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Newman und das Konzil

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Kann man sagen, dass das II. Vatikanische Konzil (1962–1965) »die Stunde Newmans« gewesen war, die er hundert Jahre vorher vorausgesehen hatte? Ist es zu viel gesagt, wenn der englische Bischof Butler unter den Eindrücken der Verhandlungen des Konzils nach seiner Rückkehr nach London äußerte: »Der Geist Newmans brütete über dem Konzil«? (Jedenfalls ist das sicher eine gewagte Anspielung!)

Das Konzil brachte in der katholischen Kirche einen ganz neuen Anstoß für die theologische Reflexion über ihr Wesen und ihre Sendung und eine neue Zuwendung zur Welt. Wir sahen, dass die theologische Situation in der Mitte unseres Jahrhunderts von Newman erheblich mitgeprägt war. Und so war es nicht eigentlich überraschend, dass Papst Johannes XXIII. sich gleich in der Enzyklika, die er zur Einberufung des Konzils schrieb, auf Newman berief.54

Schon die Tatsache der Einberufung des Konzils war ein Schlag gegen den übertriebenen Zentralismus in der katholischen Kirche. Schon 1863 hatte Newman der Entwicklung in der Mitte des 19. Jahrhunderts den Geist des Jahrtausends in der Geschichte der Christenheit gegenübergestellt: »Damals war der Heilige Stuhl nur ein Gerichtshof letzter Instanz.« Dagegen gäbe es gegenwärtig in der Kirche, wie er sagt, »keine Freiheit der Meinung mehr, das heißt aber, keine eigentliche Betätigung des Intellekts. Das System erhält sich ja nur aus der Tradition des Intellekts früherer Zeiten.« Newman verlangte »eine wirkliche Begegnung der Kirche und der Theologie mit der Zeit, die Freiheit der Forschung zu einer wirklichen Begegnung mit der Wahrheit und katholische Weite ohne Ängstlichkeit«.55 Er rechnete mit einer Zukunft, in der das äußere Schicksal der christlichen Religion zum Anlass werden wird, dass »der Bürokratismus aus Rom ausfahren und ein besserer Geist einkehren wird«.

Zwei Dinge sieht er als notwendig an: mehr Wirklichkeitssinn und Offensein für die Gedankenfreiheit. Zugleich war er überzeugt von der Unfruchtbarkeit einer bloßen »Begriffstheologie«.

Kurz vor Beginn des Konzils zeigte sich besonders in der französischen und deutschen Theologie die Tendenz einer Öffnung auf dieser Linie, häufig unter Berufung auf Newman. Hans Urs von Balthasar erklärte im Verlauf seiner Auseinandersetzung mit Karl Barth: »Durch die heutige katholische Theologie geht ein unaufhaltsamer Zug, die Geschichtlichkeit in ihrer Breite und Tiefe zu erfassen. Vorbereitet … (u. a.) von Newman wird diese Bewegung von allen führenden katholischen Denkern getragen und vorangetrieben.«56 Diese Äußerung stammt aus dem Jahr 1957. Fünf Jahre später, vor den Toren des Konzils, warnte Karl Rahner in der Zeitschrift Stimmen der Zeit vor einem solchen »unberechtigten Optimismus«.57 Man dürfe die »Erwartungen an das Konzil« angesichts der verschiedenen Richtungen in der katholischen Theologie nicht zu hoch schrauben, zumal dabei im Dienst des Lehramtes »die Hauptarbeit von denselben Theologen geleistet werden« müsse, die eine »Schultheologie« vertreten, die heute noch in der Schule, auf der Kanzel und in den theologischen Büchern vorherrschend sei. Es fehle weithin an jenem »zugleich streng wissenschaftlichen wie ebenso charismatischen Schwung«, der die Aussagen des Konzils zeitgemäß und überzeugend machen könnte.

Zu Beginn des Konzils zeigt sich denn auch die Spannung zwischen den Schulen der Theologie. Bei der Frage von Schrift und Tradition, die auch Newman sein Leben lang beschäftigt hatte, blieb die »alte Schule« in der Minderheit. Nicht nur die führenden Theologen, sondern auch die Bischöfe waren in ihrer Mehrheit dem Neuen geöffnet, sodass Kardinal Frings nach der Rückkehr von der ersten Konzilssession erklären konnte: »Zu unserem Erstaunen konnten fast alle Bischöfe existenziell denken.« Sie gaben sich nicht mehr damit zufrieden, von allgemeinen Wahrheiten zu reden statt von der konkreten geschichtlichen Wirklichkeit des heutigen Menschen.

Für das II. Vatikanische Konzil war die Sorge um die Mannigfaltigkeit in der Einheit im weiten Rahmen der Katholizität der Kirche charakteristisch.

Von besonderer Bedeutung für das Konzil waren die Auswirkungen des Werkes Newmans über die Lehrentwicklung. Er hatte dadurch in der katholischen Theologie, wie Artz formuliert, »die Wende zum Positiv-Historischen« und »die Abwendung vom rein Spekulativ-Scholastischen«58 vorbereitet. Hierdurch wurde erst das geschichtliche Verständnis einzelner Dogmen und eine Dogmenhermeneutik möglich. Dem Christentum als einer »Religion von Personen« entsprach eine personalistische, im echten Sinn existenzielle Philosophie.

Ebenso wie beim Konzil spielte der »Glaubenssinn« der Glieder der Kirche im Denken Newmans eine wichtige Rolle. Er war für die Aktivierung der Laien in der Kirche eingetreten und hatte von Papst und Bischöfen nicht weniger als eine Befragung, genauer eine »Konsultierung« der Laien auch bei ihrer Aufgabe der Wahrung des kirchlichen Glaubensgutes, verlangt. Dessain zeigt auf, wie Newman hier schon im Jahr 1859 eine Entscheidung traf, die ihn von vielen damals maßgebenden Männern der Kirche isolierte. Sein Zeitschriftenaufsatz »Über das Zeugnis der Laien in Fragen der Glaubenslehre«, der seit 1940 in zwei deutschen Übersetzungen vorlag, wurde im Original erst unmittelbar vor dem Konzil durch einen Laien, J. Coulson, der englischen Öffentlichkeit wieder vorgelegt, und der Herausgeber bemerkt, dass die Laieninitiative durch Johannes XXIII. eine päpstliche Ermutigung ohnegleichen erhalten habe.

Was in den Schriften und Gesprächen Newmans zunächst als Fragestellung formuliert, oft aber auch als These vertreten wurde, trat beim Konzil zutage, und vieles davon bekam Geltung in der Gesamtkirche. In dem am Schluss dieser Ausführungen wiedergegebenen Rückblick des Papstes Paul VI. auf Newmans Anteil beim Konzil (siehe S. 41) findet sich eine Aufstellung solcher Einzelthemen. Dabei ging es Newman immer um die Kirche als Glaubensgeheimnis und seine Einsichten über Offenbarung, Tradition und Entwicklung der Lehre kamen beim Konzil zur Geltung, das sich die Rückkehr zu den Quellen in der Heiligen Schrift und in der Zeit des frühen Christentums der Väter zur Aufgabe gemacht hatte. Man hat Newman mit Recht den Theologen des »Wortes Gottes im christlichen Leben« genannt (H. F. Davis59), und aus dieser neuen Form der Theologie lebte das Konzil. Ihr entsprach besonders die Begründung des Glaubens aus dem Personalen und aus der Lehre vom Gewissen.

Diese Problematik kam in der nachkonziliaren katholischen Theologie seit 1965 in besonderer Weise zur Geltung, und hierbei berief man sich nicht nur auf die Beschlüsse des Konzils, sondern auch auf Newman als Wegbereiter jener Ideen, die sich jetzt immer mehr durchsetzen. Ihr sei nun der folgende Abschnitt gewidmet, der von dem Wachstum der Erkenntnis im Rahmen der Fundamentaltheologie handelt.

John Henry Newman

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