen wurden einer Frauengruppe zur Diskussion vorgelegt.

Mira selbst war an der Teilnahme an der Gesprächsrunde nicht interessiert, ebenfalls nicht an den Ergebnissen. Die Gesprächsrunde, die ich leitete, bestand aus drei Frauen:

Eva, 36 Jahre alt, ledig, eine 3jährige Tochter, bei einer Wochenzeitung zu 80% festangestellte Journalistin.

Claude, 53 Jahre, geschieden, zwei erwachsene Kinder, Wiedereinsteigerin als Kosmetikberaterin einer führenden Marke.

Barbara, 48 Jahre alt, verheiratet, ein 18jähriger Sohn, Hausfrau.

Die Gesprächszeit wurde auf zweimal eine Stunde festgesetzt. Die folgenden Protokolle sind ab Tonband, auf das Wesentliche gekürzt:

Barbara: Ich bin völlig und total dagegen. Das arme Kind. Anscheinend meint diese Mira, jetzt brauche sie noch ein Kind. So wie ein Abschlußzeugnis.

Eva: Ich frage mich, ob sie überhaupt weiß, was auf sie zukommt? Weiß man denn, was sie mit dem Kind machen wird? Gibt sie es in eine Krippe oder nimmt sie ein Kindermädchen?

Barbara: Sie arbeitet anscheinend zu Hause, als freiberufliche Lektorin.

Eva: Aha. So kann es ja funktionieren …

Claude: Nein – sicher nicht. So funktioniert sowas ganz und gar nicht. Und das Kind? Wenn es mal nach dem Vater fragt? Vater nicht gewollt – oder wie lautet dann die Antwort? Tolle Basis für ein Leben!

Barbara: Was mich schockiert ist diese Männerfeindlichkeit, die ich hinter dieser Geschichte spüre.

Eva: Warum Feindlichkeit? Vielleicht will sie sich bloß abgrenzen. Hat vermutlich massenhaft schlechte Erfahrungen mit irgendwelchen Kerlen gemacht.

Barbara: Und das Kind? Muß das darunter leiden? Ohne Vater, und so …

Ich: Verstehe ich euch richtig, daß ihr alle Miras Vorhaben, ein Kind ohne Vater aufzuziehen, ablehnt? (Allgemeines Kopfnicken)

Ich: Eva, du bist ledig und erziehst deine Tochter größtenteils alleine …

Eva: Ja, eben, größtenteils. Meine Kleine hat aber einen Vater, den sie regelmäßig sieht und heiß liebt. Kunststück, er bietet ihr eben hauptsächlich seine Schokoladenseite.

Ich: Macht dich das nicht manchmal sauer?

Eva: O doch! Und wie …

Ich: Hast du dir noch nie überlegt, daß es ohne ihn einfacher wäre mit deiner Tochter?

Eva: Doch, häufig sogar. Aber ich vertrete die vielleicht altmodische Meinung, daß ein Kind Anspruch hat auf beide Elternteile. Es wäre purer Egoismus und Bequemlichkeit meinerseits, meiner Tochter den Vater vorzuenthalten. Sie kann ja nichts dafür, daß er mir längst nicht mehr paßt. Er ist nun mal ihr Vater. Ich war halt mal blöd genug, mich mit ihm einzulassen. Das Resultat: unsere Tochter – und sie ist super. Ich möchte es nicht mehr anders haben oder gar ungeschehen machen.

Barbara: Ich glaube manchmal, daß verheiratet sein doch am einfachsten ist …

Eva: Um Himmels willen! Warum denn? Mir scheint die Zweierbeziehung mit Abstand die schwierigste aller Lebensformen.

Barbara: Jaja, aber man schleift sich aneinander und paßt mit den Jahren immer besser zusammen.

Claude: Aber sicher doch nur, wenn die Beziehung gut ist.

Eva: In meinem Fall hätten wir uns mit den Jahren eher totgeschlagen.

Ich: Was heißt denn, »wenn die Beziehung sowieso gut ist«?

Claude: Nun, wenn beide zusammenpassen, also ähnliche Interessen und Ziele haben … und sich damit parallel entwickeln können – in dieselbe Richtung.

Barbara: Genau das dachte ich auch. Ich erlebe das mit meinem Mann.

Claude: Du Glückliche. Aber irgendwie traue ich der Sache nicht ganz.

Eva: Ich auch nicht. Aber vielleicht liegt es an mir. Ich habe Mühe mit Beziehungen. Früher oder später habe ich immer den Eindruck, der andere will zuviel oder gar alles von mir. Ich fühle mich eingeengt, kontrolliert. Dann ersticke ich und will raus – sofort!

Barbara: Wie hältst du es dann mit deiner Tochter aus? Die ist doch noch klein und will sicher ständig was von dir? Ich sage immer, kleine Kinder sind wie Vampire.

Claude: Genau, finde ich auch. Ich erinnere mich an unglaubliche Aggressionen meinerseits meinen Kindern gegenüber, als sie noch klein waren und wie Kletten an mir hingen.

Eva: Ich weiß nicht – meine Tochter ist doch noch von mir abhängig. Sie darf an mir kleben und Ansprüche stellen, sie hat ein Recht darauf. Ich bin doch ihre Mutter und sie hat nicht danach gefragt, geboren werden zu dürfen. Ich bin voll verantwortlich für sie und für ihren Start ins Leben. Das ist doch was ganz anderes als so ein Kerl, der an meiner Substanz nagt und mich ständig verfügbar haben will. Das macht mich wahnsinnig. Ich brauche doch im Mann kein zweites Kind!

Claude: Du bist aber auch nicht ständig zuständig für deine Tochter, oder? Du bist doch berufstätig? Das gibt dir doch eine Pause, nicht? Wenn du in der Redaktion bist …

Eva: Ich glaube auch, daß dies ein entscheidender Faktor ist. Meine Kleine ist alt genug für einen guten Privatkindergarten, zudem sorgt meine Mutter zwischendurch für sie.

Barbara: Aha. Jetzt verstehe ich. Die Ansprüche deiner Tochter sind quasi gefiltert, du bist nicht das einzige Liebesobjekt.

Eva: Genau. Und ich bin überzeugt, daß meine Tochter sich ihre benötigten Streicheleinheiten zusammensucht. Ich meine, wenn meine emotionalen Batterien auf leer stehen, dann ist noch meine Mutter da, die Kindergärtnerin, ihr Vater, mein Bruder und mein momentaner Freund.

Barbara: Sie kennt deinen ›momentanen‹ Freund? Ist das gut für ein Kind? Ich meine, das Wort ›momentan‹ heißt doch, daß es nur kurzfristig sein könnte, und dann …

Eva: Ach, das ist sie gewöhnt. Zudem bleiben meine Ex im allgemeinen ganz gut Freund mit mir. Außerdem, sooo viele sind es gar nicht, bloß zwei und mein jetziger Freund. Für Leila (die Tochter) bleiben alle erhalten. Erst kürzlich gab es eine Art ›Ehemaligen-Treff‹ bei mir, mit Leila im Mittelpunkt. Sie findet das toll und liebt alle.

Barbara: Hmm. Eher ungewöhnlich. Also ich weiß nicht …

Claude: Du bist schockiert? Ich bin eher neidisch. Ich finde mich schwer mit jemandem zusammen und habe dementsprechend fürchterlich Mühe und Herzeleid, wenn es dem Ende zugeht. Ein Freund hat mich mal als Klammeraffe bezeichnet. Und wenn Eva es schafft, ihrem Töchterchen etwas Leichtlebigeres zu vermitteln was Gefühle und Männer betrifft, so finde ich das toll. Sie wird weniger leiden als zum Beispiel ich und unzählige andere Frauen.

Barbara: Aber kann ein Kind auf die Art Bezugsfähigkeit entwickeln? Wird es dann nicht etwas, hmm, oberflächlich?

Eva: Du meinst, wie ich? Ich bin nicht oberflächlich. Bloß nicht geneigt, zuviel Energie in etwas hineinzustecken, das mir nicht Gleichwertiges zurückgibt. Und schon gar nicht in eine Beziehung. Eine Beziehung ist doch kein Energieschlucker! Sondern sollte im Gegenteil ein Energiespender sein, jawohl! Und wenn ich das meiner Tochter vermitteln kann, dann hat sie etwas ganz Wesentliches mit auf ihren Lebensweg bekommen! Und dann bin ich stolz darauf!

Barbara: Bitte entschuldige, ich wollte dich nicht ärgern …

Eva: Hast du aber. Du sprichst von deiner glücklichen Beziehung, die anscheinend Parallelentwicklung und gemeinsame Interessen einschließt. Schön für dich. Das gibt dir aber nicht das Recht, jemanden als ›oberflächlich‹ zu bezeichnen, der nicht deine Heile-Welt-Zweisamkeit als Ideal vertritt. Ich habe noch nie den Ehrgeiz verspürt, mich jahrelang am selben Partner ›abzuschleifen‹. Oder anders gesagt, meine Persönlichkeit seiner in einem langwierigen Prozeß anzupassen. Nein danke!

Barbara: Ich muß schon sagen …

Claude: Kinder, Kinder, darum geht es ja gar nicht. Wir wollten doch über Miras Entscheid sprechen.

Eva: Tun wir ja. Nur werden wir zuerst das ganz Persönliche los. Was Mira so alles bei uns anspricht und auslöst.

Ich: Den Eindruck habe ich auch. Ihr zieht große Kreise …

Claude: Vielleicht auch aus Abwehr.

Eva: Wieso Abwehr? Ich finde uns sehr offen.

Claude: Schon. Wir vermeiden aber Stellungnahmen zu Miras Entscheid.

Barbara: Stimmt nicht. Ich sagte bereits, ich sei dagegen. Total dagegen. Weil Mira all ihrem Leistungsnachweis noch eine Krone aufsetzen will: ein Kind.

Claude: Jaja. Das ist deine Sicht: der zusätzliche Leistungsnachweis. Vielleicht weil du nicht berufstätig bist, kannst du es dir nicht vorstellen, Beruf und Kind unter einen Hut zu bringen.

Barbara: Ich empfinde euch äußerst feindselig mir gegenüber!

Eva: Ach Gottchen. Weil wir dir unsere Meinung sagen? Claude hat doch recht. Du bist ständig zu Hause und kannst doch keine Ahnung haben, wie es für eine berufstätige Mutter ausschaut. Sei doch nicht so empfindlich, es ist nun halt mal eine Tatsache.

Barbara: Ich kann dieses arrogante Gehabe von Euch berufstätigen Frauen uns Nur-Hausfrauen gegenüber nicht ausstehen! Nur weil ihr Geld verdient. Das Salz der Erde sind aber doch wir: die Mütter, die sich nicht zu schade sind, tatsächlich da zu sein für ihre Familien. Wenn die Frauen das nur einsehen könnten – es würde wesentlich weniger Schwierigkeiten in Schule und Elternhaus für die Kinder geben, wenn Mutterschaft richtig verstanden würde. Nämlich als wirklich verfügbare, weil anwesende Bezugsperson. Und nicht als Karriereweib, das seine egoistische Selbstbestätigung außerhalb des Hauses suchen muß, auf Kosten der ganzen Familie.

Claude: Hört, hört. Hier spricht meine Großmutter …

Eva: Sag mal, spinnst eigentlich? Abgesehen davon, daß ich deine ständige Verfügbarkeit sowieso anzweifle – die innere, meine ich – was tust du eigentlich den ganzen Tag? Dein Sohn ist ja sowieso erwachsen …

Barbara: Er ist 18 und braucht mich noch sehr. Merkt ihr, wie schnell ihr aggressiv werdet? Nur weil ich euch an Mutterpflichten erinnere? Und ich wage sogar zu behaupten, daß ihr ein schlechtes Gewissen habt.

Eva: Abgesehen von dem ganzen hirnverbrannten Blödsinn, den du erzählt hast – ja, das stimmt. Ich habe immer wieder ein schlechtes Gewissen. Und du Claude?

Claude: O ja! Aber anders als du denkst. Wegen meinem früheren schlechten Gewissen habe ich mir lange Zeit keinen Freund gegönnt. Ich hatte Sorge, meine Kinder würden das als Verrat dem Vater gegenüber empfinden. Ich habe deswegen auch die Trennung von meinem Ex-Mann viel zu lange hinausgezögert. Ich habe ihnen ein grauenhaftes Frauen- und Beziehungsbild vermittelt durch diese Feigheit. Damals dachte ich aber anders. Ich meinte allen Ernstes, ich würde den Kindern ›zuliebe‹ in dieser für mich katastrophalen Beziehung ausharren. Dabei waren es Ängste, Schuldgefühle und eine tüchtige Portion Bequemlichkeit – er verdiente sehr gut.

Barbara: Ich finde diese Bemerkungen herzlos. Du hast deinen Ex-Mann doch sicher mal geliebt, oder?

Claude: Und wie! Ich war völlig verrückt nach ihm. Und habe ihn gegen die Warnungen meiner Mutter geheiratet.

Barbara: Siehst du? Vielleicht hättest du mehr machen können für diese Liebe …

Eva: Mir wird gleich schlecht. Gehen wir doch zum Thema Mira zurück.

Claude: Weißt du, Barbara, kaum war ich verheiratet, begann meine Mutter genau so zu sprechen wie du. Vor meiner Ehe war sie dagegen – nachher kippte sie. Als er mich das erste Mal schlug, hat sie mir unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit gestanden, daß auch mein Vater sie ›anfänglich‹ geschlagen habe. So seien eben Männer: eher aufbrausend. Ich sollte dem meinen weniger Paroli bieten, ihn weniger provozieren. Ich sei schon immer ein Widerspruchsgeist gewesen. O.k., dachte ich, sie muß es ja wissen, sie ist meine Mutter, älter und beziehungserfahrener. Später sagte sie dann: Denk an die Kinder, sei nicht so egoistisch. Sie werden es dir eines Tages danken. Ha, meine Mutter! Was mich das gekostet hat, mich allmählich von diesem Frauenbild zu lösen … Und jetzt erleben zu müssen, wie meine eigenen Kinder mühsam versuchen, mit ihren Beziehungsschwierigkeiten klarzukommen … Sie hatten eben miserable Vorbilder. Mein Ex und ich. Und somit kämpfe ich mit neuen Schuldgefühlen. Und jetzt kommst du, Barbara …

Barbara: Er hat dich geschlagen?!

Claude: Ja, aber das ist lange vorbei.

Barbara: Sowas finde ich schrecklich. Dann verstehe ich, daß du gehen mußtest.

Eva: Aha. Weil der böse Mann Claude geschlagen hat, verstehst du, warum Claude ›gehen mußte‹. Und damit steht die Kirche wieder im Dorf, gelt?

Barbara: Ich verstehe nicht …

Eva: Natürlich nicht. Ich dir erklären …

Ich: So nicht, Eva!

Eva: Pardon. Aber mir reichts. Schau Barbara, die Beziehung zwischen Claude und ihrem Ex stimmte anscheinend überhaupt nicht – die Schläge waren ›nur‹ noch ein zusätzliches Symptom. Für dich sind sie aber der alles erklärende Faktor. Entschuldige, aber ich finde dich sehr dumm, beziehungsdumm …

Ich: Eva!

Barbara: Nein, nein, laß sie nur. Vielleicht erzähle ich euch einmal etwas. Von meiner Beziehung. Nicht jetzt. Irgendwie hat Eva eben recht … Aber jetzt will ich nicht darüber reden.

Ich: Unsere abgemachte Zeit ist um. Wie besprochen, werde ich Euer Gespräch zusammengefaßt ab Band protokollieren. Bis jetzt habe ich den deutlichen Eindruck, daß Miras Geschichte ganz fundamentale weibliche Werte und Vorstellungen berührt, provoziert und in Frage stellt.

Eva: Weiß Gott – aber es ist spannend. Bitte, Barbara, entschuldige meine Ausfälligkeiten.

Barbara: Schon gut. Du scheinst etwas bei mir zu spüren, das ich sorgfältig verstecke, auch vor mir.

Claude: Ich bin völlig durcheinander. Wann sehen wir uns wieder?

Ich: Heute in einer Woche, wie abgemacht. Und sprecht vorläufig bitte nicht untereinander über diese Themenkreise weiter, damit wir unvorbereitet und spontan weitermachen können.

Die gespaltene Frau

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