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Prolog

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Im Oktober 2007 stieg ich in Manchester am Bahnhof Piccadilly aus dem Zug, um Bert Trautmann zu treffen. Er erwartete mich auf dem Bahnsteig, groß gewachsen, elegant gekleidet, auch mit seinen 84 Jahren noch eine attraktive Erscheinung. Als wir über den Bahnsteig gingen, kam ein Mann auf uns zu.

„Sie sind Bert Trautmann, nicht wahr?“

„Der bin ich“, bestätigte Bert in seinem eigentümlich deutsch eingefärbten Lancashire-Dialekt.

„Darf ich Ihnen die Hand geben, Sir?“

Sie gaben sich die Hand und wechselten ein paar Worte: die Fußball-Legende, Held von Manchester City, der Torwart, der sich im Pokalfinale das Genick brach und dennoch weiterspielte. Dann wünschte Bert ihm alles Gute und wir gingen weiter.

Wir nahmen ein Taxi zum Restaurant, wo wir über die Idee zu diesem Buch sprechen wollten.

„Bert Trautmann, nicht wahr?“, drehte sich der Fahrer zu uns um. „Sie waren der Held meiner Kindheit. Wie geht es Ihnen?“, fragte er.

„Ich kann nicht klagen, vielen Dank“, antwortete Bert.

Später im Restaurant kam der Küchenchef an unseren Tisch und bat Bert um ein Autogramm für einen Sohn. So ging es weiter, wohin wir auch gingen. Mehr als 50 Jahre lag das Pokalfinale inzwischen zurück, aber in Manchester erinnern sich die Leute immer noch an Bert, ihren Jerry-Torhüter, und wollen ihm die Hand geben. „Jerry“ oder „Fritz“ oder „Kraut“ nannten die Engländer im Zweiten Weltkrieg die deutschen Soldaten.

„So geht das immer“, lächelt Trautmann und zuckt die Achseln. „Ich bekomme immer noch fast täglich Fanpost. Letzte Woche bekam ich sogar einen Brief aus China! Unglaublich!“ Das Wort „unglaublich“ verwendet Bert ziemlich oft, nicht zuletzt, weil es auf so viele Erfahrungen in seinem Leben zutrifft. „Damals habe ich nach jedem Spiel eine Stunde und noch länger Autogramme gegeben. Anfangs hat mich der ganze Rummel ein bisschen überfordert, aber ich konnte schon immer schlecht nein sagen, also blieb ich bis lange nach dem Spiel und schrieb Autogramme, total erschöpft, aber ich habe es trotzdem gemacht. Meine Kollegen wunderten sich darüber, sie konnten das nicht verstehen. Nach dem Krieg, als ich nicht weit von hier in Ashton-in-Makerfield in Gefangenschaft war, sind mir die Leute mit so viel Verständnis, so viel Vergebung und so viel Freundschaft begegnet, dass ich ihnen etwas zurückgeben wollte. Ich wollte zeigen, dass es auch gute Deutsche gab und nicht nur böse.“

Beim Essen sprachen wir über sein Leben: die Kindheit in Nazi-Deutschland, die Hitlerjugend, seine Zeit als Freiwilliger bei der Luftwaffe mit gerade 17 Jahren, die Kämpfe in Russland und alles andere. Vor allem aber über Sport. „Sport war mein Leben“, sagte er. „Er hat mich durch Höhen und Tiefen begleitet, selbst in Russland, als wir uns nachts aus Angst vor den Partisanen hoch oben in den Bäumen festbinden mussten, um schlafen zu können. Selbst damals hatte unser Regiment ein Handballteam, und hin und wieder wurden wir von der Front abgezogen, um gegen andere Mannschaften zu spielen. Das half uns, nicht den Verstand zu verlieren. Später, nach dem Krieg, in England, war es der Fußball. Ich wurde Torwart von Manchester City und war plötzlich berühmt. Unglaublich.“

„Es soll auch ein Geschichtsbuch sein“, erläuterte ich. „Es beginnt in der Weimarer Republik und endet im England der Nachkriegszeit. Sie sind eine Art Jedermann, der all diese dramatische Zeiten und Erfahrungen durchlebt, bei denen sich unsereins fragt, wie wir an Ihrer Stelle gehandelt hätten.“

Bert stimmte zu. „In gewisser Weise hat mich meine Kindheit zu dem gemacht, was ich bin“, sagte er. „Und der Krieg. Das sportliche Talent ist mir in die Wiege gelegt worden, aber der Krieg hat mich zäher und härter gemacht. Nachdem ich gegen die Partisanen gekämpft hatte, konnte mich nichts mehr erschüttern. Nicht einmal ein gebrochenes Genick. Du kannst ein guter Torwart sein, aber um ein herausragender zu werden, brauchst du ein großes Herz. Das zeichnet alle herausragenden Torhüter aus: Mut und ein großes Herz.“

Nach dem Essen holte Bert ein großformatiges Schwarz-Weiß-Foto hervor. Es war am 15. April 1964, nach seinem Abschiedsspiel an der Maine Road, aufgenommen worden, als er im Alter von 41 Jahren zurücktrat. Das Bild zeigt, wie er vor einem dieser altmodisch anmutenden Mikrofone interviewt wird. Pressefotografen und Fans scharen sich in Regenmänteln, Filzhüten, Mützen und Kassengestellen um Bert, der ganz wie der Star aussieht, der er ja auch war. Er wirkt ein wenig gefasster als noch kurz zuvor, als er das Feld verließ. „Da habe ich wirklich geweint“, sagte er. „Die Tränen rollten mir die Wangen herunter. Es hatte den ganzen Tag geregnet, und ich hatte nicht damit gerechnet, dass überhaupt jemand kommt. Keine Zuschauer, kein Geld. Ich habe damals nicht mehr als 35 Pfund die Woche verdient und konnte das Geld gut gebrauchen. Ich hatte eine Frau und zwei Jungs, dazu ein Haus, das es instandzuhalten galt. Aber die Leute kamen, von überall – aus Bolton, Liverpool, Preston, London und natürlich Manchester – insgesamt 47.000. Großartig, oder?“

Anstoß war damals um 19.30 Uhr. Es hatte aufgehört zu regnen, und als Bert beide Mannschaften aus dem Spielertunnel aufs Feld führte, war der Lärm auf den Tribünen ohrenbetäubend. „Wie viele besondere Momente hat man in seinem Leben? Aber die besten sind die zutiefst menschlichen, und dieser gehörte dazu. Ich war den Menschen in England, insbesondere hier in Lancashire, und meinen Kollegen immer dankbar dafür, dass sie mich nach dem Krieg als Deutschen akzeptiert und zu dem gemacht haben, der ich heute bin.“ Selbst heute, 45 Jahre später, hat er Tränen in den Augen, wenn er davon erzählt. „Das Spiel wurde nie richtig beendet. Die Leute rannten einfach aufs Feld, und es musste eine Gasse gebildet werden, damit wir in die Kabine konnten. Das war der Moment, in dem die Gefühle mich überwältigt haben. Ich habe geweint. Natürlich habe ich geweint. Ich schäme mich dessen nicht.“

Im „Daily Express“ war am nächsten Tag zu lesen:

BERT VON 47.000 FANS VERABSCHIEDET

Insgesamt £ 90.00 kamen beim gestrigen Abschiedsspiel für Carl Bernhard Trautmann, Englands beliebtesten Deutschen, zusammen. 5.000 Fans sorgten bereits drei Minuten vor dem Abpfiff für das vorzeitige Ende des Spiels, weil sie es nicht erwarten konnten, diesem herausragenden Botschafter des Fußballs die Ehre zu erweisen. Die Spieler mussten sich den Weg vom Feld freikämpfen, und es dauerte mehrere Minuten, bis Trautmann, bleich und emotional sichtlich mitgenommen, mithilfe der Polizei die Spielerkabine erreichte. Das Spielniveau im Match zwischen einer Auswahl von Manchester City und United sowie einer internationalen Elf war dem Anlass angemessen. Unter anderem gab sich der 49 Jahre alte Stanley Matthews die Ehre und lief zugunsten seines jungen Kollegen, dem 41 Jahre alten Trautmann, noch einmal zur Hochform auf.

Bert und ich verbrachten nach diesem Essen viele Tage miteinander. Ich stellte Fragen, während er, über das Aufnahmegerät gebeugt, in seinen Erinnerungen kramte. Dabei stellte sich sein Gedächtnis als bemerkenswert gut heraus, als das eines jungen Mannes, und kein noch so geringes Detail entging seiner Aufmerksamkeit. Naturgemäß erwiesen sich seine Jugend im Nazi-Deutschland der 1930er Jahre sowie der Krieg als prägende Zeiten, und oft war Bert tief bewegt, wenn Erinnerungen hochkamen, die viele Jahre verborgen geblieben waren. Es folgten die Jahre des Ruhms, aber auch der hat seine Höhen und Tiefen, und Bert hatte mit beidem reichlich Erfahrungen gemacht. Ich erklärte ihm, dass ich sein Leben wie eine Geschichte erzählen wollte, eine Geschichte unserer Epoche. Und wie die meisten guten Geschichten begann auch diese vor langer, langer Zeit.

Trautmanns Weg

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