Читать книгу NORA UND DAS GEHEIMNIS IHRES 16. SOMMERS - Cécile Tourin - Страница 7

Dramatische Stunden Dramatische Stunden

Оглавление

Mit einem kurzen Gewitter am Morgen und starkem Regen kündigte sich ein weiterer ereignisreicher Tag an. Nilsson war gerade dabei, das Schiff wetterfest zu machen. Plötzlich kam Nora mit ihrem Fahrrad wie wild auf den Anleger gerast. Sie schrie schon von weitem seinen Namen. Ihre Kleidung war völlig durchnässt, das Gesicht blutig und ihre nassen Haare stoben wirr in alle Richtungen. Sie war wahnsinnig vor Angst. Achtlos ließ sie ihr Rad auf die hölzernen Planken krachen und rannte zu Nilssons Boot. Aufgrund ihres Geschreis war der bereits vom Deck auf den Steg gesprungen und fing das zitternde Mädchen auf.

„Was ist passiert, um Gottes Willen“, er fasste sie an den Schultern und rief, „sag mir, was passiert ist, schnell!“ Sie sank ihm in die Arme und keuchte atemlos: „Es ist alles aus, er hat uns geschlagen, er hat Mutter das ganze Geld weggenommen und wollte sogar das Haus anzünden! Ich habe solche Angst! Und ---“, sie schluchzte laut auf und presste eine Hand auf ihren Mund. Er hielt sie an ihren Schultern fest, um ihr ins Gesicht zu sehen. „Was und? Sag es!“ „Er hat nach Dir gefragt.“ „Ja und? Was wollte er?“ „Ob Mama mit Dir ins Bett geht für all die Maschinen, die Du besorgt hast und ich wohl auch mit Dir auf dem Boot und so und -“, Nora musste erst einmal Atem schöpfen, bevor sie weiter reden konnte „und er war furchtbar betrunken und hat böse Worte geschrien. Wie von Sinnen, so zornig und brutal.“ „Wo ist er jetzt?“ Sie streckte Ihren Arm aus und zeigte auf das Dorf. „Irgendwo da, vielleicht noch im Haus, keine Ahnung, ich wollte nur noch weg!“

„Bleib Du im Boot, ich fahre hin.“ „Tu`s nicht, bitte nicht, bleib hier! Ich habe solche Angst allein!“ „Ich muss jetzt dahin! Beim Hafenmeister und bei den Fischern dort drüben sage ich Bescheid, die beschützen Dich. In der Kajüte ist Pflaster, Du weißt ja wo. Und bleib im Boot, bis ich wiederkomme. Hier bist Du sicher!“

Im Eiltempo erreichte er mit seinem Wagen das kleine Haus. Bodo Merz war jedoch schon weg. Anna war völlig fertig und saß in der Küche, den kleinen Lukas auf dem Schoß, den sie ganz fest an sich drückte. „Papa böse“, stammelte der Junge, als er Nilsson sah. „Papa ganz böse `wesen.“ „Ja Lukas, ich weiß.“ Seine Mutter strich ihm zärtlich über das blonde Haar. „Aber jetzt musst Du keine Angst mehr haben. Es ist ja vorbei.“

Der Schwede telefonierte. Ja, Ludwig hatte noch einen Bungalow auf seinem Platz frei und er richtet ihn für Anna und die Kinder her. Die Mutter packte das Nötigste für die nächsten Tage zusammen, während er wieder zum Hafen fuhr, um Nora abzuholen. Alle drei waren sehr traurig und redeten kein Wort, als er sie zu dem Ferienbungalow auf den Campingplatz brachte.

„Das ist glaub` ich, keine gute Idee. Hier wird er uns ja zuallererst suchen, bei Ihnen“, sagte Anna. „Keine Angst, hier tut er Euch nichts, dafür werden der Ludwig und sein Basti schon sorgen.“ „Basti?“ „Ja, den kennst Du doch, das ist Ludwigs Bester, der Dobermann, er tut alles, was er ihm sagt. Ihr seid hier in Sicherheit und wartet solange, bis ich wiederkomme. Vielleicht dauert es ein paar Tage. Zum Essen geht Ihr in Ludwigs ‚Kajüte‘. Er ist nicht nur ein super Koch, sondern auch mein bester Freund. Er macht Euch alles, alles was Ihr essen möchtet. Bis bald, ich komme wieder, so oder so.“ „Was meinst Du denn jetzt damit ‚so oder so‘? Was bedeutet das?“ Angst flackerte in Noras tränenerfüllten Augen. Lars streichelte sie zärtlich an der Wange, drehte sich dann aber abrupt um und ging ohne eine Antwort zu geben, zu seinem Auto. Denn ehrlich gesagt, wusste er selber noch nicht genau, was er damit meinte. Er startete den alten Kombi, rollte vom Campingplatz und fuhr in die Richtung der Stadt Friedrichshafen.

Nilsson parkte in der Nähe des Graf-Zeppelin-Hauses und ging langsam den Uferweg entlang zum Hafen. Er wollte Bodo Merz irgendwie zur Rede stellen. Meine Güte, wie sehr hatte er sich schon in die Angelegenheiten der Familie eingemischt! Stand ihm das überhaupt zu? Plötzlich spürte er einen deutlichen Zweifel in sich, ob er das tun durfte, was er jetzt vorhat. Aber er fühlte zugleich, dass er schon viel zu weit gegangen war, um tatenlos wieder umzukehren. Wie so oft in seinem Leben spürte er auch jetzt, dass er sich nun nicht mehr heraushalten konnte. Am Rand der Promenade, abseits von den Bootsverleihern, saß eine Gruppe von Männern und Frauen. Bierflaschen standen überall auf dem Boden herum. Nilsson setzte sich in der Nähe auf eine leere Bank und schaute über das Wasser. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Leute und machte bald einen Mann aus, der offenbar so etwas wie der Anführer der Gruppe war. Inzwischen hatte auch er selbst offenbar das Interesse der Trinker geweckt. Schon kam der, der am meisten geredet hatte, auf ihn zu. „Tschuldigung, hätten Sie vielleicht `ne Spende für n` paar arme Arbeitslose?“ Der Mann wies mit einem Arm hinüber zu seinen Freunden. „Das kommt drauf an.“ „Und auf was?“ Er legte seinen Kopf schief und sah Nilsson aus zusammengekniffenen Augen an. „Ich suche jemanden.“ „Hier bei uns?“ „Ja, einen von Euch, einer der was von Holz versteht.“ Nachdenklich kratzte sich der Arbeitslose am Kopf. „Von Holz? Wieso das denn?“

Lars erzählte ihm, dass seine Gartenlaube kaputt ist und er jemanden sucht, der sie günstig repariert. Unvermittelt ging der Mann auf das ‚Du‘ über und sagte: „Hör mal Alter, ich wüsste vielleicht einen, aber Du müsstest meinem Gedächtnis ein wenig nachhelfen, in letzter Zeit - also mit der Erinnerung - da haperts, ehrlich. Ein Fünfer tut da erfahrungsgemäß wahre Wunder, wenn Du verstehst, was ich meine.“

Nilsson zog einen Zehner aus der Tasche, der zerzauste Mann lächelte breit und fing an zu erzählen: Ja, es gäbe hier einen, der hat mal erzählt, dass er so ein Holzwurm gewesen sei. Der käme allerdings nur alle paar Tage her und wäre ansonsten auch ziemlich schweigsam und in sich gekehrt. „Der hat aber noch nicht ganz abgeschaltet, wie so mancher von uns. Ich glaube, der hat das Zeug hier wieder rauszukommen, wenn Du verstehst, was ich meine.“ „Was meinst Du, was kann einem von Euch wohl am besten helfen, wieder hochzukommen, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen?“ „Weißt Du, Kumpel, da gibt’s nur eins: Die Liebe, ja wirklich! Ich habe früher viel in der Bibel gelesen und rate mal, zu welcher Erkenntnis ich gekommen bin?“ „Jetzt machst Du mich wirklich neugierig.“ „Die ganze Bibel oder sagen wir mal, das gesamte Neue Testament kannst Du auf fünf Buchstaben reduzieren: L I E B E . Mit Liebe erreichst Du alles! Einen anderen so annehmen, wie er ist, verstehst Du?“ „Ich werde darüber nachdenken, aber ich glaube auch, dass Du Recht hast. Danke, Du bist mir eine große Hilfe. Nun sag mal, wo habe ich die beste Chance diesen Mann zu finden?“ Der Angesprochene strich sich über sein langes, ungepflegtes Haar und sah Nilsson listig an. „Ich müsste übrigens dringend zum Frisör. So kann man doch nicht herumlaufen! Das macht doch keinen guten Eindruck, wenn Du verstehst, was ich meine.“

Lars hatte natürlich wieder verstanden und gab ihm noch einen Geldschein. Sein neuer Bekannter ging mit ihm ein Stück und beschrieb dabei den Weg zu einer Imbissstube abseits der Fußgängerzone. „Die Bedienung dort, die hat`s dem Bodo wohl angetan. Aber die lässt ihn jedes Mal wieder abblitzen, die hat doch `nen festen Freund. Dir viel Glück, Kumpel! Und wenn Du mal wieder `ne Auskunft brauchst, weißte ja, wo Du mich finden kannst.“

Nilsson ging anschließend sofort zu dem Imbiss und schaute hinein. Zwei junge Mädchen aßen Pommes und tranken Cola, ansonsten war der Gastraum leer. Hinter dem Tresen stand ein Mann mit einem Kittel. „Entschuldigung, wie lange haben Sie heute geöffnet?“ Der Weißkittel blickte kurz auf und schnarrte: „Jeden Tag bis 10!“ „Ich soll Ihrer Kollegin was ausrichten, wann kommt die denn so?“ „Wenn wir beide Glück haben, ist die abends ab 6 hier und löst mich ab.“ Die Mädchen guckten amüsiert hinüber und kicherten leise.

Der Schwede bedankte sich und fuhr in das kleine Dorf Kippenhausen, das nicht weit von der Stadt entfernt war, um im dortigen Gasthaus ‚Montfort‘ etwas zu essen. „Grüß Gott, Herr Nilsson, Sie haben sich ja rar gemacht in letzter Zeit, schön Sie einmal wieder zu sehen!“ Wie immer wurde er von der Wirtin sehr herzlich empfangen. „Ja, ich freue mich auch und ich hoffe, es geht Ihnen gut.“ „Aber natürlich, wie immer, muss ja auch, gell?“ „Haben Sie eigentlich noch Gästezimmer?“ „Wir haben noch welche, aber wir vermieten die gar nicht mehr.“ „Ich möchte eins für kurze Zeit, nur für ein paar Tage. Ich brauche auch nicht viel, ein Bett und ein Waschbecken reichen mir schon, geht das?“ „Steht der Campingplatz unter Wasser, ist Ihr Schiff untergegangen oder was ist passiert?“ Er erzählte ihr kurz, dass er in der Stadt zu tun hätte und vorübergehend nicht bei sich wohnen wolle. Als sie das Essen serviert hatte, richtete die Wirtin das Zimmer für ihn her, ohne weitere Fragen zu stellen.

Am nächsten Abend wartete Lars in der Nähe der Imbissstube. Natürlich war ihm etwas mulmig zumute, jetzt gab es für ihn allerdings kein Zurück mehr. Er hatte ja versprochen, etwas zu regeln. Und darauf hofften die drei Wartenden in ihrer Hütte auf dem Campingplatz. Beim Blick durch die Fensterscheibe konnte er sehen, dass zwei Tische mit ein paar jüngeren Typen besetzt waren. Aber genau der da, am Tresen, das könnte er sein. Ein Gast stand dort und redete mit der Bedienung. Die junge Frau hörte ihm gelangweilt zu, zog ab und zu die Schultern hoch und schüttelte ihren Kopf. Zögernd holte der Mann ein paar lose Geldscheine aus der Hosentasche und wedelte damit herum. Die Kellnerin nahm das Geld entgegen, griff zu einem schwarzen Buch und schrieb darin etwas auf. Dann wandte sie sich ab und kümmerte sich um das Essen in den Fritteusen. Der Schwede betrat die kleine Gaststube.


NORA UND DAS GEHEIMNIS IHRES 16. SOMMERS

Подняться наверх