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Vorwort
ОглавлениеDieses Buch will dem Leser eine Begegnung mit dem englischen Kardinal Newman vermitteln, dessen Name unverlierbar zur Geschichte der Erneuerung der katholischen Kirche gehört, die wir heute erleben. Er gilt als ihr »genialer Vorläufer«1. Sein Leben füllt fast das ganze 19. Jahrhundert aus. 1801 wurde er geboren und in der anglikanischen Kirche getauft, 1890 starb er als Kardinal.
Er hat einmal vorausgesagt, dass seine Stunde erst nach hundert Jahren kommen werde, und dies hat sich erfüllt, als Papst Johannes XXIII. die katholischen Bischöfe der ganzen Welt zum Konzil nach Rom rief (1962–1965).
Während des Konzils gehörte er zu den meist zitierten Theologen der Vergangenheit, und wenig später nannte Heinrich Fries ihn sogar »das Gewissen des Konzils«. Papst Johannes beruft sich gleich in seiner ersten Enzyklika zur Ankündigung des Konzils (29. Juni 1959) auf den »hochberühmten englischen Schriftsteller« fast wie auf einen Kirchenlehrer.2
Bei einem 1975 aufgrund einer Anregung von Papst Paul VI. in Rom veranstalteten Newman-Kongress, auf den wir hier noch zurückkommen werden, stellte ein Referent, P. Edward E. Kelly SJ, die Frage, ob Newman im heutigen Kontext der von ihm so genannten »Rahner-Küng-Epoche« der katholischen Theologie noch aktuell sei.3 Dieses Vorwort möchte neben der Absicht, einen ersten Zugang zu der Persönlichkeit Newmans zu vermitteln, der Beantwortung dieser Frage dienen.
Ganz unabhängig davon, wie die Antwort ausfällt: Newman steht als »prophetischer Denker«4 in der Reihe der »Meister einer Theologie des Herzens« wie Augustinus, Bonaventura, Franz von Sales, Kardinal de Bérulle, Thomas von Aquin und Pascal5, die mit ihrem Leben und Denken ebenso an unser personales Einfühlungsvermögen appellieren wie an unsere Bereitschaft, geschichtlich zu denken.
Nicht nur in der katholischen Kirche werden die Väter des Glaubens wieder mehr und mehr beachtet. Zu den Kirchenvätern der frühen Zeit, die die katholische Kirche ausdrücklich zu »Kirchenlehrern« erklärt hat, treten Männer aus der jüngeren Vergangenheit6, und gerade John Henry Newman ist für die durch das II. Vatikanische Konzil erneuerte katholische Theologie der »Kirchenlehrer der Neuzeit«7.
Wenn der Verfasser dieses Buches, der englische Oratorianer C. S. Dessain, in seiner »Einführung« Newman in seine Zeit und Umwelt hineinstellt, so zeigt sich allerdings sogleich, wie fremd und fern uns heute das bürgerliche Zeitalter der Königin Victoria von England ist. Führte nicht die Oxforder Universität ein »insulares« Dasein? Kannten nicht ihre Professoren das Festland nur aus ihren Studienreisen? Lohnt es sich, die verwickelten Verhältnisse der Staatskirche und der anderen christlichen Kirchen und Kirchengemeinschaften Englands so bis ins Einzelne kennenzulernen, wie es in diesem Buch angeboten wird? Auch wer so fragt, dem wird schon im ersten Kapitel die Begegnung mit einer groß angelegten Persönlichkeit ermöglicht, die die Geschichte der Kirche bis in unsere Zeit hinein geprägt hat und prägt.
Dessains Newman-Buch ist der Abschluss einer Lebensarbeit8, die ganz im Dienst des großen Kardinals gestanden hat. Er ist ein sicherer und zuverlässiger Führer durch sein Leben und Werk.
Als Newman starb, galt es für seine Brüder im Oratorium zu Birmingham, ein großes Erbe zu bewahren. Seit 1846 hatte Newman in der Gemeinschaft von Priestern gelebt, die er nach der Regel des vom heiligen Philipp Neri vor mehr als 400 Jahren in Rom begründeten Oratoriums zusammengerufen hatte. Vorher, in seiner anglikanischen Zeit, wirkte er in Oxford als Seelsorger der ihm als Tutor anvertrauten Studenten. Hier verkündigte er das Wort Gottes in sorgfältig aufgezeichneten Predigten (über 300 von ihnen blieben uns erhalten), hier und in Birmingham schrieb er seine Bücher und die unendlich vielen Briefe.
Viele glückliche Umstände mussten zusammentreffen, damit im Newman-Archiv in Birmingham das gesamte Lebenswerk eines großen Schriftstellers gesammelt und gehütet werden konnte, und dazu gehört auch die Gewohnheit aus der Zeit der Romantik, Briefe aufzubewahren, und erst recht die selbstvergessene Hingabe der Nachlassverwalter bis hin zu Charles Stephen Dessain, dem Herausgeber seiner Briefe und Tagebücher in 31 großen Bänden. Erst in jüngster Zeit wurden im Auftrag amerikanischer Universitäten nicht weniger als 63 000 Mikrofilme von den Buch- und Briefseiten Newmans hergestellt.
Umso höher ist die Meisterschaft des Verfassers einzuschätzen, aus all diesen vielen Einzelheiten ein treffendes und überzeugendes Bild Newmans vor uns zu entwerfen. Man hat Newman den »autobiografischsten unter allen Menschen« genannt (H. Bremond). Auch das Werk, das ihn, in »königlichem Englisch« geschrieben, berühmt gemacht hat, ist eine Autobiografie: die Apologia Pro Vita Sua, eine Geschichte seiner religiösen Überzeugungen, die man mit den Bekenntnissen des Augustinus und Rousseaus verglichen hat. Newman dachte, ja er meditierte meist mit der Feder in der Hand9 – also für uns mit, die wir uns von seinen Gedanken befruchten lassen. Es sind Gedanken eines Gottsuchers, für den es »nur zwei Wesen« von »absoluter« Gewissheit und von »einleuchtender Selbstverständlichkeit« gibt, »Gott und die Seele«10, der aber zugleich auf die Menschen zuging und für jede neue Stufe der Lebenserfahrung und Welterfahrung gerüstet war. Gott war ja für ihn der Schöpfer der Welt und der Menschen, und aus der Kontemplation der Wahrheit Gottes kam ihm die Kraft, in seine Zeit zu wirken. Er war ein Genie der Freundschaft, und mit seinen Freunden verbündete er sich zu einem geistigen Kampf für die Würde des Menschen, die Freiheit des Gewissens, für die Wahrheit und die Liebe.