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Frauen und ihre Meinungen
(2. Gruppensitzung)

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Barbara erscheint mit Verspätung, Eva und Claude sitzen bereits seit einer Viertelstunde bei mir und trinken Tee.

Barbara: Tut mir leid … eigentlich wollte ich nicht kommen. Aber dann fand ich mich feige. Im letzten Moment und so …

Claude: Ich verstehe dich. Im Nachhinein habe ich mir überlegt, warum wir so unglaublich persönlich wurden. Und es hatte doch etwas mit dir zu tun, Barbara, obschon ich sagen muß, daß Eva ein unglaublicher agent provocateur ist.

Eva: Ein was?

Claude: Stell dich nicht dumm! Und sei heute ein wenig gemäßigter, ja?

Eva: Ich wußte gar nicht, daß du das Gespräch heute leitest …

Ich: Tut sie auch nicht. Nur ging das Ganze für Claude etwas zu weit, das letzte Mal, nicht wahr?

Claude: Ja, es hat mich erschreckt. Ich dachte, wir Frauen seien weiter.

Barbara: Wie meinst das?

Claude: Nicht so feindselig, so aggressiv, etwas solidarischer … Und ich möchte wirklich über die Mira-Geschichte reden heute.

Eva: Von mir aus gerne. Ich sehe bloß nicht den Mangel an Solidarität. Nur weil wir nicht alle in konservativen Mustern und Beziehungen leben? Eben das beinhaltet doch, daß wir Frauen ›weiter‹ sind.

Claude: Schon. Ja. Aber es hat etwas Erschreckendes, wenn es Feindseligkeit auslöst. Ich mußte mich ja auch lösen aus alten Schienen – und habe deutlich gespürt, wie sich einige Frauen deswegen von mir zurückzogen.

Eva: Also das erlebe ich überhaupt nicht. Mein Umkreis findet mich und meine Lebensweise völlig o.k. Alle unterstützen mich, ob privat oder in der Redaktion.

Ich: Könnte es sein, Eva, daß du dich in einem ganz speziellen Umkreis bewegst?

Eva: Was meinst du damit?

Ich: Nun, du hast einen Beruf gewählt, der vom Intellektuellen her bereits eine bestimmte Geisteshaltung voraussetzt, zum Beispiel eine liberale, offenere Art des Denkens, nicht? Und das prägt sicherlich eine Lebenseinstellung.

Eva: Aha. Ich verstehe, worauf du hinaus willst. Ja, das stimmt sicherlich. Mein Freundeskreis ist recht homogen, es würde sich niemand daran stoßen, daß ich meine Tochter mehr oder weniger alleine aufziehe und gelegentlich meine Freunde wechsle. Deshalb muten mich diese Gruppengespräche hier fast anachronistisch an. Wie können Frauen noch so denken wie gerade du, Barbara? Das ist doch vorbei, das waren noch unsere Mütter, es ist nicht mehr zeitgemäß. Wir Frauen haben doch unsere Selbstbestimmung, unseren Beruf und sonst steigen wir sofort auf die Barrikaden!

Barbara: Du, ja! Ich nicht. Ich lebe wie meine Mutter und dachte vor kurzem noch, es sei auch für mich richtig und gut. Und seit dem Gespräch mit euch ist einiges bei mir ins Wanken gekommen. Falsch: ins Schleudern. Ich hatte eine ganz miese Woche. Meine Mutter pflegte zu sagen, daß alles auf uns zurückfällt, was wir Schlechtes gemacht haben. Selbst wenn wir meinen, es sei vergessen und fast ungeschehen.

Claude: Ist es das, was du letzte Woche angetönt hast – Eva gegenüber?

Barbara: Jaja. Und ich muß es loswerden …

Eva: Dann schieß mal los!

Ich: Langsam. Verstehe ich dich recht, Barbara, daß du uns etwas aus deiner Geschichte erzählen willst, das im Zusammenhang zu der von Mira steht?

Barbara: Ja.

Ich: Nun, wenn alle einverstanden sind … aber wie machen wir es mit unserem Hauptthema?

Eva: Wir wechseln es. Seien wir doch flexibel.

Barbara: Nein, ja nicht. Meine Geschichte steht im direkten Zusammenhang zu Miras. Aber ich kann dieses Thema nicht angehen, ohne mit mir ehrlich gewesen zu sein. Können wir nicht die Zeit etwas verlängern?

Ich: Von mir aus ist das o.k. Wie sieht es mit den anderen aus? Claude? Eva?

Eva: Ich bin ja so gespannt! Verlängern wir, klar doch!

Barbara: Du, Eva, das ist alles off-record? Gelt? Ich habe keine Lust, eine verzerrte Version meiner Geschichte in deiner Zeitung zu finden, klar?

Eva: Sei nicht komisch, natürlich nicht.

Ich: Ich darf deine Geschichte aber aufnehmen?

Barbara: Ja. Aber wenn du sie als Fallbeispiel brauchst, dann zeige sie mir vorher, bitte. Ich möchte nicht, daß jeder Nachbar mich erkennen kann.

Ich: Versprochen. Dann ›schieben‹ wir vorerst Barbaras Geschichte ein.

Barbara: Zuerst muß ich sagen, wie außerordentlich aggressiv mich Miras Geschichte machte. Ich war einverstanden, in dieser Frauengruppe mitzudiskutieren, um meinen Standpunkt ganz unmißverständIich klar zu machen. Ich habe etwas gegen männerfeindliche Emanzen und Karriere-Weiber, die als Krönung ihrer Laufbahn noch Kinder wollen. Nach dem Motto: und ein Kind schaffe ich auch noch … Ich habe eben andere Werte in mir, was Frauen und Mütter betrifft.

Dann aber wandte sich meine Wut unterschwellig gegen Eva. Denn eigentlich gehört sie auch zu diesen von mir verabscheuten Emanzen. Und daß Eva noch einen festen Freund hat, der nicht der Vater ihrer Tochter ist und zudem unter ›momentaner‹ Beziehung läuft – das alles stempelte Eva für mich zu einer fast liederlichen Person. (Verzeih, Eva!)

Nun, ich bin inzwischen Nur-Hausfrau, aber dadurch keineswegs weg vom Fenster. Ich bin gut informiert und lese viel. Zudem habe ich vor Jahren eine kürzere Psychotherapie beendigt. Ich will damit sagen, daß ich durchaus einen ganz gut geschulten Verstand habe und genügend Selbstkritik. Diese Aggressivität Eva gegenüber machte mich stutzig – ich begann noch während des letzten Gruppengespräches über das ›Warum‹ nachzudenken. Was hatte Eva gesagt oder getan, was in mir eine solche Wut auslösen konnte. Und mir fiel Evas Antwort ein auf meine Äußerung hin, daß Miras Männerfeindlichkeit mich schockiere. Eva sagte dann, Mira wolle sich vielleicht bloß abgrenzen, weil sie schlechte Erfahrungen hinter sich habe mit irgendwelchen Männern. Ich merkte, daß ich ein wichtiges Kapitel meines Lebens nicht genügend verarbeitet hatte. Männer …

Also: ich stamme noch aus einer Generation, der gepredigt wurde, daß Männer anständige Mädchen vorziehen. Und anständige Mädchen zieren sich lange, um deutlich zu machen, daß sie sich von den anderen, hmm, weniger anständigen Mädchen unterscheiden. Ich war 29 und zierte mich gezielt. Mit vollster Unterstützung meiner Mutter, die endlich einmal begeistert war von dem Mann meiner Wahl. Ich war längst nicht mehr Jungfrau, und hatte dabei einige ganz leidenschaftliche Episoden trotz vielen Schuldgefühlen sehr genossen. Schuldgefühle, weil meine Mutter mir ernsthafte Vorhaltungen machte wegen meiner Moral. Auch Schuldgefühle, weil ich mein Leben eigentlich gut fand, so wie es war. Ich bin gelernte Textilzeichnerin und verbrachte meine gesamte Freizeit in einer eher avantgardistischen Clique. Überflüssig zu sagen, daß meine Mutter meine Freunde spontan ablehnte. Es waren meist langhaarige, schmuckbehangene junge Männer, mit einem Faible für linksorientierte politische Richtungen. Ich selbst war voller Begeisterung mit dabei, ohne mich jedoch von den Werten und Bequemlichkeiten meines Elternhauses lösen zu können. Ich führte jahrelang ein etwas kompliziertes Doppelleben deswegen – zu Hause bei meinen Eltern die angepaßte Tochter mit einem künstlerischen Beruf, bei meinen Freunden die eher ausgeflippte Version derselben. Wobei zu sagen ist, daß die angepaßte-Tochter-Version wesentlich mehr meinem Ich entsprach. Für mich war meine Zeit in meinem Beruf sowieso eine Übergangsphase – bis ich den ›Richtigen‹ finden würde, der zu meiner Erziehung und den damit verbundenen Werten paßte. Und ich zu der Art Frau würde, die schon meine Mutter und meine Großmutter mir vorgelebt hatten. Eine anständige Ehefrau, die später eine voll zuständige und verfügbare Mutter für ihre Kinder wird. Natürlich alles mit dem richtigen Hintergrund und dem passenden Freundeskreis.

Meine Mutter begann bekümmert zu werden. Die Zeit verging. Sie wünschte sich Enkelkinder von und mit einem passenden Schwiegersohn. Mein Vater war da eher zurückhaltend und schien irgendwie meiner ›ausgeflippten Version‹ beizupflichten. Nach der Gesprächsrunde hier würde ich jetzt statt ausgeflippt ›emanzipiert‹ sagen.

Je älter ich wurde, um so beunruhigter fühlte ich mich. Laut meiner Mutter mußte ich mich dringendst nach einer festen und seriösen Beziehung umsehen. Ihr gefielen all die ›jungen Schnösel‹ um mich herum nicht, und schon gar nicht meine Lebensweise. Natürlich hatte meine Mutter Erfolg mit ihren dauernden Ermahnungen.

Endlich lernte ich einen Mann kennen, der all meinen (mütterlichen) Vorstellungen entsprach. Er war älter als ich, erfolgreich, fuhr ein teures Auto und brachte meiner Mutter Blumen. Und ich zierte mich, wie es sich gehörte. Ich war anständig. Er machte mir bald einen Antrag, den ich freudestrahlend annahm, sehr zum Entzücken meiner Eltern. Ich machte – trotz allem – eine gute Partie. Man konnte endlich stolz sein auf mich. Daß ich inzwischen verschiedene Preise im Textildesign gewonnen hatte, war längst nicht soviel Aufmerksamkeit wert gewesen wie jetzt meine bevorstehende Hochzeit.

Es lief alles wie nach einem allgemein bekannten und bewährten Drehbuch: Die Hochzeit war ein schönes Fest – mein Mann hatte bereits ein Haus, dem ich die weibliche Note in der Einrichtung verlieh – ich wurde wunschgemäß trotz vielen Jahren Pille schlucken prompt schwanger – unsere Eltern waren gerührt … Nur, ich war nicht richtig glücklich, etwas fehlte. Heute würde ich sagen, mein Ich fehlte. Ich, mein Freiraum, eine Form von Bestätigung, die noch anderes als mein gutes Kochen und mein Aussehen erfaßte. Aber damals wußte ich das nicht.

Natürlich hatte ich meine Stelle aufgegeben. Mein Mann konnte sich aufgrund seines Unternehmens kaum an der aktiven Nestpflege beteiligen, ich war meistens mit meinem Söhnchen alleine. Aber da ich auf dieses Mutter- und Hausfrauendasein von klein auf programmiert war, schien mir alles seine Richtigkeit zu haben. Ich war halt launisch oder verwöhnt, wie meine Mutter zu sagen pflegte, wenn sie mich in gedrückter Stimmung erlebte. Mein Mann merkte nichts, meine Fassade stimmte. Ich war vermutlich genau so, wie er schon seine Mutter erlebt hatte.

Es kam, wie es kommen mußte: Ich verliebte mich Hals über Kopf in einen ehemaligen Arbeitskollegen, den ich zufällig bei einer Einladung wieder traf. Und plötzlich merkte ich, was mir alles fehlte: der Austausch, die gemeinsamen Interessen, einen ähnlichen Humor, Erotik … schlagartig begann ich wieder zu leben und aufzublühen.

Meine Mutter bekam immer häufiger meinen kleinen Sohn zum Hüten, während ich meiner neuen Liebe frönte. Und wieder lebte ich zwei verschiedene Ichs. Noch immer merkte mein Mann nichts. Hauptsache, er hatte sein gepflegtes Heim, einige auserlesene Einladungen für seine Geschäftsfreunde und eine hübsche, repäsentative Ehefrau mit einem gesunden Sohn.

Der andere Mann wurde mir immer wichtiger. Meine Moralvorstellungen drückten. Nach etwa einem Jahr anstrengendem Doppelleben eröffnete ich meinem Mann eines Abends, daß ich die Scheidung wünschte. Für ihn brach offensichtlich eine Welt zusammen. Er schluckte daraufhin in der gleichen Nacht eine größere Anzahl Schlaftabletten.

Als ich erst gegen Morgen nach Hause kam, nachdem ich meinem Freund erzählt und mit ihm gefeiert hatte, daß ich fortan frei sei, fand ich meinen Mann seltsam hingestreckt in seinem Sessel. Neben ihm lagen leere Pillenschachteln, Bierdosen und ein Abschiedsbrief mit dem Inhalt, ohne mich hätte sein Leben keinen Sinn mehr. Ich rief die Ambulanz, er wurde sofort ins Krankenhaus gebracht und gerettet. Den Abschiedsbrief habe ich vernichtet. Er und ich haben nie ein Wort über diese Nacht verloren. Meinem Freund habe ich in einem kurzen Telefonat mitgeteilt, es sei aus zwischen uns. Einfach so, ohne Erklärungen. Seine Briefe habe ich ungelesen zurückgeschickt, seine Anrufe aufgehängt, bis er sich nicht mehr meldete. So – das war's … Meine ungeheuren Schuldgefühle habe ich langsam verarbeitet, auch dadurch, daß ich wirklich zu einer mustergültigen Ehefrau und Mutter wurde. Und innerlich vermutlich erfroren bin. Nichts mehr hatte, weil ich grenzenlos wurde, nur um nie mehr schuldig zu werden. Und dann Miras Geschichte …

Eva: Puh – was für eine triste Story. (Steht spontan auf und kniet neben Barbaras Sessel nieder.) Tut das Auftauen weh?

Barbara: O ja. Es stellt alles in Frage. Und ich wußte bis heute nicht, ob ich das überhaupt will. (Legt den Arm um Evas Schultern. Beide schweigen.)

Claude (nach einer langen Weile): Hmm, ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll …

Barbara: Am besten direkt.

Claude: Also, die Geschichte mit den Müttern als Salz der Erde im Gegensatz zu den bösen Karriereweibern – das war dein sogenanntes Fassaden-Ich, oder?

Barbara: Ja, und nein. Wie ich sagte, ich glaubte tatsächlich, inzwischen eine ganz gute Ehe zu führen … Aber einiges mußte ich mir eben fest einreden … Es klingt sicher abstrus … Aber da gehörten solche Überzeugungen eben dazu. Damit ich mich doch ernst nehmen konnte, oder? Und dann mußte ich mich doch gegen euch zur Wehr setzen …

Claude: Wie geht es denn mit deinem Sohn?

Barbara: Ich mache mir große Sorgen um ihn. Auf eine Art lehnt er mich ab, auf eine andere sucht er ständig meine Nähe. Freunde hat er kaum … außer seinem Hund. Er hat soeben mit Mühe sein Abi bestanden. Jetzt möchte er Tierarzt werden. Aber mein Mann findet das nicht so gut. Er meint, er solle mehr mit Menschen zu tun haben. Damit er seine Schüchternheit verliert. Er ist das Produkt meiner bisher unbewußten Verlogenheit und der Zurückhaltung meines Mannes.

Eva (steht auf und kehrt zu ihrem Sessel zurück): Ein mächtiger Mann, dein Alter, gelt?

Barbara: Wie? Mein Mann? O nein. Eben ganz im Gegenteil. Er überläßt mir alles und ist froh, keine Entscheidungen treffen zu müssen.

Eva: Barbara, als ich sauer auf dich war, habe ich dich als beziehungsdumm bezeichnet, erinnerst du dich? Gut. Jetzt bin ich längst nicht mehr sauer auf dich. Ich glaube sogar, dich verstehen zu können. Und ich sage dir nochmals, du bist beziehungsdumm. Hast du schon mal was von der Macht der Schwachen gehört?

Barbara (lacht hilflos): Erklär es mir.

Eva: Als du ihn verlassen wolltest, hat er schwupps! einige Tabletten geschluckt, zu Hause, im Lieblingssessel. So, daß du …

Barbara: Sei still!

Eva: Und jetzt findet er es nicht gut, daß euer Sohn einem eigenen Ziel nachlebt. Wie wird er das durchsetzen? Indem er einen Herzanfall hat?

Barbara: Nein, er kriegt Magenkoliken und Nierensteine und Gürtelrosen.

Eva: Aha – du weißt also doch Bescheid. Deswegen machen dich Frauen, die sich erfolgreich gegen Männer abgrenzen, so sauer, gelt? Weil du es nicht kannst? Weil du seit Jahren schutzlos bist und selbst deinen Jungen nicht schützen kannst? Gegen deinen Mann!

Barbara weint.

Claude nimmt Barbara in die Arme, Barbara wehrt sich.

Barbara: Nein, laß mich. Ich will nicht getröstet werden, das hält mich passiv.

Ich: Wie geht es weiter mit deinem Sohn, Barbara?

Barbara: Er sagt, wenn er sein Veterinär-Studium nicht machen dürfe, bringe er sich um … (schluchzt)

Claude: Aber nein!

Eva: Siehst du? Wie sein Alter!

Ich: Und was sagt dein Mann?

Barbara: Daß unser Sohn viel zu sensibel sei für so einen Beruf. Er sieht ihn eher als Chemiker oder so.

Ich: Und wo liegt der Druck?

Barbara: Mein Mann sagt unserem Sohn, er sei zu wenig männlich. Tierarzt sei ein typischer Fluchtberuf. Aber als Chemiker, da hätte er Zukunft. Zudem hat mein Mann eine Konservenfabrik von seinem Vater übernommen und meint, unser Sohn werde die mal weiterführen. Sonst wäre sein Lebenswerk und das seines Vaters ja nutzlos, so ohne Erben.

Claude: Und hier setzt sonst die Gürtelrose an? Und dein Sohn kann sich auch nicht abgrenzen? Wir müssen aufpassen, daß wir Abgrenzungsprobleme nicht ausschließlich weiblich definieren.

Eva: In dieser Familie herrscht ungefähr soviel Druck und Enge wie in einer Sardinendose. Nein, Barbara, in deiner ›glücklichen Ehe‹ habt Ihr euch nicht aneinander abgeschliffen, sondern du wurdest eher platt gedrückt, und dein Sohn auch – und vielleicht dein Mann auch, wer weiß …

Alle schweigen.

Barbara (putzt sich die Nase). So! Und jetzt werde ich wieder zu denken beginnen und mich nicht durch Aggressivität und Scheuklappen weiterhin schützen. So kann es nicht weitergehen. Schon gar nicht mit meinem Sohn. Er braucht mich tatsächlich. Aber nicht als Gluckenmutter, sondern als eigenständige Frau.

Ich: Deine Aggressivität und deine Scheuklappen waren wohl indirekte Abgrenzungsversuche. Vermutlich wie die Krankheiten deines Mannes auch. Und die Selbstmorddrohung deines Sohnes. Vielleicht können sich deine Erkenntnisse, wenn du sie aktiv umsetzt, deiner ganzen Familie gut tun. Abgrenzung und Selbstverwirklichung sind nichts Negatives, sondern ein urmenschliches Bedürfnis. Schlimm wird es nur, wenn dieses Bedürfnis aufgrund falscher oder falschverstandener Erziehungswerte und nicht passender Vorbilder verleugnet wird. Wenn man meint, Abgrenzung sei Liebesentzug. Du wirst deinem Sohn gut tun. Aber sei geduldig mit dir.

Claude: O ja, o ja.

Eva: Vor allem mußt du jetzt anfangen, wieder etwas zu tun, was dir Sicherheit und Selbstbewußtsein vermittelt. Etwas außerhalb der Familie. Auch wenn dein Mann deswegen zuerst mal Gürtel-Gallen-Nieren-Rosen kriegt … Ich glaube, du schaffst es, deine vereisten Bedürfnisse aufzutauen.

Alle lachen.

Barbara: Danke. Ich muß aber vorerst alleine, für mich weiterdenken und dann mit meiner Familie reden. Zum ersten Mal ganz ehrlich. Jetzt aber bin ich für Miras Geschichte bereit. Und jetzt darf ich sagen, daß Mira vielleicht doch recht hat.

Ich: Warum?

Barbara: Weil sie sich als Frau sicher genug fühlt, um sich und das Kind nicht der eventuellen Risikogröße Beziehung und Mann auszusetzen. Weil sie anscheinend nicht den gesellschaftlichen Deckmantel der Ehe und Familie braucht, um ein Kind wünschen zu dürfen. Und weil sie anscheinend kein so bremsend-passives Mutterbild hat wie zum Beispiel ich … Weil sie ehrlich ist. Weil ihr unsere Meinungen piepegal sind. Sonst wäre sie ja hier. Ich bin nicht mehr sauer auf Mira – ich bewundere sie. Und ich werde mir ein Stück abschneiden.

Claude: Ich bin diesen extremen Sinnesänderungen nicht gewachsen! Ich bin nach wie vor der Meinung, daß ein Kind Anspruch hat auf seinen Vater.

Eva: Ich auch. Aber was ist, wenn der Vater tatsächlich Unheil anrichtet? Oder wenn die Beziehung der Eltern überhaupt nicht funktioniert? Und das Kind deswegen in einem miesen Klima aufwächst …

Claude: Wie kann man das von vornherein wissen? Man kann den Mann ja nicht probeweise als Vater erleben.

Barbara: Und sich als Mutter auch nicht. Plötzlich hört frau sich Dinge sagen zu einem Kind, die sie früher von der eigenen Mutter gehört hatte und völlig daneben fand. Und jetzt tut sie dasselbe. Ich glaube, nein, ich weiß, das Risiko liegt auf beiden Seiten.

Ich: Claude, hast du den Eindruck, ein Mann sei als Vater grundverschieden denn als Partner?

Claude: Ja, unbedingt. Als Mann toll, umwerfend, sexy – aber nur solange keine Kinder da sind. Dann können Männer plötzlich eifersüchtig auf das Kind werden, und blödsinnig autoritär.

Eva: Achtung! Das sagen Männer von uns Frauen auch. Toll, umwerfend, sexy – bis sie ein Muttertier wurde. Dann band sie sich eine Schürze um. Und der Beischlaf fand nur noch an Ostern statt, oder so …

Claude: Ich spreche vom Besitzanspruch der Männer!

Eva: Und ich von dem der Frauen. Verrückt, wie Frauen sich in Heimchen oder autoritäre Matronen verwandeln können, sobald Kinder da sind, auf die sie sich draufhocken können.

Ich: Sprichst du aus persönlicher Erfahrung, Claude?

Claude: O ja! Ich hatte einen sogenannten Traummann – bis zum ersten Kind. Er war aufmerksam, verwöhnend, solange er mich exklusiv hatte. Auch meine Schwangerschaft fand er entzückend und erotisch. Die Geburt wurde noch in allen Details gefilmt. Von da an gings bergab. Er vertrug keine Störung, keine Konkurrenz in seiner Beziehung zu mir. Er wollte eben nicht nur Mann, sondern auch Kind sein. Er fand es abweisend und beleidigend von mir, daß ihm, weil ich das Kind stillte, meine Brüste weniger zur Verfügung standen, oder daß ich ihn freundlich, aber bestimmt unterbrach, weil das Kind schrie und ich es beruhigen wollte. Ich hatte viel Geduld mit meinem Mann beim ersten Kind – aber unsere Beziehung kühlte massiv ab.

Ich erlebte ihn als kindisch, egoistisch und rücksichtslos. Nicht sehr förderlich für eine Partnerschaft. Dann ergab sich ungewollterweise eine zweite Schwangerschaft in relativ kurzer Zeit. Dann war er fertig. Ich hatte nebst zwei kleinen Kindern meinen Kindmann. Es ging nicht mehr, ich grenzte mich immer mehr ab ihm gegenüber. Er wurde immer ungeduldiger mit den Kindern und frustrierter durch mich. Und dann wurde er tätlich. Bald erfuhr ich, daß er eine Freundin hatte – mit viel Zeit für ihn, ohne Kinder. Mit mir wurde er gereizter und aggressiver, und brutaler.

Wir haben uns wegen meinem urkonservativen Frauenbild und den Ratschlägen meiner Mutter viel zu spät getrennt, es waren nur noch negative Gefühle meinerseits da. Aber finanziell war er dann sehr großzügig, ich konnte mich problemlos etwa sechs Jahre fast ausschließlich den Kindern und dem Aufpäppeln meines Selbstwertes widmen. Dann war ich wieder fähig, aktiv zu werden, ich brauchte wieder meinen Beruf, meine Bestätigung.

Inzwischen ist mein Exmann ein netter Gesprächspartner für die Kinder geworden – sie sind beide erwachsen und wollen nichts von ihm. So kann er freiwillig etwas abgeben. Ich selbst mag ihn kaum sehen. Unsere Beziehung war derart destruktiv – mir bleiben kaum gute Erinnerungen. Es reicht nicht, um eine Freundschaft aufzubauen.

Ich: Und sonst?

Claude: Mir geht es inzwischen blendend. Ich habe wohl einen festen Freund, seit Jahren, aber ich will nie mehr mit einem Mann fest zusammenleben. Jeder hat seine Wohnung, seinen Freiraum, und so ist das Zusammensein freiwillig von beiden Seiten. Natürlich sind emotionale Besitzansprüche da – aber sie können nicht ins Destruktive wuchern. Ich habe mein inneres Frauenbild verändern können. Es hat Jahre gebraucht, und ich mußte massivste Schuldgefühle verarbeiten. Es hat sich gelohnt. Sogar meine Mutter hat davon profitiert. Früher war sie der Stolperstein in meiner Weiblichkeitsentwicklung, heute ist sie eine aufgeschlossene und engagierte Freundin.

Eva: Und deine Kinder?

Claude: Die haben es noch schwer. Beide haben Mühe mit ihren Beziehungen – ihnen fehlten positive Vorbilder in ihren prägenden Jahren – genau wie bei mir. Sie haben aber den Vorteil, daß sie mich jetzt als gereifte Gesprächspartnerin haben, und sie nehmen durchaus wahr, daß ich mein Leben konstruktiv verändert habe. Also können sie es auch, sie müssen da einfach durch. Das ist meine Botschaft an meine Kinder. Es gibt Korrekturmöglichkeiten im Leben. Wie jetzt bei Barbara.

Ich: Ich habe euch letzte Woche die Frage gestellt, ob ihr Miras Entscheid, ein Kind ohne Vater aufzuziehen ablehnt, und ihr habt bejaht. Wie ist eure Antwort heute?

Eva: Ich finde es nach wie vor besser, wenn ein Kind beide Elternteile zur Verfügung hat. Aber es müssen auf jeden Fall die Umstände berücksichtigt werden.

Claude: Beide Elternteile heißt doch, männliche und weibliche Identifikationsfiguren, nicht? Also könnte doch auch jemand anders an Vaters Stelle treten? Ein Mann, der wirklich ein positives Männerbild vermitteln kann, ein Freund der Mutter vielleicht? Ich glaube nicht, daß Blutsverwandtschaft eine Rolle spielt. Außer man pocht darauf.

Barbara: Dann ist auch die Mutter ersetzbar …

Eva: Das wird schwieriger. Da ist von Anfang an mehr Bezug da, schon nur vom Biologischen her.

Barbara: Was noch gar nichts aussagt über die Qualität. Schlimm für eine Tochter, eine zwar liebende, aber konventionell zurückbindende Mutter als Vorbild zu haben.

Claude: Also ich war eine schlechte Mutter. Nicht weil ich meine Kinder nicht liebte – sondern weil ich nicht in der Lage war, ein positives, eigenständiges Frauenbild zu vermitteln.

Ich: Ich glaube, dieses Thema würde den Rahmen des heutigen Gespräches überdehnen.

Claude: Über die Mutter als wegweisende Identifikationsfigur kann gar nicht genug gesprochen werden. Ich finde das Thema noch immer und immer wieder hochaktuell.

Barbara: Nicht nur das Mutterthema! Es kann doch nicht nur immer alles an der Mutter hängen … Es braucht genauso den Vater, den Mann.

Claude: Jaja. Aber wir Frauen sind doch von unseren Müttern geprägt in unserem Frausein.

Eva: Das könnte ein wundervoller Schlußsatz sein … Wann sehen wir uns wieder? Zum Thema Mutter? Ich habe inzwischen Blut gerochen. Ihr seid doch nicht so rückständig …

Und so entstand die Idee einer späteren und dritten Gesprächsrunde.


Die gespaltene Frau

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