Читать книгу Ein undurchsichtiger Gentleman. - Catherine St.John - Страница 5

Kapitel 3

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Beim Dinner sah Annabelle auch ihren Bruder wieder, der seiner Mutter flüchtig die Hand küsste, „Siehst nett aus, Belle“, murmelte und dann zusah, wie den Damen die Stühle zurecht gerückt wurden.

Annabelle hielt sich sehr gerade und bemühte sich, sich nicht im Speisesaal umzusehen, schließlich hatte sie ja Mama versprochen, sich untadelig zu benehmen. Immerhin schien der Speisesaal gut besucht zu sein, das lebhafte Stimmengemurmel konnte man auch bemerken, wenn man mit dem Rücken zum Saal saß.

„Nun, John, was hast du unternommen?“

„Ich war ein wenig in meinem Club, wo sie mich tatsächlich getadelt haben, weil ich so selten in der Stadt sei. Einige meiner Bekannten saßen dort, aber manche hatten schon zu dieser Tageszeit reichlich den Erfrischungen zugesprochen.“

„Ist das schlimm?“, erkundigte Annabelle sich. „Darf man tagsüber nichts trinken, auch wenn man durstig ist?“ Zur Unterstreichung hob sie ihr Limonadenglas.

„Ich meinte alkoholische Erfrischungen“, erläuterte John nachsichtig. „Tee oder dieses süße Zeug kann man natürlich immer trinken, aber diese Tröpfe waren schon lange vor dem Dinner kaum noch imstande, einen klaren Satz herauszubringen oder auch nur einigermaßen gewandt aufzustehen. Das ist dann schon recht peinlich, finde ich.“

„Gab es interessante Neuigkeiten?“, wollte Lady Horbury wissen.

„Kaum“, bedauerte John. „Die Lage seit dem Tod von Prinzessin Charlotte ist ja schon allgemein bekannt, und bis jetzt hat man noch nicht gehört, dass jemand einen Ersatz – äh.“ Er brach ab, als er sah, wie fasziniert Annabelle lauschte.

„Und dann“, fuhr er hastig fort, „diskutieren manche immer noch über den Tod dieses grässlichen Lynet – erinnert ihr euch noch?“

„Er war wirklich gemein zu seiner armen Tochter – aber die ist ja nun verheiratet“, sinnierte Annabelle.

„Und darüber, dass sich ein reicher Geschäftsmann aus der City als Lynets Bruder und Erbe gemeldet hatte.“

„Hielten sie ihn etwa für einen Hochstapler?“ Lady Horbury war erstaunt.

„Nein, sie wissen ja, dass er der echte Bruder ist, schließlich haben Hertwood und die kleine Melinda ihn anerkannt – und Margaret, die Witwe, auch. Aber manche Leute müssen eben immer Klatsch verbreiten und Entwicklungen hinterfragen.“

„Du zum Beispiel“, merkte Annabelle an und löffelte zierlich ihre Suppe.

John lachte, bevor seine Mutter Ermahnungen aussprechen konnte. „Jedenfalls hat das Vermögen dieses Benedict de Lys dem heruntergewirtschafteten Besitz nur gut getan. Er muss wirklich sehr, sehr reich sein.“

Lady Horbury schauderte. „Das Haus hat in den letzten Jahren ausgesehen, als stürze es gleich in sich zusammen… aber sonst gab es nichts Interessantes? Etwas Neueres vielleicht?“

John überlegte. „Nein. Im Club gab es einige neue Gesichter, die mir aber schon sehr jung und unerfahren erschienen sind. Zwei waren anscheinend mit älteren Verwandten gekommen, ein anderer suchte offenbar jemanden, der aber nicht anwesend war.“

Er kicherte kurz. „Ich dachte, dieser – wie hieß er? Pendleton, glaube ich - breche gleich in Tränen aus, so dass wir uns ein wenig mit ihm unterhalten mussten, um ihn aufzumuntern. Der reinste Milchbart, aber durchaus sympathisch.“

„Dieser Mr. Pendleton – hat er gute Beziehungen?“

John sah seine Mutter einigermaßen erstaunt an: Annabelle war doch schon untergebracht? „Das weiß ich nicht. Er ist Sir Ernest Pendleton – du kannst ihn ja überprüfen lassen. Ich glaube ohnehin nicht, dass ich ihm noch einmal begegnen werde. Morgen treffe ich mich mit zwei alten Bekannten bei Tattersall, sie möchten meine Beratung beim Pferdekauf – und übermorgen: Sind wir dann überhaupt noch in London?“

„Das hängt davon ab, ob wir alle unsere Vorhaben bis dahin erledigt haben, nicht wahr, Annabelle?“

Annabelle sah auf. „Wie bitte – ach so, ja, Mama.“

Die fromme Antwort trüg ihr einen misstrauischen Blick ein, den sie voller Unschuld erwiderte: Jetzt hatte sie doch gar nichts angestellt?

„Wir könnten morgen Abend ins Theater gehen“, schlug John da vor. „Es soll eine reizende Komödie geben.“

„Woher weißt du das?“, wollte seine Mutter sofort wissen.

Die Antwort war ein Schulterzucken. „Irgendjemand im Club hat das erwähnt, aber wer… es muss jemand sein, der jüngere Schwestern hat, denn die seien angeblich ganz hingerissen gewesen. Soll ich mich um Plätze in einer Loge bemühen? Das Parkett ist wohl doch zu – äh – ausgelassen, meinst du nicht?“

„Ganz gewiss!“, antwortete Lady Horbury. „Das Parkett ist für anständige Damen völlig unmöglich, wie du selbst ja auch sehr gut weißt. Plätze in einer Loge wären sehr nett, ich danke dir!“

Annabelle strahlte ihren Bruder an. „Theater! Wie wunderbar! Das ist wirklich ganz besonders reizend von dir! Wie gut, dass ich das weißsilberne Kleid mitgenommen habe!“

Ein Schatten fiel auf den Tisch und Annabelle sah hoch: Ein junger Mann, sehr elegant gekleidet und ausgesprochen gut aussehend, mit dunkelblonder Windstoßfrisur, grünen Augen, markanten Zügen und einer wundervoll gebundenen Krawatte, verbeugte sich vor John.

„Ach, Sir Ernest? So ein Zufall… Verzeihung – Mama, Annabelle, das ist Sir Ernest Pendleton, mit dem ich mich heute im Club sehr angeregt unterhalten habe. Sir Ernest, meine Mutter, Lady Horbury“ – Sir Ernest küsste der Dame formvollendet die Hand – „und meine Schwester Annabelle.“

Sir Ernest verbeugte sich tief vor Annabelle und schenkte ihr dann einen sehr eindringlichen Blick. „Sie sind zum ersten Mal in London, Miss Horbury?“

„Nein, ich kenne London schon ein wenig. Jetzt sind wir hier, um meine Aussteuer zusammenzustellen.“

Lady Horbury hatte diese eifrige Antwort mit einer Falte zwischen den Augenbrauen registriert. Diese Falte verstärkte sich noch, als dieser Sir Ernest Annabelle einen eindringlichen Blick zuwarf und murmelte „Wie betrüblich…“

Annabelle blinzelte verblüfft. „Sie gönnen mir mein Glück nicht?“

„Oh nein, da haben Sie mich vollkommen missverstanden, Miss Horbury!“

Annabelle betrachtete ihn mit schief gelegtem Kopf, fragte aber nicht weiter nach – und Sir Ernest äußerte sich auch nicht näher, sondern beschränkte sich auf eine weitere Verbeugung, die alle drei Horburys einschloss.

„Ein merkwürdiger junger Mann“, stellte Lady Horbury fest, sobald sich Sir Ernest außer Hörweite begeben hatte. „Und du hast ihn im Club kennengelernt?“

„Das scheint dich zu verwundern?“ John gab den Lakaien ein Zeichen, die sofort begannen, den ersten Gang abzuräumen und dann den zweiten aufzutragen.

„Ach nein, er erschien mir nur etwas – nun – seltsam. Ich kann selbst nicht sagen, warum eigentlich. Was weißt du denn über ihn?“

John zuckte die Achseln und äugte erfreut in die Schüsseln, die auf dem Tisch erschienen: „Mein Lieblingsragout! Nicht viel…“

„Sir, Sie können jederzeit nachbestellen!“, dienerte einer der Lakaien.

John dankte erheitert und wartete, bis alles aufgetragen war und jeder sich von den auf das Eleganteste präsentierten Schüsseln genommen hatte, dann warf er seiner Mutter einen abwägenden Blick zu.

„Er hat nicht viel erzählt. Angeblich ist sein Vater ein geadelter Fabrikbesitzer im Norden, der möchte, dass er sich im Süden nach einer Ehefrau umsieht. Oder war´s ein Landgut? Er machte einen recht netten, bescheidenen Eindruck, wie es sich für einen Neuling in der Stadt auch ziemt, scheint aber durchaus gut bei Kasse zu sein. Und er versteht gewandt zu plaudern.“

„Seine Manieren sind auch recht angenehm“, musste Lady Horbury zugeben. Annabelle aß gemächlich und beschränkte sich aufs Zuhören. Sie hatte diesen Sir Ernest eigentlich auch als durchaus attraktiv empfunden, aber das sagte sie lieber nicht, sonst entrüstete Mama sich nur wieder. Ach, so wichtig war dieser Mann wirklich nicht. Sollte John sich mit ihm doch im Club treffen – sie sähe ihn ja doch nie wieder.

Und spätestens übermorgen fuhren sie doch wieder nach Hause, vielleicht kam Stephen dann auch zurück und sie konnten spazierengehen und über die Zukunft sprechen…

„Du bist so still, Belle?“, fragte John in ihre Gedanken hinein. Sie sah erschrocken von ihrem Teller auf.

„Das sollte keine Kritik sein, Schwesterchen! Bist du müde?“

„J-ja, ja. Wir waren heute in der Oxford Street und haben Handtücher bestellt.“

„Und das hat dich so erschöpft?“, fragte er neckend.

„N-nein. Es ist nur schon recht spät. Zu Hause gehe ich um die Zeit schon schlafen, oder?“

„Das sind eben die Stadtsitten. Daran gewöhnst du dich.“

„Nicht in zwei bis drei Tagen“, warf Lady Horbury sofort ein.

„Das werden wir sehen“, widersprach John, „morgen wollt ihr doch zu den Modistinnen, nicht wahr? Und abends gehen wir ins Theater. Ich bin sicher, wir finden auch für übermorgen noch etwas Hübsches.“

„Den Pantheon Bazaar!“, rief Annabelle sofort. „Und Astley´s Amphitheater!“

John grinste und seine Mutter seufzte geschlagen, erholte sich aber sehr schnell wieder: „Du wirst eine standesgemäße Wäscheausstattung benötigen, die werden wir übermorgen oder auch schon morgen besorgen.“

Annabelle nickte mäßig begeistert – Hemden und Nachhemden, wie aufregend konnte das schon sein? Noch mehr langweiliges weißes Leinen mit einer kleinen Spitzenkante am engen Kragen. Wie es sich für eine anständige Dame ziemte – hatte sie nicht genügend solcher Nachthemden?

„Brauche ich auch Häubchen?“

„Du meinst, weil du dann unter denselben sein wirst?“, frotzelte John.

„Nein, du Schäfchen, das hat noch Zeit. Wenn dein erstes Enkelkind unterwegs ist, vielleicht. Oder hast du mich schon einmal mit einem Häubchen gesehen?“

Das musste Annabelle zugeben.

Ihre Mutter tätschelte ihr die Hand. „Morgen werden wir schon etwas Nettes für dich finden, da musst du keine Angst haben!“

Ein undurchsichtiger Gentleman.

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