Читать книгу Abgebrühte Mörderkunst: 6 Strand Krimis - Cedric Balmore - Страница 47
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ОглавлениеDer Wind hatte gedreht. Er kam jetzt von Süden und brachte Regenwolken. Es goss in Strömen und der warme Regen sorgte dafür, dass der Schnee erstmal wieder von den Straßen geputzt wurde. Hier und da war es etwas glatt, aber der erste, zaghafte Wintereinbruch war für New York wohl erst einmal vorüber.
Unsere Kollegen Clive Caravaggio und Orry Medina begleiteten uns. Schließlich wussten wir nicht, ob Dan Mingella allein war und welchen Widerstand er leistet.
Es war Rush Hour und so brauchten wir fast anderthalb Stunden bis zu dem Mietshaus, in dem Mingellas Mutter lebte.
Als wir schließlich vor ihrer Wohnungstür standen, machte uns eine grauhaarige Frau auf, unter deren Augen sich tiefe Ringe gebildet hatten.
„FBI! Sie sind Mrs. Jane Mingella?“, fragte ich.
„Die bin ich. Was wollen Sie von mir?“
Ich zeigte ihr meinen Ausweis.
„Ist Ihr Sohn Dan zu Hause?“
„Nein.“
„Wir haben hier einen Beschluss, der es uns erlaubt, sein Zimmer zu durchsuchen und uns selbst davon überzeugen, dass er sich nicht in der Wohnung aufhält!“
Mrs. Mingella fluchte leise vor sich hin und ließ uns eintreten.
Wir hatten innerhalb weniger Augenblicke die Wohnung nach ihrem Sohn abgesucht. Er war offensichtlich nicht da, lebte aber noch bei seiner Mutter, wenn man nach der Einrichtung seines Zimmers ging.
Auf dem Küchentisch stand eine halbvolle Whiskyflasche, die Mrs. Mingella eilig verschwinden ließ.
Ich wandte mich Dans Zimmer zu und sah mich dort um. Milo folgte mir. Clive und Orry vernahmen derweil Mrs. Mingella in der Küche. Aber die Wände des Hauses waren so hellhörig, dass wir jedes Wort mitbekamen.
„Ich weiß überhaupt nicht, was Sie wollen, mein Sohn hat sich nichts zu schulden kommen lassen!“
„Er ist wegen Einbruchs vorbestraft“, sagte Clive.
„Mein Gott, das ist Jahre her, da war er fast noch ein Kind!“
„Ein Kind von zwanzig Jahren!“
„Es ist nicht fair, dass Sie ihm seine Vergangenheit nachtragen!“
„Das tut auch niemand. Bitte beantworten Sie uns ein paar Fragen: Wussten Sie, dass Ihr Sohn Ordner für eine Organisation namens WHITE RACE FIRST war?“
„Das wusste ich. Er hat da ein paar Dollar verdienen können! Aber soweit ich weiß, ist das kein Verbrechen!“
Mir fiel inzwischen eine Mütze auf, die sich im obersten Fach von Dan Mingellas ziemlich unaufgeräumten Kleiderschrank befand.
Eine Base Cap mit der Aufschrift ‚Homeboy’.
„Bingo!“, meinte ich und nahm die Mütze hervor, nachdem ich mir Latexhandschuhe übergezogen hatte, um eventuelle Spuren nicht zu zerstören. „So häufig sind solche Mützen nicht.“
„Fragt sich nur, weshalb Dan Mingella sie jetzt nicht trägt!“, erwiderte Milo. „Kalt genug, um sie sich auf den Kopf zu setzen, ist es ja schließlich!“
Ich nahm die Mütze und ging damit in die Küche. Milo sah sich in der Zwischenzeit noch etwas im Zimmer um und durchwühlte die Schubladen von Mingellas Schreibtisch.
„Wenn Sie Ihrem Sohn helfen wollen, dann sollten Sie uns jetzt sagen, wo er ist!“, forderte Clive. „Oder wollen Sie, dass das alles in einer Tragödie endet?“
„Sie können gerne wissen, wo sich mein Sohn befindet!“, fauchte Mrs. Mingella ziemlich außer sich. Im ersten Moment war mit unverständlich, weshalb sie dermaßen aus der Haut fuhr. Ihre Augen waren blutunterlaufen. Ihr Gesichtsausdruck drückte Verzweiflung aus. Sie fuhr fort: „Ich frage mich nur, ob er in der Lage sein wird, Ihnen Ihre verfluchten Fragen zu beantworten!“
„Was meinen Sie damit, Mrs. Mingella?“, hakte Clive nach.
Sie atmete tief durch und presste die Lippen aufeinander. Dabei durchlief sie ein Zittern.
„Dan liegt im St. Patricks Hospital, fünf Blocks weiter. Er hatte vor zwei Wochen einen Unfall mit seinem verdammten Motorrad und liegt seitdem im Koma.“ Ein Stoßseufzer entrang sich ihren Lippen. Dann folgte eine Pause betretenen Schweigens. Clive warf mir einen Blick zu und zuckte die Achseln. Wer hätte das auch ahnen können?, schien dieser Blick zu sagen.
Aber fest stand, dass Dan Mingella damit als Einbrecher bei General Biotech definitiv ausschied, vorausgesetzt die Geschichte, die uns Mrs. Mingella erzählt hatte, stimmte auch. Aber das ließ sich schnell überprüfen.
„Das wussten wir nicht“, ergriff ich als erster das Wort und durchbrach damit die bedrückende Stille, die in den letzten Augenblicken geherrscht hatte. „Es tut uns sehr leid, was mit Ihrem Sohn passiert ist.“
„Ach, hören Sie doch auf! Sie und Ihresgleichen würden doch noch sein Grab wieder öffnen, wenn sie ihm nachträglich noch etwas am Zeug flicken könnten!“
„Sie sind seine Mutter“, sagte ich. „Und wahrscheinlich haben Sie das Recht dazu, nur das Gute in ihm zu sehen.“
Ihre Stimme klang tonlos, als sie fort fuhr: „Er ist auf dem Elevated Highway verunglückt, weil so ein verdammter Truckfahrer einfach zu müde war, um richtig hinzusehen!“ Sie schluchzte auf. „Die Ärzte sagen, dass er nie wieder der Alte werden wird.“
Wir ließen sie eine Weile reden. Es schien, als hätte sie noch mit niemand anderem darüber gesprochen und sich ihre Wut auf das Schicksal oder was sie auch immer sonst noch für den Zustand ihres Sohnes verantwortlichen machen wollte, von der Seele geredet.
Schließlich war sie still.
Ich hielt ihr die Mütze hin.
„Diese Mütze gehörte auch Ihrem Sohn?“
„Ja“, bestätigte Mrs. Mingella tonlos.
„Hatte Ihr Sohn einen Bekannten, der die gleiche Mütze trug?“
Sie blickte plötzlich auf, sah mich an und wirkte mit einem Schlag sehr ernüchtert. „Ja, woher wissen Sie das?“
„Erzählen Sie mir über diesen Bekannten.“
„Er heißt auch Dan – das fand ich immer witzig. Der beste Kumpel meines Sohnes heißt wie er selbst.“
„Wissen Sie den Nachnamen?“
„Dan Soames. Er hat meinem Dan den Job als Ordner verschafft. Die Mütze, das war ein Geburtstagsgeschenk von Dan Soames. Mein Dan hat sie nie getragen, weil sie ihm zu groß war und immer auf die Nase rutschte.“
„Wo dieser Dan Soames wohnt, wissen Sie nicht zufällig?“, fragte jetzt Orry.
Sie schüttelte den Kopf und rieb sich die Tränen aus den Augen.
„Nein, tut mir leid.“
„Dan Soames stand definitiv nicht auf der Liste, die Gallun uns geliefert hast“, stellte ich an Milo gewandt fest.
„Dann hattest du recht Jesse: Gallun hängt mit drin. Warum sollte er Soames sonst von der Liste der Ordner streichen?“
Clive griff zum Handy, um Dan Soames in die Fahndung zu geben.
Wenig später hatten unsere Innendienstler bereits einen Treffer. „Die letzte Verurteilung war vor zweieinhalb Jahren wegen Körperverletzung“, erklärte Clive. „Seine Bewährung lief erst vor acht Wochen ab. Bis dahin hat er in einem Apartment in der Rawson Street gelebt. Das ist nur ein paar Straßen von hier entfernt!“